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IV. Der Laubwald.

– Hier lebt des Lebens welche Fülle!
Ein stummes Rätsel, das sich nie verraten:
Die Pflanze ist sein Bild und seine Hülle,
Und allwärts grünen seine stillen Taten.
Die Wurzel holt aus selbstgegrabnen Schachten
Das Maß des Stamms und treibt es himmelwärts.
Ein rastlos Drängen, Schaffen, Schwellen, Trachten
In allen Adern –

Lenau.

Wie der Nabelwald die Gipfel der Gebirge sucht, so tritt der Laubwald gern auf Hügel und Ebenen herab. Jeder stimmt zu der Eigentümlichkeit seines Standortes: der düsterunbewegte Baumwuchs dort ist nicht charakteristischer als der luftigheitere hier. Näher gerückt an die Grenze der menschlichen Wohnstätten grüßt der Laubwald im Spiel seiner schwankenden, tauigen Wipfel wie mit heimischerem Laut, und indem er mit der Mannigfaltigkeit seines Grüns das Land überkleidet und die Linie des Gesichtskreises wechselnd bricht, verleiht er der Niederung den ausdrucksvollsten landschaftlichen Schmuck. In welche Fernen er sich auch verliere, fesselt er immer den Blick und lockt den sehnenden Sinn als ein klingender, singender Garten der Wunder.

Wirklich hat die Pflanzenwelt in ihm die ganze Fülle ihrer Kräfte und Reize offenbart und ein Bild entfaltet, das je nach Milde oder Strenge des Himmels, nach Form und Fruchtbarkeit des Bodens, nach Alter und Zusammensetzung der Vegetation sich auf das überraschendste verwandelt. Wie schön, wenn im Frühling der Hauch wärmender Lüfte die starren Bäume rührt und sie nun den Schnee von der Schulter werfen, wie ein drückendes Gewand, und wieder frei hinaufstreben in den jugendlichen Aether! Um die Birke zieht das schüchterne Laub wie ein sonniggrüner Nebel, die Buche wölbt die Kuppel, und auch um die schwarzen Zacken der Eiche schimmern golden Tausende von Knospen. Alles treibt und ringt hinauf, hinaus ans Licht. Dann wieder im Herbst. Welche unendliche Ruhe liegt da über den Wipfeln! Wie neigt sich alles zur Rüste! Zwar steht an geschützten Stellen wohl noch ein einzelner Baum im Grün, aber drinnen die hohen Laubgänge leuchten rot und gelb, als blicke farbendämmernd das Licht durch bunte Kirchenscheiben; jedes Blatt glüht aus wie eine stille Flamme – dann fällt es – das Licht verlöscht. Und selbst der winterliche Wald übt noch seinen Zauber. Oder wen hätte es nicht ahnend ergriffen, wenn er in die verödeten beeisten Hallen hinaustrat und überall das stumme bleiche Glänzen lag? Man glaubt in einem Mausoleum zu wandeln – da faßt ein Windstoß alle die glitzernden Säulen und Säulchen, daß sie durcheinander klingen und klirren, ein blitzendes Splittern geht die Wände hinab, bis wieder alles die alte Ruhe deckt.

So bietet der Laubwald immer neue und immer poetische Szenen.

