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III. Der Nadelwald.

Natur! hier fühl' ich deine Hand
Und atme deinen Hauch,
Beklemmend dringt und doch bekannt
Dein Herz in meines auch.

Fr. Schlegel.

In großem Maßstabe wiederholt die Ueberkleidung des Erdreichs durch geselliges Gras und Kraut der Wald. Hoch und weithin bedeckt er den Boden. Er sammelt zahllose Pflanzengeschlechter um sich her, birgt und erhält zahllose Tiere, und die Wolken des Himmels und die Quellen der Tiefe nähren sich aus seinem Schoße. So umschließt er eine ganze Welt. Die Natur, in der wir sonst fast überall der Arbeit des Menschen begegnen, ist hier mehr als irgendwo noch mit sich allein, und indem sie ihre Stille und alle die verborgenen Wunder öffnet, versinkt hinter uns das gewohnte Dasein mit seinen Kämpfen und Wirren.

Der Wald wirkt daher ganz anders als Heide und Wiese. Könnte mann jene elegisch, diese naiv nennen, so würde er romantisch heißen dürfen.

Denn der Wald hat ein Mysterium. In ungestörter Ursprünglichkeit schafft und webt die Erdenkraft blühendes und welkendes leben, Licht und Dunkel, Düfte und Farben, die kühnsten und die zartesten Gestalten mischen sich labyrinthisch durcheinander, und allenthalben raunt geheimnisvolles Flüstern. Der klare, herrschensgewohnte Sinn des Auges sucht umsonst nach einem Maß in dieser lebenstrunkenen, üppig verworrenen Fülle, während das Ohr von tausend leisen schwebenden Stimmen wie in Traum gesungen wird, und am Ende vereinigt sich alles zu einem einzigen großen und ahnungsvollen Gesamteindrucke. Wie wenig anderes in der Natur regt er die Phantasie auf. Aber der Zauber des Waldes ist ein heilender, aus seinem Liede hört der Dichter den Gesang der Himmel, und aus seinem Odem weht Frieden in die Seele.

Hier quillt die träumerische,
Urjugendliche Frische,
In ahnungsvoller Hülle
Die ganze Lebensfülle;

Es rauschet wie ein Träumen
Von Liedern in den Bäumen,
Und mit den Wellen ziehen
Verhüllte Melodien.
(Lenau.)

Allein wer so den Wald preist, pflegt dabei vorzugsweis an den grünen Hag zu denken, wo zwischen Eichen- und Buchenstämmen die Birke sich schaukelt, wo unter Hasel- und Brombeergesträuch Maiblume und Waldmeister duften, die Anemone weiße Sterne säet, und im Grase eine Sylvie ihr Nestchen baut.

Und allerdings zeigt nur das Laubholz die volle Schönheit des Waldes. Der Nadelwald ist ihm gegenüber arm und reizlos, und ungastlich schließt er das Tor, während jener mit tausend offenen Armen winkt. – Sein höchster Mangel ist der des Laubes. Zwar fehlt es auch ihm nicht ganz; aber aus dem lieblichen Schmuck ist beinahe eine Waffe geworden, denn streng alles Leben in sich zurückziehend, umkleidet sich dieses Baumgeschlecht mit einem Gürtel dunkler, starrer Spitzen. Wer erkennt in seinen grätenartigen Nadeln noch das Blatt? Sind das jene immer bewegten, immer flüsternden Zungen des Waldes? jene zierlichen Fächer, in deren durchsichtigem Gewebe die Lichter buhlend spielen? jene luftigen Flügel, die im Frühling unsere Seele so freudig mit in den Himmel hoben, und die im Herbst so matt herabfallen und auch uns zurufen: Hinab! hinab!? Ein welkes Blatt, langsam und lautlos niedersinkend zu tausend lautlos dahingesunkenen Blättern, vom mitleidigen Strahl leise und doch vergebens umspielt – o wie rührt dieser Anblick immer von neuem das Gemüt! Im Nadelwald tritt er uns nicht entgegen, und wie wir da das Sterben der Natur nicht sehen, so sehen wir da auch nicht ihre verjüngte Lenzgestalt. Es scheint, als sei die Nadel ohne Empfindung des Lichtes und des Lebens. Der Frühling, der Winter geht an ihr vorüber, und wenn sie nach Jahren, ja nach einem Jahrzehnt vom Baume bricht, sprangen längst unzählige andere hervor.

