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Die Botanik scheidet zwischen Monokotyledonen und Dikotyledonen. Dies wird auch in der ästhetischen Betrachtung nicht zu übersehen sein, sofern durch die verschiedene Lebensentwicklung ein verschiedener Charakter der Pflanze bedingt wird. Gleichgültig ist es dabei, daß die naturgeschichtliche Terminologie den Monokotyledonen überhaupt den Namen »Baum« nicht zugesteht. Hier gelten die Palmen entschieden als Bäume, und die Agave, Aloe usw. dürfen wenigstens baumartig heißen.

Jene beiden Baumformationen nun stehen in einem Gegensatz wie Orient und Occident, und Vischer hat in seiner Aesthetik den monokotyledonischen Typus geradezu den orientalischen gewannt. Wirklich tragen diese Gebilde etwas so Feierlich-Erhabenes, Träumerisch-Phantastisches an sich, daß wir uns bei ihrem Anblick unwillkürlich in das Reich des Aufgangs versetzt glauben. Oder ist es nicht selbst wie ein Märchen der Scheherazade, wenn die Aloe ihre spitzen Blätter wie kolossale Pfeile aus dem Wüstensande emporschießt und auf dem ehernen Kandelaber ihres Stammes eine Myriade von Blüten entzündet? Oder wo mögen wir uns die Palme mit dem stolzen Blätterturban lieber denken, als in jenem Lande, dessen Fluren der heilige Strom tränkt, aus dessen Wüsten Sphinx und Pyramide sich erheben? – Gewaltige Formen, die bis ins Grandiose und Groteske steigen, aber auch zu kristallischer Sprödigkeit verhärten, tiefe, zuweilen düstere Farben und eine schwere, unbewegte Ruhe bezeichnen diese Pflanzenform. Alles Leben drängt sich in den kahlen Stamm und die duftberauschende Blüte. Statt der eigenen Vegetation siedelt sich oft eine Schar von Schlingpflanzen auf ihren Säulen, Armen und Zacken an und schmückt sie mit den zierlichsten, üppigsten Gewinden. So liegt auch hier der Dualismus des Orients – schwelgerische Fülle und starre Strenge – beieinander. Neben unserer Pflanzenwelt erscheint diese gleichsam als eine vegetative Architektur, und es ist außer Zweifel, daß sie der Baukunst mehr als ein Vorbild geliehen hat. Man denke an die Alhambra, an das schlanke Minaret, an die Tempelsäule mit der Blättergarbe im Kapital, an die Riesenleuchter unserer Paläste.

Die edelste Gestalt dieses Typus, wo nicht des gesamten Pflanzenreiches, ist die Palme. Unter ihrem Schirmdach ward Apollo geboren, und ihre Blätter blieben so lange sein Schmuck, bis er sich den Lorbeer erkor. Ihre Blüte ist in den Liedern des Orients gepriesen, ihre Zweige kränzten den olympischen Sieger und sind auch bei uns ernster Feier geweiht. Ehre, Weisheit, Fruchtbarkeit, Frieden wählen die Palme zu ihrem Symbol. – Kaum mag es ein zweites Geschlecht unter den Bäumen geben, welches so zahlreiche und wechselnde Formen entwickelte. Die Naturgeschichte kennt über zweihundert Arten dieses lebenspendenden Gewächses, das im Süden von Europa fast stammlos am Boden liegt ( Chamaerops humilis), Nur in Sizilien und Valencia, wo schon mehr ein afrikanisches Klima herrscht, gedeihet die Palme üppiger. Aber auch bei Bordighiera unweit Mentone stehen herrliche Bäume. in den ostindischen Urwäldern vier- bis fünfhundert Fuß lange Stränge von Baum zu Baum zieht ( Calamus draco), und an den Küsten der neuen Welt seine Gipfel zu gigantischen Triumphtoren in den Himmel streckt.

Hier zwar können nur die großen Arten in Rede kommen. Von ihnen haben Humboldt und Martius wahrhaft dichterische Bilder entworfen, auf welche der Verfasser sich um so mehr beziehen muß, je weniger ihm eigene Anschauung zu Hilfe kommt. Maßgebend ist vorzüglich der Unterschied in Form, Farbe und Stellung der Blätter; ein Unterschied, welcher sich an die Familien der Fächer- und der Fiederpalme knüpft. Jene haben gewöhnlich den stärkeren, kürzeren Stamm, aus dessen Spitze die schweren, bald saftigdunkeln, bald silberschimmernden Blätter im mächtigen Fächer aufsteigen. An ihnen ist alles pomphafte Gravität, die zur Düsterheit wird, wenn die junge Krone auf einer Lage dürrer, verbrannter Blätter ruht. Dagegen gestaltet sich die Stimmung weicher, wo die Blätter sich in horizontalen Schirmen ausbreiten und mit ihren Schatten den glühenden Boden kühlen, wie bei der Corypha umbraculifera.

Aber vollendet schön ist die Fiederpalme, insbesondere die Jagua- und Kohlpalme. Grazie, Einfachheit und Erhabenheit vereinigen sich hier zu einem Wunderwerke der Natur. Oft kaum zwei Fuß stark ragt der glänzende, glatte Stamm wie eine Erzsäule zu den Wolken hinauf, und droben wiegen sich im langsamen Rhythmus die feingeschlitzten Wedel, jetzt stolz emporsteigend und dann wieder anmutig sich senkend. Das Smaragdgrün dieses majestätischen und doch so zierlichen Gewölbes, vom Licht der Sonne durchströmt, die zarten, gekräuselten Blätter, als ein leicht gewebtes Netz vom Blau des Himmels sich abhebend, die goldenen Fruchtbüschel, die vanilleduftigen Blüten, aus denen plötzlich der melodische Ruf des Glockenvogels Der Glockenvogel oder Araponja ( Chasmarhynchus), ein alabasterweißer Vogel von der Größe unserer Amsel, dessen melodischer glockenreiner Ruf weithin durch die Stille der Tropenwälder schallt. erklingt: das alles bringt eine zauberische Wirkung hervor. Der Abendländer, der wohl oft mit getäuschter Erwartung jene Zone betrat, gesteht sich hier, wo alle Sinne gleichsam ein Fest des Genießens feiern, daß die Palme in der Tat der Baum der Märchen und Träume ist. Am schönsten aber erscheint sie vielleicht da, wo sie über dickbelaubten Ceiba-Arten, über Lorbeer- und Balsambäumen als luftiger Säulengang hervorragt, »ein Wald über dem Walde«. Aus dämmernder Nacht zu Sonnenhöhe empordringend, begrüßt sie dort den Menschen als ein Bild der Freiheit, zu welcher sein Geschlecht allmählich heranreift. Und doch liegt auch über den königlichsten Gestalten dieser Pflanzenfamilie ein träumerischer, fast schwermütiger Ernst. Besonders gilt dies von den Arten mit herabhängendem Wedel und bleicheren Farben, wie z. B. von der aschgrauen Cocos chilensis. Indessen herrscht der bezeichnete Ausdruck keineswegs vor, ja er verschwindet fast vor der wunderbaren Lebensfülle, welche diesem Gewächse wie keinem zweiten eigen ist. Denn neben der Blüte prangt hier immerfort die Frucht, und aus dem welkenden Blätterkreise steigt rastlos das frische Grün. So nimmt alles an der Palme den Ausdruck unversiegbarer Jugendkraft an. »Dies erfaßte der sinnige Grieche, da er jenen fabelhaften, unsterblichen, aus der eigenen Asche wieder erstehenden Vogel und den stets sich verjüngenden Palmbaum mit gleichem Namen belegte.« An eben diesen wunderbar raschen Prozeß des Wachsens und Vergehens knüpft sich vielleicht auch jenes Märchen des Mittelalters von den Bäumen, die täglich bei Sonnenaufgang aus der Erde hervorbrechen und um die Abendzeit wieder unter ihr versinken. Held Alexander, als er die Fabellande Indiens abenteuernd durchzieht, vergißt nicht, der lieben Mutter und dem weisen Meister daheim davon zu erzählen. Selbst dann, wenn endlich die Jahrhunderte den Baum ertötet haben, ranken tausend unentwirrbare Fäden von Parasiten den Stamm hinauf und täuschen ihm noch ein duft- und farbenreiches Leben an.

Kein Baum hat eine so hohe Bedeutung in dem Haushalt jener Naturvölker des warmen und heißen Erdstrichs, als die Palme. Zu den drei Wohltaten Aegyptens gehört neben dem Nil und dem Kamel die Dattel, und nach arabischem Glauben ist sie einzig unter allen Pflanzen erst am sechsten Tage der Weltschöpfung aus derselben Erde emporgesprossen, aus welcher Adam geschaffen worden: sie ist eine Schwester des Menschen. Und ebenso erscheint das Dasein zahlreicher südamerikanischer Volksstämme ausschließlich an die Arten dieses Lebensbaumes gebunden. Kein Dichter aber hat ihn, keiner beredter gepriesen als A. Grün:

– Wohl ist das Land noch fern! ein schmales Band
Liegt's auf des Horizontes weitem Rand;
Ein blauer Strich nur steigt daraus hervor:
Ragt Obelisk, Turm oder Säul' empor?

Jetzt sind sie nah! Ein Baum ist's nur! Es steigt
Einsam sein Riesenschaft; hoch oben zweigt
Ein Dom von Laub, als sei gestellt hinauf
Ein Tempel auf des Obelisken Knauf!

Mauritia ist's, die Palm', im lauen Wind
Des Wipfels grüne Fächer wiegend lind!
Die Krone säuselt aus den luft'gen Höh'n,
Wie Menschenwort, harmonisches Getön:

»Willkommen Fremdling! Sprich, was tut dir not?
Verlangst du Brot, sieh', meine Frucht ist Brot,
Und dürstet dich, trink' meinen Palmenwein;
Ich will dein Acker, Quell' und Weinberg sein!

»Bist nackt du, web' ein Kleid aus meinem Bast,
Und schläfert dich, ruh' unter mir, mein Gast,
Mein Schatten wirkt dir Decken leicht und nett;
Ich will dir Wollenherde sein und Bett!

»Willst beten du, wölb' ich dir grünen Dom,
Und willst du schau'n auf Land und Meeresstrom,
Von meinen Höh'n siehst du's in Fried' und Sturm;
Ich will dir Kirche sein und Wart' und Turm!

»Sieh' hier wildfreie Söhne der Natur!
Ich bin ihr Reich, ihr Haus und ihre Flur!
Auf Wieg' und Brautbett senk' ich Palmenreis,
Ihr Sterblied säusl' ich einst als Glocke leis.

»Schwämmst du als Diogen im Fasse her,
Rasch schwing' an Land den Fuß! Doch stoß' ins Meer
Dein Faß zurücke mit dem andern Fuß;
Denn deine Tonne selbst ist Ueberfluß.«

Ich übergehe die übrigen Charakterformen und erwähne nur noch der australischen Kasuarinen und der Kakteen. Dieselben scheinen gerade hier ihre Stelle zu haben, obschon sie zu den Dikotyledonen gehören. Mächtigen Schafthalmen gleich ragen die ersteren empor: noch Reste, scheint es, einer untergegangenen Schöpfung, wie vielleicht das Inselland selbst, auf dem sie heimisch sind. Der schlanke Stamm, mit schwarzer, wie verkohlter Rinde bedeckt, treibt nur wenig gegliederte Aeste, in immer dünnere Zweige sich spaltend, bis diese endlich in langherabhängende Borstenbüschel ausgehen, die im Winde schwirren und sausen. Ihre dürre, schattenlose, seltsam zerfaserte Gestalt ist ebenso ohne Leben, als die starrkompakte der Kakteen. Diese Gewächse, die zu ihrem Gedeihen fast keines Tropfens bedürfen, sondern sich mit den bloßen Wasserdünsten der Luft begnügen, haben von den Kordilleren aus fast die ganze heiße und warme Zone bedeckt. Sie sind die »Quellen der Wüste«, welche dort, wo jeder Brunnen versiegt ist, das bürstende Tier tränken; und um das Beduinendorf bauen sie eine Mauer, die ununterbrochen in eigner Kraft emporsteigt und selbst dem Leoparden undurchdringlich ist. Das pflanzliche Grün verbleicht bei ihnen bis zum Bleigrau; die Blattbildung hört ganz auf. Dagegen entwickelt sich der saftstrotzende Stamm in einem unerschöpflichen Spiel barocker Gestalten. Bald mit vielgliedrigen, fleischigen Armen das Gestein umklammernd, bald in scharfkantigen Säulen orgelartig emporsteigend, mit Dornen bewehrt, oder mit Haaren greisenhaft behängt und plötzlich die feurige Blüte hervortreibend, so stimmt diese Pflanzensippe, die uns an die Tiergebilde des Meeresgrundes, an Polypen, Korallen, Seesterne erinnert, ganz mit der symmetrischen, grotesken Vegetation, welche bisher zu schildern versucht ward.

*

In den vollen Gegensatz hierzu tritt nun das Dikotyledonengeschlecht der eigentlichen Bäume. In ihren durcheinander geschlungenen Stämmen und Zweigen, in ihren tauigen, ewig schwankenden und rauschenden Laubmassen wohnt nicht jener brütende Ernst. Hier scheint vielmehr ein unruhiges, fast leidenschaftliches Leben, eine tiefsinnige Sehnsucht zu atmend Es ist, als ob eine Seele unter Wehen sich losringe aus dem Banne der Natur. Die Wurzel hält den Baum an die Scholle gefesselt, aber der Wipfelt strebt verlangend und kämpfend über ihre engen Grenzen hinaus. Und wenn die Frühlingssonne ihre lauen Ströme um ihn her ergießt, dann entfaltet er wohl sein Leben in Blättern und Blüten; aber der Herbst wirft sie wieder zur Erde, und bald steht der Baum entsagend in winterlicher Trauer. Welcher Nordländer kennt nicht die Stimmungen, mit denen dieses Aufgrünen und Absterben das Gemüt sympathisch erfüllt? Dazu mischt sich der Anteil, den die Bäume als lebende Denkmäler vergangener Zeiten, als Vermittler zwischen dem Vormals und Jetzt, unwillkürlich empfangen. Sie sind die Zeugen auch unseres eigenen Lebens, unsere Jugend ist an ihnen emporgewachsen, unsere ersten und oft unsere liebsten Gedanken, unsere innigsten Empfindungen haben sich mit ihnen verschwistert.