Aber er ist nicht allein ein Schmuck, sondern auch ein Erhalter und Nährer der Erde. Für die Schönheit desselben mag es sogar dem Wilden nicht an Empfindung fehlen; die große kosmische Bedeutung des Waldes aber lernten erst die späten Zeiten einer alles brandschatzenden Kultur würdigen. Erschreckt haben sie erkannt, daß die Vernichtung der Laubwälder gleichsam den Boden unter ihren Füßen aushöhle, und daß ihre Arbeit, wie sie einst mit dem Chaos begann, fortschreitend mit dem Chaos enden müsse. Denn mit den zahllosen Fächern seiner immer bewegten Zweige und Blätter erregt der Wald, einem Wehre vergleichbar, den Luftstrom zu unaufhörlichen Kreisungen; Gase steigen in ihm auf und ab; was dem Menschen- und Tierleben Verderben bringen müßte, atmet er begierig ein und haucht es wieder aus als Luft des Lebens; Wolken und Nebel, Regen und Tau, Ströme und Quellen gebiert er in seinem Schoße, und die länderdurchschweifenden Winde sättigt er mit nährenden Elementen. Wie in den Alpen der »Bannwald« den Sturz der Lawine hemmt, so wehrt er am Meeresufer dem Zuge des Dünensandes, und während er um die Saat des Nordländers einen wärmenden Mantel hüllt, deckt er sie im Süden vor dem Strahl der sengenden Sonne. Wo die Laubwälder vertilgt sind, da nehmen die Winde jene Eigenschaften an, welche ihnen Hippokrates beilegt: sie streichen trocken über die Flächen, Vampyren gleich das Mark der Erde saugend, und statt, wie die Orphiker von ihnen sangen, Träger des Lebens zu sein, zeugen sie Siechtum und Tod. Man erinnere sich der Campagna, die seit Jahrhunderten in eine fieberbrütende Oede verwandelt liegt. Oder man durchwandere die Westküste des Baltischen Meeres und sehe, wie die Düne leisen, aber sicheren Schrittes ins Land schleicht und über ehedem fruchtbare Striche das zehrende Nessushemd wirft. Meilenweit führen die Winde den losgewühlten Staub, bis dichte Vegetation einen Damm entgegensetzt. Aber auch diese vermag, ihrer alten Vormauern beraubt, auf die Dauer nicht mehr zu widerstehen. Bald versinkt das Unterholz in der Ueberwehung, selbst die ältesten Bäume erliegen. Denn in alle Fugen und Poren, in die verborgensten Adern des Stammes und Geästes drängt sich die erstickende, versteinernde Saat, und die Menge der gebrochenen und mastgleich emporstehenden Säulen mehrt sich von Jahr zu Jahr, und immer tiefer hinein verfolgt man die Siegeszeichen der Verheerung. Und mit dem Absterben des Pflanzenlebens verschwand auch das Menschenleben von diesen Strecken. Viele Dörfer, in denen sonst Fischer und Hirten sich nährten, sind vom Sande begraben.

Doch ist Deutschland wenigstens nicht waldarm zu nennen; der Süden ist sogar reich daran. Im Norden unseres Vaterlandes aber zeigt die Tiefebene noch manches frische, selbst großartige Waldbild, und über die Berge Thüringens und des Harzes spannt sich noch wie vor alters der rauschende Boden. Man wird eben nicht fragen dürfen, wo die schönere Waldlandschaft sei. Denn der Wald entwickelt hier andere Eigentümlichkeiten als dort, und wenn es gilt, ein allgemeines Charakterbild zu entwerfen, wird es erlaubt sein, den Blick wechselnd auf beide, auf Höhe und Niederung zu lenken.

Was den Laubwald, zumal in der Ebene, sogleich vom Nadelwalde unterscheidet, ist das vor ihm her und in ihn hineinziehende Unterholz. Das Tannicht springt plötzlich und mauerartig hervor, aber den Laubwald melden lange zuvor die Gruppen der Sträucher und Büsche an. Schwarz- und Weißdorn zeigen den Weg, Brombeer kreuzt umher, die Hasel mit schlanken Schossen, sprödzackiger Maßholder, Buschweide, Faulbaum und Pfaffenhut mischen sich ein, und unter ihrem Gezweige blüht Ehrenpreis und Gundelrebe, summen Bienen und Hummeln. Es ist ein krauses, fröhliches Gewirr von Dorn und Blüten, Stumpf und Loden. In den Senkungen wächst hohes Riedgras, und wo ein Wässerchen sich verhält, steht Schilf und Iris. Der feuchtschwarze Boden verrät alte Fruchtbarkeit. Bei jedem Fußtritt schwankt er elastisch; aber bald führt ein fester Damm waldeinwärts.