Ebenso dürftig-einfach als der Blattwuchs ist auch die Zweig- und Stammbildung und selbst die Umgebung der Bäume. Hier (im Schwarzwalde) darf man nicht die wechselvollen Gestalten und Trachten des Laubholzes suchen. Einförmig steigt die gerade Linie der Stämme empor, in regelmäßigem Winkel ein Stockwerk von Zweigen auf das andere setzend. Der ganze Umriß des Waldes ist scharf, wandartig-starr und dicht, die lockeren Linien der Laubbäume fehlen durchaus. Kein duftiges Geisblatt, kein flatternder Hopfen schlingt seine Windungen um den ehrwürdigen Trotz alterszerrissener Stämme; keinen lustigen Busch, keinen blühenden Dorn dulden die düfterschattenden Gänge; spärlich unterbrechen Blumen den Moosteppich, und auch das Lied der Vögel klingt einsam durch die Stille. Nur das weichere Abendlicht scheint zu diesen Bäumen zu stimmen; das taufrische, heiterkräftige Bild eines Morgens im Walde gibt ein Tannicht verhältnismäßig am wenigsten.

Aber was dem Nadelwalde in dieser Weise abgeht, ersetzt sich in anderer, und niemand wird den dunkeln Forsten des Harzes oder des Erzgebirges charakteristische Schönheit absprechen wollen. Schon daß sie allein fortgrünen mitten in der weißen Nacht des Winters, ist ein Vorzug, welcher viele Mängel aufwiegt und diese Wälder dem Menschen gleichsam näher ans Herz pflanzt. Am wenigsten schön ist der Kieferwald (Föhre, Pinus silvestris). Ueber sandig« Ebenen hinziehend, mit einer trübstaubigen, schwülen Atmosphäre erfüllt, ermüdet sein ödes Einerlei, das noch entschieden an die Unwirtlichkeit der Heiden erinnert. Die monotone Linie des Bodens läßt die Monotonie der Pflanzenform in ihrer ganzen Armut hervortreten. Nur am Rande, wenn Wind und Sturm die Flanken des Waldes fassen, heben sich aus der Masse einzelne malerische und oft bizarr verknorrte Bäume ab. Aber wir verlassen sie, und nachdem uns Ahorn und Buche ein munteres Geleit hinauf gegeben haben zu den Hügeln und Bergen, empfängt uns oben, auf freieren Gipfeln, die ernste Pracht der Tanne (Weißtanne, Abies pectinata) und Fichte (Rottanne, Abies excelsa, Ricea vulgaris).

Mit diesen Bäumen deckt sich der Rücken unserer Gebirge, und hierher gehören die grünen stolzen Türme. In der Fläche würde auch der Tannenwald nicht viel wirken. Auf den Stuhl der Wolken, wo aus granitnen Pforten die Wildwasser brechen, stellen sich die Mauerstürmer und pflanzen siegendes Leben. – Ein kleines geflügeltes Samenkorn ist mit den Frühlingslüften aufwärts getrieben, endlich ist es müde in die Mooshülle der Felsen gefallen. In der warmen Feuchte keimt es, streckt suchend die Wurzelfinger umher, klammert sich an den geöffneten Spalt und saugt die Nahrung einer Erdkrume. Je tiefer, je dreister steigt es hinab. Tau und Nebel und licht kommen dem Flüchtling zu Hilfe, der Sprühregen des Gebirgs wird seine Amme: mutig und schlank wächst er hinan. Aber der Geist der Berge hat ihn gezeichnet. Dichter zieht er um sich den Nadelmantel, schwerer senken sich die Zweige, es ist über ihn gekommen, wie ein dunkles Geheimnis. So steht auf ihrem Throne die Tanne, die Fichte, als fühle sie ein Sehnen nach dem Rauschen der Haine dort unten, als horche sie vergebens in die Wolkenöde hinauf nach dem uraltgoldenen Märchen vom Frühling und seinen Blumen und Nachtigallen.

