Guy de Maupassant
Mont Oriol
Guy de Maupassant

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V

Acht Tage lang beschäftigte sich Christiane nur mit den Vorbereitungen zu dem Fest. Der Pfarrer hatte in der That gefunden, daß von all seinen Gemeindekindern nur bie beiden kleinen Oriols würdig wären, mit der Tochter des Marquis Ravenel zusammen das Geld einzusammeln, und er, der sehr geschmeichelt war, sich hervorthun zu können, hatte alle nötigen Schritte eingeleitet, alles schon in Ordnung gebracht und selbst die jungen Mädchen aufgefordert, als ob die Idee von ihm käme. Die ganze Gemeinde war in Aufregung, und die sonst traurigen Badegäste, die nun einen neuen Gegenstand zur Unterhaltung hatten, ergingen sich in allen möglichen Auseinandersetzungen an der Table d'hôte über den Gegenstand.

Der Tag fing gut an, es war ein wundervolles, warmes, klares Sommerwetter, die Ebene lag strahlend da, und es war köstlich unter den Bäumen im Dorf. Die Messe war um neun Uhr, eine kurze Messe mit Musik. Christiane war vor dem Gottesdienst schon gekommen, um noch einen Blick auf den Schmuck der Kirche zu werfen, die ganz mit Blumenguirlanden behangen war. Da hörte sie Schritte hinter sich, der Abbé Litre folgte ihr in Begleitung der beiden kleinen Oriols und stellte vor. Christiane lud sofort die jungen Mädchen zum Frühstück ein. Sie nahmen errötend an und machten einen tiefen Knix. Jetzt kamen die Freunde des Hauses. Sie setzten sich alle drei auf die drei Ehrenstühle, die man für sie am Chor hingestellt, drei andere ihnen gegenüber, auf denen Burschen im Sonntagsstaat saßen, die Söhne des Bürgermeisters, des Vizebürgermeisters und des ersten Gemeinderats. Man hatte sie aufgefordert, die das Geld einsammelnden Damen zu begleiten, um dem Lokal-Patriotismus zu schmeicheln.

Übrigens ging alles sehr gut vonstatten. Der Gottesdienst war kurz, die Geldsammlung brachte einhundertzehn Francs, im ganzen mit den fünfhundert die Andermatt gespendet, den fünfzig die der Marquis gegeben und den hundert von Paul Brétigny siebenhundertundsechzig Francs. Etwas, das in Enval noch nie vorgekommen war.

Nach der Handlung nahm man die kleinen Oriols ins Hotel mit. Sie waren ein wenig verlegen, aber benahmen sich nicht ungeschickt. Sie sprachen kaum, mehr aus Bescheidenheit, als aus Furcht. Sie frühstückten an der Table d'hôte und gefielen den Herren und zwar allen Herren. Die ältere war ernster, die jüngere lebhafter, die ältere, mit noch besseren Manieren, die kleinere aber graziöser, und doch waren sie einander so ähnlich wie nur zwei Schwestern sein können.

Sobald die Mahlzeit beendet war, ging man ins Kasino, wo um zwei Uhr die Tombola stattfinden sollte. Der Park machte den Eindruck eines Jahrmarktes, er war ganz erfüllt von Badegästen und Bauern durcheinander. In dem chinesischen Kiosk spielte die Musik eine ländliche Symphonie von Saint-Landri selbst komponiert. Paul, der neben Christiane ging, blieb stehen:

– O, das klingt ganz hübsch, er hat Talent, mit einem ordentlichen Orchester müßte das Eindruck machen.

Dann fragte er:

– Lieben Sie Musik, gnädige Frau?

– Sehr.

– Mich macht sie ganz rasend. Wenn ich einem Stück lausche, das ich liebe, ist es mir zuerst, als höben die Töne meine Haut vom Fleisch ab, unterwühlten sie, ließen sie dahinschmelzen, daß ich dann wie ein Enthäuteter allen Angriffen der Instrumente ausgesetzt bin. Das Orchester spielt geradezu auf meinen bloßliegenden zitternden Nerven, die bei jeder Note beben. Ich höre die Musik nicht nur mit den Ohren, sondern mit der ganzen Sensibilität meines Körpers, daß ich vom Kopf bis zu den Füßen zittre. Nichts macht mir solches Vergnügen oder bereitet mir ein solches Glück.

