Guy de Maupassant
Mont Oriol
Guy de Maupassant

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II

Nun ward aber die Ärztefrage in Enval brennend. Sie hatten sich mit einemmal des ganzen Landes bemächtigt, der ganzen Aufmerksamkeit, aller Interessen der Bewohner.

Früher liefen die Quellen unter der Regierung des einzigen Doktor Bonnefille, nur begleitet von den versteckten Angriffen des beweglichen Doktor Latonne und des ruhigen Doktor Honorat. Das war jetzt aber anders.

Sobald einmal der Erfolg, der den ganzen Winter über von Andermatt vorbereitet worden, entsprechend eingetreten war, dank der mächtigen Hilfe der Professoren Cloche, Mas-Roussel und Rémusot, die jeder ein Contingent von etwa zwei- bis dreihundert Patienten mindestens dem Bade zugeführt hatten, war Doktor Latonne, der neue Generalarzt des Bades, eine wichtige Persönlichkeit geworden, vor allem von Professor Mas-Roussel begünstigt, dessen Schüler er einst gewesen und dessen Haltung und Bewegungen er nachahmte.

Von Doktor Bonnefille war kaum noch die Rede. Der alte Arzt war wütend, verzweifelt, empört gegen Mont Oriol. Den ganzen Tag über saß er im alten Bade, mit ein paar alten Kranken, die ihm treu geblieben waren. In der That gab es einzelne Patienten, die wirklich glaubten, er allein kenne alle Eigenschaften der Brunnen, er hätte sozusagen den Schlüssel dazu, da er seit Beginn der Bäder hier die Sache leitete.

Doktor Honorat hatte nur die Auvergnaten als Patienten behalten. Er begnügte sich mit diesem mäßigen Gewinn, stellte sich mit aller Welt dabei gut und tröstete sich, indem er ein gutes Diner und einen guten Weißwein dem anstrengenden Berufe vorzog. Aber soweit ging er nicht etwa, seine Kollegen ins Herz zu schließen.

Doktor Latonne würde also der Groß-Augur von Mont Oriol geblieben sein, wenn nicht eines Morgens ein ganz kleiner Mann erschienen wäre, der beinahe einem Zwerge glich, dessen dicker Kopf zwischen den Schultern stand, der große runde Augen hatte und gewaltige Hände und ganz sonderbar aussah. Dieser neue Arzt, den Professor Rémusot hergezogen, hatte sich sofort bemerkbar gemacht durch seine außerordentliche Frömmigkeit. Beinahe jeden Morgen zwischen zwei Besuchen trat er ein Paar Augenblicke in die Kirche und nahm fast jeden Sonntag das Abendmahl.

Der Pfarrer führte ihm bald ein paar Kranke zu, alte Jungfern, arme Mädchen, die er umsonst behandelte, fromme Damen, die zuerst bei der Kirche anfragten, ehe sie einen Mann der Wissenschaft besuchten, um vor allen Dingen seine religiösen Empfindungen, seine Diskretion und seine Delikatesse bei der Behandlung kennen zu lernen.

Da ward eines Tages die Ankunft der Prinzessin von Maldenburg, einer alten deutschen Hoheit, einer gläubigen Katholikin, angekündigt, die am Abend, nachdem sie eingetroffen, sofort Doktor Black kommen ließ, auf Empfehlung eines römischen Kardinals.

Von diesem Augenblick an war er Mode, es galt als Geschmack, guter Ton, großer Chick, sich von ihm behandeln zu lassen. Man sagte, er wäre der einzige vornehme Arzt, der Einzige, zu dem eine Frau Zutrauen haben könnte.

Und nun sah man diesen kleinen Mann mit dem Bulldoggenkopf, der immer leise in allen Ecken mit aller Welt sprach, von früh bis abends von einem Hotel zum andern laufen. Er schien immer einige Geheimnisse zu haben, die er anvertraute oder die er entgegennahm, denn man traf ihn auf den Korridoren immer in geheimnisvollen Gesprächen mit den Hotelbesitzern, mit den Jungfern seiner Patientinnen, mit irgendwelchen Leuten, die mit den Kranken zu thun hatten.

Sobald er auf der Straße jemandem begegnete, den er kannte, ging er mit seinem kurzen, schnellen Schritt gerade auf ihn zu und flüsterte ihm sofort eine peinlich genaue Verordnung zu, wie ein Priester, der die Beichte entgegennimmt.

Vor allen Dingen liebten ihn die alten Damen. Er hörte ihre Geschichten an von Anfang bis zu Ende, ohne sie zu unterbrechen, trug allen ihren Beobachtungen Rechnung, beantwortete alle ihre Fragen und befriedigte alle ihre Wünsche.

Er erhöhte oder erniedrigte täglich die Anzahl der Becher, die die Kranken trinken sollten, sodaß bei der großen Aufmerksamkeit, die er ihnen widmete, die Kranken großes Zutrauen zu ihm gewannen. Er pflegte zu sagen:

– Gestern haben wir zwei dreiviertel Becher getrunken, heute wollen wir mal nur zwei einhalb nehmen, morgen drei, vergessen Sie das nicht, morgen drei, ich halte das für sehr wichtig, sehr wichtig!

Und alle Kranken waren überzeugt, daß ihm in der That außerordentlich viel daran lag. Um diese Zahlen und die Bruchteile nicht zu vergessen, schrieb er sie in das Notizbuch, um sich nie zu irren, denn der Patient verzeiht niemals, wenn der Arzt sich auch nur um einen halben Becher irrt.

Mit derselben Genauigkeit regulierte und veränderte er die Dauer der täglichen Bäder, nach Grundsätzen, die er allein kannte.

Doktor Latonne war eifersüchtig und verzweifelt darüber, er zuckte verächtlich die Achseln und sagte:

– Ein Macher!

Sein Haß gegen Doktor Black hatte ihn sogar manchmal dahingeführt, die Mineralwässer schlecht zu machen:

– Da wir kaum wissen, wie der Organismus auf sie reagiert, ist es gänzlich unmöglich, täglich Dosen abzumessen, die kein therapeutisches Gesetz je so abmessen kann. Gerade solche Bestimmungen thun der Medizin den allergrößten Schaden!