Und zu Millionen drängen sie sich über die Höhen, hinab zu den Schluchten und wieder hinan, reihenweis übereinander emporsteigend: ein einziges, in immer gewaltigeren Bogen hinausgreifendes Waldmeer, dessen Wellen plötzlich erstarrten. Denn so dicht und fest stehen die Wipfel zu den Füßen des Wanderers, als könne er über sie hinschreiten, bis wo dort die Bergketten zu Tal ziehen und ferne flimmernd die Ebene sich dehnt. Nur eine Farbe sieht das Auge, aber in welchen unendlichen Abstufungen und in welcher unendlichen Ruhe! Vom Schwarz beschatteter Klüfte, durch Lichtgrün sonnebeschienener Höhen geht es fort in dunstendes Grau, in schieferiges Blau und schwimmt immer weiter, immer zarter hinaus bis zum duftigsten Gedämmer des Horizonts. Da und dort wallt die langsame Dampfsäule eines Meilers oder die wirbelnde eines Hochofens empor, wie Inseln leuchten die Bergwiesen, während die nackten Giebel der Felsen abenteuerlich-wild hinunterblicken. Draußen aber über die Ferne gleiten breite Wolkenschatten, eine Flußlinie blitzt auf, eine Ruine, ein Turm hebt die graue Spitze aus dem Schimmer. Und das alles liegt weit und verschollen hinaus. In diese Einsamkeit dringt nichts von dorther, und man denkt an Uhlands Wort:

Wir sehn in die weiten Lande
Und werden doch nicht gesehn.

Der heiße Sonnendunst lagert sich dichter. Die Waldnacht winkt in ihre endlos dämmernden Hallen. Aber durch sie hin zieht schwermütig-einsame Stille, und das Auge blickt staunend und fragend die Pfeiler hinan, deren schwarze Zweige wie Trauerfahnen herabhangen. Die Sphinx des Waldes, das alte Naturrätsel, tritt den Menschen an: das Ahnen und Sehnen der Kreatur ergreift seine Seele. In der Tat, wenn irgend etwas in der Pflanzenwelt an die große Verwandlung und Erlösung zum Leben mahnt, welcher alles Geschaffene entgegenringt, so ist es das ragende Dunkel, die schauernde Stille dieser Wälder. Die Wasser rauschen von den Hügeln in alle Lande, das Ewige zu suchen; das Feuer richtet sich geraden Zuges zum Himmel hinauf es zu finden: so gleicherweise türmt das Gebirge das Gedräng seiner Gipfel empor, und darüber hinaus schauen die Waldhäupter, die Warten der harrenden Erde. Und wie das Gemüt in gläubigem Sinne die Hieroglyphe der Natur sich deutet, so erzählen auch dem betrachtenden Forscher diese Baumgestalten von den erschütternden Wandlungen des Erdlebens. Sie führen ihn zurück in jene unvordenklichen Zeiten, da die Feste noch unbetreten von dem Fuße des Menschen, unfähig höhere Formen zu entwickeln, sich in das Gewand nadeltragender Wälder hüllte, da ungeheure Wasserstürze die finstern Waldinseln unter Trümmern begruben und in langem Wechsel aus der Zerstörung neues Leben wuchs, um von neuem unterzugehen. Jene Lager der Steinkohle, welche unserem Gewerbefleiße unerschöpfliche Schätze geöffnet haben, sind ja nichts anderes, als die Riesengräber untergegangener Nadel- und Farnvegetationen, und Jahrtausende haben an ihnen gebaut. Daher blickt uns denn wirklich von diesen Bäumen statt des jugendfrischen Antlitzes der Gegenwart ein altersgraues der Vorzeit entgegen, und jene Waldpatriarchen im grotesk-ehrwürdigen Schmuck ellenlanger Flechtenbärte scheinen wie Häuptlinge, die ihre schwarzen, verfolgten Völker sammelten, um hier oben, in der Wildnis der Berge, eine Zuflucht zu suchen. Und freilich, Kultur und Barbarei, beide haben seit Jahrhunderten unermessene Waldstrecken niedergeworfen. Deutschland, Frankreich, Spanien waren nach den Zeugnissen der alten Römer von großartigen Waldungen bedeckt; selbst über viele jener steppenähnlichen Heiden schattete vormals prangender Baumwuchs. Und der edelste dieser Bäume, die »durftgesalbte« Zeder, durch deren Schatten einst Israels fromme Harfe klang – wer wüßte nicht, daß sie längst aufgehört hat, der Stolz des Libanon zu sein, und schon fast selber zu einer heiligen Sage geworden ist?