Sie lächelte und sagte:

– Sie empfinden sehr stark.

– Ja allerdings. Was wäre das Leben, wenn man nicht stark empfindet?! Ich beneide die Leute nicht, die über dem Herzen eine Panzerplatte liegen haben oder eine Nilpferdhaut. Nur die sind glücklich, die durch ihre Eindrücke leiden, die sie empfangen wie Nervenstöße und sie genießen wie Leckerbissen.

Sie blickte ihn an, etwas erstaunt, wie es ihr immer ging seit acht Tagen bei allem, was er sagte.

In der That erschütterte dieser neue Freund, denn das war er sofort geworden, trotz des widerstrebenden Gefühls im ersten Augenblick, die Ruhe ihrer Seele und erregte sie, wie man ein Wasser aufrührt, wenn man Steine hineinwirft. Und er warf Steine hinein, große Steine, in diese noch schlummernde Seele.

Christianes Vater hatte sie, wie viele Väter, immer als kleines Mädchen behandelt, mit dem man nicht groß redet. Ihr Bruder brachte sie zum lachen und führte sie nicht zum nachdenken. Ihr Mann dachte, daß man mit seiner Frau nichts reden dürfe außer den gewöhnlichen Interessen des Lebens, und so hatte sie bisher in behaglicher, süßer Ruhe dahingelebt.

Dieser neue Ankömmling erschloß ihren Geist mit fürchterlichen Gedankenschlägen wie mit einer Hacke. Zudem war es einer jener Männer, die den Frauen gefallen, allen Frauen, durch seine ganze Art und Weise, durch die zitternde Heftigkeit seiner Gefühlsausweise. Er verstand mit ihnen zu sprechen, konnte ihnen alles sagen und alles begreiflich machen. Einer dauernden Anstrengung nicht fähig, war er dagegen äußerst intelligent, immer leidenschaftlich begeistert oder empört, sprach von allem mit unerschütterlicher Überzeugung und staute doch ebenso schnell ab, wie er sich begeistert hatte. Er hatte das Temperament einer Frau, ihren Reiz, ihre Beweglichkeit ihre Sensibilität, dabei doch Größe, Stärke und durchdringende Intelligenz des Mannes.

Gontran holte sie plötzlich ein:

– Seht euch mal um, die beiden Honorat!

Sie blickten sich um und gewahrten Doktor Honorat neben einer dicken, alten Dame im blauen Kleid, deren Kopf aussah wie ein botanischer Garten, da alle Arten von Pflanzen auf ihrem Hut vereinigt schienen.

Christiane rief:

– Ist das seine Frau? Aber die ist ja fünfzehn Jahre älter!

– Ja, sie ist fünfundsechzig, eine ehemalige Hebeamme, in die er sich zwischen zwei Entbindungen verliebt. Übrigens ist das, glaube ich, eine jener lieblichen Ehen, in der es von früh bis abends Zank und Streit giebt.

Sie gingen weiter, dem Kasino zu, durch die Rufe des Publikums angelockt. Auf einem großen Tisch vor dem Kurhaus lagen die Loose der Tombola, deren Nummern Petrus Martel unter Beihilfe von Fräulein Odelin vom Odéon, einer winzigen, brünetten Person, zog und ausrief, mit Clownspäßen, die der Menge ungeheuer gefielen.

Der Marquis erschien wieder in Begleitung der beiden kleinen Oriols und Andermatts und fragte:

– Bleiben wir hier? Es ist etwas laut!

Da entschloß man sich, einen Spaziergang auf der in halber Höhe liegenden Straße zu unternehmen, die von Enval nach La Roche-Pradière führte. Zuerst mußten sie immer einer hinter dem andern einen schmalen Pfad zwischen den Weinbergen hinaufsteigen. Christiane ging voraus mit schnellen elastischen Schritten. Seitdem sie in dieser Gegend war, fühlte sie sich wie neubelebt, mit neuer Lebenskraft und Lust, wie sie sie nie gekannt. Vielleicht machten die Bäder sie gesünder, behoben leichte Störungen der Organe, die sie ohne rechten Grund traurig machten, brachten sie dahin, alle Dinge besser zu sehen und zu genießen. Vielleicht fühlte sie sich einfach angeregt durch die Anwesenheit und den regen Geist dieses unbekannten jungen Mannes, der sie dazu gebracht, dieses alles zu begreifen.