Doktor Honorat begnügte sich mit einem Lächeln. Nach der ersten Konsultation schon wußte er nicht mehr, wieviel Becher er verordnet hatte.

– Zwei mehr oder weniger, – meinte er zu Gontran, wenn er guter Laune war, – das merkt ja bloß der Brunnen, und dem ist's ganz wurscht.

Der einzige böse Witz, den er über seinen frommen Kollegen machte, war der, ihm den Spitznamen zu geben:

»Doktor vom heiligen Badestuhl!«

Manchmal fügte er noch hinzu:

– O, der kennt von Grund auf die Kranken, und das ist in unserem Beruf wichtiger, als Krankheiten zu kennen.

Aber da erschien eines Morgens im Hotel Mont Oriol eine vornehme spanische Familie, der Herzog und die Herzogin von Ramas-Aldavarra, die ihren Hausarzt mitgebracht hatten, einen Italiener, Doktor Mazelli aus Mailand. Es war ein großer, hagerer, gut aussehender Mann von dreißig Jahren, der nur einen Schnurrbart trug.

Vom ersten Abend an eroberte er sich die Table d'hôte, denn der Herzog, ein trauriger Mann, der an unglaublicher Hartleibigkeit litt, haßte die Einsamkeit und wollte im allgemeinen Saal essen.

Doktor Mazelli kannte beinahe schon alle Gäste bei Namen, für jedermann fand er ein paar liebenswürdige Worte, jede Dame begrüßte er artig, sogar für die Dienerschaft hatte er Lächeln.

Er saß rechts von der Herzogin, einer schönen Frau, fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt, mit dunklem Teint, schwarzen Augen, prachtvollem schwarzem Haar, und bei jedem Gericht sagte er zu ihr:

– Sehr wenig!

Oder:

– Nein, das nicht!

Oder:

– Ja, nehmen Sie das ruhig!

Er schenkte ihr selbst die Getränke ein, sehr sorgfältig, indem er Wein und Wasser, die er mischte, genau abschätzte. Er regelte auch die Speisen des Herzogs, aber mit sichtbarer Gleichgiltigkeit. Übrigens kümmerte sich auch sein Patient gar nicht um seine Anordnungen. Mit tierischer Gefräßigkeit würgte er alles herunter, trank bei jeder Mahlzeit zwei Flaschen ungemischten Wein und legte sich dann draußen auf einen Stuhl vor der Thür des Hotels, stöhnte vor Schmerzen und klagte über seine mangelhafte Verdauung.

Nach dem ersten Diner suchte Mazelli, der die ganze Gesellschaft mit einem Blick abgeschätzt und abgewogen hatte, auf der Terrasse des Kasinos Gontran auf, der dort eine Cigarre rauchte, stellte sich vor und begann mit ihm zu sprechen. Eine Stunde darauf waren sie schon ganz intim.

Am nächsten Tage nach der Badezeit ließ er sich Christiane vorstellen, deren Sympathie er nach einer Unterredung von zehn Minuten gewonnen hatte, und am selben Tage führte er sie mit der Herzogin zusammen, die die Einsamkeit auch nicht liebte.

In dem Haus der Spanier überwachte er alles. Dem Küchenchef gab er ausgezeichnete Ratschläge für die Küche, der Jungfer für die Kopfpflege ihrer Herrin, um deren Haar den Glanz zu bewahren, die wundervolle Farbe und die Fülle, dem Kutscher für die Gesundheitspflege der Pferde, kurz er wußte sich die Zeit zu vertreiben, erfand immer allerlei Zerstreuungen und verstand in den Hotels immer sehr geschickt flüchtige Bekanntschaften auszuwählen.

Die Herzogin sagte zu Christiane von ihm:

– Liebe Frau Andermatt, er ist ein prachtvoller Mann. Der Mann weiß alles und macht alles. Ihm allein verdanke ich meine Taille.

– Wieso Ihre Taille?

– Ja, ich war im Begriff dick zu werden, und durch seine Behandlung hat er mich gerettet.

Er wußte übrigens selbst die Medizin angenehm zu machen, denn liebenswürdig sprach er davon, heiter, mit etwas Skepticismus, sodaß er die Zuhörer von seiner Überlegenheit überzeugte.

– Die Geschichte ist einfach, sehr einfach, pflegte er zu sagen. Ich glaube an gar keine Medizin. Die alte Schule ging davon aus, daß es für jedes Leiden ein Mittel giebt, man meinte, daß Gott in seiner Weisheit Heilmittel geschaffen hätte für alle Leiden, und es vielleicht nur aus Bosheit den Menschen überlassen, sie zu finden.

Nun haben die Menschen eine unglaubliche Menge entdeckt, ohne jedoch ganz genau zu wissen, welchen Leiden ein jedes entspricht. In Wahrheit giebt es gar keine Mittel, es giebt nur Krankheiten. Wenn eine Krankheit sich zeigt, muß man sie zu hemmen suchen, sagen die einen, sie beschleunigen, sagen die andern, durch irgend ein Mittel. So sieht man die verschiedensten Methoden angewendet und die verschiedensten Mittel.

Der eine wählt Eis, der andere Riesenhitze, der eine befiehlt, Diät zu halten, der andere, alles zu essen. Ich spreche nicht von den unzähligen giftigen Produkten, die uns die Mineralien und Pflanzen geben. Alles wirkt, das ist ganz richtig, aber niemand weiß wie, manchmal glückts, aber manchmal tötet es.

Und mit großer Entschiedenheit erklärte er die Unmöglichkeit etwas Bestimmtes zu wissen, das vollkommene Fehlen jeder wissenschaftlichen Basis, wenn nicht die organische Chemie, die biologische Chemie der Ausgangspunkt einer neuen Medizin würde.

Er erzählte Anekdoten von unglaublichen Irrtümern der größten Ärzte und bewies die Unmöglichkeit und Falschheit ihrer vermeintlichen Wissenschaft. Er pflegte zu sagen:

– Bringt den Körper in Thätigkeit, laßt die Haut funktionieren, die Muskeln, alle Organe, vor allem aber den Magen arbeiten, der überhaupt der Dampfkessel für die ganze Maschine ist, ihr Regulator und ihr Kraftmagazin.

