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Nichts bedingt vielleicht mehr die Schönheit einer Landschaft, wie nichts mehr den mütterlichen Geist der Erde ausspricht, als die Vegetation. Allerdings bestimmen auch Luft und Licht, Berg und Strom wesentlich die Physiognomie der Natur, und diese Elemente können auch ohne jede Zutat höchst bedeutsam wirken: die Strandklippe, der Katarakt kann einen großartigen Eindruck hervorbringen, Steppe und Wüste mit erhabenen Schauern erfüllen; aber wie fern ist dieses Starren der Seele von dem Frieden und der Freude, welche das stille Blühen der Pflanzen, ihr erquickendes Grün, die Fülle und der Reiz ihrer Formen gewährt! Gewiß, den schönen Gesamteindruck einer Landschaft vollendet erst die lebendige Vegetation, wenngleich auch ihr bizarre und selbst unheimliche Erscheinungen nicht fehlen.
Vor allem schön und charaktervoll steht das Geschlecht der Bäume da. Darum ist auch von jeher der Wald in Liedern verherrlicht worden und »Waldeinsamkeit« noch immer das Zauberwort der Romantik. Und was ließe sich auch mit diesem Naturheiligtume vergleichen? Kühn steigen die Säulen hinauf und treten zu stolzen Hallen zusammen, darüberhin schlagen die Wipfel den luftigen Bogen, und wie ein ferner Hymnus säuselt das Wehen des Windes in die Stille. Aus Moos und Blumen duftet's balsamhaft-kühl, Strahlen und Tropfen und Blätter schwanken durch das Gezweige und weben ihre Hieroglyphen in den Schleier der Dämmerung, der den Sinn geheimnisvoll umfängt und ihn mit unsichtbarer Gewalt ins Reich der Wunder trägt. So der Wald, der liebliche Irrgarten des Märchens und der Sage.
Aber auch der einzelne Baum ist eine Gestalt voll Leben und Bedeutung. Der Flieder neben der Hütte, die Linde am Brunnen, die Weide über dem Grabhügel: sind sie es nicht, welche diesen Stellen ihren Reiz, ihre poetische Weihe geben? Man sehe den Baum darauf an. Da ist von der Wurzel bis zur Spitze des Blattes ein so besonderes Weben und Sprossen, ein so eigentümliches Spielen von Farben und Formen, es prägt sich in dem Ganzen ein so bestimmter Typus aus, daß es gewiß eine würdige Aufgabe wäre, die großen Gestalten der Baumwelt einmal in einer Reihe von Charakterbildern darzustellen.
Einer solchen Darstellung würde der Baum nicht mehr die Leiche sein, welche der Botaniker skelettiert; er müßte ihr zu einem lebendigen Gedichte des Naturgeistes werden. Mit andern Worten, es wäre keine naturhistorische, sondern eine ästhetische, jedenfalls eine gemütvolle Betrachtung. Und auch diese wird ja ihr Recht haben. Sie wird es um so mehr haben, als in ihr zumeist der Naturgenuß beruht, und gerade in ihr ein besonderer Zug oder Vorzug der deutschen Bildung gefunden werben darf. Wir spiegeln uns selbst in der Natur; der ahnungsvolle Dämmerschein, mit welchem sie uns anspricht, läßt in ihren Krisen den Kampf menschlicher Leidenschaften, in ihren Gebilden menschliches Empfinden erblicken; Baum und Quell erzählen uralte Rätsel, der Vogel singt bedeutungsreiche Lieder, die von lautern und weisen Herzen, wie sie unser Volk seinen Sagenhelden zuschrieb, verstanden werden; nichts ist da ohne mitfühlendes Leben. Die ganze Welt schlägt in lichten Seelenflammen auf »wie ein lebendiger Brand vor Gott«. Dieser Zug zur Natur scheint in der Tal dem lyrischen, wenn man will, mystischen Wesen der Deutschen eingeboren. War doch die alte Volksreligion eben vorzugsweise ein solcher tiefsinniger Waldkultus, und die Axt des Heidenbekehrers konnte wohl den Baum niederstrecken, aber nicht den Sinn, der ihn geheiligt hatte. »Die Ehrfurcht und die Scheu vor dem Schatten ihrer Wälder, vor dem Rauschen ihrer Kronen, vor dem Gesang ihrer Vögel in den Wipfeln, vor dem Rieseln ihrer Quellen blieb in den germanischen Stämmen. Hatte man ihre Götter daraus vertrieben, so blieb ihre Geisterwelt darin wohnen. Das wilde Heer sauste durch den Forst, der getreue Eckart saß auf dem Stein, viel tausend Wasserweibchen, Zwerge und Waldmännchen bewohnten die deutsche Erde. Und auch der gute fromme Christ schlich zuweilen an die Quelle und unter den Baum, um ihren Eingebungen zu horchen.«