Sie atmete lang und tief, indem sie daran dachte, was er über die Wohlgerüche gesagt, die der Wind mit sich trägt. Sie dachte: »Wahrhaftig, er hat mich gelehrt die Luft zu riechen!«

Sie fand in der That alle Düfte, vor allem den leichten Duft des blühenden Weines wieder, der so fein und flüchtig ist.

Sie erreichten die Straße, einzelne Gruppen bildeten sich. Andermatt und Louise Oriol, die ältere, gingen voraus und sprachen von der Landwirtschaft in der Auvergne. Sie kannte als rechte Auvergnatin und rechte Tochter des Vaters aus ererbtem Instinkt genau alle Einzelheiten der Bewirtschaftung, und sie sprach davon mit ihrer klugen Stimme in nettem Ton, in der leisen Sprechweise, die man sie im Kloster gelehrt. Während er ihr zuhörte, blickte er sie von der Seite an und fand das ernste und so praktische Mädchen reizend. Ab und zu sagte er etwas erstaunt:

– Was, der Boden hier in der Limagne hat bis zu dreißigtausend Francs Wert per Hektar?

– Gewiß, wenn dort gute Apfelbäume wachsen, die Dessertäpfel liefern. Aus unserer Gegend kommt beinahe alles, was man an Früchten in Paris ißt.

Dann drehte er sich um, die Limagne mit andachtsvollen Blicken zu betrachten, denn von dem Wege, auf dem sie gingen, konnte man, soweit der Blick trug, die weite Ebene übersehen, über der immer ein schwacher blauer Dunst lag.

Christiane und Paul waren auch stehen geblieben im Anblick der riesigen, weit gedehnten Landschaft, die dem Auge so gut that, daß sie sich nicht losreißen konnten.

Der Weg war jetzt von gewaltigen Nußbäumen umsäumt, deren Schatten jedesmal einen kühlen Schauer über die Haut laufen ließ. Die Straße stieg nicht mehr und ging auf halber Höhe an dem Abhang hin, der unten mit Weinstöcken und kurzem grünem Gras bis ziemlich zum Gipfel überzogen war.

Paul flüsterte:

– Nun sagen Sie mal, ist das nicht schön? Ist das nicht schön? O warum packt mich jene Gegend, ja warum? Sie hat einen so tiefen Reiz, daß er mir bis in die tiefste Seele geht. Wenn ich diese Ebene erblicke, ist es mir, als öffneten sich die Flügel der Gedanken, nicht wahr? Und die Gedanken fliegen davon, schweben hin und her, gehen weit fort, weit fort zu allen jenen Traumländern, die wir doch nie erblicken. Ja das ist wirklich prachtvoll, denn das hat mehr von etwas Erträumtem, als von etwas, das man wirklich sieht.

Sie hörte, ohne etwas zu antworten, zu, sie lauerte und wartete auf jedes seiner Worte, sog jedes einzelne in sich ein und war bewegt ohne doch recht zu wissen warum. Sie sah in der That andere Länder, blaue, rosige, wunderschöne, aber unwahrscheinliche, wunderbare, nie zu findende, und doch immer von uns mit der Seele gesuchte, die alle anderen vor uns erbärmlich erscheinen lassen.

Er antwortete:

– Ja es ist schön, weil es schön ist. Andere Ausblicke sind charakteristischer und weniger harmonisch, aber gnädige Frau, die harmonische Schönheit, das ist doch das Schönste auf der Welt. Es giebt nichts als die Schönheit! Aber wie wenige begreifen sie? Die Konturen eines Menschenleibes, einer Statue oder eines Berges, die Farbenpracht eines Gemäldes oder die der Landschaft, die Musik der Jokonda, ein Dichterwort, das sich uns ins Herz einbohrt, dieses etwas, das den Künstler zum göttlichen Schöpfer macht, das ihn hoch heraushebt aus der Menge. Hören Sie nur diese Verse von Baudelaire!