Er behauptete, daß er ganz nach seinem Belieben, nur durch die Behandlungsweise Leute heiter und fröhlich machen könnte, fähig zu körperlichen oder geistigen Anstrengungen, je nach der Natur der Ernährung, die er ihnen vorschriebe. Und er schloß scherzend:

– Meine Kur besteht in Massage und Curaçao.

Er behauptete Wunderwirkung von der Massage und sprach vom Holländer Hamstrang wie von einem wunderthätigen Gott. Dann zeigte er seine weißen Hände:

– Damit kann man Tote erwecken!

Und die Herzogin fügte hinzu:

– Thatsache ist jedenfalls, daß er wundervoll massiert!

Er bevorzugte auch den Alkohol in kleinen Dosen, um den Magen zu gewissen Augenblicken anzuregen. Er machte fein ausgeklügelte Mischungen, die die Herzogin zu bestimmten Stunden trinken mußte bald vor, bald nach der Mahlzeit. Gegen einhalb zehn Uhr kam er täglich in das Kasino-Café und ließ sich seine Flaschen geben. Man überreichte sie ihm mit kleinen silbernen Schlössern verschlossen, zu denen er den Schlüssel besaß. Er goß von dem einen ein wenig ein, dann von dem andern ganz langsam in ein blaues, hübsches Glas, das ein sehr korrekter Diener hielt. Dann befahl der Doktor:

– So, bringen Sie das der Herzogin ins Bad, sie soll es trinken, ehe sie ins Wasser geht.

Und wenn ihn ein Neugieriger fragte:

– Was ist denn dadrin?

Antwortete er:

– Nur beste Anisette, reiner Curaçao und ausgezeichneter Kümmel.

Dieser schöne Arzt ward in ein paar Tagen der Liebling aller Kranken, und allerlei Listen wurden angewandt, ihm irgend einen Ratschlag zu entreißen. Wenn er durch die Alleen des Parkes ging zur Promenadenzeit, hörte man nur immer »Herr Doktor!« rufen, von allen Stühlen, wo die schönen Damen saßen, die jungen Damen, die sich ein wenig erholten zwischen zwei Bechern des Christianenbrunnens. Wenn er dann stehen blieb, ein Lächeln auf den Lippen, zog man ihn ein paar Augenblicke auf einen kleinen Weg längs des Flußes davon. Man sprach zuerst von diesem und jenem, und ganz diskret, kokett wandte man das Gespräch auf die Gesundheit, scheinbar ganz gleichgiltig, als ob man irgend welche Nebensache besprochen hätte.

Denn dieser Arzt stand ja nicht zur Verfügung des Publikums. Man bezahlte ihn nicht, man konnte ihn nicht zu sich rufen, er gehörte der Herzogin, nur der Herzogin. Diese Situation verstärkte noch die Bemühungen, erregte die Wünsche. Und da man sich leise erzählte, daß die Herzogin eifersüchtig, sehr eifersüchtig wäre, brach unter allen Damen ein Wett-Kampf aus, um einen Ratschlag von dem hübschen, italienischen Arzte zu erlangen.

Er gab ihn, ohne sich sehr bitten zu lassen. Und nun begann zwischen den Damen, die seine Ratschläge empfangen, das Spiel der intimen Confidenzen, um sich mit seiner Fürsorge zu brüsten.

– O, meine Liebe, er hat mir Fragen gestellt, Fragen gestellt . . .

– Sehr indiskret?

– O indiskret, einfach fürchterlich! Ich wußte wirklich nicht, was ich antworten sollte. Er wollte Dinge wissen . . . Dinge . . .

– Genau so wie bei mir. Er hat mich nach meinem Mann gefragt . . . .

– Mich auch und mit Einzelheiten so peinlich, so so . . . persönlich! Sehr gênant. Aber ich sehe ja ein, daß das notwendig ist.

– Ja, ganz notwendig, die Gesundheit hängt ja von solchen Kleinigkeiten ab. Er hat mir versprochen, mich diesen Winter in Paris zu massieren. Ich habe es wirklich sehr nötig als Ergänzung der Brunnenkur.

– Sagen Sie mal, meine Liebe, wie wollen Sie das eigentlich machen. Man kann ihn doch nicht zahlen?

– Mein Gott, ich dachte daran, ihm eine Kravattennadel zu schenken. Ich glaube, er hat sie gern, denn er besitzt schon zwei oder drei sehr schöne.

– Mein Gott, wie peinlich, ich hatte genau denselben Gedanken, da werde ich ihm einen Ring schenken.

Und man überlegte sich Überraschungen, ihm zu gefallen, Geschenke, ihn zu rühren, Artigkeiten, ihn zu gewinnen.

Er war der Held des Tages geworden, der Hauptstoff der Unterhaltung, der ausschließliche Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit, als die Nachricht sich verbreitete, Graf Gontran von Ravenel mache Charlotte Oriol den Hof, um sie zu heiraten. Und nun hörte der Klatsch in Enval gar nicht mehr auf.

Seitdem er mit ihr den Kasinoball eröffnet, wich Gontran nicht mehr von der Seite des jungen Mädchens. In der Öffentlichkeit hatte er für sie alle Aufmerksamkeiten eines Mannes, der gefallen will, ohne versteckte Absichten, und ihre Beziehungen nahmen zugleich den Charakter einer gespielten und natürlichen Galanterie an, die allmählich zur Neigung führen mußte.