Freilich ist nun hier sofort eine Gruppe von Bäumen auszuscheiden, welche mit den Monokotyledonen noch gewisse Aehnlichkeiten hat und zu unseren Laubbäumen den Uebergang bildet. Ich meine die Bäume des südlichen Europa, deren Natur Vischer als die plastische bezeichnet. Auch ihnen eignet Adel und Schärfe des Charakters; aber sie lösen die Starrheit der orientalischen Bildung in fließende Formen, wie sie andererseits die erhabene Ungemessenheit, die seltsamen Ausschweifungen derselben auf ein gefälligeres Maß beschränken. Das Ganze, so voll es wuchert, ist oft mehr Strauch als Baum; aus dem festgewebten, metallisch glänzenden, immergrünen Laube leuchten Blüten und Früchte, und damit auch der Schmuck der Schlingpflanzen nicht fehle, winden sich Efeugehänge und Rebenguirlanden in den Zweigen hinan.

Ich erinnere an die Orange mit dem saftgrünen, massiven Laube und dem wunderbar belebenden Arom ihrer Blüte, an den schlanken Strauch des Lorbeer, an den Myrtenhain, durch dessen kühles Dunkel Granate und Oleander mit brennenden Farben blicken, an den Johannisbrotbaum, der auf den starken, eichenähnlich verknorrten Zweigen die breiten Blätterdächer über den Boden legt, an die weiche Feige mit den bald schlangenförmig auseinanderlaufenden, bald knieförmig gezackten Aesten, mit dem großen, schöngelappten Blatt und den stiellos emporstehenden Früchten.

Vor allem aber tritt der Oelbaum hervor, die Weide Italiens. Die Stämme desselben spalten sich meist unmittelbar über der Wurzel, wie vom Blitze zerrissen, und recken sich regellos in weiten, kühnverkrümmten Linien aus, so daß höchst abenteuerliche Formen hervorgehen. Von diesem Torso, dem in der nordischen Baumwelt kaum etwas verglichen werden kann, hängen nun die dünnen, schwanken Zweige in dichtester Fülle herab. Aber aus dem Gewirr derselben bildet sich selten eine schön modellierte Masse, und nur die Vereinigung vieler Bäume auf einer Fläche stellt einigermaßen das Bild eines Waldes dar. Das fahlgraue Laub gibt einen trüben, matten Ton, andererseits ist es zu fest, um dem leichten Spiele des Windes zu dienen, und wo ein ungünstigeres Klima den freien Wuchs bedrückt, da mag der Baum der Minerva in der Tat als ein an sich unschönes Element in der Landschaft erscheinen. Dennoch weckt er eine gewisse Weichheit der Stimmung, und wenn die Sonne hell auf die verwitterten Kalkfelsen am Meeresufer scheint und das Auge überall geblendet sich abkehrt, dann ruht es doch mit Wohlgefallen auf diesem grauen Grün.

Nicht leicht mag das Altertum eine Pflanze dankbarer gehegt haben, als die nährende und für den Süden geradezu unentbehrliche Olive. Aber außer dem Reichtum ihrer Frucht, die das wahre Fett der Erde ist, haftet an ihr die Poesie der menschlichen Kultur. Als, nach der Sage, Poseidon und Athene um die Herrschaft stritten und jener mit dem Dreizack Wasser aus dem Felsen riß, ließ Athene neben dem Quell den Oelbaum hervorwachsen. Er ist das Geschenk der klugwaltenden Göttin, der erste Markstein eines ruhig bauenden und schaffenden Lebens, und bot sich so dem Frieden und der in ihm wirksamen Ordnung von selbst zum Symbol. Sein Zweig ist köstlicher als der stolze des Lorbeers. Ihn in der Hand naht der Schutzflehende den Göttern, der Ratfragende dem Orakel; mit dem Oelzweige treten die Karthager, nachdem sie sechs Tag« und sechs Nächte aufs tapferste gekämpft, vor Scipio, ihn um ihr Leben zu bitten. So erscheint eine Gesandtschaft der Lokrer in Rom mit Oelzweigen geschmückt ( Livius lib. XXIX.), ebenso gehen die treulosen Bergvölker dem Hannibal bei seinem Alpenübergange mit Olivenkränzen entgegen ( Polyb. lib. III.), ebenso endlich treten die Bewohner von Theben, die verheerende Pestseuche abzuwenden, (die Olive in der Hand) vor die Altäre der Artemis. Vgl. die großartige Szene im Anfang des Sophokleischen Oedipus. Bei Vergil heißt die Olive placida, pacifera (milde, friedebringend) usw., ähnlich bei den griechischen Dichtern. – Erwähnt sei nur hier noch, daß das ehemalige Cistercienserkloster Olvia bei Danzig ebenfalls den Namen von dem Friedensbaume erhalten hat: es sollte den kriegerischen Heiden eine Stätte des Friedens und des Glaubens werden.

Auch das Morgenland kennt diese Deutung. Es ist ein Olivenblatt, welches der in die Sündflut hingerissenen Welt verkündigt, daß der Himmel nicht mehr zürne. – Aber der Oelbaum würde jener gefeierte Wohltäter nicht sein, besäße er nicht zugleich unverwüstliche Dauer. Ganz im Gegensatz zu unserer Weide ist er fast felsartig hart, und vom Feuer beinahe vernichtet, treibt der Stumpf noch seine geheiligten Sprossen,

»Die kein greiser, kein junger Heerfürst
Je mit feindlicher Hand tilgend verheert:
Denn mit dem ewigen wachen Blick
Seh'n Zeus Morios Augen ihn
Und helläugig Athene«.
(Sophokles.)

Deshalb ist es ein treffendes Bild, wenn der Dichter, die Wohlfahrt und das Gedeihen des Hauses zu bezeichnen, dasselbe mit der vielzweigigen Olive vergleicht, und will der Prophet dem gebeugten Volke den Frieden und die Fülle einer wiederkehrenden goldenen Zeit schildern, so kann er seine Hoffnung nicht besser anknüpfen, als an die gesegnete, alles überwindende Kraft dieses Baumes. (Hosea, 14; 7.)

Am stattlichsten und kräftigsten erscheint die Olive vielleicht auf Korsika. Im Altertum klagt noch Seneca, daß der Pallas Geschenk auf dieser Insel nicht zu finden sei; erst von den Genuesen wurden die Korsen zum Anbau des Baumes gezwungen. Aber jetzt gewährt er bis auf die Berggipfel hinauf überall seine Frucht, und neben den alten verfallenen Zwingburgen stehen seine dichten Pflanzungen als ein dauerndes, friedevolles Denkmal der Genuesenherrschaft.

*

Die Olive führt von selbst zu den eigentlichen Laubbäumen, welche in diesen Blättern besonders gezeichnet werden sollen. Ehe indessen hinzu übergegangen werden kann, ist noch ein zweites Baumgeschlecht zu nennen, welches in seinem ästhetischen Charakter ebenfalls an die Monokotyledonengruppe erinnert. Es sind die Nadelhölzer. Von den Naturforschern gewöhnlich als eine nordische Form beansprucht, haben sie doch in allen Zonen ihre Vertreter, von der Libanonzeder bis zu den Wacholder- und Föhrensträuchern der skandinavischen Tundern.

Sie bilden nach Okens bezeichnendem Ausdruck das »Dach der Berge«. Aus den Ebenen und Sandsteppen ziehen sie aufwärts, unter sich die Laubbäume zurücklassend. Wo das Urgebirge sich türmt und die Wildwasser aus dem Geklüfte springen, da steigt der Nadelwald hinan, ein schwarzes Heer, und pflanzt die Lanzen auf. Zu den höchsten Gipfeln noch versucht er zu klimmen, und ist alles andere Gewächs erstorben, dann kriecht zu Boden geworfen das Knieholz (Krummholz, Legföhre, Pinus pumilio) weiter. In seinem Haar, in seinem zottigen Moosbart wühlt der Sturm, er zerrt an den langausgreifenden, dicht gegen die Erde gedrückten Armen; aber der Gnom schlingt seine Zweige nur um so fester ineinander und klammert sich mit eiserner Kraft an die Steine des Hochmoores, in den er hundert Wurzeln gegraben. Ja, auf den steilsten, nacktesten Alpenwänden haftet er noch. Die düsteren Massen des Strauchs überziehen da oft weite Strecken, einem versunkenen Walde gleich, der nur seine Kuppen aus der Tiefe emporhebt. Neben und unter ihm aber breiten Alpenrosen ihren Purpur über die Hänge. Hier verbirgt sich die Gemse; denn hierher dringt kein Verfolger, und die Lawine, wenn sie vom Gipfel stürzt, fängt sich machtlos in dem unzerreißbaren Netze dieser Baumzwerge.

Faßt man den Charakter des Fichtengeschlechts zusammen, so läßt sich sagen: er habe etwas Starres, bei den entwickelteren Arten Drohend-Erhabenes und Trauerndes zugleich. Nur die Lärchentanne ( Larix) mag als Ausnahme gelten. Zwar treibt sie auf den Jochen der Alpen und der Apenninen Stämme, die an Umfang mit der Eiche, an Höhe mit der Tanne wetteifern, und ihr Holz soll im Wasser eine kaum zerstörbare Festigkeit aufnehmen; allein dessen ungeachtet ist sie ein heiterer und in den ersten Jahrzehnten des Wachstums selbst ein zarter, weicher Baum zu nennen. Frei und luftig gehen ihre Zweige hinaus, um die sich die Nadelbüsche wie ein zierlicher Federkranz setzen; zugleich wirft sie, allein unter allen Koniferen, im Winter das Laub ab, und es ist ein äußerst freundlicher Anblick, wenn sie dem Frühling die jungen Schossen fühlfädenähnlich entgegenstreckt, mit leuchtendgrünen Blattknospen und roten Kätzchen ringsum beputzt. – Gewissermaßen einen Gegensatz zu ihr stellt der buschig-dichte, finstere Taxus ( Eibe, Taxus baccata) dar, der alte Zauberbaum, der auch, wo er unverstümmelt wächst, nur geringe Höhe erreicht. Von anderen Bäumen überragt und beschattet, behält er einen gedrückten, fast strauchartigen Charakter, und schon über der Wurzel beginnt er sich vielästig zu teilen; aber dafür ist er zäh- und langlebiger als irgendeiner seines Geschlechte, ja er übertrifft hierin selbst die nach Jahrhunderten zählenden Eichen und Linden, und dann schwillt sein Stamm wohl zu gewaltiger Stärke. – Es hat Wahrscheinlichkeit, daß der Taxus einst in Deutschland weitverbreitet war, da seine verwitterten Reste in den Torf- und Braunkohlenlagern unserer Niederungen sehr häufig vorkommen; und daß er in England wirkliche Wälder gebildet hat, steht geschichtlich außer Zweifel. Mit Recht nennt ihn Gilpin einen »echten Eingeborenen Altenglands und die ehemalige Grundfeste britischer Macht«. Denn dort gab sein stahlhartes, elastisches Holz während des eigentlichen Mittelalters die entscheidendste Kriegswaffe: der alte Freisasse schnitzte daraus seine Armbrust, die, wie er rühmte, nur ein Engländer spannen könne, und die gefürchteten Schützen von Poitiers und Azincourt führten Pfeil und Bogen von der Eibe. Aber jetzt steht sie auch dort nur noch als Symbol der Trauer auf Friedhöfen. Daher heißt sie the mourner yew), Die Trauer-Eibe. und hie und da trifft man öde Kirchenplätze, auf denen längst das Gotteshaus und die Grabhügel bis auf jede Spur verschwunden sind und allein ein paar uralte Taxus als immergrünende Monumente dessen blieben, was unter ihren Zweigen verstaubt. –

Die Wahlverwandtschaft des Nadelholzes mit dem orientalischen Typus wird sich vielleicht am besten herausstellen, wenn der Verfasser jetzt das Bild einiger Arten gibt, an welche sich die übrigen als bloße Varietäten leicht anreihen.

Die Cypresse.

Die Cypresse ( Cupressus sempervivens) gehört auch ihrer geographischen Verbreitung nach mehr dem Morgen- als dem Abendlande zu. Doch bildet sie bereits einen hervorstechenden Zug in der südeuropäischen Landschaft; unter dem Norden erscheint sie nur als heimwehkranker Flüchtling.