Und er deklamierte:

Ob Du vom Himmel kommst, ob du der grausen Hölle,
O Schönheit, wunderschaurig Rätsel, bist entsprossen,
Was macht's, wenn nur Dein lächelnd Auge mir die Schwelle
Aufthut des Alls, das meinem Sehnen stets verschlossen?!

Ob Teufel oder Gott, ob Engel, ob Sirene,
O einzig' süße Fee mit feuchten Augensternen,
Was macht's, wenn nur Dein Glanz, Dein Duft und Deine Töne
Des Erdendaseins Last und Trauer mir entfernen?

Christiane blickte ihn an, erstaunt über diese Verse, ihr Auge hatte etwas Forschendes, sie begriff nicht, was an diesem Gedicht so außergewöhnliches sei.

Er erriet ihre Gedanken und erregte sich darüber, daß sie seine Begeisterung nicht teilte, denn er hatte die Verse sehr gut gesprochen, und er sagte mit einem etwas verächtlichen Klang:

– Es ist zu dumm, daß ich Ihnen Geschmack beibringen will an einem so feinen, zarten Dichter. Aber die Frauen, die mehr Intuition besitzen als Verständnis, begreifen die geheimen und verschleierten Absichten der Kunst nur dann, wenn man zuerst in sympathischer Weise an ihren Geist rührt.

Er verneigte sich und sagte:

– Gnädige Frau, ich werde mich dieser sympathischen Weise befleißigen.

Sie fand ihn nicht frech, sondern bizarr. Übrigens versuchte sie auch garnicht mal zu verstehen, denn ihr war plötzlich etwas aufgefallen, was sie bisher noch nicht bemerkt: Er war sehr elegant, aber zu groß und zu breit, zu männlich, als daß sie sofort den feinen Geschmack seines Anzuges hätte bemerken können. Und dann hatte sein Kopf etwas Brutales, etwas Unfertiges, das seiner ganzen Person auf den ersten Blick etwas Schweres gab. Aber wenn man sich an seine Züge gewöhnt hatte, entdeckte man einen Reiz, einen starken, urwüchsigen Reiz in ihm, der ab und zu sehr weich ward, je nach dem Ausdruck seiner immer verschleierten Stimme.

Christiane sagte sich, als sie zum erstenmal bemerkte, wie er vom Kopf bis zu den Füßen peinlich gut angezogen war: »Na, es scheint ein Mann zu sein, dessen gute Eigenschaften man erst allmählich erkennt!«

Gontran holte sie laufend ein und rief:

– Schwesterchen, he, Christiane, halte doch!

Als er sie eingeholt hatte, meinte er lachend:

– Kommt doch mal her und hört der kleinen Oriol zu, die ist zu komisch, fabelhaft geweckt. Papa hat sie förmlich aufgekratzt, und jetzt erzählt sie uns die verücktesten Geschichten, wartet doch mal einen Augenblick.

Und sie warteten auf den Marquis, der mit dem jüngeren der beiden Mädchen, Charlotte Oriol, kam. Sie erzählte mit kindlicher Unbefangenheit Dorfgeschichten, Bauernspäße, sie ahmte die Leute mit ihren Bewegungen nach, ihren langen Schritten, ihren ernsten Worten, ihrem Fluchen, ihren ungezählten: »Gott verdamm mich!«, das sie aussprach: »Gott verdimm mich!« und mimte alle ihre Bewegungen und ihren Ausdruck mit ihrem kleinen, klugen Gesichtchen vor. Ihre lebhaften Augen leuchteten, ihr ziemlich großer Mund öffnete sich und zeigte weiße Zähne, ihre ein wenig aufgeworfene Nase gab ihr ein geistreiches Aussehen, sie war frisch, wie eine eben aufgeblühte Blume.