Sie sahen sich beinahe täglich, denn das junge Mädchen hatte für Christiane eine außerordentliche Liebe, bei der gewiß geschmeichelte Eitelkeit mitspielte. Gontran wich plötzlich nicht mehr von der Seite seiner Schwester. Er begann Ausflüge zu arrangieren für den Vormittag und Gesellschaftsspiele für den Abend, worüber Christiane und Paul sehr erstaunt waren. Da bemerkte man, daß er sich um Charlotte bemühte; er neckte sie unter Scherzen, machte ihr Komplimente, ohne daß es so aussah, hatte tausend kleine Aufmerksamkeiten für sie, die zwischen zwei Wesen Liebesbande knüpfen. Das junge Mädchen hatte sich schon an die familiäre Art dieses jungen Parisers gewöhnt. Zuerst merkte sie nichts und ließ sich infolge ihrer zutraulichen geraden Natur völlig gehen, lachte und spielte mit ihm, wie mit einem Bruder.

Da kam sie mit ihrer älteren Schwester nach einer Soirée im Hotel heim, bei der Gontran mehreremal versucht, sie beim Pfänderspiel zu küssen. Louise, die seit einiger Zeit nervös und nachdenklich schien, sagte kurz zu ihr:

– Du solltest ein bißchen auf Dein Benehmen achten, Herr Gontran benimmt sich nicht richtig gegen Dich.

– Nicht richtig, wieso? Was sagte er denn?

– Ach, das weißt Du ganz genau, thu nur nicht so. Es wird nicht lange dauern, dann hat er Dich kompromittiert auf diese Art und Weise, und wenn Du auf Dich nicht aufpaßt, so muß ich es thun.

Charlotte war verwirrt, schämte sich und stammelte:

– Aber ich weiß wirklich nicht, ich versichere Dich, ich habe nichts gesehen.

Die Schwester sagte ernst:

– Hör mal, das darf nicht so weiter gehen. Wenn er Dich heiraten will, so mag Papa sich die Sache überlegen und antworten, aber wenn es nur Scherz ist, muß es sofort aufhören.

Da begann Charlotte plötzlich, ohne zu wissen warum, zu weinen. Sie war empört, daß ihre Schwester sie bemutterte und tadeln wollte, und sie erklärte ihr mit zitternder Stimme und Thränen in den Augen: sie hätte sich nicht um Dinge zu kümmern, die sie nichts angingen. Sie stammelte, erregt und gewarnt von dem unklaren und doch ganz bestimmten Gefühl, daß in Louisens Herzen die Eifersucht sich Luft machte.

Sie gingen an dem Tage auseinander, ohne sich zu küssen, und Charlotte weinte in ihrem Bett, indem sie an Dinge dachte, die sie weder vorher gesehen noch erraten. Allmählich versiegten ihre Thränen, und sie dachte nach.

Es war allerdings richtig, daß Gontrans Art und Weise sich verändert hatte. Sie hatte es gemerkt, ohne es zu begreifen, aber jetzt begriff sie es. Er sagte ihr bei jeder Gelegenheit zarte Schmeicheleien, er hatte ihr einmal die Hand geküßt. Was wollte er denn? Sie gefiel ihm. Aber wieweit? Wollte er sie etwa heiraten?

Und da war es ihr plötzlich, als höre sie in der Luft irgendwo in der leeren träumerischen Nacht eine Stimme, die da rief: Gräfin Ravenel.

Ihre Erregung wurde so stark, daß sie sich im Bett aufsetzte und mit ihren nackten Füßen ihre Pantoffel suchte unter dem Stuhl, auf den sie die Kleider geworfen hatte, und ans Fenster ging, es öffnete, ohne zu wissen, was sie that, um zu träumen.

Sie hörte, daß man im Zimmer unter ihr sprach, und des Koloß Stimme klang laut:

– Nu warte nur, warte nur, wir werden's schon sehn. Der Papa wird die Sache schon machen. Da ist nischt Böses dabei, der Papa wird die Sache schon machen.

Sie sah an dem gegenüberliegenden Haus das weiße hellerleuchtete Viereck des Fensters unter ihr.

Sie fragte sich: wer kann denn da sein, wovon sprechen sie denn?

Ein Schatten zeichnete sich an der gegenüberliegenden Mauer ab, es war die Schwester, sie war also nicht zu Bett gegangen. Warum?

Aber das Licht erlosch, und Charlotte dachte wieder an andere Dinge, die ihr Herz bewegten. Sie konnte nicht einschlafen.

Liebte er sie schon? Nein, noch nicht. Aber er konnte sie lieben, da sie ihm gefiel. Und wenn er sie vielleicht sehr liebte, ganz wahnsinnig, wie man ja in der Gesellschaft liebt, so würde er sie ohne Zweifel heiraten.

Aus einer Winzerfamilie stammend, hatte sie, obgleich im Fräuleinstift von Clermont erzogen, eine bäuerische Bescheidenheit und Unterwürfigkeit behalten. Sie dachte, vielleicht dereinst einen Notar, einen Advokaten oder einen Arzt zu heiraten, doch nie kam ihr der Gedanke, eine wirkliche Dame der großen Welt zu werden mit einem adligen Titel; kaum daß sie einmal ein paar Minuten, wenn sie einen Liebesroman gelesen, solch einen verführerischen Traum, der sofort wieder entschwunden, wie Luftschlösser entschwinden, geträumt.

Und nun schien dieses Ungeahnte, dieses Unmögliche, plötzlich durch die Worte der Schwester geweckt, sich ihr wirklich zu nahen, wie ein Schiff unter Segel, das der Wind heranträgt.

Ihre Lippen murmelten bei jedem Atemzug hauchend:

– Ravenel!

Und vor dem Dunkel ihrer geschlossenen Augen erschienen in finstrer Nacht helle Bilder. Sie sah schöne, erleuchtete Säle, schöne Damen, die ihr zulächelten, schöne Wagen, die vor dem Schloß warteten, stattliche Dienerschaft in Livree, die sich bei ihrem Vorbeifahren überall vor ihr verbeugte. Ihr ward warm im Bett, ihr Herz pochte. Sie erhob sich zum zweitenmal, um ein Glas Wasser zu trinken und blieb ein paar Augenblicke mit nackten Füßen auf dem kalten Boden des Zimmers stehen. Allmählich beruhigte sie sich ein wenig und schlief endlich ein.