In stolzer Linie hebt sich der Stamm empor, während Aeste, Zwerge und Nadeln im dichten Geflechte ihren schweren Sammetmantel um die hohe Gestalt hüllen. Gleich einem Obelisken unten wenig ausgebreitet und nach dem Wipfel hinauf immer schärfer sich zuspitzend, entwickelt der Baum einzelne Aestegruppen in vollen, edlen Formen, durch welche die mathematische Strenge des Wuchses angenehm unterbrochen wird und das ganze Gebilde den Reiz plastischer Schönheit erhält. Das Blatt, zur Nadel zusammengezogen und noch mit dem Dufte getränkt, der dem unvergänglichen Holze entquillt, starrt regungslos um die Zweige und vollendet in der Tiefe feines Schwarzgrün, das kein Frühling verjüngt und kein Winter zerstört, den eigentümlichen Charakter des Baumes. In der Tat möchte sich diese düstre Erhabenheit, dieses halb schläfernde, halb majestätische Schweigen kaum bei einem anderen Gewächse wiederfinden. Darum ist die Cypresse mehr noch als der Taxus der eigentliche Totenbaum geworben. Durch ein Cypressengewölbe steigt der alte Dichter zur Unterwelt hinab, und wollen wir den Sarg unserer Verstorbenen schmücken, so darf neben Lilie und Palme der Zweig des geweihten Baumes nicht fehlen. So stehen im Garten der Alhambra um einen stillen Wasserspiegel her jene halbtausendjährigen Cypressen, welche die liebeglühende Maurenkönigin zum Andenken ihrer Freude und ihrer Schuld dorthin pflanzte. Mit ihrem Schatten decken sie das Grab des Geliebten, und noch glüht in zahllosen dunklen Rosen das Blut der Maurin; aber kein flüsterndes Blatt nennt seinen Namen; schweigend hütet der Baum das holde Geheimnis.

Ueberraschend ist der Kontrast, in welchem die Cypresse aus den leichtbewegten, heitergrünen Gebüschen der Akazien und aus den blassen des Oelbaumes hervortritt. »Wie die Cypress' im Garten,« sagt Theokrit,

»so mit rosigem Wuchs schien Helena vor Lakedämon.«

Und noch kühner vergleicht Hafis die Cypressen der schlanken Gestalt der Geliebten:

Aus Erinn'rung deines Wuchses steh'n Cypressen in dem Hain.
Weil Cypressen auf den Fluren deine schlanken Glieder seh'n,
Bleiben sie darob erstaunend dorten eingewurzelt steh'n.
Vor der Anmut deines Wuchses nimmt Cypress' den Schleier vor!

Das ist denn freilich eine andere Anschauung, als die witzig verdrießliche jenes Reisenden, der nur von der bleistiftähnlichen Gestalt der Cypresse zu reden weiß und sie die »düsteren Pedanten des Pflanzenreichs« schilt.

Imposant wirken die Massen dieses Baumes in langen Wänden; ebenso bilden sie, vereinzelt oder zu Gruppen (clumps) gesammelt, vor den Fronten der Paläste einen grandiosen Schmuck, der um so mehr an wirklich künstlerischer Bedeutung gewinnt, je mächtiger die Horizontallinien der Architektur sich strecken. Besonders schön erscheinen sie in der Nähe der Fontänen. Die steigende, fallende Wassergarbe, das magische Farbenspiel von Myriaden sonnendurchstrahlter Tropfen, das üppige Grün der Moose und Lilien stellt hier ein fröhliches, unerschöpftes Leben neben die schweigende Schwermut. Aber der schroffe Gegensatz löst sich in dem Rauschen des Quelle, das in seinem ewigen Rhythmus von Kommen und Gehen die Seele in sehnsuchtsvolle Träume wiegt.

Doch nirgends machen diese melancholisch in sich geschmiegten Bäume vielleicht eine gleich tiefe Wirkung, als in den Vorhöfen und Umgebungen der Klöster. Hier sind sie so ganz an ihrer Stelle. Unter den schwer und feierlich aufsteigenden Wipfeln steht der Mönch. Vor ihm tut in der Pracht des Sonnenunterganges ein Paradies sich auf; er sieht es nicht. Seine Gedanken sinken in die Tiefen der eigenen Seele und brüten über verschütteten Bildern. Da ruft die Klosterglocke durch die Stille. Der Mönch verschwindet, aber über dem trauernden Baume, wie über einem riesigen Sarkophage, taucht mild der Abendstern empor.

Während die Cypresse meist einsam steht, selten nur am Abhange sonniger Berge einen dunkeln Vorhang dahinziehend, sammelt sich die dichtbelaubte Cypresse der neuen Welt (Cupressus disticha) in den Ebenen von Kalifornien, Louisiana und Virginien zu weitgestreckten Wäldern. Hier, bei dem Baume der Jahrtausende (es gibt einzelne, deren Alter auf viertausend geschätzt wird), wächst die Erhabenheit zu dämonischer Gewalt. Noch hat die Axt die Urwildnisse nicht gelichtet, noch keine Kunst die mit allen Schrecken erfüllten Moore ausgetrocknet, welche unter dem Namen der Cypressensümpfe verrufen und von Sealsfield so furchtbar-lebendig geschildert sind. Riesenstämme von mehr als dreihundert Fuß Höhe und von unerhörter Stärke drängen sich aneinander, ihre Zweige zusammenflechtend und am hellsten Tage düstere Nacht verbreitend, so daß der Fuß, der hier eindringt, nur bei dem Scheine der Fackeln seine scheuen Tritte wagen darf. Wild übereinander getürmte Blöcke und Stämme ragen halbverfault aus dem bodenlosen Schlamme, in welchem Alligatoren, Schlangen und beißende Schildkröten lauern: die alleinigen Herren dieses Chaos, das im Sommer unter der Glut einer fast tropischen Sonne qualmt, während im Frühling die austretenden Ströme ihre trüben Fluten in meilenweiter Ausdehnung durch diese feindselige Vegetation ergießen.

Die Pinie.

An die Cypresse reiht sich die Pinie (Pinus pinea). Sie stellt den weiblichen Typus des Nadelholzes dar, und zwar in der reinsten Gestalt. Eine rötlichschimmernde, reben- und efeuumsponnene Säule, am Wipfel die Aeste schlangenartig in kühn durcheinander gewundenen Krümmungen hervorbrechend, und darüber im breiten, meist sanftgeneigten Schirme die dunkle Krone. So erscheint dieser schlanke Baum als einer der edelsten, plastisch vollendetsten, gleichsam als die poetische Signatur des Südens, und mit Recht lassen ihn die Maler auf italienischen Landschaftsbildern nie fehlen. Schon auf den Wandgemälden von Pompeji herrscht er neben der Cypresse fast ausschließlich. – Gern sucht er die sandige, felsige Küste, er spiegelt sich in dem Meere, dessen Farbe seine Nadeln schmückt, und durchschneidet es als windbeflügelter Kiel. Deshalb weiheten ihn die Griechen dem uferbenetzenden, schiffetragenden Gotte, während der Römer auch in der Pinie einen Baum der Trauer und des Todes sah. Plin. H. N. XVI, 10: »Die Pinie ist ein Totenbaum und wird zum Zeichen eines Leichenbegräbnisses vor die Tür gestellt.« Auch war die Pinie der Eybele, der großen Lebensmutter, heilig. Bekümmert über Atys, den in eine Pinie verwandelten Gatten. saß sie unter dem Baume und klagte. Auf ihre Bitte um Wiedererweckung der Geliebten, verlieh Zeus, daß der Baum, unberührt vom Wechsel des Blühens und Welkens immer grüne. Im deutschen Mittelalter nimmt sie eine nicht weniger bedeutungsvolle Stelle ein. Hier ist sie der Baum des Verrats. Unter einer Pinie gelagert, verlockt Blanscandiz den Genelun zum Treubruch; im Pinienschatten beschließt der Paladin mit Marsilie Rolands Untergang. Vielleicht, daß sich so der Sage gewissermaßen unbewußt das Land versinnbildete, dessen verderblichem Zauber ihre Heldengeschlechter zum Opfer fallen.

Die Föhre.

In einem ähnlichen Verhältnisse wie die Cypresse und Pinie stehen unsere Fichte (Pinus picea) und Föhre (Kiefer, Pinus silvestris). Sie treten jedoch ungleich mächtiger hervor und bedecken wohl ganze Länderstriche, indem die Fichten meist in den Urgebirgen, die Kiefern in den unfruchtbaren Alluvien herrschen. Auf diesem letzteren Umstand mag großenteils die öde Stimmung beruhen, welche die Föhrenwälder hervorrufen, wenngleich ein solcher Wald auch an sich immer einförmig und melancholisch bleibt. Hier singt kein Vogel, keine Quelle springt, selbst die Luft steht still und schwül, und jede Vegetation muß in dem mit Nadeln übersäeten Sande ersterben. Nur das Heidekraut strickt unermüdlich sein dürres Büßergewand über das kraftlose Erdreich. Es ist gleichsam ein einziger großer »Waldfriedhof«, zwischen dessen kahlaufragenden Säulen das Auge umsonst nach Leben sucht, bis es zuletzt müde auf der heißen Sandlinie des Pfades haftet, in dem schwarze Ameisenkarawanen hin- und herziehen und Cikaden schwirrend sich sonnen. Der Eindruck der Sterilität und der Verlassenheit überfällt in seiner ganzen Schwere den Sinn.

Ganz anders erscheint dagegen die Föhre am Rande frischgrüner Wiesen oder im Gemisch mit lichtem Laubholz. Da entsteht sogleich der wohltuende Kontrast, welcher auch die unansehnlichste Erscheinung zu heben vermag. Uebrigen ist ihr Wuchs freier, der Pinie verwandt, wie denn auch der braunrötliche Panzer der Rinde und das Meergrün der Nadeln dazu stimmt. Doch biegen sich diese Stämme oft in knorrigen Linien, und andererseits nehmen die Zweigmassen statt der Schirmform häufig die quirlartig-pyramidalische an. Dabei sendet die Föhre, im Gegensatz zur tief- und weitwurzelnden Tanne, nur einzelne unsichere Klammern in die Oberfläche des Sandes, so daß sie im Sturme ächzend aufzuckt und oft ganze Reihen stürzen. – Selten haben Künstler diesen Baum dargestellt, aber er ist in hohem Grabe malerisch. Es umgibt ihn jene unfruchtbare Kahlheit, jene Sandmelancholie selbst mit einer eigenen Poesie, und Meister wie Everdingen und Blechen haben sie verstanden. Ihre Föhrenwälder sind Perlen der Landschafterei. Wie unwirtlich und trüb endlich die Kiefer erscheine: in der winterlichen Erstarrung der Natur ist sie (wie alles Nadelholz) dem Nordländer Ersatz und Hoffnung des Frühlings zugleich; sie verbürgt ihm, um mit Humboldt zu reden, »daß das innere Leben der Pflanzen gleich dem prometheischen Feuer auf unserem Planeten nie erlischt«.

W. v. Humboldts »Briefe an eine Freundin« sprechen sich oft über das Leben und die Wohltaten der Natur aus. Besonders gern gedenkt Humboldt der Bäume. Ich führe, statt vieler, eine Stelle an. Im 1. Bande (S. 130) heißt es: »Ueberhaupt liegt in den Bäumen ein unglaublicher Charakter der Sehnsucht, wenn sie so fest und beschränkt im Boden stehen und sich mit den Wipfeln, so weit sie können, über die Grenzen der Wurzeln hinausbewegen. Ich kenne nichts in der Natur, was so gemacht wäre, Symbol der Sehnsucht zu sein. Im Grunde geht es dem Menschen mit aller scheinbaren Beweglichkeit aber nicht anders. Er ist, wie weit er herumschweifen möge, doch auch an eine Spanne des Raumes gefesselt. Bisweilen kann er sie gar nicht verlassen, derselbe kleine Fleck sieht seine Wiege und sein Grab; oder er entfernt sich, aber es zieht ihn Neigung oder Bedürfnis immer wieder zurück, oder er bleibt auch fortwährend entfernt, und seine Gedanken und Wünsche sind doch dem ursprünglichen Wohnsitz zugewendet.«

Die Fichte.

Als der edelste unter unseren Nadelbäumen darf neben, wo nicht vor der Tanne (Abies pectinata) die Fichte (Pinus picea) gelten. Der ästhetische Charakter-Unterschied zwischen Tanne und Fichte läßt sich im allgemeinen so bezeichnen, daß die Tanne den männlichen, die Fichte den weiblichen Typus darstellt. Das Gebirge ist die eigentliche Heimat beider. Hier schlagen sie ihre Wurzeln in die Spalten der Felsen und steigen in schwindelnder Linie empor, gleich turmhohen Masten. Aber während die Tanne ihr knapperes Geäst straffer an sich zieht, um es im Gipfel fast kuppelförmig auszuwölben, steht die Fichte mit weitausgreifenden, schwer herabhangenden Schirmen da, nach oben stockwerkartig verjüngt, so daß das Ganze als eine von allen Seiten geschlossene, in scharfer Spitze endende Masse erscheint. Es ist eine mächtige, man kann sagen, monumentale Gestalt, eine düsterprächtige Pyramide, und auf ihr thront der verhüllte Geist des Nordens, wie in ewiger Sehnsucht nach dem Süden verlangend. Denn in Wahrheit mischen sich in dem Bilde dieses Baumes Majestät und kühner Trotz mit einem Zuge tiefer Schwermut. Allein der wolkenanklimmende Wuchs selbst, das Sonnenlicht, das um den Wipfel spielt, der Sammetteppich zu seinen Füßen, ewig frisch erhalten von den überall rieselnden Quellen, die Waldblumen umher, die zarte Traube der Circäa, die weiße Blüte des Wintergrüns, die rosige des Vacciniums, gemischt mit dem Purpur reifender Beeren, all dieses warme, farbige Leben löst das in sich zurückgescheuchte Gemüt, so daß es befreit sich neu erhebt.

Wie gerne denke ich hier deiner, einsames Erzgebirge, mit den finsterschattenden Schluchten und den sanftumblauten Höhen! Wie oft bin ich dort gewandert! und immer wieder trat in eurem Anblick das Wort des Dichters vor die Seele:

Sinnende Fichte!
Noch sah ich dich, so lang' ich dich betrachte,
Nie anders als mit ernstem Angesichte!