Birken drängen sich anmutig herbei und dunkelblickende Erlen; über sie hinweg schaut die alte Ulme mit wüster Hopfenperücke auf dem Haupte. Sie nicken und winken weiter, immer weiter hinein in die Waldburg selber, wo Eiche und Buche sich sammeln. Und schon sind wir mitten in ihren irren Gängen. Atem der Gesundheit strömt aus allen Röhren, der saftige Geruch ringsum verkündigt das unerschöpfte Leben der Natur, das stumm die großen Wunder tut. Fremd und bekannt weht's uns an: es ist, als habe ein Meer geheimnisvoller Kräfte sich ergossen, und mit jedem Schritte senkt sich's tiefer, stiller in die Seele. In diesen Frieden scheint der alte Haß nicht dringen zu können, der die lebendigen Geschlechter entzweit; hier umrauscht uns die nahe Gottheit selber, wir sehen, wir hören droben ihren Gang, und ihre Ferse trieft von Segen. So war schon unseren Vorfahren der Wald ein Haus der Götter, und wie der altrömische Philosoph Senec. Epist. XLI: »Zeigt sich ein dichter Hain mit alten Bäumen, die über die durchschnittliche Höhe hinausgewachsen sind und wird der Anblick des Himmels durch das verworrene Geflecht der Zweige verdeckt – so erzeugt der hohe, stolze Wuchs und das Geheimnisvolle des Raumes und die Seltsamkeit des Schattens, der im Freien so dicht und zusammenhängend ist, den Glauben an ein Göttliches.« Wer erinnert sich dabei nicht an die bekannte Stelle des Wandsbecker Boten: »Ich gehe niemals durch den Wald, daß mir nicht einfiele, wer doch wohl die Bäume wachsen lasse, und dann fühle ich so von ferne und leise etwas von einem Unsichtbaren, und ich wollte wetten, daß ich dann an Gott denke, so ehrerbietig und freudig schauert mich dabei!« Ueber den im Text berührten Waldkultus der Germanen und anderer Völker ließe sich manches anführen. Man denke nur an den heiligen Hain der Semnonen (Tacit. Germ. 39) und an die heiligen Eichen und Linden, deren es so viele gab. Gewiß waren unsere Vorfahren nicht so roh, die Bäume selbst anzubeten, sondern sie verehrten dieselben, weil sie die Götter in ihnen thronend dachten, weil wahrscheinlich bei ihnen geopfert und die Häupter der Opfertiere an ihren Zweigen aufgehängt wurden. An einen solchen Opferbaum erinnert noch die Fabel »der wolf und diu geiz« bei Grimm, Rein. Fuchs 301 ff. Die christlichen Bekehrer weihten dies: Bäume, falls sie dieselben nicht niederhieben, gewöhnlich der Jungfrau Maria, und daher mögen zum Teil noch die wundertätigen Gnadenbilder an alten Eichen, Linden und Buchen stammen. gesteht, daß er nie den Hain betrete, ohne von Schauern des Unendlichen ergriffen zu werden, so sagt «in frommer Christenlehrer Bernhard von Clairvaux. Es heißt bei Gerhard, Loci theol. Tom. I, p. 94: »Bernhard von Clairveaux sagt von sich selbst, das Beste, was er gelernt habe, sei ihm in Wäldern und auf Feldern beim Nachdenken oder im Gebet eingefallen, er habe keine andern Lehrer gehabt als Eichen und Buchen.« Ebenso liest man in Francisci Petrarchae »Trostspiegel«(Frankfurt 1572, Blatt 141): »Der heil. St. Bernardus, der ain fürträffenlicher man an kunst vnd leere gewesen, bekennet, er hab kainen anderen Leermaister nie gehabt, denn Eychbaum und Buochen.« der Vorzeit, daß ihn die erhabensten Entzückungen in der Stille des Waldes überkommen seien, und daß er keine beredteren Lehrmeister gehabt als die Bäume seines Heimattals. Unsere Dome endlich mit den kühn aufspringenden Pfeilern und den vielgebrochenen Bogen – was sind sie anders als steinerne Waldhallen, als die Natur in ihrem herrlichsten Schmuck auf das christliche Kreuz gestellt?