Um so ferner lag die »sentimentale« Weise der Naturbetrachtung den plastischen Alten. Sie kannten nur den Bezug auf Heroen und Götter. Die »vernunftlose« Natur diente ihnen nur als äußerliches Mittel zum äußerlichen Zwecke; höchstens daß sie als Staffage, als Schauplatz der großen Weltgeschicke, einen flüchtigen Blick erhielt. Mag doch Sokrates nicht spazierengehen, weil er von Bäumen und Tieren nichts lernen könne! – Zwar zieht nun der antike Mythus die ganze Natur in seine Kreise: Aeolus gebietet dem Heer der Winde, in der Quellengrotte schlummern Najaden, aus dem grünen Wipfel lauscht die Dryas usw.; aber diese Belebung hat immer einen abstrakten Schein und ist jedenfalls weit verschieden von der innigen Versenkung des germanischen Gemüts in das geheimnisvolle Leben der Naturkräfte. Daher mag es sich denn auch erklären, daß die hellenische Kunst, die der unsterblichen Muster so viele aufgestellt hat, in der Landschaftsmalerei kaum einen Versuch machte, und daß diese letztere vielmehr völlig selbständig, ohne alle ältere Vorbilder »gleich einer Minerva aus Jupiters Haupte« erst im Beginn des siebzehnten Jahrhunderts mit einem Male hervortrat. Ungleich näher lag jene Vermenschlichung bei den Tieren. Die Fabel der Griechen und Römer, wie sehr sie in ihrem epigrammatisch-verständigen Zuschnitt absteht von der innigen Heimlichkeit und behaglichen Breite unseres Tiermärchens, beweist immerhin, daß auf diesem Gebiete auch das klassische Altertum wenigstens Sinn und Anlage zeigt, die unter anderen Voraussetzungen sich reicher hätten entfalten können. So wie nun fast jedes entwickeltere Tier einen bestimmt ausgeprägten Typus hat, eine wirkliche persona ist: so möchte dies annähernd wohl von den meisten Bäumen dargetan werden können. Ein jeder von ihnen charakterisiert sich wenigstens durch eine eigentümliche Physiognomie und Stimmung. Er hat ein Leben, es schläft in ihm eine Psyche. Dieses unausgesprochene Geheimnis der Pflanzenseele auszusprechen, wäre ein freilich vielleicht ebenso schwieriges als ohne Zweifel interessantes Unternehmen. Wie alle Physiognomik auf dem schwanken Boden der Subjektivität stehend, würde eine solche Darstellung kaum mißtrauisch genug gegen sich sein können. Augenblickliches Gefühl, phantastische Laune täuschen das Auge mit Formen und Farben, die dem ruhigen Blicke in Nebel zerrinnen. Individuelle Beziehungen beherrschen uns, die Anschauung wird unwillkürlich zu einer Art Manier, und statt aus der Natur heraus, gewöhnen wir uns in sie hinein zu empfinden. Ich schweige von der sprachlichen Schwierigkeit. Wem die Sprache mehr ist als eine Schablone, der weiß, wie auch der geschmeidigste Ausdruck oft zu spröde ist, den warmen Naturhauch des Gefühls voll zu bewahren, und klar zu gestalten, was in ihm dunkel treibt. Und wie vieles ist hier eben nur Gefühl! Aber ärmlicher noch muß die Sprache bei all ihrem Reichtum erscheinen, wenn es darauf ankommt, das unendliche, wechselnde Spiel der Linien und Lichter zu bezeichnen, womit die Natur uns entzückt und immer von neuem überrascht. Das ist ein Gebiet, auf dem nur die Kunst des Malers zu folgen vermag, und doch kann die in Rede stehende Darstellung sich ihm nicht entziehen. Endlich wird diese Aufgabe noch ganz besonders dadurch erschwert, daß die ursprüngliche Natur des Gegenstandes unter den mannigfaltigen Einflüssen sich verdunkelt und bricht. Anders erscheint die Eiche auf der Höhe, anders im Thal; anders die Birke am stürzenden Bach, anders am ruhigen See. Der einsam stehende Baum, die Gruppe, der Wald, der Baum bei seinesgleichen oder mit andern zusammengestellt: das alles bietet eine Skala der verschiedensten Stimmungen. Dazu nehme man die Wirkungen des Lichts, der Tages- und Jahreszeiten. Was für ein Gegensatz zwischen der sonnigen, brütenden Ruhe des Mittags und dem geisterhaften Traumleben der Mondnacht, zwischen der jugendheitern Frische des Frühlings und der elegischen Verschleierung des Herbstes! Was für ein feenhaftes Bild, wenn der Reif seine Diamanten in die schwarzen Tannenkronen hängt! wie wundersam wirkt der Nebel! welche Wehmut liegt im Abendrot, welche Sehnsucht in dem blauen Dämmerhauch der Ferne! Und dennoch wird bei alledem immer ein besonderer, eigentümlicher Eindruck zurückbleiben, und die Bedeutung, welche Märchen und Sage, Sitte und Kunst diesem oder jenem Baume gegeben haben, darf – so vielen beirrenden Einflüssen gegenüber – als ein nicht zu verwerfender Leiter gelten. Denn auch sie beruht ja vorwiegend auf der ästhetischen Anschauungsweise.
Diese Weise einschlagend will ich jetzt versuchen, auf den nachfolgenden Blättern eine Skizze unserer norddeutschen Waldbäume zu geben. Eine Skizze, nichts weiter. Das Bild selbst, das gerundete, durchgeführte, gedankenbeseelte verlangt eine Meisterhand, wie Humboldts oder Vischers. Daß ich die von beiden gegebenen Andeutungen benutzen durfte, bewahrte mich vor manchem Abweg, was ich um so dankbarer anerkenne, als ich, seit Jahren des Anblickes von Berg und Hochwald beraubt, hie und da wohl genötigt war, aus der Erinnerung zu zeichnen.