Endlos zieht der Wald die Rücken hinab, hinan, und endlos deckt ihn Schweigen und Oede, Kaum dann und wann ein Vogelruf oder das Murmeln eines Baches. Schon auch sinkt allmählich die Dämmerung herab. Bald webt sie dichter um dich ihre Schleier; aber dort oben auf der höchsten Firste ragen noch in Sonnenglorie die stolzen Bäume wie priesterlich segnend über Tälern und Gründen. Dann erlöschen auch diese Leuchten. Die Nacht ist da. Und sieh! da kommt aus Nebelduft der Mond und hängt silberne Strahlen in die Zweige; der Wind erwacht, mit leisem Flügel die tausend Saiten der großen Waldharfe streifend, und nun beginnt in den Wipfeln jenes melancholisch-gedämpfte Säuseln gleich fernem Wellenrauschen, und »frommer Schauder« rührt das Herz.

In den Hochebenen, welche den Polarkreis einschließen, breiten ungeheure Fichtenwälder ihr Dunkel über das Land. Die riesigsten Stämme werden zu Tausenden niedergeworfen, und dennoch scheint der Wald noch so dicht, wie vordem. Der schäumende Strom trägt sie zum Fjord, zum Meere hinab, wo sie abermals bestimmt sind, ihre schlanken Gestalten emporzurichten, entkleidet von den langen Aesten und den dunkelgrünen Nadeln, aber mit einer neuen, schneeweißen Hülle von Segeln angetan. Die biegsame Faser des Krautes ist des Baumes Herr geworden, und der König des Waldes, vor kurzem noch so fest in der Erde wurzelnd, muß der weitgespannten Leinwand gehorchen, die von der zarten, blauäugigen Blume gewoben worden, welche kaum zu etwas mehr tauglich schien, als die Wiese zu schmücken und die wilden Vögel mit ihrem Samen zu nähren.

*

Die Betrachtung darf sich jetzt zu den Laubbäumen wenden. Es wird indessen, um Wiederholungen zu vermeiden, auch hier ausführlicher nur auf die besonders charakteristischen Gestalten einzugehen sein, indem sich daraus das Verhältnis der übrigen, mehr vermittelnden Formen leicht ergibt. Wir beginnen mit der Weide.

Dieser Typus wird im Süden vornehmlich durch den Oelbaum, im Norden durch die Weide selbst, durch die Pappel und die Birke vertreten. In ihm herrscht ein freier, leichter Wuchs, zuweilen ein heiterer Schwung, oft aber auch eine elegische Weichheit, die bis zur Zerflossenheit fortgeht. Mächtige Formen, energische, glänzende Farben wird man daher bei dieser Klasse nicht suchen dürfen, wie denn einzelne der genannten Arten sich nicht selten in niedrigem, grauem Strauchwerk verlieren. Im allgemeinen läßt sich von diesem ganzen Typus sagen: die Zweige sind locker und stehen rutenförmig auseinander, die Blätter, ewig schwankend, sitzen an langen, dünnen Stielen, sind meist etwas hart und auf der Kehrseite hell gefärbt.

Die Weide.

Die Weide (Salix) erscheint bei uns fast nur verstümmelt: mit plumpem Stamm und geschorenem Haupt. Selber dem Beile verfallen, war sie auch ehedem der Baum des Fluches und des Urteils, an welchem gehenkt wurde. An einer Weide hatte Judas sich erdrosselt, und mit Weidenruten wurde der Heiland gegeißelt. – Ihre zähe Lebenskraft entspricht ganz ihrem Habitus. Wenn der Baum seine jugendliche Krone emporhebt, kommt die Axt und »kappt« die glatten Zweige. Aber unverwüstlich, wie die Olive, treibt er nach jeder Beraubung neue Loden. Selbst in den Narben, die das Eisen zurückließ, sammelt sich die Kraft der Vegetation: sie schwellen, ein unförmlicher Kopf entwickelt sich, phantastische Gestalten wachsen heraus. Ja, es ist eben diese Kraft, welche den immer dicker werdenden Stamm zersprengt, erst leicht ihn öffnet, dann tiefer hinab spaltet, zuletzt bis zur Wurzel aufreißt, so daß nun die Seiten sich auseinander werfen, und im Mondlicht das morschgewordene Innere leuchtet. Doch auch jetzt ist das Leben des Baumes noch nicht gebrochen. Denn während aus dem geborstenen Bauch parasitisches Gesträuch herausquillt, oder das Feuer der Hirtenknaben ihn bis auf den letzten Rest verkohlt hat, grünt auf der zerrissenen Rinde noch jeden Frühling ein üppiger Strauß von Zweigen, in dem manch munterer Vogel wohnt. Friedlich, wie zur Tränke wandelnde Herden, ziehen die Weiden den Bach entlang, stellen sich auch gern, andere Bäume meidend, als ein bescheidener Rahmen um das niedrig gelegene Dorf. Mancher malerischen Wegkrümme geben sie Schatten, und wir haben als Kinder oft unter ihnen gelagert, mit geübter Hand die vollsaftige Rinde von den Ruten gelöst und an der rohen Musik der Bastflöte uns ergötzt! Aber wie lieb sie uns auch geworden aus den Tagen fröhlicher Spiele und Lieder: solchergestalt bleiben sie doch immer unschön und charakterlos. Nur wo sie unangetastet von Menschenhand emporwuchs, ist die Weide ein wirklich schöner Baum. Sie erscheint dann trotz der viel- und scharfrissigen Rinde und trotz der schmalen, spitzigen Blätter graziös, und die biegsamen Zweige, die rastlos ihre dunkelhellen Wellen schlagen, geben ihr sogar einen entschieden weichen Ton. Einige erheben sich dabei zu imposanter Höhe und bilden breitkuppelige Kronen.

Die vollendetste Form dieses Geschlechts zeigt die Trauerweide (Salix babylonica). Wie langherabwallendes Haar sinken die Zweige, wie niederrinnende Tropfen die Blätter hinab. Ganz in sich verhüllt, steht sie da: ein Bild weinender, weiblicher Klage, gegenüber der auch in der Trauer noch stolzen, das Gemüt auch im Schmerze noch feierlich erhebenden Cypresse. Daher werden Phaëthons Schwestern, als sie wehklagend um den Verlorenen an den Ufern des Eridanus stehen, in Trauerweiden verwandelt, aber auch da vergessen sie des geliebten Bruders nicht und weinen ihre goldenen Tränen in die Flut; daher singt Desdemona, von dem höchsten Kummer betroffen, das ergreifende Lied von der Weide; daher reicht in Scotts Braut von Lammermoor Heinrich seiner Schwester Lucie einen Weidenzweig, als diese in ähnlicher Lage sich befindet. Ebendeshalb endlich bricht der Samländer, wenn die Freude des Pfingstfestes zu Ende geht, die Lindenlaube vor seinem Hause ab und setzt an deren Stelle ein Weidenzelt. – Wir stellen den Baum gern über den Grabhügel oder an den einsamen See; sehnend blickt er in den dunkeln Spiegel, um ihn aber zieht der Schwan seine Kreise, und aus der Tiefe taucht wie eine stille Sage die Wasserrose.

Die Pappel.

Die (lombardische) Pappel ( Populus fastigiata) verrät in dem vornehmen Anstande ihrer Haltung und in dem glänzenden Grün der festen Blätter sogleich die südliche Abkunft. Doch ist sie bei uns so eingebürgert, daß sie billig für deutsch gelten darf.

Vielleicht ist kein Baum so verschiedenartig betrachtet worden, als dieser. Der hohe, schlanke Stamm, an den sich ringsum die aufwärtsstrebenden Zweige mit ihrem dichten, dunkeln Laube schmiegen, stellt das Leben der Pappel recht als ein Sonnenleben dar. Darum wurde sie wohl von unseren Dichtern als ein Symbol der Sehnsucht, ja erhabener Trauer gefeiert, und auch die Alten mochten ihr eine ähnliche Bedeutung gegeben haben. Gewiß ist, daß sie diesen Baum vorzüglich häufig an Straßen, öffentlichen Plätzen, Gräbern und Denkmälern anpflanzten, daß – außer der Olive – keiner öfter auf ihren Münzen und Kunstwerken erscheint. Der Hain des Akademos bei Athen war ein Pappelgang.

Dennoch will uns die Pappel selten behagen. Am meisten hat sich ihrer die französische Gartenkunst bemächtigt, welcher ein Baum, der fast gar keine Individualität entwickelt, und selbst mit seinem Schatten kargt, besonders zusagen mußte. Die Pappel fügte sich leicht in das strenge, um nicht zu sagen, steife Ebenmaß dieser Gartenarchitektur, während sie doch auch, gehörig gruppiert, den Eindruck stolzer, schroffer Gravität geben konnte, welchen jene Parks trotz ihrer Rokokkospielereien nie zu verfehlen suchten.

»Der Pappel stolze Geschlechter
Ziehn in geordnetem Pomp vornehm und prächtig dahin!«

heißt es in Schillers Spaziergang. – In ihrer ganzen Nüchternheit erscheint die Pappel auf unseren Landstraßen, deren Staub selbst ihr frisches Grün verlöscht. Welche Oede in diesen unabsehlichen Zeilen, in diesen kahlen, stangenähnlichen Wegzeigern! In der Tat: so poetisch sorglos der Fußpfad am grünen Waldesrande dahinschweift oder am Gartengelände mit seinen überhangenden Blüten und Früchten, so ermüdend prosaisch dehnt sich die geradlinichte Kunststraße mit ihren marklosen, aristokratisch hochgereckten Pappeln. Die »langen Müßiggänger« gehören weder in die romantische Waldwildnis, noch an das Feld, das der Schweiß des Landmanns bebaut; vor Kasernen und Zollhäusern wollen wir sie uns gefallen lassen. Wer fände nicht bezeichnend, daß Napoleon Vgl. Riehl »Land und Leute«: »Die Pappel ist das echte Sinnbild der von außen her aufgedrungenen Zentralisation; sie ist der uniformmäßige Baum, den man in Reihen aufmarschieren lassen kann gleich einer Paradeordnung von Soldaten.« gerade diese uniformmäßigen Bäume liebte, und ihre Anpflanzung oft persönlich befahl? Ihr langgestieltes Laub schlägt bei jedem Luftzug zusammen; aber selbst diese Bewegtheit, welcher die Pappel den Namen zu verdanken scheint, verstimmt, da sie doch sonst das Gemüt so innig anspricht. Es ist ein hartes, unmusikalisches Getön, belästigend wie ein Geschwätz, dem man sich nicht zu entziehen vermag. Und so hat auch die Fabel in der Pappel ein Bild der Geschwätzigkeit und des Dünkels gefunden; das Kinderrätsel aber sagt:

Ein langer Narr, ein dürrer Mann,
Hat hunderttausend Schellen an.

Dennoch läßt sich, wie bereits bemerkt, nicht ableugnen, daß durch eine künstlerische Zusammenstellung auch die Pappel bedeutsam werden mag. Ihre hochaufschießende Gestalt kann, in gewisse Ferne gerückt und in Gruppen zu zwei oder drei, wahrhaft gebieterisch erscheinen, indem sie dann nur als eine einzige unbewegte, dunkle Masse vor das Auge tritt und gleichsam wie ein kühner Effektstrich das niedrigere Gebüsch oder die breitgestreckten Gebäude durchbricht. Die eigentlich deutschen Pappeln sind weniger steif; einigen derselben, wie der

Schwarzpappel ( Populus nigra)

muß sogar eine gewisse Großartigkeit zuerkannt werden. Ihr Stamm erreicht gewaltige Höhe; ihre Aeste recken sich, fast selber Bäumen gleich, weit auseinander; und die tiefgefurchte, rußige Rind« kann jenen Eindruck nur steigern. Doch fehlt es, um eine wirklich plastische Form darzustellen, der Schwarzpappel ebensosehr an Maß und Schwung, als an fest zusammenhaltender Kraft. Der ganze Habitus derselben hat vielmehr etwas strunkartig Gespreiztes, und dem entsprechend bilden auch die Zweige ein Sparrwerk langherausfahrender Schossen, die wiederum nur am Ende belaubt sind, da die Pappel alles Säfteleben nach der Spitze drängt. Das Gewebe ihrer Holzfaser ist von lockerster Weichheit; die flachhinstreichende Wurzel gewährt geringen Halt, so daß der Sturm selbst die stärksten Stämme niederwirft; und die großen Blätter, an langen Stielen papierartig schlotternd, entbehren auch hier eines vollen, tiefen Tones.

Ungleich anziehender, um nicht zu sagen, eleganter ist die

Silberpappel (Populus alba, P. canescens),

deren Formen sich bei aller Größe maßvoller runden und zusammenschließen, und deren Farben einen sanfteren Ton haben. Man weiß, daß ein eigentümlicher Reiz dieses Baumes in der schillernden Belaubung besteht. Eine zierlich ausgeschnittene Silhouette – ähnlich dem Efeu – schwebt das Blatt der Silberpappel am leichtbeweglichen Stiel, um seine ganze Schönheit erst im Spiele des Windes zu entfalten, wenn es den weißen Flaum der Kehrseite gleichsam wie ein keusches Gewand aufschlägt und, kaum gezeigt, ihn wieder verdeckt; und eben dieses wählige Auf- und Zuschlagen, dieser Wechsel von Hell und Dunkel spricht uns an wie ein Spiel der Empfindung, gleichsam wie ein Geheimnis, das sich uns enthüllen und doch wieder verbergen möchte. Die Griechen aber erzählen sinnig: Pluto habe Leute, die schönste der Okeaniden entführt, und da sie, unvermögend sich dem unterirdischen Reiche zu gewöhnen, dahingesiecht sei, habe der Gott zum Angedenken seiner Liebe den Baum hervorwachsen lassen, in dessen Wipfeln das Licht der Sonnenwelt sich mit der Dämmerung des Hades vermähle.