Doch die Phantasie sucht nach anderen erfreuenderen Bildern. Sie durchbricht die melancholische Verschlossenheit umher und findet auch hier überall Leben und Wechsel. Das Auge unterscheidet den frischgrünen Schimmer junger Nadeltriebe von dem satten Dunkel der älteren, den strafferen Wuchs der Tanne, mit gehaltenem, derben Geäst und keck aufgerichteten Zapfen von dem weicheren des Schwesterbaums und dem dichten Behang seiner Zweige und Früchte. Jene baut hohe Kuppeln, diese gipfelt sich zu Pyramiden. Dazwischen tritt wie verschüchtert mit den lockerzerflirrenden Nadeln die Lärche ( Pinus larix), und über alle den Bogen und Spitzen haucht der Odem des schlafenden Waldgeistes. Langsam und ruhig sausen die Nadeln, zuweilen lauter aufwallend und dann wieder leise ausschwingend, als verrinne droben der Strom der Lüfte. Es liegt etwas wunderbar Stillendes in diesem Getön; alle Leidenschaft löscht aus, alle Hast des Strebens ist beruhigt. Und würziger Duft quillt nieder. Voll und warm schwellt er die aufatmende Brust, und wie ein längst vergessenes, plötzlich uns entgegenklingendes Jugendlied mit einem Male die alten lieben Bilder weckt, so zieht mit diesem stillen Duft, der um die Christnachtfreuden der Kindheit wehte, wonniges Erinnern in die Seele.

Aber auch zu unseren Füßen sproßt und regt sich Leben in Fülle. Dann und wann steckt ein Trupp von Pilzen die Köpfe hervor. Giftrote Fliegenschwämme stellen sich prunkend um den alten Ziegenbart, dessen wunderlich wirres Haupt mit herabgefallenen Nadeln bedeckt ist, oder ein anderer dieses Dämmergeschlechts breitet seinen mückenumsummten Teller aus. Hier zwischen Steintrümmern und Platten wuchert dichtes zähes Gebüsch der Preißel- und Heidelbeere. Fußhoch steht es, und tropfengleich hängen daran die zarten Blüten; auch die fremdgestaltige Moorbeere zeigt sich mit seinem, frischem Myrtenblatt, und dazu gesellen sich tausendfühige, tausendfingrige Flechten und Moose. Ueber Stein und Stamm und Pfad ziehen sie die lebenzeugende Decke. Hier sind es lange Fasern oder Fäden, da kriecht es raupenartig hin und dort wieder sind es Korallenzacken; bald tragen sie ein Hörnchen, eine Tasche, einen Becher und bald ein luftiges Hütchen. Unerschöpflich wechseln die Formen dieser zwerghaften Pflanzenlarven und -masken.