Aber bei Tagesgrauen erwachte sie schon, so hatte die Aufregung ihres Herzens ihren ganzen Körper ergriffen. Sie schämte sich ihres kleinen Zimmers mit den vom Dorfanstreicher getünchten Wänden, der armseligen Vorhänge und der beiden Strohstühle, die immer rechts und links an der Kommode standen. Sie fühlte sich als Bauermädchen mitten zwischen diesen Bauernmöbeln, die von ihrem Ursprung zeugten. Sie fühlte sich unwürdig dieses schönen, spöttischen jungen Mannes, dessen lachendes Gesicht vor ihren Augen immer wieder erschien, erlosch und wieder auftauchte und allmählich sich ihrer bemächtigte und sich festsetzte in ihrem Herzen.

Da sprang sie aus dem Bett und lief, um den Spiegel zu holen, ihren kleinen Toilettenspiegel, so groß wie ein Teller. Sie legte sich wieder hin, den Spiegel in den Händen, sie blickte ihr Gesicht an zwischen den aufgelösten Haaren auf den weißen Kopfkissen. Ab und zu legte sie das kleine Stückchen Glas auf die Bettdecke und dachte, wie schwierig so eine Heirat sein würde, so groß war doch der Abstand zwischen ihnen. Und dann kam ein tiefes Leid über sie und preßte ihr die Kehle zusammen. Aber dann sah sie sich wieder an, lächelte sich an, und da sie sich hübsch fand, schwanden die Schwierigkeiten.

Als sie zum Frühstück hinunterging, sah ihre Schwester böse aus und fragte:

– Was willst Du heute machen?

Charlotte antwortete ohne Zögern:

– Fahren wir nicht mit Frau Andermatt nach Royat?

Louise antwortete:

– Du kannst allein fahren. Aber es wäre besser nach dem, was ich Dir gesagt habe – – –

Die Kleine schnitt ihr das Wort ab:

– Ich bitte nicht um Deinen Rat, kümmere Dich um Deine Sachen.

Und sie sprachen nichts mehr.

Der alte Oriol und Koloß kamen und setzten sich zu Tisch. Der Alte fragte fast sofort:

– Mädels, was macht ihr heute?

Charlotte wartete gar nicht, bis ihre Schwester antwortete, sie entgegnete:

– Ich fahre nach Royat mit Frau Andermatt.

Die beiden Männer sahen sich mit zufriedenen Mienen an, und der Vater schnalzte mit einem unternehmenden Lächeln, wie er es that, wenn er vorteilhafte Geschäfte gemacht:

– Das machst Du gut! Das machst Du gut!

Sie war mehr erstaunt über diese geheime Zustimmung, die sie aus dem ganzen Benehmen erriet, als über den sichtbaren Ärger von Louise, und sie fragte sich ein wenig verstört: »Ob Sie wohl davon zusammen gesprochen haben?«

Sobald die Mahlzeit zu Ende war, ging sie auf ihr Zimmer, setzte ihren Hut auf, nahm ihren Sonnenschirm, warf einen leichten Mantel über den Arm und ging zum Hotel, denn um einhalb zwei Uhr sollte fortgefahren werden.

Christiane war erstaunt, daß Louise nicht kam. Charlotte fühlte sich erröten und antwortete:

– Sie ist ein wenig müde, ich glaube, sie hat Kopfschmerzen.

Nun stieg man in den großen Landauer zu sechs Plätzen den man immer nahm. Der Marquis und seine Tochter saßen im Fond, die kleine Oriol also zwischen den beiden jungen Leuten auf dem Rücksitz.

Sie kamen durch Tournoël, dann folgten sie dem Fuße des Berges auf einer schönen in Serpentinen geführten Straße unter den Nuß- und Kastanienbäumen.

Charlotte bemerkte ein paar Mal, daß Gontran sich an sie schmiegte, aber zu vorsichtig, als daß es etwa hätte als aufdringlich gelten dürfen. Da er rechts von ihr saß, sprach er ganz nahe an ihrer Wange, und sie wagte nicht sich umzuwenden, in der Befürchtung, der Hauch aus seinem Munde, den sie schon auf ihren Lippen zu spüren meinte, würde sie treffen, und in der Furcht vor seinem Blick, der sie verwirrt hätte.

Er sagte ihr allerlei Artigkeiten, gleichgiltige Scherze, nette Komplimente.

Christiane sprach kaum mehr, sie fühlte sich schwer und krank in ihrem Zustand. Paul schien traurig, geistesabwesend zu sein. Nur der Marquis unterhielt sich, sorglos und unbefangen, mit der gewissen Liebenswürdigkeit des alten egoistischen Edelmanns.

Im Park von Royat stiegen sie aus, um die Musik zu hören; Gontran bot Charlotte den Arm und ging mit ihr herum. Die Badegäste saßen auf den Stühlen um den Musik-Kiosk, in dem der Kapellmeister zu den Violinen und der Blechmusik den Takt schlug.

Die Damen zeigten ihre Toiletten, die Füße ausgestreckt bis zu dem nächsten Stuhl in ihren kleinen Sommerschuhen, in denen sie reizend aussahen. Charlotte und Gontran irrten zwischen den Leuten hin und her und suchten komische Gesichter zu sehen, um zu lachen. Er hörte alle Augenblicke, daß man hinter ihm sagte:

– Die ist aber hübsch!

Er fühlte sich geschmeichelt und fragte sich, ob man sie für seine Schwester, seine Frau oder seine Geliebte hielt.

Christiane, zwischen ihrem Vater und Paul sitzend, sah sie ein paarmal an sich vorübergehen und fand, daß sie ein wenig jung aussahen. Sie rief sie, aber sie hörten gar nicht und fuhren fort sich durch die Menge zu drängen, indem sie sich köstlich unterhielten.

Sie sagte leise zu Paul Brétigny:

– Er wird sie noch kompromittieren, ich muß heute abend mit ihm sprechen.

Paul antwortete:

– Ich habe auch schon daran gedacht. Sie haben ganz recht.