Der Silberpappel am nächsten steht die

Espe (Zitterpappel, Populus tremula).

Derselbe schlanke Wuchs; dasselbe flitternde, zitternde Blatt, nur rundlicher gestaltet und matter in der Farbe; dieselbe wässerige, blasse Rinde. Dagegen erinnert die Verzweigung mehr an die sogenannte kanadische Pappel: aus einem geraden, doch niedrigeren Stamme entspringen in fast gleichmäßigen Zwischenräumen rechts und links die Aeste, meist spröde, parallele Linien bildend.

Die Espe stellt ihr Laub wie Täfelchen auf einen langen, feinen, merkwürdig drehbaren Stiel, und dieser selbst steht nur mit einem schmalen Fuße auf dem Holze. So geschieht es, daß auch der leiseste Hauch die Blätter lüftet, und selbst bei ruhigem Wetter gewahrt man ein Gezitter von Grün und Silber, welches nie austaumelt; immer hört man dies seltsame, scheue Gelispel. Daran knüpft sich denn, wo nicht schon der Name Der Name Espe(Aspe) scheint allerdings das flüsternde Zittern der Blätter zu malen; doch bringt ihn Grimm im Wörterbuch mit Esche in Zusammenhang, wie man denn hie und da wohl die Espe auch »Beberesche« nennt. der Espe, so doch der sprichwörtliche Gebrauch, in dem wir das Espenlaub zu einem Gleichnis der Furcht machen. Die Erscheinung selbst endlich hat dem christlichen Altertume Stoff zu einer weitverbreiteten Legende gegeben. Als noch der Herr auf Erden wandelte, erzählt die Sage, beugten sich alle Bäume vor ihm, nur die Espe nicht. Darum wurde sie mit ewiger Unruhe gestraft, so daß sie bei jedem Windhauch erschrickt und zittert, wie jener Jude Ahasver, der nie rasten kann. In alle Welt zerstreut sind die Enkel und Urenkel des übermütigen Baumes, ein zaghaft Geschlecht, ewig bebend und flüsternd in der übrigen Ruhe der Wälder.

Die Birke.

Dem Froste und dem Strome, dem Blitze und selbst der Fäulnis trotzend, im Sumpfmoor wie im dürren Sande gedeihend, bedarf die Birke nur einer Spanne Erde, ihre Wurzel hineinzusenken. Auf den norddeutschen Grasebenen steht sie in zerstreuten Gruppen und Hainen entlang; aber in den Tieftälern von Norwegen füllt sie weite, schimmernde Waldstrecken, und da selbst, wo ewiger Schnee den Kiölengrat umhüllt, klammert sie sich an die stiefmütterliche Scholle. Dort an der letzten Marke der Vegetation beugt sie sich über das Gestein, wie der trauernde Genius der Pflanzenwelt, in der Hand die umgestürzte Fackel: das grünende Leben sinkt wieder in den Schoß zurück, dem es sich schwerkämpfend entrungen. Es ist die Zwergbirke (Betula nana), deren Samen allein im Winter den Lemming und das weiße Rebhuhn nährt. – Vielleicht erstreckte sich ehedem das Reich der Birke weiter hinauf als heute. Auf Island wenigstens stand vor alters die hohe BetuIa alba im dichten Walde von dem Meeresufer bis zum Fuße der Gebirge, und warf so ein wärmendes Gewand um die damals fruchtbare Insel, von dem jetzt kaum die Fetzen in Busch und Strauch zu sehen sind. Noch geht die Sage von Kohlenbrennern, die hier ihre Meiler baueten, und das Grabscheit braucht oft nur einige Stiche in die breitgelagerte Torfschicht zu tun, um auf Stämme von mehr als einem halben Fuß Stärke zu stoßen.

Man darf die Birke einen weiblichen Charakter nennen, obgleich jener Dichter, eingedenk des Tributes, den einst der pädagogische Baum von ihm gefordert, sie hart und blutdürstig schilt, und Plinius sie in ähnlicher Beziehung die »furchtbare« nennt. In leichtgeschwungener, oft anmutig geschlängelter Linie steigt der runde Stamm hinauf, nach oben schwach gebogen, doch mit geschmeidiger Härte der Gewalt der Elemente widerstrebend. Grau bemooste Furchen zerreißen wohl unten die glatte, atlasartige Rinde, die aus dem Blättergrün hervorleuchtet,

»als wäre dran aus heller Nacht
das Mondlicht blieben hangen.«
(Lenau.)

Kein mächtiger Ast tritt aus dem zähen Holze, vielmehr fällt ringsum ein zierliches Reisernetz in langen Flechten herab, das sich kaskadenartig und immer lockerer aufbaut, bis die Krone wie in einem Federbüschel endet. Da ist auch nicht Raum für das kleinste Nest; so luftig steht das Zweigwerk da. Und nun dieser dämmernde Laubschein darüber hin! dieser zarte Schleier, der immer schwebend und schwirrend seinen würzigen Duft ausstreut! Ist es nicht, als schmiege sich schmachtend eine Waldnymphe hervor? Man vergleiche die sinnreiche Beschreibung im alten angelsächsischen Alphabet:
Birke (Beorc) ist früchtelos,
Trägt eben wohl
Zweige ohne Samen,
Ist in Aesten schön,
Doch in der Spitze
Rauscht sie, lieblich
Bewachsen mit Blättern,
Von der Luft bewegt.

Uebrigens ist es auch an der Birke zumeist die gesenkte Gestalt und das rastlose Gezitter der langgestielten Blätter, was die träumerische, selbst schwermütige Stimmung hervorruft, die diesem Baume den Namen der Trauerbirke verschafft hat. Ebendarum ist sie bei uns, wie im Süden die Cypresse, ein Schmuck der Friedhöfe geworden, und so als ein klagendes Finis Poloniae steht sie nordwärts, dort auf dem Grabe einer untergegangenen Nation. Jetzt wird die Linde ( Lipa) für den Baum der slawischen Nationalität ausgegeben, und die Lipa slowanska (slawische Linde) nennt sich so im Gegensatz zur deutschen Eiche. Leipzig ( Lipsk) soll allerdings den slawischen Namen von der Linde (Lindenstadt) haben. Aber wer in unserer alten Dichtung nur etwas belesen ist, weiß, daß die Linde ein echter deutscher Baum ist und früher vollständig dieselbe Rolle in der Poesie spielt, wie später – zumal seit Klopstock – die Eiche, die früher sehr selten erwähnt wird. Für die Birke als Symbol der slawischen Melancholie sprechen die vielen Namen, die von Breza, die Birke, abgeleitet sind: Brietz, Brietzen, Preetz, Bretsch, (Brietzke,) die Briezen, Treuenbriezen usw. – Die stattlichsten Birken finden sich wohl auf den Newainseln bei Petersburg; aber auch in Kurland gibt es deren, die den Umfang und die Höhe der stärksten Buchen erreichen.. Die Dichter aber wissen ihr Säuseln zu deuten, und auch das Volk versteht es. Seit Geschlechtern klingt aus der Hütte des Litauers, allenthalben den Wanderer begleitend, jenes rührende Lied:

Birke, Birke, arme Birke,
Warum bist du denn so traurig?
War's vielleicht der kalte Nordsturm,
War's vielleicht der rauhe Frost,
Der dir macht die Blätter starren?
Oder hat das böse Wasser
Dir der Erdenmutter Schutz
Von den Wurzeln weggespült?

Und der traurigen Frage antwortet in gleichem Geiste die Gegenstrophe

Nicht der Frost macht mich erstarren,
Nicht das Wasser mich verkümmern;
Doch es kamen die Barbaren,
Und sie brachen meine Aeste
Und zerstampften um mich her
All das schöne grüne Gras.
Schade, schade, daß von Osten
Auch die schöne Sonne kommt!

Ein gespannte, erhöhte Stimmung gibt das Zwielicht des Mondes dem Birkenhain. Die schattenhaft zerfließende Gestalt des Baumes, das gespenstige Weiß des Stammes regen die Phantasie ahnungsvoll an. Nur im Vorfrühling, wenn der junge Blätterschimmer um ihre Zweige spielt, atmet die Birke eine sonnige, erfrischende Freundlichkeit: sie bringt den ersten, langerwarteten Gruß des wiedererwachenden Lebens. Doch hebt auch der eintretende Herbst, der das Birkenlaub in energisches Gelb umfärbt, diesen Baum wieder lebhafter hervor.

Anders geartet ist die Heidebirke( Betula pubescens). Die freier aufstrebenden Aeste geben ihr ein munteres Ansehen, an den weichen Habitus der Hängebirke erinnert nur die leichte Biegung der Zweige, deren dünneres Laub geschwätzig auseinanderflattert. Heitere, man möchte sagen, mädchenhafte Grazie ist der Charakter des Baumes, und gerne schwingt sich der Dorfreihen um sein duftiges Maigrün. Die Heidebirke erfreut wie der Anblick eines schöngelockten, lieblichen Kindes, man denkt an lachende Blondköpfe; doch verliert sie sich auch eher als ihre ernste Schwester ins Dürftige. In einzelnen Gruppen, etwa inselartig aus dem Rasengrün hervortretend, oder in weiten Dimensionen über eine große Fläche sich gleichsam die Hand reichend, oder auch im Gegensatz zu Eiche, Tanne und dergleichen, gibt sie ein wirksames Motiv für die Landschaft: so besonders auf den holländischen Torfmooren, deren trübe Einsamkeit allein durch ihre Farben belebt wird. Als voller Wald ist indessen dieser Baum zu eintönig und zu geringfügig.

Als ein Ausläufer der Weidenform kann die Erle (Eller, Alnus) betrachtet werden. Sie zeigt bereits eine größere Entwicklung und macht gewissermaßen den Uebergang zu den Bäumen mit ausgebildeter Krone, die wir an den Schluß stellen.

Die Erle

erscheint, wie die Weide, nur selten in unverkümmerter Gestalt. Sie wächst rasch; aber man köpft oder fällt sie, und nun treibt um den brombeerumrankten Stumpf ein Dickicht von Loden und Ruten hinauf. Es wird ein Gebüsch, eine Gruppe von Schossen: Vor- und Unterholz, das oft weite Flächen undurchdringlich bedeckt. In dieser Weise tritt die Starrheit der Erle besonders hervor: der Stamm gerade, schlank, ohne durch markige Höhe zu imponieren, die Aeste in regelmäßigem Wechsel meist scharf und quirlartig herausspringend; das Blatt stumpf, derb, am zähen Stiele wenig bewegt. – Läßt man ihr den freien Wuchs, so mildert sich diese Härte bedeutend. Der Baum gewinnt eine energischere, saftigere Gestalt; er lehnt in gefälliger Linie über dem Flüßchen, das seine Wurzel tränkt, und Zweige und Blätter wölben sich zu schattigen Schirmen. Auch die Rinde färbt sich mit einem satteren Schwarz: in allem ist die Wahlverwandtschaft mit dem feuchten Element sichtbar ausgesprochen.

Die Erle gehört zu den Bildern heiterer Ländlichkeit, wie zu der ernsten Poesie einsamer Moorflächen und Weiher. Sie richtet sich gern dicht am Rande des Baches auf, und wer möchte sie in dieser Gesellung nicht reizend finden? Das tiefgrüne Laub und der schwärzliche Stamm dienen dem hellen Wiesenteppich zur Folie und stimmen angenehm zur Kühle des Wassers, das murmelnd seine Straße zieht. Die Blätterschatten werfen ein spielendbewegtes Netz über die blinkenden Wellen, darinnen sonnt sich die Forelle, und Schwalbe und Bachstelze kommen mit zierlichen Füßchen herbei, zu baden. Am Ufer zwischen Dolden und Halmen hangen Vergißmeinnicht hinab, gelbe Iris schauen fragend herauf; die Trift entlang weiden und lagern geruhige Herden, eine Mühle klappert nahebei, und zwischen den Büschen hebt sich patriarchalisch der Turm des Dörfchens hervor. Zu diesem Idyll versteht sich der blaueste Sonnenhimmel von selbst. – Aber die Erle folgt dem Bache hinab auch in die entlegeneren Talbuchten und breitet um sie her das heimliche Dunkel, in dem das Reh sich birgt und das Rotkehlchen zwitschert. Das Wasser, das wandernde, plaudernde, ist müde geworden und sammelt sich in tiefere kristallene Becken; rechts und links aber drängen sich die Stämme im Halblichtschimmer geschwisterlich aneinander. Ein Windstoß rührt sie an, sie schwanken, flüstern, das Reh springt auf – dann ist alles wieder still. Das ist die Erle am Dorf und im Grunde. Anders, ernster wirken die Erlen im Moor. Da kommen sogleich die Sumpflagunen mit ihrem Brodem, die Wolken, die Einsamkeit hinzu und weben eine sagenhafte Poesie um die Szene. Vom Schilf her stöhnt die Rohrdommel, Unken antworten aus der Ferne, wandernde Störche ziehen eilig vorüber. Dann und wann nur fällt ein herbstlich matter Strahl auf die schwarzen Wasser, die mit hundert Armen die einförmigen Strauch- und Buschinseln umschlingen, während aus ihnen allenthalben Dunst der Vermoderung steigt und selbst das Grün des Röhrichts und der Moose sich in krankes Gelb verfärbt. – Man begreift, daß hier die ohnehin ernsten und vielfach starren Gruppen der Erlen nur dazu dienen können, den unheimlichen Eindruck des Gesamtbildes zu verstärken. Es ist ein düsteres Brüten, das über der Natur liegt und beklemmend auch in das Gemüt dringt. Aber bis zum Schaurigen steigert sich diese Stimmung, wenn der Nebel sich in die vielschossigen Bäume setzt und die Nachtluft seufzend durch die Blätter streicht, oder wenn der Mond seinen Dämmerschein über die Oede und ihre dunkeln Gestalten ergießt. Das ist die nordische, das ist die echte Erlkönigslandschaft.