In einer Sandblöße zeigen sich dem schärferen Auge Trichterchen, klein und regelmäßig, als habe ein Lüftchen sie mit spielendem Finger gebildet. Es sind die Festungen des Ameisenlöwen. Bis zum Kopfe im Grunde versteckt, lauert das listige Insekt auf seine Beute, und sobald eine Fliege, eine Ameise an den Rand des Kraters gerät, beginnt es einen Hagel von Sandkörnchen zu speien und setzt das Bombardement so lange fort, bis das Opfer zur Tiefe sinkt und unter den Zangen des Wegelagerers sein Leben läßt. Nicht weit davon sonnt sich eine Kreuzotter. Unwillkürlich schreckt der Fuß zurück vor der widrig unheimlichen Kreatur. Aber kaum hört sie den nahen Schritt, so löst sich die schillernde Spirale und gleitet raschelnd ins Heidekraut.

Wo aus verborgenen Zellen Wasser sickert, da riecht es frisch und kühl, und auf den dunkeln Samt streut der Sauerklee sein Blätterdrei. Die liebliche Pyrola (Waldmangold) stellt sich ein, nach Schneeglockenart das weiße Blumenrad neigend, der Stern des Schirmkrauts ( Trientalis europaea) grüßt, Adlerfarne wiegen ihre Wedel, der Huflattich entfaltet das große unbewegte Tropenblatt. Wie gern folgt man dem grünen Saume, dem unter Blöcken fortbrodelnden Wasser nach! Es führt durch trauliche Kammern und Nischen, unter eng verschränkten Bogen hin, von denen die Nadeln rieseln. Ueber uns hat das Eichhorn Haus und Scheuer, hackt von Baum zu Baum fliegend der Specht, gurrt die Wildtaube. Ein Reh springt erschreckt unter Epilobiumstauden in die Höhe. Seine zierlich aufschnellenden Läufe schlagen knackend zusammen, und ehe man's noch recht gesehen, ist es verschwunden. Inzwischen hat sich am Himmel eine dunkle Wolkenlast zusammengeballt, und Bergfink und Ammer, die Regenstimmen des Waldes, werden laut. Bald weht es feucht und wird tiefstill. Der Wald steht atemlos lauschend. Jetzt rollt ein Donner langsam in die Ferne hinaus. Ein Augenblick noch, dann stäubt es die langen Rücken heran, mit einem Male alles verhüllend und verlöschend. Brausend strömt der Guß herab, aber unter dem dichten Zweigdach steht man sicher und horcht mit Lust in die Musik des Regens, in das Rauschen und Rieseln, in das Gepoch und Geklopf des Wassers allenthalben. Und bald blickt die Sonne siegend wieder hindurch. Ueber fernen Gründen verdampft die feuchte Fülle und wandelt in Nebelgewinden um die Kuppen, dort von neuem sich zu sammeln. Denn der Wald ist der große Wasserspeicher der Länder. Ebensogut wie in den Boden ist er auch in die Luft gepflanzt. In sie greift er hinauf, und wie der Blitzableiter den Blitz, so zieht er die Wolke zu sich hinab, fängt mit den grünen Schirmen Regen und Schnee, häuft sie in seinen Kammern, und läßt sie in Quellen und Bächen oder als Nebel und Gewölk wieder in die Ebene hinausziehen, Leben und Gedeihen zu verbreiten.

Der schwülen Spannung ist inzwischen erquickende Frische gefolgt. Auf den Erdbeerblättern und den Ranken der Waldwicke schimmern Tropfen. Der Harzgeruch zieht wie ein Weihrauch durch die Bäume, und mit ihm mischt sich das Gewürz der Beeren.