Der Marquis, der beinahe sein ganzes Leben auf dem Lande zugebracht, und Christiane und Gontran, die auf seinem Familienbesitz groß geworden, mitten unter dicken, stolzen normannischen Bauern, die man ab und zu zu Tisch einlud nach der Sitte des Landes, und deren Kinder mit den Gutskindern konfirmiert waren und mit diesen freundschaftlich verkehrt hatten, verstanden es, mit der kleinen Dorfschönen, die schon dreiviertel Städterin war, freundlich und ungezwungen zu reden, mit einem liebenswürdigen, sicheren Takt, der sie sofort auch sicher und zutraulich machte.

Andermatt und Louise kehrten zurück, und alle setzten sich zu Füßen eines Kastanienbaumes an den Grabenrand. Dort blieben sie lange sitzen, unterhielten sich von nichts und von allem, im köstlich wohligen Nichtsthun. Ab und zu kam ein Wagen vorbei, immer von zwei Ochsen gezogen, deren Joch die Köpfe niederbeugte, und immer von einem. Bauern begleitet, der einen großen, schwarzen Hut trug und die Tiere mittelst eines dünnen Steckens lenkte, wie ein Kapellmeister. Er nahm den Hut ab, grüßte die kleinen Oriols, und die Mädchen antworteten durch ein familiäres: »Morgen!« ihrer jungen Stimmen. Nach einiger Zeit kehrte man heim. Als sie sich dem Park näherten, rief Charlotte Oriol:

– O die Bourrée, die Bourrée!

Man tanzte in der That die Bourrée nach alter auvergnatischer Weise. Bauern und Bäuerinnen schritten und hüpften einher, grüßten und wendeten sich, die Mädchen indem sie ihre Kleider mit zwei Fingern jeder Hand hielten und hoben, die Burschen die Arme herabhängend oder gekrümmt wie zwei Topfhenkel. Die einfache, hübsche Melodie klang weit hinaus in die Abendluft, es war immer dieselbe Weise, in einem hohen Ton von der Violine gehalten, deren Rhythmus die anderen Instrumente begleiteten, und voller machten. Zu diesem ländlichen Tanz paßte die einfache Bauernmusik, frisch und kunstlos.

Die Badegäste versuchten auch zu tanzen, Petrus Martel hüpfte vis-à-vis der kleinen Odelin, die geziert tanzte wie eine Balletteuse. Der Komiker Lapalme erging sich in wilden Sprüngen um die Kassiererin. Da entdeckte Gontran plötzlich den Doktor Honorat, der mit Leib und Seele dabei war und die Bourrée geradezu klassisch tanzte als echter Auvergnat.

Das Orchester schwieg. Alles hielt an, und der Doktor begrüßte den Marquis; er wischte sich außer Atem die Stirn.

– Es ist ganz gesund, manchmal wieder jung zu sein!

Gontran legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte lachend:

– Ich habe ja garnicht gewußt, daß Sie verheiratet sind.

Der Arzt antwortete ernst:

– Ja, ich bins und zwar übel.

– Was meinen Sie?

– Ich sage, übel verheiratet. Junger Mann, seien Sie nie so blödsinnig!

– Warum denn? Warum?

– Ja wissen Sie, ich bin seit zwanzig Jahren verheiratet, ich kann mich aber immer noch nicht daran gewöhnen. Jeden Abend, wenn ich heimkehre, sage ich mir: »Nun, die alte Dame ist also immer noch da! Ob sie denn niemals geht?«

Alle Welt fing an zu lachen, so ernst und überzeugt hatte er gesprochen. Aber die Glocken in den Hotels läuteten zum Essen, das Fest war beendet. Man brachte Louise und Charlotte Oriol zu ihrem väterlichen Haus, und nachdem man sie verlassen, sprach man von ihnen. Alle Welt fand sie reizend, Andermatt allein gefiel die ältere Schwester noch besser. Der Marquis sagte:

– Wie schmiegsam die weibliche Natur doch ist, nur die Nachbarschaft des väterlichen Geldes, dessen Gebrauch sie noch nicht einmal kennen, hat aus diesen Bauermädchen Damen gemacht!

Christiane fragte Paul Brétigny:

– Welche von beiden ziehen Sie denn vor?

Er flüsterte:

– Ich habe sie gar nicht einmal angesehen. Die sind es nicht, die ich vorziehe!

Er hatte sehr leise gesprochen, und sie antwortete nichts.

 


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