*

Wir gelangen jetzt zu den entwickeltsten Formen unserer Laubbäume, zu Eiche, Buche, Rüster und Linde. Ohne daß man sie gerade auf einen bestimmten Typus zurückführen könnte (am ehesten dürfte die Linde als Urform aufgestellt werden), unterscheiden sie sich von den bisher geschilderten durch einen kräftigeren, ausgearbeiteteren Bau. Der Stamm kommt an Höhe den Nadelhölzern nicht gleich, aber er übertrifft sie an Mächtigkeit, indem er eine reiche, oft kühne Verästung nach allen Seiten ausschickt. Dadurch bilden sich gegliederte Partien, kompakte Massen, die ihren Abschluß in der schön modellierten Krone erhalten. In Uebereinstimmung hiermit ist das Laub saftiger, dichtgedrängt und im ganzen breitgestaltet. Man könnte, käme es auf Namen an, diese Bäume vielleicht Kronenbäume nennen, wie man die Tannen, Fichten usw. etwa Stammbäume heißen dürfte.

Die Eiche.

Die Eiche ist der europäische Urbaum. Die Pelasger und jene Wanderscharen, die einst an den Küsten von Griechenland eine Heimat suchten, verehrten ihn als Lebensbaum, als kostbare Gabe des großen Nährvaters. Seine Früchte sättigten sie, in seinen Stämmen fanden sie Wohnung, unter seinen Wurzeln sprang der tränkende Quell. Und selbst als längst die barbarische Rauheit menschlicher Sitte gewichen war, erhielt sich die Verehrung für den Segenspender unverkümmert fort in dem Gemüte der Völker. Bei Griechen und Römern blieb er dem Olympier geweiht, aus seinem Rauschen tönten ihnen Stimmen der Zukunft; der Deutsche aber und der Skandinavier sahen das Haus des Donnergottes in dem Eichenwipfel, und ihre Priester pflegten die heilige Mistel, die auf ihm wuchert und in des blinden Höders Hand zum Todespfeil geworden war, an dem Baldur, der jugendliche Gott des Frühlings, verblutete. In gleicher Weise widmeten Kelten und Slaven der Dryade einen geheimnisvollen Kultus. So hat diesen Baum ein ahnender Natursinn gleichsam wetteifernd mit einem Immergrün von Sagen und Gesängen umwoben. Zwar führt er in unserer deutschen Dichtung heute nur noch ein kümmerliches, um nicht zu sagen künstliches Leben; aber um so tiefer wurzelt er in Liedern und Geschichten solcher Stämme, die abgeschlossener als wir, oder entfernt von der großen Weltbühne, ihre alte Weise reiner bewahrt haben.

Kein zweiter Baum glich ihm an wildkühner Schönheit; aber keiner bot sich auch dem ersten Bedürfnis zu ausgiebigerem Dienst. Das Haus des Lebenden, den Sarg des Toten, das Schiff, das den Seefahrer trug, die Lanze, die der Jäger schwang: alles gab die Eiche. Darum wurde ihre Pflege eine Pflicht, und schön sagt das angelsächsische Alphabet:

Eiche ist auf dem Lande
Den Menschenkindern
Fleisches Behältnis (Sarg),
Fährt häufig
Ueber Wasserhuhnes Bad,
Erforscht die See:
Jeder habe Eiche,
Den edlen Baum!

Mark und Fülle zeigt ihr Wuchs, von der tiefausgreifenden Wurzel bis zum festen, schildgleichen Blatt und der derben, bronzenen Frucht. In dem trotzigen Zickzack ihrer Aeste und in den grandiosen Verkrümmungen ihres Stammes steht sie da als Baum der Stärke ( Quercus robur), gleichsam als lege sie sich aus zum zerschmetternden Streich; es ist der graue Wälderkönig, den der Adler sucht und der Held zum Bilde nimmt. Wie treffend, wenn Homer die beiden Lapithensöhne als Hüter vor den Schiffen stehen läßt:

»zwei hochwipflige Eichen des Berges, welche den Sturm ausharren und Regenschauer beständig!«

Und wie sinnvoll, daß die englischen Könige, wenn sie den Thron besteigen, sich eine Eiche erwählen, ihren Namen zu tragen und künftigen Geschlechtern lebendig erhalten! Freilich, welcher Engländer dürfte auch vergessen, daß seine Insel gerade diesem Baume die »hölzernen Mauern« verdankt, auf denen ihre Größe und ihre Freiheit steht? daß die Eiche, wie die Dichter preisend sagen, der »Vater der Schiffe« ( the father of ships) ist?

Auch darin scheint sich die heroische Natur des Baumes anzudeuten, daß er sich fast nie zu eigentlichen Waldungen häuft. Der Eichenwald ist nicht viel mehr als eine poetische Figur. Denn die Eiche steht einsam, oder im Gemisch mit anderen Laubarten, die sie ehrwürdig-feudalistisch beherrscht. Nur in den nordischen Tiefebenen tritt sie oft zu schönen Gruppen zusammen. Das gibt dann Ruisdaelsche Bilder. Ein saftgrüner Rasen, ein blauer Himmel, ein klarer Quell. Da und dort hebt der Hirsch das stolze Geweih; er hat den Jagdruf aus der Ferne vernommen. Freundliche Blicke öffnen sich zwischen den schwarzen, grotesken Stämmen, und durch die dunkel-ernsten Laubmassen gleitet still ein goldener Strahl.

In ihrer ganzen Großartigkeit erscheint die Eiche auf felsigen Gebirgshöhen. In solcher Urwaldwildnis muß man die tausendjährige sehen, und Lessing und Rubens haben sie uns gemalt. Weit über die Quaderwände hinaus, tief in die steinernen Rippen hinein schlägt die Wurzel ihre mißgestalteten Pranken, als wolle sie die Erde spalten, und aus dem Grunde treibt und wächst es hinauf, langsam, aber riesengroß, bis zu der luftigen Himmelsstraße selber. Wie ein Harnisch legt sich die tiefdurchrissene Rinde dem Recken um Leib und Glieder, zornig zucken die knorrigen Aeste, und wo der Nordwind seine Speere gegen den Eisenstamm schleudert, deckt ihn die zottige Mooshülle mit dichtem Schilde. So hat er seinen Fuß droben eingegraben, der Alte vom Berge, ein reisiger, riesiger Held, und freut sich die Wolkenschlacht mit Aeolus und seinem wilden Heer zu kämpfen. Vom Boden aber rankt Efeu und Geisblatt hinauf, und die Amsel ruft aus seinen Zweigen.

Das ist die deutsche Eiche, die Sagenruine der Jahrhunderte. Sie hat Welf und Weibling, Ziska und Prokop, Friedland und die Schweden gesehen. Unter ihrem brausenden Wipfel mochte vielleicht das Dies irae verfolgter Ketzer grollend in die Nacht hinausklingen; ihr Schatten deckte wohl den räuberischen Landsknecht, wenn er dem Hufschlag des Saumtierzuges horchte. Sie steht noch, hoch und grün; aber es sind nur wenige ihresgleichen, an denen die Phantasie so sinnend die Marksteine der Geschichte zurückzählen kann, und wird dem Beile, welches unsere Zeit schonungslos gegen jede Pflanzung der Natur schwingt, nicht Einhalt getan, so werden auch sie bald fallen. – Wie ganz anders weiß das waldarme England die Zeugen seiner Vergangenheit zu ehren! Es rühmt sich seiner alten Eichen, und es hat ein Recht dazu. Da steht im Walde von Sherwood noch heute der Baum, unter welchem Johann ohne Land Audienz erteilte, und dieser Baum war vielleicht schon zu Johanns Zeiten Jahrhunderte alt. Da ist die Eiche, in welcher Robin Hood, jener freibeutende Balladenheld, der Zerlegung und Verteilung der königlichen Damhirsche präsidierte. Shambles heißt sie oder das Schlachthaus. Da ist die Parliamentsoak, in welcher er seine Versammlungen abhielt; die grüne Taleiche, in deren turmartig zerklüftetem Stamme der Wildschütz und sein ganzer lustiger Rat beieinander saß. Noch zeigt in Newforest ein Steinmal die Stelle, wo bis vor hundert Jahren jene Eiche stand, unter deren Zweigen Wilhelm der Rote von Tyrrells Händen fiel. Das Geschoß des Mörders hatte sein Ziel gefehlt, es traf den Stamm, aber abprallend durchbohrte es noch die Brust des Königs, der sterbend zusammenbrach. So erinnert hier jeder alte Baum an eine denkwürdige Szene oder Persönlichkeit. Und fragen wir, was diese Bäume schützte? Es ist der Geist der Gesetzeshoheit und der Selbstachtung. Der Geist, der die vielbewegte, stolze Geschichte Englands geschaffen hat, derselbe ist es, der über ihre Heiligtümer und Mäler wacht.

Die Buche.

Neben der Eiche gebührt der Buche ( Fagus silvatica) der Preis unter unseren Waldbäumen. Sie liebt sanftgehobene Flächen und tritt gern von den Höhen des Gebirges auf die sonnigen Hügelzüge am Fuße herab. In den Tälern Thüringens und des Harzes, auf Rügen, in den holsteinischen Marschen herrscht dieser Baum, und einst war er über ganz Mitteldeutschland verbreitet, wie denn das Hessenland vor alters »Buchonia« hieß und das Wort buoch wohl geradezu für »Wald« gebraucht wurde. Aber doch ist erst der Norden das eigentliche Buchenland, und nirgends vielleicht steht dieser Baum in üppigerer Pracht als an den blauen Buchten von Kopenhagen.

Unter allen Bäumen ist er der geselligste, er schießt seine Wurzeln nicht tief ins Erdreich, er muß sie mit seinen Nachbarbäumen kreuzen. »So mit verschlungenen Wurzeln und Wipfeln trotzt «in Buchenwald den Stürmen und dem Sonnenbrand. Allein, ohne anderen Schutz erliegt die Buche bald der Witterung – vielleicht! das treffendere Sinnbild eines Volkes, das lieber die Eiche zu seinem Wahrzeichen wählte, weil sie in trotziger Vereinzelung Sturm und Wetter die Stirn bietet.« In Jugendkraft, leicht und doch stolz, wie aus Stahl, steigt der Schaft hinauf. Glatt und dicht umschließt ihn die silbergraue Rinde, von keinem Moose benagt, und wo es geschieht, zu dem Samtgrün desselben freundlich kontrastierend. Fast meint man daran die Härte des Holzes zu erkennen, das in der knappen Bekleidung gleichsam nackt erscheint und in seinen Anschwellungen das Bild eines muskelstraffen Armes gibt. Es ist bedeutsam, daß nach altem deutschen Glauben diesen Baum der Blitz nicht berühren durfte. Ast und Zweig treten erst in der Höhe hervor, sie greifen scharflinicht aus – fast wie die Zweige der Tanne – und drängen ihre Fächer zu einem einzigen Gewölbe zusammen. Aber so imposant dieser Rundbau ist, so fehlen ihm doch jene Tiefen und Gliederungen, welche den Kronen anderer Bäume einen ebenso plastischen als malerischen Reiz gewähren. Das stumpfeiförmige Blatt stimmt zu dem Charakter des Ganzen. Es bildet, der Verzweigung entsprechend, meist dachartige Schichten, die spitz auslaufen, oder es fliegt flockig auseinander, ohne in Massen zu verschmelzen. Festgewebt und an den kurzen Stiel geheftet, gibt es sich nicht zum leichten tönenden Spiel des Windes.

Die Buche hat, das sieht man aus allem, in ihren Formen eine gewisse architektonische Sprödigkeit, und es legt sich die Vermutung nahe, daß eben der Buchenwald jener Naturtempel war, welchen die deutsch-christliche Baukunst in ihren Domen transfigurierte. Knüpft sich doch auch an diesen Baum, der schon seiner Frucht wegen den Vorfahren wert sein durfte, das älteste Geheimnis deutscher Weissagung und Schrift. Die ersten Buchstaben waren ja nichts anderes als Stäbe der Buche, die mit gewissen Zeichen versehen zu Boden geworfen und ausgedeutet wurden (Runen). – Vischer nennt die Buche starr, der Engländer Gilpin sogar schwerfällig. Dies letztere ist jedenfalls übertreibend, und gerade das von dem englischen Aesthetiker so übel angesehene Laub macht vielleicht ihren schönsten Schmuck aus. Die Steifheit desselben wird bereits hie und da durch leise Faltungen des Saumes erweicht; dazu quillt es in der üppigsten saftigsten Fülle hervor, und von der Sonne beschienen spiegelt und spielt jedes einzelne Blatt in den anmutigsten Lichtwechseln. Und so tief saugt es dieses Licht in sich ein, daß selbst, wenn der Frost es schon berührt, das Buchenblatt vor allem anderen Laube in den feurigsten Goldtinten erglänzt. Man darf sonach wohl sagen, die Poesie der Farbe ersetze hier, wie an dem lichten Kleide des Stammes, was an der Form streng und derb erscheint. Aber auch diese Form wie gediegen, wie rein, wie geschlossen! Unter den Pfeilern des Buchenhochwaldes weht nicht mehr der wehmütig-feierliche Hauch, das dunkle Sehnen, mit welchem uns sonst der Wald ergreift. Es ist der Geist gesunder Stärke, der hier seine Schwingen rührt und die Seele freudig spannt.