Und wie in alten Tempelräumen fließt's dämmernd um Wurzel und Wipfel. Allenthalben webt das Grün seine duftigen Schleier, von Licht zu Schatten, von Schatten zu Licht verschwebend, und beschwichtigt und ahnend zugleich sinkt der Blick in die Tiefen. In der Tat, wenn in allen den andern Farben der Erde immer ein verborgener Hader der Elemente gährt und glüht, so atmet hier Ruhe und Fülle. Dies Grün,

»der Zeuge des ewigen schönen Lebens der Welten«,

fällt wie ein linder Tau in Sinn und Seele. Es quillt und schwillt in tausend Blättern und Halmen über uns, unter uns, nah und fern, und mit ihm verschmilzt das himmlische Blau zu einer Herrlichkeit.

Ueberall ruht heiter-ernstes Schweigen; nur hoch durch die Wölbung klingt rauschend der Zug der wandernden Lüfte. Zwar auch der Tannenwald rauscht. Aber dort ist es immer der eine mächtig-breite, schwermütig-dumpfe Grundton, als rolle fern ein Meer. Hier in den vielverschlungenen Bogen und Lauben, wie unendlich wechselt da das luftige Spiel! Man hört das Flattern der Espe und das Geschwirr der Büsche, das Brausen der Eiche und das Rascheln am verdorrten Reis. – Aus Wolkenklüften springt die Windsbraut! Hochherschreitend, wie im Klange der Waffen, kommt sie gezogen und stürzt sich über die Gipfel: die alten Kronen schwanken, die Aeste beugen sich knarrend, und alle die hundert und tausend Stimmen münden zusammen in ein Titanenlied. Das ist der Schlachtgesang des Waldes. Aber die Wolkenrosse stürmen vorüber. Leiser wehen die Lüfte, sie flüstern, sie säuseln, sie rieseln dir zu, nur in weiter Ferne klingt's verworren nach, und um die Glöckchen der blauen Blume spielt noch ein neckender Hauch.

Wie malerisch windet sich die Linie des Fußsteigs durch's Dickicht, mit jedem Augenblicke neue Tore öffnend und schließend! Die Sträucher bilden dunkle Gänge. Sie fassen dich mit grünen Fingern, hauchen dir entgegen, hauchen dir nach, rühren dir die Schulter und du blickst um, halb erschreckt, als rufe etwas hinter dir. Da liegt eine bunte Feder. Dort fliegt ein Rotschwänzchen vom Neste auf. Hier stehen ein paar Pilze, die sich viel wissen mit ihren spitzen Mützen. Hüte dich! Es ist die Ehrenwache irgendeines Koboldkönigs; sie werden dich weglos immer tiefer ins Zauberverließ locken. Hüte dich! ruft das warnende Vögelchen. Aber du bist gefangen, ehe du's noch weißt. Die Eichen schlagen ihr Sturmdach immer zackiger zusammen, immer grandioser schwingen sich ihre dunklen Leiber hinauf, und wie um alte Turmzinnen schlingt Efeu die Ranken hinan. Die Hagebuche hat längst den schlanken Schwesterbaum verdrängt. Aus ihrem eisenharten Stamm quellen seltsame Wulste, die zwischen struppigem Zweiggewirr fratzenhaft hervorblicken. Auch der freundliche Teppich verschwindet, nur die Orobanche (Schuppenwurz, Lathraea squamaria) streckt ihren Totenfinger aus dem Moder, und eine Ophrys zeigt ihr Hexengesichtchen. Es wird dumpfstill. Du hältst den Atem an, du lauschest und horchst. Aber du hörst nichts, als fern aus den innersten Tiefen den Ruf des Wiedehopfs, oder über dir das Knarren eines Astes, den Schrei eines Raubvogels.