Die Bäume schreiten abwärts, breite Gassen öffnend. Gras sproßt auf, saftige Halme nicken, weißblütiges Labkraut ( Galium) zieht saubere Stickereien durchs Grün, ein Grasmückchen läßt sich vernehmen. Alles weist talhinunter. Da fällt hoch durch den Gurt der Wipfel ein Strahl, und gleich einem Sonnenflügel streift er bis tief vor uns zum Boden hinab. Lichtelfen ziehen die goldene Leiter auf und nieder; sie halten ihre Kerzen an die dunkeln Stämme, daß sie leuchten, hinter den Kanten des Granitblocks schießen sie blitzende Pfeile hervor, und wo dort aus dem Nadelhaufen klugspitzig ein Farnkraut schaut, zünden sie es an, und so seltsam heimlich gleißt das grüne Flämmchen, als wolle es uns zu gefeiten Schätzen winken.

Hört ihr drunten das Rauschen und Murmeln? Es ist ein rühriger Bach, der eine Bretterschneide treibt. – Wie schultert das Brausen des Sturzes, das Schwingen der Räder, das Arbeiten der Säge so wundersam durch die Stille! Sauber geschnittene Bretter liegen geschichtet, daneben Stämme übereinandergerollt; frischer Holzgeruch erfüllt alles umher. Aber man sieht keinen Menschen, das graue Mittelding von Haus und Hütte scheint für sich selber zu schroten und wie zu irgendeinem Märchen zu gehören. Man fühlt sich beengt und steigt gern aus dem Druck des Tales zur Berglehne hinauf.

Ein ganzes Purpurfeld zieht da empor: nichts als Fingerhut! Oben aber dröhnt die Art; dort treiben die Holzschläger ihr Wesen. Sie fällen die Fichte, die Tanne, die vielhundertjährige Eibe. Die Scheiter werden geklaftert, große Blöcke gespalten oder gesprengt; in einer Grube knistert bei kleinem Gezweig ein Feuer. Auch die Waldwand gegenüber ist bloßgelegt. Mächtige Stämme werden im Frühjahre gehauen und ihrer gerbstoffreichen Rinde beraubt; nun liegen sie in langen Rinnen, in »Holzschurren« umher, in denen sie später den Berg hinabgeschleift werden. Wie riesige Gebeine leuchten sie herüber, wirr und starr hingeworfen: auch dies ein Bild des »langhinstreckenden« Todes. Sprechen sie schon so stumm daliegend die Phantasie an, so noch ungleich mehr in ihrem Fall und Sturze selber. Wer schon einem Holzschlage zugesehen, der wird bekennen, daß es eine aufregende, ja fast eine ergreifende Szene ist. Zwei, drei Fuß über der Wurzel setzt die Säge ein. Sacht, sicher dringt sie vor, frißt immer tiefer ins Mark, und ihr schriller Ton wird dumpfer. Aber unerschüttert ragt der Baum in die Lüfte. Um seinem Wipfel spielt noch froh das Licht und manch bunter Flügel, er schaut noch prangend und freudestolz über Höhen und Täler hinweg, und hinweg auch über die Menschen, die unten ihn stürzen werden. Indes hat schon die Säge ihr Werk getan; der Stamm ist bis zu zwei Dritteilen durchschnitten. Nun werden die Keile in den Schnitt gesetzt. Die Holzhauer greifen zur Axt, und gellend hallt ihr Schlag durch den erschreckten Wald. Ein Zittern geht durch den Stamm – ein Schwanken – die Krone sinkt vor den schwindelnden Blicken oben durch die Luft, erst langsam, dann schnell, und im wachsenden Uebergewicht immer jäher, bis sie brausend, krachend, splitternd durch alle die grünen Nachbararme hindurchschlägt. Unter dem donnernden, alles verschlingenden Sturz bebt der Boden. Ein dunkles Echo rollt durch die Tiefen des Gebirgs, und dann ist's still, und keine Zweigspitze rührt sich mehr.

Ist die Fichte gefällt, so quillt aus dem Stumpfe noch lange der Saft, bis endlich die Wurzel abstirbt. Aber mittlerweile deckt sich die Blöße mit Grün. Das Kreuzkraut mit seinen fliegenden Samen säet sich an, den Vögeln zur Lust; nach Jahren folgt ihm die hohe Glockenstaube des Fingerhuts; erst wenn auch diese ausgelebt haben, kommt Gras und Erdbeere und manche andere Blume herbei, und zwischen ihnen schaut ein neues Geschlecht von Waldschößlingen empor. Acht Jahre daure dieses Zwischenreich des Kreuzkrauts und des Fingerhuts, sagen die Holzschläger.