Zwar auch die Buche hat ihre Mystik. Sie liegt, wie schon angedeutet, in der Färbung, und gerade das vollste Tageslicht weckt sie am meisten. Wer den Thüringer Wald oder die Harztäler durchzogen hat, wird diesen Zauber kennen. Gewaltige Blöcke, von Farnkraut umwuchert, liegen zu den Füßen der ernsten Bäume, unter denen hervor kühlatmend der Quell seine Silberfäden zwischen Bäumen und Wurzeln hindurchzieht. Ueber den Wipfeln aber brennt der Mittag. Jedes Blatt wird ein Sonnentropfen, ein funkelnder Smaragd, und grüngoldenes Märchenlicht dämmert durch die Halle. Der Fingerhut steckt seine Kerzen auf, aus den Steinritzen schlüpft die Eidechse, blauflügelige Libellen wiegen sich auf den Halmen. Dazwischen schießt ein Sonnenblitz an den Stämmen nieder, über den Moosteppich gaukeln schillernde Lichtkugeln, alles ist seltsam still, wie verzaubert; aber unten, wo das Waldtor sich öffnet, winken Wiesen und Dörfer, da leuchtet ein Flüßchen auf, und befreundet grüßt melodisches Herdengeläut.

Die Rüster.

Die Rüster (Ulme, Ulmus) hat einen gemischten Charakter, der schwerer zu fassen ist. Sie erinnert in der Spröde und Schärfe ihres Blattes und Stammes an die Buche, dagegen zeigt die schlaffe, wenn auch dürftigere Verzweigung eine Verwandtschaft mit der Linde; doch überwiegt im ganzen der harte, zähe Zug.

Der Stamm geht meist kräftig in die Höhe, aber die Rinde ist von schneidenden Furchen durchzogen und hier und da mit Höckern und Warzen bedeckt; die Zweige, die zuweilen schon von untenauf wie wirres Haar den Wuchs umhüllen, hängen zerrissen herab. Dabei fehlt es der Krone an energischer Fülle; das Blatt ist spitzgezähnt, staubtrocken, und dünn über die Zweige gestreut; unten endlich umgibt den Stamm ein Wust von Schößlingen, so daß man sich nicht leicht versucht fühlen wird, unter einer Rüster zu ruhen, und die lieblichen Träume zu spinnen, die uns sonst im grünen Blätterschatten durch die Seele ziehen. Aller Farbenreiz ist weggewischt aus diesem abgetragenen Laube, das auch im Winde nur heiser schwirrt, und statt von den Liedern munterer Drosseln nur von dem Gekrächze der Krähen erfüllt wird. Und wie ungesellig einsam sondert sich der struppige Baum von anderen sowohl wie von seinesgleichen! Weder heimisch im Wald noch im Garten, steht er verstört an Rainen, Hecken und Wegen, oft in die eigensinnigsten Formen verknorrt. – Im Süden, wo die Rebe ihr Gewinde um die Ulme schlingt, erscheint dagegen die letztere gleichsam verjüngt, und ist so ein beliebtes Bild der lateinischen und italienischen Lyriker geworden, obgleich die vielbesungene Ulme von Hirsau zeigt, daß dieser Baum sich auch bei uns zur Schönheit entwickeln könne. In diesem Falle geht er in den Lindentypus über, den die Stielrüster (Flatterrüster, Ulmus effusa) mit täuschender Ähnlichkeit darstellt. Solche Ulmen stehen um die Dörfer der Pfalz in dichten Reihen. Man sieht darunter die stattlichsten Bäume, und manchem hat die Sage Heiligkeit gegeben. So die Ulme bei Pfedersheim: ein geweihtes Wahrzeichen der Reformation. Als Luther von der Ebernburg herab nach Worms zog, kam ihm eine Schar Edler entgegen; unter ihnen Frundsberg. Neben dem »Rollwäglein« des Mönchs einherreitend, hub der ergraute Feldoberst an: Herr Doktor, glaubet Ihr denn in Wahrheit, daß Eure Lehre bestehen werde? Sie ist Gottes, sagte Luther, und was aus Gott ist, kann nicht erliegen. Banget Euch nicht vor dem Reichstag? frug Frundsberg weiter. Da sprach jener das glaubenskühne Trotzwort: Und wenn so viel Teufel in Worms wärm als Ziegel auf den Dächern, doch wollt' ich hinein! und auf ein schwaches Bäumchen am Wege deutend, setzte er hinzu: So wahr dies Reislein zum Baum erwächst, so werden sie meine Lehre nicht dämpfen! – Das Reis ist die Lutherulme. Noch bis vor einem Vierteljahrhundert frisch und voll, ward endlich das prächtige Gewächs durch Sturm und Alter gebrochen. Seine Tage sind gezählt; die sorgsame Ummauerung kann nur kurze Frist gewähren. Denn der Baum steht allein, frei, allen Elementen preisgegeben. Aber unvergessen wird kommenden Geschlechtern die Stelle bleiben, an welche der große Reformator seine Weissagung knüpfte.

Die Linde.

Wäre der Ausdruck nicht zu übernommen, so dürfte man wohl sagen, daß wie in der Apollogestalt männliche Kraft und weibliche Weichheit zu einem Ideale verschmolz: so gleicherweise die Linde ( Tilia) dastehe, voll Würde und Anmut, in Stärke und Zartheit; der herrlichste unter allen unseren Bäumen. Ihn hatte sich Aphrodite zum Heiligtum erwählt; aber auch Lada, die Liebesgöttin der slawischen Völker, hatte ihn unter ihren Schutz gestellt. In edler Mächtigkeit mit der Eiche wetteifernd, erhebt sich der Stamm; ruhig und groß greift die Krone hinauf, und Zacken und Zweig decken ihm die Seiten. Denn wie der Strahl des Springquells sich im kristallenen Bogen wieder senkt, so rundet sich das spitzaufdringende Astdickicht gefälligen Schwunges wieder hinab und zerläßt seine Kraft in einem weiten Gehänge, das an Zartheit fast der Birke gleicht; und um diesen reizenden Bau schmiegt sich nun die Fülle der Blätter: jedes ein leichtbewegtes, grünes Herz. Kommt der Sommer, dann kommt auch die Blüte, ihre Duftfäden daran zu hängen; und so, in all dem sanften Wogen und Schweben bildet das Ganze einen einzigen Laubpalast voll Majestät und Lieblichkeit.

Mag es immer nur ein absichtsloses Spiel der Sprache sein: aber der wohllautende, weiche Name gebührt der Linde, die in unserer Dichtung ähnlich steht, wie jener kummerlösende Baum des indischen Märchens, zu dem Damajanti um ihren Nalas ruft. Denn auch sie ist der Baum der Liebe und der Lieder. Unter ihrem Schatten murmeln die Brunnen, in ihren Blüten summt der emsige Päan der Biene, in ihrem Dufte atmet das Volkslied. Darum begegnet bei keinem unserer neueren Dichter die Linde öfter und bedeutungsvoller als bei Uhland, und die heitere, ich möchte sagen, mütterliche Milde des Baumes ist kaum je schöner ausgesprochen als in der bekannten weichmelodischen Strophe:

Ich saß bei grüner Linde
Mit meinem trauten Kinde,
Wir saßen Hand in Hand;
Kein Blättchen rauscht im Winde,
Die Sonne schien gelinde
Herab aufs stille Land.

Die Linde ist bei uns kein Waldbaum, sondern aus der Wildnis ist sie an den Menschen und sein Haus getreten. Selbst in den Pomp der Königsstädte hat sie, ein frommer Gruß der Natur, ihn begleitet. Aber dort ist ihre Heimat nicht. Im Dorf, auf dem Burghof, am Quell, auf dem Hügel, wo die Schnitter rasten, im Tal, wo die Schalmeien klingen: da ist ihre Stelle. Das ist der Idyllenbaum, in dessen luftiger Kühle die Stilleben der »Luise« sich entfalten, unter dessen Zweigen die Jugend sich zum Spiel und die Alten zu ernster Rede sammeln; das ist die Linde, in deren Schatten der Dichter träumend sein Leid vergißt, in deren Rinde er die teuern Namen schreibt, aus deren Wipfel die Nachtigall ihn und seine Minne grüßt:

under der linden
an der heide,
da unser zweier bette was:
da muget ihr vinden
schone beide
gebrochen bluomen unde gras,
vor dem walde in einem tal
tandaradei!
schone sanc diu nachtegal!
(Walther v. d. Vogelweide.)

Unter einer Linde ist der herrliche Siegfried in sein Blut gesunken, und über Deutschlands gefeiertsten Sänger wölbt sich zu Ottensen ein grünes Lindenpaar, aus dem Grabe ihr blühendes Leben treibend:

Drum, wenn ich einst gestorben bin,
Pflanzt eine Linde mir aufs Grab,
Die Blüte duftet, es duftet das Laub,
Das wehen die Winde nicht ab.

Eine besondere Gruppe bilden die Bäume mit zusammengesetzten Blättern. Es sind Esche, Akazie, Kastanie, Nußbaum, denen um ihres eigengeformten Laubes willen noch Ahorn und Platane angereihet werden können. In Norddeutschland pflegt keiner dieser Bäume massenartig aufzutreten, und nur selten erreichen sie die Größe unserer Eichen, Linden und Buchen, obgleich eine gewisse wuchernde Saftigkeit sie alle charakterisiert. Es wird genügen sie in leichteren Skizzen vorzuführen.

Der schönste unter ihnen möchte neben dem verwandten Ahorn ( Acer pseudoplatanus) die Platane ( Platanus orientalis) sein. Der Schaft der letzteren strebt in kräftigschlankem Wuchs empor, von der saubern, rostgrauen Rinde wie von Metallschildern umschlossen. Vertrocknet fällt diese in Blättern und Schuppen ab, und indem dadurch frische Schichten aufgedeckt werden, zeichnet sich der Stamm mit Feldern und Konturen, die in ihren bunten Verschlingungen eine malerische Runenschrift zu bilden scheinen. Ast und Zweig recken sich lichtverlangend ins Weite und vielleicht, daß daher der Baum den Namen empfing, denn das griechische Wort Platanos bedeutet den breithinschattenden; seinen schönsten Schmuck aber bilden die Blätter, die handgroß und phantastisch gezackt, das luftige Gewölbe schließen und an langen Stielen gleich windgeschüttelten Locken flattern. Uebrigens spricht Heiterkeit und Milde aus der hellen, offenen Gestalt. Daher waren Platane und Ahorn vormals eine Zierde der Pfalzen, »Die ahornböm hett man hievor gor wert, daz man sie zohe in der künig höf unde win zu in goß.« (Hindeutung auf eine Kultusstätte.) Uralter mächtiger Platanen gedenkt Plinius H. N.XII. 5, Pausanias IV, 34, 2; VII, 22, I. Prokesch (Denkwürdigkeiten I. S. 382) spricht von vier Platanen bei Konstantinopel (Bujukdere), deren Stamm 70 Fuß im Umfange habe. Wahrscheinlich gehören sie zu der Gruppe der sog. »sieben Brüder«, die durch Alter und Hirtenfeuer ausgehöhlt, noch immer wahrhaft majestätische Bäume sind. – Uebrigens ist das Blätterdach der Platane wenigstens bei uns nur eben locker über die Zweige geworfen und gestattet wohl hie und da der Sonne freien Durchgang. Mit Recht spricht deshalb auch Ovid von den platanis sterilem praebentibus umbram (Platanen, die nur dürftigen Schatten gewähren). und der Kultus, welcher ihnen ohne Zweifel im Heidentume zukam, scheint sich selbst auf das Mittelalter übertragen zu haben. Man netzte ihre Wurzel mit Wein; ward der Baum gefällt, so geschah es barhaupt, kniend, unter Anruf und Gelübden. Gebet beim Fällen des Ahorns: »Frau Ellhorn, gib mir was von deinem Holz, dann will ich dir auch von meinem geben, wenn es wächst im Walde.«. Bei den Völkern des klassischen Altertums aber galt er, ähnlich wie bei uns die Linde, als »Schatten- und Wonnebaum«, und bekannt ist die sinnige Erzählung Herodots von jener lydischen Platane, deren Schönheit den vorüberziehenden Perserkönig so sehr entzückte, daß er, seiner Heerfahrt einen Augenblick vergessend, unter ihr rastete, sie mit goldenen Ketten umwand und einen der sogenannten Unsterblichen ihr zum immerwährenden Hüter bestellte.

Neben den Ahorn stellt sich die Esche ( Franxinus), der sagenberühmteste Baum des Nordens. In der Völuspa heißt es:

Eine Esche weiß ich steh'n,
Heißt Ygdrasil,
Ein Hochbaum, benetzt
Mit weißem Nebel.
Von da kommen die Taue,
Die in die Täler fallen;
Immergrün steht er
Ueber Urdas Brunnen.