Alles verkündigt, daß wir aus dem heiteren Garten der Feen uns in das düstere Reich gespenstischer Unholde verirrt haben. Die Dämmerung umher ist zur Nacht geworden, der fromme Waldfriede dem Alpdruck der Furcht gewichen. Dort jener schwarze Kolk, blickt er uns nicht an wie ein starres, gebrochenes Auge? Die Nymphäen, die eine breite Straße darüber ziehen, sind es nicht die Fußstapfen finsterer Wassergeister? Die Birken hangen tief und stumm hinein; auch das immer flüsternde Schilf steht unbewegt. Das Grauen der Wildnis, ihr ewiges Gebären und ihre ewige Vernichtung zeigen sich in allen Abstufungen. Uralte Stämme liegen umher, gebrochen, zerborsten, verwittert, wie Sturm und Blitz sie niederwarfen; andere stehen rindenlos, oft bis aufs Mark verfault, empor oder hangen mit losgerissener Wurzel zwischen Leben und Tod. Oft auch brach ein Baum mitten in der Fülle der Kraft und stürzend schlug er ganze Reihen zu Boden. Aber die Verwesung selber zeugt immer neues Werden. Auf der Leiche des Gefallenen drängt sich schon wieder ein anderes Geschlecht gigantisch empor, und wo nicht Bäume den Grund bedecken, da starrt in undurchdringlicher Dichte wüstes Gestrüpp und wucherndes Buschwerk. Betäubender Dunst lagert am Boden; bricht ein matter Sonnenstrahl herab, so steigt er auf und vermehrt nur noch das Schrecken des Chaos. Hier ist nirgends ein Pfad – selbst der Holzfäller wagt diese Stätte nicht zu betreten, denn allenthalben schleichen trügerische Wasser, die sich unter einem Filze gährender Moose verbergen oder zu grundlosen Sümpfen zusammenrinnen. In ihnen brütet ekelhaftes Gewürm; aber zur Nachtzeit steigen Irrlichter auf und schweifen mit blauen Flammen ums modernde Geweih des Elens, und über die Wipfel heult der Uhu. Die altmärkischen Wälder, insbesondere aber der Urforst von Hasbruch im Oldenburgischen haben dem Verfasser die Motive für die obige Schilderung gegeben. Der letztgenannte Wald würde, auch abgesehen von der in seiner Nähe belegenen Cistercienserruine Hude, allein eine Reise lohnen. Das ist der Wald der Ebene, ein Stück deutschen Urwalds.

Schon muß man weite Striche durchwandern, um zu solchen Schauplätzen einer wildwuchernden Natur zu gelangen. Denn die Kultur schwingt immer schonungsloser ihre Waffe, reißt immer neue Trümmer nieder, und will man an kleinem Beispiel die Größe ihrer Opfer ermessen, so möge man sich etwa nur einmal daran erinnern, daß der Bau eines einzigen mäßig großen Kriegsschiffes über zweitausend völlig ausgewachsener Bäume, d. h. also den Ertrag von vierzehn Acker Waldland hinwegrafft.