Dann ging man zum Essen in ein Restaurant in Clermont-Ferrand, denn in Royat war es nicht gut, wie der Marquis, der Gourmand war, sagte. Und als die Nacht kam, kehrte man heim. Charlotte war ernst geworden. Gontran hatte ihr stark die Hand gedrückt, während er ihr die Handschuhe gab, als sie aufgestanden. Das junge Mädchen wurde unruhig. War das ein Geständnis, ein Versehen, eine Unschicklichkeit? Was hätte sie thun sollen? Mit ihm sprechen? Aber was ihm sagen? Man brauchte soviel Takt bei so was. Aber wenn sie garnichts that und garnichts sagte, sah es ja aus, als käme sie ihm entgegen, würde sie seine Mitschuldige und wäre mit seinem Händedruck einverstanden.

Und sie überlegte die Lage, sie machte sich Vorwürfe, zu heiter und zu familiär in Royat gewesen zu sein. Sie fand jetzt, daß ihre Schwester recht hatte, daß sie sich etwas komprimittiert hätte.

Der Wagen rollte auf der Straße hin, Paul und Gontran rauchten schweigend, der Marquis schlief, Christiane blickte zu den Sternen auf, und Charlotte hielt mühsam die Thränen zurück, denn sie hatte drei Glas Champagner getrunken.

Als man heimgekehrt, sagte Christiane zu ihrem Vater:

– Papa, da es Nacht ist, bringe doch bitte das junge Mädchen nach Haus.

Der Marquis bot ihr den Arm und ging mit ihr davon. Paul nahm Gontran am Arm und flüsterte ihm ins Ohr:

– Komm mal fünf Minuten, Deine Schwester und ich möchten mit Dir sprechen.

Und sie gingen in den kleinen Salon, der die Zimmer von Andermatt und seiner Frau verband. Sobald sie saßen, sagte Christiane:

– Hör mal, Herr Brétigny und ich müssen Dir eine Moralpauke halten.

– Moralpauke? was ist denn? Ich lebe doch hier wie ein Heiliger, da keine Versuchung an mich herantritt.

– Mach doch keinen Scherz. Du hast etwas sehr Unvernüftiges und sehr Gefährliches gethan, ohne es Dir zu überlegen. Du kompromittierst das Mädchen!

– Wen denn, Charlotte?

– Ja, Charlotte. Du kompromittierst sie, alle Welt spricht davon, und noch vorhin im Park von Royat seid ihr ziemlich leichtfertig gewesen. Nicht wahr, Brétigny?

Paul antwortete:

– Gewiß, gnädige Frau, ich bin ganz Ihrer Ansicht.

Gontran wandte seinen Stuhl herum, setzte sich rittlings darauf, nahm eine neue Cigarre, steckte sie an und begann zu lachen:

– Also ich kompromittiere Charlotte Oriol?

Er wartete ein paar Sekunden, um den Eindruck seiner Antwort zu bemerken, dann erklärte er:

– Nun aber wer sagt euch denn, daß ich sie nicht heiraten will?

Christiane fuhr auf vor Erstaunen:

– Heiraten, Du? O Du bist verrückt!

– Warum denn?

– Dieses – dieses kleine Bauermädchen!

– Ach la la – Vorurteile! Hast Du die etwa von Deinem Mann?

Da sie auf diese Anzüglichkeit nichts antwortete, so fuhr er fort, indem er selbst die Fragen stellte und die Antworten gab:

– Ist sie hübsch? Ja. Ist sie gut erzogen? Ja. Und sie ist viel naiver, netter, einfacher, offener, als die Mädchen aus der großen Gesellschaft. Sie ist ebenso gut erzogen wie die andern, denn sie spricht englisch und auvergnatisch, das sind zwei fremde Sprachen. Sie wird so reich sein, wie irgend eine Erbin des Faubourg Saint-Germain, das man eigentlich nennen sollte: die Vorstadt der heiligen Kummernuß oder der heiligen Notburga. Na und wenn sie die Tochter eines Bauern ist, so wird sie um so gesunder dazu sein, mir schöne Kinder zu schenken. Na? – – –

Da er immer noch zu lachen und zu scherzen schien, fragte Christiane zögernd:

– Redest Du eigentlich im Ernst?

– Gewiß, das Mädchen ist reizend, sie hat ein gutes Herz, ein hübsches Gesicht, ist immer guter Laune, hat rosige Wangen, ein feuriges Auge, lange, schöne, dicke Haare und einen Weingutsbesitzer zum Vater, der einmal reich wird wie Crösus, dank Deinem Herrn Gemahl, meine verehrte Schwester. Nun was willst Du eigentlich mehr? Bauermädchen! Na, ist die Tochter eines Bauern nicht mehr wert, als alle die Töchter der verkommenen Hochfinanz, die so teuer ihre zweifelhaften Herzöge bezahlen, und all die Töchter der hochbetitelten Halbwelt, die wir dem Kaiserreich verdanken? Und all die Töchter mit zwei Vätern, wie man sie so oft in Gesellschaft trifft? Und wenn ich das Mädchen heiratete, würde ich den ersten vernünftigen Streich meines Lebens spielen.

Christiane sagte plötzlich ganz überzeugt und ganz erfreut:

– Du hast ja recht, es ist ja alles ganz richtig, ganz richtig. Also Du willst sie heiraten, mein kleiner Gontran?

Nun beruhigte er sie:

– Nicht so schnell, nicht so schnell. Laß mich einmal nachdenken, ich konstatiere nur, wenn ich sie heiraten würde, beginge ich den ersten vernünftigen Streich meines Lebens, das bedeutet aber noch nicht, daß ich sie heirate; aber ich denke daran, ich beschäftige mich damit, und ich mache ihr ein wenig den Hof, um zu sehen, ob sie mir wirklich gefällt. Kurz, ich kann Dir vorläufig weder ja noch nein sagen, aber meine Antwort kommt vielleicht dem ja näher als dem nein.

Christiane wandte sich zu Paul:

– Was halten Sie davon, Herr Brétigny?

Sie nannte ihn manchmal Herr Brétigny, manchmal einfach Brétigny.

Und er, dem immer Dinge Eindruck machten, in denen man eine gewisse Größe sah, Mißheiraten, die ihm durch das sentimentale drum und dran, in dem sich das Menschenherz zeigt, edel erschienen, antwortete:

– Ich finde jetzt, er hat recht. Wenn sie ihm gefällt, mag er sie immer heiraten, er könnte nichts Besseres finden.