Sie war der Weltbaum, der aus der Erde ragend das Firmament trägt, das Bild des über Land und Meer hingespannten Himmels; und nach einem ebenfalls nordischen Mythus bildeten die Söhne Börs aus einer Esche und einer Erle das erste Menschenpaar. Selbst der noch heute, auch unter Slawen verbreitete Glaube, daß die Schlange den Schatten dieses Baumes fürchte und fliehe, wird zuletzt auf altgermanische Anschauungen zurückgeführt werden können. Vgl. Froschmäusler, 2. Buch, 4. Teil, 4. Kap.:

Ich bin von den Alten gelart,
Der Eschenbaum hab diese art,
Daß keine Schlang unter ihm bleib,
Der Schatten sie auch hinweg treib,
Ja, die Schlang eher in« Fewer hinleufft,
Ehe sie durch seinen Schatten schleifft.
Es mochte übrigens nicht sowohl die Schönheit, als vielmehr die Kraft und Höhe sein, welche der Esche die bedeutsame Stelle gab. Ebendeshalb ist sie in den altdeutschen Gedichten, mehr noch als die Eiche, ein Bild der Helden. So wird Walther von Aquitanien der sturmumtobten Esche verglichen, als er auf den Wasichenstein, von Günther und den Burgunden überfallen, dem vereinten Angriff widersteht. Damit stimmt das Lob im angelsächsischen Alphabet vollkommen überein:

Esche ist überhoch,
Den Menschen wert,
Fest im Grund,
Hält recht Stand,
Wenngleich sie anfallen
Viele Männer. –

In ähnlicher Weise war bei Griechen und Römern dieser Baum den Gottheiten des mordenden Kampfes geweiht, Daher Eschennymphen, Melische Nymphen (Μελία, die Esche). Ueber sie vgl. Hesiod. Theogon. v. 183 denn sein schwer zerbrechliches Holz lieh dem Speerwerfer die Waffe, und das lateinische fraxinus steht (wenn auch nicht so typisch als das altdeutsche ask) schlechthin für Lanze. Sie treibt den tüchtigen Stamm in gradem Zuge hinauf, ähnlich der Buche, nur daß ihre von gelbgrünen Flechten überzogene Rinde einen weicheren, bröckelnden Charakter hat. In der Höhe erst laden sich die Zweige aus, die dann edelgemessene Linien bilden. Ueberhaupt erscheint der Baum »stilisiert«; er erinnert an Poussinsche und Claudesche Landschaften. Am wenigsten schön ist sein Laub, dessen Sägeform unerachtet des hangenden Blattes einen etwas spitzigen Baumschlag erzeugt, der jedoch sehr schöne Herbsttöne annimmt. Bei alten Bäumen entfaltet es großen Reichtum, und prägt sich zu jenen plastischen Formen aus, um deretwillen die Esche auf den sogenannten historischen Landschaften vorzugsweise verwendet wurde. Bei jüngeren Bäumen ist es mager, in Büschel zerrissen. Die Akazie ( Robinia pseudacacia) gibt sich durch die mimosenartige Zartheit ihres Blätternetzes, durch das Arom der Blütentraube, sowie durch die schirmähnliche Verzweigung der etwas kahlen Aeste sogleich als Einwanderer zu erkennen. Auch wird sie von unserem Klima meist in einer gewissen Dürftigkeit, ja fast Kränklichkeit gehalten, und das scharfrissige Netz, mit welchem ihre Rinde durchfurcht ist, leiht ihr etwas Sprödes. Seine zierliche, man möchte zuweilen sagen, blumenhafte Statur eignet den Baum zu einem Schmuck öffentlicher Plätze, Brunnen und Schloßfronten; besonders gilt dies von der kleinen Kugelakazie, die an sich steifer, durch ihre satte Farbe und durch die runde Form in die Pfeilerlinien und Würfelkanten der grautönigen Architektur einen Wechsel bringt, ohne gerade zu verdecken oder zu beeinträchtigen.

Auch die Roßkastanie ( Aesculus hippocastanum) gehört ursprünglich einer milderen Zone an. Die Heimat der Roßkastanie, wie der edlen Kastanie, ist Persien, nach anderen jedoch die thessalische Stadt Castanca. Daß jene erst im Jahre 1550 nach Europa verpflanzt sei, scheint eine irrige Ansicht. Wohl aber verpflanzte sie 1576 Clusius (de l'Ecluse) aus der Türkei nach Deutschland. Die eßbare Kastanie aber wurde schon zu Cäsars Zeit in Italien eingeführt, und von hier zugleich mit der Weinrebe nach den Rheingegenden gebracht. Die meisten sogenannten »Kastaniengärten« am Rhein und Neckar sind noch römische Anlagen. Dennoch grünt sie am frühesten unter allen hier zusammengestellten Bäumen. Wenn im Strahl der Märzsonne allerhand Kräuter geschäftig hervorkommen, dann kochen und schwellen ihre großen harztriefenden Knospen, ungeduldig, die Winterhülle abzuwerfen. Nach einem ersten lauen Regen öffnet sich der grüne Fächer, dessen Stiel mit feinem kleinen Roßhufe keck auf die Zweige tritt, doch hängen die Blätter noch schlaff und schüchtern herab, wie eben ausgeschlüpfte Schmetterlinge. Aber in wenigen Tagen kommt ihnen Frische und Spannkraft, und nun strecken sie die Finger breit und seltsam umher, als wollten sie den Sonnenschein greifen. Dazwischen springt schon hier und dort ein Blütenkegel in die Höhe, und bald hat der Baum die festlichen Leuchter entzündet, Türmchen an Türmchen hebt sich kraus und weiß empor, und das Ganze flackert wie eine Frühlingsgirandole. Sind die Blüten gefallen, hat das üppig hervordrängende Laub alle Lücken gefüllt, so bleibt meist nur noch eine mächtige Blätterkugel, die in ihrer Monotonie eben nicht schön ist. Wohl aber läßt sich gerade um dieses regelmäßigen, symmetrischen Baues willen auch dieser Baum – wie die Akazie – mit Erfolg auf Promenaden, Straßen und Plätzen verwenden; und nicht deswillen allein. Auch seine vornehme Unbewegtheit, sein arabeskenartiges Blatt, seine tiefen, undurchdringlichen Schatten eignen ihn zu solchem Schmuck und machen ihn selbst in der ernsten Stille eines Klosterhofes zur ansprechenden Erscheinung.

In stattlich gemächlicher Breite, mit kräftigen Aesten, entfaltet sich der Nußbaum ( Juglans regia). Die Zweige, die sich leicht gebogen hinausschwingen, treten von unten auf voll um den Stamm und dehnen sich weit umher; oben aber gliedern sie sich zu einem ansehnlichen Wipfel, wenn nicht Frost seine Entwicklung hindert, gegen den das ursprünglich dem Süden angehörende Gewächs ( Welschnuß!) besonders empfindlich erscheint. Die Rinde ist glatt und hellfarbig. Sie sowohl als das herbduftige, langgeschlitzte Laub stimmen zu der strotzenden Wässerigkeit dieses Baumes, der in unseren Knabenerinnerungen mit der Dorfschule und ihrem Meister unzertrennlich verwachsen zu sein pflegt. Die knappen, festen Schalen mit ihrem Milchkern, so lockend ausgehängt und so kunstvoll erbeutet: das sind heitere Punkte des Jugendlebens, und wir begreifen nicht recht, was unsere Ahnen trieb, den gesegneten Früchtespender gerade der Nacht und ihrem schwarzen Gefolge zu weihen. In Rom stand auf dem Platze der Kirche del popolo vorzeiten ein dickbelaubter Nußbaum, in dessen Aesten böse Geister hausten. Papst Paschalis II. tat den Baum in den Bann, er wurde gefällt, und die Kirche vom Volke erbaut. Der Nußbaum tritt nach dem Glauben der Väter der dem Licht- und Blitzgott geheiligten Eiche gegenüber; beide können nicht nebeneinander stehen, ohne zu Grunde zu gehen, wie ja auch Schwarz- und Weißdorn von altere her verderbliche Feindschaft gegeneinander tragen. So ist der Erbhaß zwischen Ormuzd und Ahriman auch in den Frieden der Pflanzenwelt gedrungen. Ja der Talmud, der in dem Nußbaume den Baum des Gelüstes sah, weiß zu erzählen, daß jeder Stiel desselben neun Blätter habe und auf jedem ein Teufelchen sitze. – Einen desto freundlicheren Sinn hat es, wenn die Nuß in den mittelalterlichen Allegorien als Sinnbild der Wiederschöpfung gefeiert wird, oder wenn sie, wie der Apfel, der erotischen Symbolik dient. Sie ist der Kern, aus dem das erstorbene Leben stets wieder aufsproßt; in dem grünen Ei liegt die Gewähr neuen Wachstums.

Wir übergehen die

Obstbäume.

Schon der Name sagt, daß ihre Bedeutung nicht in ihnen selbst, sondern vielmehr in der Frucht liegt. Ihr opfern sie in der Tat Schönheit und Größe, wie ja das Nützliche nur seltener auch das Schöne ist. Einen ästhetischen Stoff können diese Bäume daher nicht bieten, und es gehört zu den Seltenheiten, wenn Maler sie als Staffage verwenden. Viel trägt zu dem nüchternen Eindruck derselben unstreitig schon der Umstand bei, daß wir sie nicht in der Freiheit der Natur erblicken. Der Poesie von Wald und Feld entrissen, stehen sie als Diener und Nährer des Menschen in der Umzäunung seiner Gärten, von seiner Kunst »gezogen« und »geschult«. Aber auch abgesehen davon ist die Gestaltung wirklich das Unscheinbarste an den Obstbäumen. Ohne kräftigen Stamm, ohne augenfällige Höhe, ohne malerisch ineinander greifende Verzweigung gleichen sie morschen Holzgestellen, und ihr trübes, graugrünes Laub ist nicht geeignet, sie zu beleben.

Am unbedeutendsten ist die Kirsche. Sie tritt oft kaum aus einer gewissen strauchartigen Dürftigkeit heraus, und selbst die durchsichtige beerenähnliche Frucht, wie schön immer, scheint diesen Eindruck nur zu verstärken. Dies fühlt man auch noch im Anblick jener gewaltigen Bäume, welche in den Voralpen so häufig an Straßen und Dörfern stehen. Es sind starke Bäume, mit deren Höhe die winzige »Vogelkirsche«, aber auch die feingraue, oft seidenglänzende Rinde einen sonderbaren Kontrast bildet. Hingegen machen nun allerdings Birn- und Apfelbaum zuweilen eine Ausnahme. Der erstere namentlich erhebt sich öfter zu bedeutender Größe, seine Blätter haben einen frischen Glanz, die Zweige schließen sich zu runden Wipfeln. Zugleich ist er der einzige Fruchtbaum, der hier und da noch verwildert umhersteht. Aus den Kornfeldern ragen sie dann mächtig empor; ungleich jenem sagenhaften Birnbaum im Walserfeld, dessen Wiederaufgrünen den letzten großen Weltkampf verkündet, deuten sie den stillen Segen des Anbaues: trauliche Sammelplätze der Schnitter und der Alten, wie das Goethe in Hermann und Dorothea schön gezeichnet hat. Der Apfelbaum ist niedriger und flacht seine Zweige meist zu Schirmdächern ab; man erkennt die Vorsorge, mit welcher er die sonnenbedürftige Frucht dem reifenden Strahl entgegenhält. Er gehört an das Strohdach des Bauern, in den Grasgarten, auf die Landstraße.

Den einzigen Reiz gewährt den Obstbäumen ihre Blüte. Was wäre der Mai ohne sie? Welche Ueberraschung, wenn dann zuerst der Pfirsich über Nacht aufsteht, alle Zweige schimmernd, wie ein purpurnes Wunder des Frühlings! Wie leuchtet der duftige Schnee des Kirschbaumes! Kein grüner Punkt ist zu entdecken in der grünenden Fülle. Wie rosig dämmert's um den bienendurchsummten Apfelbaum! Wie schön, wenn Windeswehen Tausende von Blättchen herabwirbeln und taumeln, niedliche Trinkschalen, aus denen taudurstige Käfer nippen! – Der Zauber der Frühlingsverjüngung tritt gerade hier besonders ergreifend entgegen, und mit den Blüten am Baum erwachen die im Gemüt. Aber bei alledem ist dieser Schmuck im Grunde doch zu hinfällig und zu winzig, um ästhetisch und physiognomisch in Betracht zu kommen: »die kleinen Kinder wollen gegen den Vater nichts heißen« (Vischer). Wer hätte denn auch schon blühende Bäume gemalt? Es müßte gelupft und spielerisch aussehen.

Dasselbe gilt von den Früchten. Der dralle Ball des Apfels, die gelbe Honigglocke am Birnbaum, die saftschwellende, flaumumhüllte Aprikose, alle die Gaben Pomonas hangen doch nur wie ein Nürnberger Weihnachtstand an den Bäumen. Sie lachen und winken mit ihren roten Wangen dem Knaben, der sie erklettert, dem Wanderer, der sie herablangt, dem Fahrenden, dem sie sich bequem in den Schoß legen. Es ist der Genuß, der an ihnen reizt. Oder wer, wenn er an lauen Tagen im Baumschatten lagert und nun plötzlich die reife Frucht aus der Stille über ihm herabschlägt, wer dächte nicht eben ans Suchen und Essen?

»Ueber Rosen läßt sich dichten;
In die Aepfel muß man beißen.«

Auch der Farbenreiz, mit dem das Obst uns ergötzt, ist nicht viel mehr als ein sinnlicher. Auf ihm beruht das schöne Bild, in welchem Sappho die errötende Braut dem Apfel vergleicht,

»Der rotwangig erglänzt an dem obersten Aste des Baumes,
Hoch im Wipfel dort oben – er ward beim Brechen vergessen,
Nein, nicht ward er vergessen, doch war er nicht zu erreichen.«

Tritt eine andere, tiefere Stimmung hinzu, so kann es nur die bewundernde und dankbare sein, in welche der Reichtum der Naturgaben den fühlenden Menschen überall versetzt. Uhlands Lied auf den Apfelbaum spricht diese Stimmung in herzlicher, gemütvoller Weise aus, ohne daß der Dichter sich etwa verleiten ließe, den Baum um der Schönheit willen zu preisen. Er ist ihm der wundermilde, gesegnete Wirt, der den Hungrigen und Durstigen labt – nichts weiter, und so wollen, dünkt mich, die Obstbäume insgesamt angesehen sein. Ihre Aufgabe ist: zu »tragen«.


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