Ehedem war das anders. Cäsar und Tacitus sprechen von Wäldern, die ganz Deutschland bedeckten, und Plinius Plinius H. N. XVI, 2. Ich führe die emphatische Schilderung wörtlich an: »In jener nördlichen Landschaft des Herkynischen Waldes geht die gewaltige Größe der Eichen, die, von der Zeit unberührt, mit der Entstehung der Welt zugleich entstanden und fast von einer unsterblichen Art zu sein scheinen, ins Wunderbare. Um andres, was unbestätigt ist, nicht zu erwähnen – sicher ist, daß ganze Hügel durch das Geschiebe der gegeneinander wachsenden Wurzeln aufgetürmt worden sind, oder daß sich, wo die Erde nicht mitgehoben wurde, Bögen wölbten bis zu den Aesten und im Andringen gegeneinander emporkrümmten wie offene Tore, so daß sie Reitergeschwader hindurchließen.« Ueber die Ausdehnung dieses Urwaldes sagt Pomp. Mela, I, III, 3: »Der Herkynische Wald erstreckt sich sechzig Tagereisen weit.« findet kaum Worte für die Großartigkeit der hercynischen Urforsten. Dort standen Eichen, Mitgeborene der Erdfeste selber, die unsterblich den Druck der Jahrhunderte zu überragen schienen. Unabsehbar drängten sich die Stämme, und ihre Wurzeln ineinanderklammernd hoben sie sich gleich gewaltigen Ringern selber empor, so daß die Erde berstend aufsprang und sich Tore wölbten, die weit genug waren, um ganze Reitergeschwader hindurch zu lassen. Und mit gleicher Bewunderung schildert zwei Jahrhunderte später der Dichter Claudian Claudianus Cons. Stilich. I, 288: »So daß man durch das ungeheure Schweigen des Herkynischen Waldes sicher jagen kann und unsre Aexte die auf die alte Religion trotzenden Haine und die Eichen, groß wie die barbarische Gottheit, ungestraft fällen.« Man vergleiche dazu das lebendige Bild, welches Lucan. Phars. III, 400 ff. von dem alten Druidenwalde bei Massilia und von dessen Zerstörung durch Cäsar gibt. Wie sieben Jahrhunderte später der Apostel der Deutschen bei Geismar, so ergreift der Römerfeldherr mit kühner Hand zuerst die Axt, und dem Zorne der heidnischen Götter trotzend schmettert er die geweihete Eiche nieder. Von dem Walde selber aber sagt Lucan. III, 422 ff.: »Nicht versammelt sich dort das Volk zu engerem Kult, sondern es weicht den Göttern, sowohl wenn Phoebus hoch am Mittag fährt wie wenn die dunkle Nacht den Himmel bedeckt, es scheut sich selbst der Priester herzutreten und er fürchtet den Herrn des Ortes anzutreffen.« die Schauer jener Waldwüsten und die Riesengestalten der Eichen, an denen die römische Axt den Kampf begann. Wer wollte diesem Kampfe sein Recht absprechen? Wer wollte die Zeiten zurückwünschen, in welchen die Saat des deutschen Ackers fast regelmäßig dem Froste erlag und der Rhein, den noch kein Rebenufer schmückte, Monate hindurch vom Eise starrte? Und nicht dem Pfluge bloß und dem Lichte der Sonne – jene eisernen Legionen haben auch dem anderen Lichte Bahn geschaffen, vor dessen Glanze das alte Heidentum erblich. Gewiß, wir danken dieser Kultur nicht weniger als alles. Aber es gibt auch einen Vandalismus der Kultur, eine Barbarei der Zivilisation, und diese ist es, die wir verklagen.

*

Doch wir wenden uns gern ab von solchen Erinnerungen. Denn noch winkt auf Hügeln und Höhen mancher stattliche Wald. Wie schön baut da das grüne Lustzelt sich auf! Wie schwillt und sinkt es im Fluß der Linien und Farben! Frei wiegt sich der Blick auf den bekränzten Firsten und verliert sich in dämmernden Buchten.