Aber der Marquis und Andermatt kamen heim, und man sprach von anderen Dingen, und die beiden jungen Leuten gingen zum Kasino, um zu sehen, ob ein Spielsaal offen wäre.

Von diesem Tage ab schienen Christiane und Paul es zu begünstigen, wenn Gontran Charlotte den Hof machte. Man lud das junge Mädchen öfter ein, behielt sie zu Tisch, und behandelte sie, als ob sie nun zur Familie gehörte. Sie sah das alles, sie begriff es, und sie war glückselig im Stillen. Ihr kleiner Kopf baute Luftschlösser eins nach dem andern.

Gontran hatte ihr noch nichts gesagt, nur sein Benehmen, all seine Worte, der Ton, den er ihr gegenüber anschlug, seine ernstere Art, der weiche Blick, der sie traf, schien ihr täglich zu wiederholen: Ich habe Dich gewählt, Du wirst meine Frau.

Und der Ton süßer Freundschaft, heimlicher Ergebung, keuscher Zurückhaltung, den sie jetzt ihm gegenüber hatte, schien zu antworten: Ich weiß es, und ich werde, wenn Du mich fragen kommst, ja sagen.

In der Familie des jungen Mädchens tuschelte man. Louise sprach nur mit ihr, um sie durch verletzende Anspielungen, bissige und bittere Worte zu kränken; der Vater Oriol und der Kuluß dagegen schienen ganz zufrieden. Und doch hatte sie sich noch nicht gefragt, ob sie diesen hübschen jungen Mann liebte, dessen Frau sie werden sollte. Er gefiel ihr, sie dachte unausgesetzt an ihn, sie fand ihn schön, geistreich, elegant, vor allem dachte sie daran, was sie thun würde, wenn sie verheiratet wäre.

In Enval hatte man die wütende Eifersucht der Ärzte und der Brunnenbesitzer vergessen, das Gerede über die Neigung der Herzogin von Ramas zu ihrem Arzte und allen kleinen Bäderklatsch, man kümmerte sich nur um das eine Wunder: der Graf Gontran von Ravenel würde die kleine Oriol heiraten.

Da meinte Gontran, der Augenblick wäre gekommen, nahm Andermatt beim Arm, eines Morgens als sie vom Frühstück kamen, und sagte zu ihm:

– Lieber Freund, das Eisen ist jetzt warm, nun schmiede es. Die Sache liegt so: die Kleine wartet auf einen Antrag, ohne daß ich irgendwie schon einen Vorstoß gemacht hätte, aber sie wird nicht nein sagen, des kannst Du gewiß sein. Nun muß der Vater einmal herangekriegt werden, daß zu gleicher Zeit meinen wie Deinen Zwecken gedient wird.

Andermatt antwortete:

– Sei ganz ruhig, ich werde die Sache nun übernehmen, ich werde ihn heute selbst noch fragen, ohne Dich zu kompromittieren oder zu engagieren. Wenn die Sache klar ist, werde ich's Dir sagen.

– Schön.

Dann nach ein paar Augenblicken Stillschweigen, fuhr Gontran fort:

– Hör mal, es ist vielleicht mein letzter Junggesellentag, da werde ich mal nach Royat reiten, wo ich neulich ein Paar Bekannte gesehen habe. Heute nacht nach meiner Rückkehr komme ich auf Dein Zimmer, um mich zu erkundigen.

Er ließ sein Pferd satteln und ritt über die Höhe davon, dann galoppierte er ein Stück, um zu spüren, wie der starke Wind die frische Haut seiner Wangen kitzelte und mit seinem Schnurrbart spielte.

Der Abend in Royat war sehr lustig, er traf ein paar Freunde mit ihren Verhältnissen, es folgte ein langes Souper, und er kam sehr spät wieder heim. Alle Welt schlief schon in Mont Oriol, als Gontran an der Thür Andermatts klopfte. Zuerst antwortete niemand, aber als das Klopfen stärker ward, brummte eine verschlafene Stimme im Innern:

– Wer ist da?

– Ich, Gontran.

– Warte, ich mache auf!

Andermatt erschien im Nachthemd mit aufgedunsenem Gesicht, zerzaustem Bart, ein Tuch um den Kopf. Dann ging er wieder zu Bett, setzte sich aufrecht, und während seine Hände auf der Bettdecke ruhten, sagte er:

– Also mein Lieber, die Geschichte klappt nicht, die Sache geht so nicht. Ich habe den alten Fuchs erforscht, ohne Deinen Namen zu nennen, habe nur von einem meiner Freunde geredet und es ungewiß gelassen, ob es nicht vielleicht Paul Brétigny wäre und habe gesagt, er könne vielleicht Absicht auf eine seiner Töchter haben, dann fragte ich, was sie denn mitbekommen. Er hat mir geantwortet mit der Gegenfrage, was der junge Mann besäße. Und ich habe gesagt: dreihunderttausend Francs und noch zu erben.

– Aber ich habe ja nichts, – brummte Gontran.

– Das borge ich Dir, mein Lieber. Wenn wir dies Geschäft zusammen machen, werde ich mich an Deinem Grund und Boden schon schadlos halten.

Gontran lächelte:

– Ausgezeichnet! Dann habe ich die Frau, und Du hast das Geld!

Aber Andermatt ward ungeduldig:

– Wenn ich mich um Deine Angelegenheiten kümmere und Du mich dafür beleidigst, dann ist es aus!

Gontran entschuldigte sich:

– Bitte, sei doch nicht so böse, verzeih mir, ich weiß, baß Du ein guter Kerl bist und in Geschäften tadellos. Wenn ich Dein Kutscher wäre, würde ich Dich nicht gerade um ein Trinkgeld bitten, aber ich würde Dir, wenn ich Millionär wäre, mein Vermögen anvertrauen.