Weiter ins Dickicht hinein sammeln ihre Buben die Fichtenzapfen. Die schöngeformte Frucht, die auch in dem knappen Gefüge ihrer Schilder noch den gleichsam kristallinischen Charakter des Nadelholzes spiegelt, liegt zu Bergen gehäuft, und in den harzigen Samen wühlen Heere von Ameisen. Hier ist das Sammeln derselben eine leichte Kinderarbeit, dagegen ist sie auf den Höhen, wo die Tanne herrscht, ungleich mühevoller. Denn bei diesen letzteren Bäumen drängen sich die Zapfen nach oben, kerzenartig auf die Zweige tretend, und da in der Maiwärme mit den reifen Samenkörnern auch der ganze Schuppenleib sich löst, so müssen sie im Herbst gebrochen und geschlagen werden. Das ist dann oft ein wagehalsiges Stück. Doch der Zapfensucher klettert mit der Gelenkigkeit einer Katze bis in die schwindelnde Spitze, und stehen die Tannen dichter, so schnellt er wohl zuweilen, den Wipfel im festen Schluß der Knie beugend und schwenkend – ein kecker Reiter – mit einem einzigen Satze auf die nächste Baumspitze hinüber, um sein Geschäft von neuem zu beginnen.

Bergan, talab führt der dunkle Pfad. Wir überschreiten wilde Klippenfelder, wo der Falke kreist, wo der Marder lauert, im Gestrüpp die Nachtschwalbe schläft. Schnarrend, wie ein fliegendes Rad, fährt sie beim Schall der Tritte auf. – Es ist ein großartig wüstes Trümmerbild, das uns umgibt. Unter diesen steinernen Schwellen, tief im Geklüft, grollt der Wildbach; hierher schleudert das Wetter seine Blitze, hier tobt die wilde Jagd der Winde. Verwitterte Baumruinen stehen umher, Waldgespenster, die starre Arme emporheben und uns grausig-skurril anglotzen. Der Sturm schlägt die gewaltige Fichte mitten durch, daß sie knickt wie ein Halm, und hat ein solcher Windbruch (»Gotteshau« nennt ihn in frommem Sinn der Erzgebirger) einmal eine Lücke gerissen, so ist damit ein Angriffspunkt gegeben, von dem immer zerstörendere Wirkungen ausgehen.

Wie kontrastiert gegen dieses Chaos die freundliche Bergwiese! In sanftgeschwungener Linie, oft muldenartig vertieft, liegt sie ruhig in dem dunkeln Tannenrahmen: ein reizender Teppich, gegen welchen keine Wiese der Ebene kommt. Kamille, Orchis, gelb und roter Klee, Ampfer, Vogelwicken, zahllose würzige Kräuter drängen sich aus dem Grase. Hier schwirrt der Bergfink um tauige Kelche, bunte Schmetterlinge schweben darüber hin, aber jetzt in der Dämmerung kommt das Reh zur Weide. Denn immer tiefer dunkelt es zwischen den hohen Stämmen, und langsam zieht das Gebirge in den Abend hinein. Schon ruft auch die Baumeule über uns hin, in den Gründen beginnt's zu murmeln, am Wege die alten Fichten ächzen, alles reckt und streckt sich phantastisch-formlos, so daß man eilender das Licht eines Gipfels sucht.

Dort glühet die Sonne aus. Wie aus Graals heiliger Schale ergießt sich segnend der purpurne Strom. In das niederbrennende Rot auf den Höhen schlagen die Glocken der Täler, und nun verhallen auch sie; aber durch die Bäume wandelt mit schwarzen Augen die Nacht.


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