Ein Erlenpfad zieht gemach hinein; muntere Stimmen grüßen heraus: Grasmücke und Meise in den Büschen, im Wipfel Pirol und Häher, Finkenschlag und Drosselpfiff, und weit herüber ruft Kuckuck, der alte Waldprophet – Kuckuck! Wie schallt, wie hallt das in die Runde! Dazu blühen die Blumen so sorglos bunt; selber die Schnecke kriecht ohne Dach durch Gras und Moos. Draußen brennt die Sonne, aber laß sie brennen! hier wandelt sich's wie in kühlen Grotten. Jeder Baum ist ein Brunnen, dem aus jedem Blatt die süße Labe quillt, und wenn dir's nun frisch um Brust und Schläfe weht und dein Auge auf all dem tausendfältigen Leben haftet, das er mit seinen Armen deckt, so mag der milde Schattenspender auch dir wohl wie einer jener Patriarchenkönige erscheinen, die ihre Völker segnend und schützend um sich sammelten. Wer hätte das je im Nadelwald empfunden? Dort drücken die schroffen Wände schwül zusammen, selbst ihr Harzduft erinnert immer an Feuer, und mit den düstern, schweigenden Bäumen schweigt auch der Mensch. Aber hier, wo alles blüht und klingt und duftet, öffnet die volle Luft des Lebens wie von selber Herz und Mund und weckt das Echo mit Gesang.

Bemoostes Geröll wechselt mit samtnem Rasen. Der Weg klettert auf und ab durch dunkle Nischen, an sonnigen Plätzen vorbei. Manche zierliche Eidechse schlüpft darüber hin, auch wohl einmal ein Haselmäuschen, das erschreckt zwischen Wurzeln verschwindet. Rechts und links aber, durch Stamm und Zweig, tut unergründliches Grün sich auf. Da stehn, wie zum Reigen verschlungen, die Eichen, die trotzigen Waldhünen, die Birke wiegt ihr jungfräuliches Haupt im Licht, Ahorn und Buche spreiten die Fächer, und Geißblatt rankt duftend auf. Siehst du hoch oben im Wipfel das Eichhorn? Dort lauscht's mit klugen Augen. Und nun ein Sprung – ein Pfeifen – weg ist's! – nur die Blätter rauschen, nur die Zweige schwanken noch nach. Seitwärts in den Gründen glitzern und sprudeln die Wasser in hundert Rinnen munter hinunter. Herden läuten fern heran. Immer dichter, immer reizender verwirrt sich's umher. Durchs grüne Gegitter zucken silberne Lichter: alles schillert und atmet und wallt, und doch wieder ruht alles wie verzaubert. Auch die Libelle steht bewegungslos über Farnkrautschirmen, und der Weih dort oben im Blau scheint mitten im Fluge eingeschlafen. Du streckst dich ins Moos, in die einsame Stille. Es ist so süß ganz aufzugehen ins große Schweigen der Natur. Die Blicke sinken träumend hinab in die grünen Tiefen von Kuppe zu Kuppe und ahnen draußen das freie fernliegende Gelände, und nun wieder steigen sie die schlanken Säulen hinauf von Zweig zu Zweig durchs Geschling der Wipfel bis hoch ins leuchtende Blau, und weiße Wolken ziehen darüber hin, wie Traumbilder des Himmels, und du ziehst mit ihnen sehnend und selig durch die ewigen Räume. Aber während dein Auge schlummerberauscht sich schließt, geht dir ein neues Fühlen auf. In dem Sprossen und Drängen umher meinst du die Pulse der Erde näher und lauter klopfen zu hören, und möchtest lauschend hinabneigen zu den Lebensherden der Tiefe. Jeder Baum wird dir zur Welt.

Wie aus Quadern mauert sich der Stamm empor, faßt mit unzerreißbaren Ankern die Erde, aber mit der Krone rührt er strebend den Aether und läßt die Wimpel spielen. Und sprengt nun den Riesenleib die eigene Fülle – wie treiben und wirken die verborgenen Kräfte! Da schwillt der Zellen labyrinthischer Bau, Simse schwingen sich aus und Treppen, Kammern und Schreine sind aufgetan, und wie goldene Schlangen winden sich Adern und Ströme. Unsichtbare Hände keltern geschäftig in kristallenen Schalen der Elemente Mark und Saft, und tragen die Lebensspende auf und ab zu tausend Röhren. Hier sprudelt es wie ein Springbrunnen, dort sickert ein blitzender Tropfen, ein stilles Quellchen herab. Doch oben in den Giebeln hauchen die Erd- und Luftgeister ihren Odem ins zarteste Geäder. Da weben sie aus Himmelstau und Blumenduft den grünen Kranz. Zahllos sprießt Blatt um Blatt, und die Winde kommen und die Sonnenstrahlen und kosen um das liebliche Kind, und die Vögel singen ihm, und die Wolken tränken es; aber es vergeht, verweht nach kurzer Sommerlust, und nun schwebt es