William antwortete beruhigt:

– Davon wollen wir später reden, jetzt wollen wir einmal die große Frage erledigen. Der Alte hat sich von meinen Listen gar nicht fangen lassen und hat mir geantwortet, es handelt sich darum, wer es ist. Wenn es Louise ist, die ältere, so kriegt sie das und das. Und dann hat er mir alle Grundstücke aufgezählt, die um das Etablissement liegen zwischen den Bädern und dem Hotel und dem Kasino, kurz alle, die uns unentbehrlich sind, alle, die für mich einen unschätzbaren Wert haben. Dagegen giebt er der jüngeren die andere Seite des Berges, die später vielleicht auch einmal sehr viel wert ist, aber für mich nichts. Ich habe alle möglichen Mittel versucht, ihn diese Verteilung ändern zu lassen, aber er war bockig wie ein alter Esel, und er wird seinen Entschluß nicht ändern. Nun denke nach, was meinst Du?

– Ja, was denkst Du denn? Ob er etwa an mich gedacht hat bei dieser Verteilung?

– Daran zweifle ich nicht. Der schlaue Bauer hat sich gedacht, da ihm die junge gefällt, behalten wir das Geld. Er hat gehofft, er könnte Dir seine Tochter geben und die wertvollen Grundstücke behalten, und dann vielleicht hat er auch der älteren einen Vorteil zuwenden wollen, er hat sie lieber, wer weiß, sie ähnelt ihm mehr, sie ist gerissener, geschickter, praktischer. Ich glaube, das Mädel hat Mark in den Knochen und ich, an Deiner Stelle, ich würde in das andere Lager übergehen.

Aber Gontran blickte ganz verstört:

– Teufel, Teufel! Und Charlottes Grundstücke? Die kannst Du also nicht brauchen?

Andermatt rief:

– Nein, nein, tausendmal nein, ich muß die haben, die zwischen meinem Bade, meinem Hotel und meinem Kasino liegen, das ist doch ganz einfach, für die andern gebe ich keinen Pfifferling.

Gontran wiederholte immer gleich:

– Teufel, Teufel, das ist eine dumme Geschichte! Was rätst Du mir denn da?

– Ja, raten kann ich Dir nichts, ich meine das beste ist, Du denkst über die Geschichte nach, ehe Du Dich für eine der Schwestern entscheidest.

– Ja ja, das ist ganz richtig, ich werde nachdenken, ich werde einmal darüber schlafen, dann bin ich vielleicht morgen schlauer.

Er erhob sich, Andermatt hielt ihn zurück:

– Halt mal, mein Lieber, ich möchte noch etwas anderes mit Dir reden. Ich thue manchmal, als verstände ich die Anspielungen nicht, die Du mir gegenüber machst, aber ich verstehe sie sehr wohl, und ich habe genug davon.

Du hältst mir vor, daß ich Jude bin, das heißt Geld mache, daß ich geizig bin, daß ich spekuliere. Nun, mein Lieber, ich beschäftige mich damit, Dir das Geld zu pumpen, das ich nicht ohne Anstrengung verdiene, oder vielmehr es Dir zu schenken, nun, reden wir davon nicht weiter. Aber etwas dulde ich nicht: ich bin nicht geizig. Der Beweis ist wohl der, daß ich Deiner Schwester Geschenke mache von zwanzigtausend Francs Wert, daß ich Deinem Vater einen Theodor Rousseau für zehntausend Francs, den er sich gewünscht hatte, geschenkt habe, daß ich Dir, als Du herkamst, das Pferd schenkte, mit dem Du eben in Royat gewesen bist. Wieso bin ich also geizig? Nur darum, weil ich mich nicht bestehlen lasse. So sind wir alle, wir von meiner Rasse, und wir haben recht. Ich will dir das ein für alle mal sagen.

Man behandelt uns als Geizkragen, weil wir den genauen Wert der Dinge kennen. Für euch ist ein Klavier ein Klavier, ein Stuhl ein Stuhl, eine Hose eine Hose, für uns auch, aber zu gleicher Zeit mehr, sie stellen zu gleicher Zeit einen gewissen Handelswert dar, der genau abzuschätzen ist, den ein praktischer Mensch mit einem Blick sehen muß, nicht aus Geiz, sondern um den Betrug nicht zu unterstützen.

Was würdest Du dazu sagen, wenn Dir die Frau im Tabakladen für eine Drei-Sous-Marke oder eine Schachtel Streichhölzer vier Sous abnehmen wollte. Du würdest sofort die Polizei holen, und zwar wegen eines Sou, wegen eines Sou, so empört würdest Du sein, und einfach deswegen, weil Du zufällig den Wert dieser beiden Dinge kennst.

Nun, ich kenne den Wert aller verkäuflichen Sachen, und diese Empörung, die Dich packt, wenn Du zehn Centimes für eine Marke mehr zahlen sollst, die empfinde ich, wenn man mir für einen Regenschirm der fünfzehn Francs wert ist zwanzig Francs abnehmen will. Verstehst Du, ich protestiere gegen den unausgesetzten Diebstahl der gang und gebe ist, der Kaufleute, der Dienstboten, der Kutscher, ich protestiere gegen Unehrlichkeit im Handel, die von Deiner ganzen Rasse verübt wird, die die unsre verachtet. Ich gebe Trinkgeld im Verhältnis zur Leistung, und nicht das phantastische Trinkgeld, das ihr selbst, eigentlich ohne zu wissen warum, hinschmeißt und das je nach eurer Laune fünf oder hundert Sous beträgt. Verstehst Du das?

Gontran hatte sich erhoben, er lächelte mit jener feinen Ironie, die ihm gut stand:

– Ja, mein Lieber, ich verstehe ganz genau, und Du hast ganz recht, um so mehr recht, als mein Großvater, der alte Marquis Ravenel, meinem armen Vater beinahe nichts hinterlassen hat, nur wegen der schlechten Angewohnheit, die er nun einmal hatte, niemals das Geld, das ihm ein Kaufmann herausgeben wollte, wenn er etwas kaufte, überhaupt nur anzunehmen. Er fand das unwürdig eines Edelmannes, er zahlte immer in runder Summe und in einem einzigen Stück.

Gontran ging sehr zufrieden davon.

 


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