»als freundlich bleiche,
Schimmerreiche
Leiche
Unter des Windes Klagen
Vom Herbste zu Grabe getragen.«
(Rückert.)

Das sind Waldträume. Wem hätte sie nicht schon der Mittag im Schatten der Buche erzählt? Und wen hätte nicht in solchen Stimmungen immer wieder mit alter Kraft das ewige Gleichnis der Natur ergriffen, das die Sagen Die Neger von Kordofan erzählen von einem Baume, el ségerat mohána (Baum der Vollendung), der so viele Blätter hat als Menschen leben. Auf jedem Blatte steht ein Name, und wird ein Kind geboren, so wächst ein neues. Wird ein Mensch krank, so welkt sein Blatt; soll er sterben, so bricht Afrael, der Todesengel, es ab. Vgl. Lepsius, Briefe aus Aegypten, Aethiopien und der Halbinsel des Sinai, S. 214. und die Dichter deuten?

»Gleich wie die Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen; Blätter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibt dann Wieder der knospenden Wald, wann neu auflebet der Frühling: So der Menschen Geschlecht, dies wächst und jenes verschwindet.« (Homer.)

Aber die volle mystische Glorie des Waldes sieht doch erst die Mitternacht. Wenn da der Mond sein Geisterlicht herabgießt und die Zweige von den Berührungen des Himmels flimmern und beben, dann wehen Ahnungen einer längst versunkenen Welt. Der Berg liegt wie ein schlafender Riese, und die Bäume stehen schwarz und groß. Nur zuweilen rauscht's in den Wipfeln auf, seltsam feierlich, wie Runensprüche. Ein Tauschen und Neigen geht von Baum zu Baum, und die alten Helden greifen träumend nach dem Schwert und ihre Nebelmäntel wehen. Durch's Dickicht schallt dumpf der Trott des fließenden Rudels und das Rufen der Hinde: denn auch die Tierwelt faßt es mit dunkler Gewalt und treibt sie irrend um. Dann sinkt alles wieder still zusammen, und die hohen Kronen ragen ruhig hinauf.

Aber lausche genauer! spähe schärfer! wie dennoch alles summt und atmet, spinnt und webt! Gleich elektrischen Flämmchen knistern die Blätter; in der gespaltenen Rinde der Bäume, in der aufgelockerten Erde wühlt und gräbt verborgenes Leben; ein Igel raschelt den Abhang hinab; ein Vogel flattert auf; tausend geheime ungehörte Stimmen schlagen ans Ohr, auftauchend und verschwindend, jetzt plötzlich nah und dann weit, weit hinaus verloren. Unbestimmt-bestimmt rinnt alles zusammen in ein melodisches schimmerndes Getön. Du weißt nicht, ist es das Licht, ist es der Bach, der so wunderbar rieselt, oder singt droben auf ihrem Kahne die Nacht, die einsame Himmelsseglerin, sich selber in Schlummer. Auf feuchtem Steine sitzt der Nix und strählt den greisen Bart, im Grase glimmen grüne Funken – das Elfchen rüstet sich zum Tanz und huscht vorüber.

»Vorüber jagt auf Flammenhufen
Erlkönig sein goldmähnig Roß,
Die Geige tönt, die Zimbeln rufen,
Er reitet auf sein Geisterschloß.«
(Lingg.)


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