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13.
Zwei hart Geprüfte

Hiernach blieb der Vorhang offen, der Dirigent erinnerte durch starkes Aufklopfen an die Fortsetzung des Konzertes, das Publikum ordnete sich wie vorher, das Orchester leitete die nächste Nummer ein.

Nicht zu vergessen: dies ist ein Konzert, kein Theater. Die Anspielungen auf eine Opernaufführung sind für Kenner bestimmt. Eine Auslese der Besten nimmt zur Kenntnis, was geboten wird, und schließt mit erprobter Sachlichkeit auf die bevorstehenden Leistungen der Bühne, die man erst noch eröffnen will. Vielmehr kann sie für gesichert gelten, bei diesem Andrang von Ehrgeiz, Kultur, Geldbedürfnis, und angesichts so vieler wohlhabender Greise, wie der Intendant sich ausdrückt.

Der Intendant war der Meinung, daß man eigentlich ohne weiteres zum Büfett übergehen sollte. Tamburini für sich allein hat das neue Opernhaus gerettet, es schwimmt nicht mehr weg.

»Ein Wunder von Stimme, die nächsten fünfzig Jahre hält sie vor«, sprach der Intendant, über die junge Künstlerin hinweg, zu dem Rüstungsmann, der zustimmte.

»Sie haben aber gesagt, er sei ausgesungen«, erinnerte die unschuldige Person den Fachmann der höchsten Grade. Im Hinblick auf ihren Beschützer gewährte der Intendant ihr eine Antwort:

»Das war vorher«, sprach er nachsichtig. »Und angenommen, liebes Kind, die Stimme wäre futsch, bleibt ihm bestimmt die zweite Gabe der Natur.«

Das liebe Kind verstand nicht, der Präsident aber nickte. »Maskotte«, sagte er und beschloß das Ding für alle Fälle noch zu »streicheln.

Nicht jeder fand es überflüssig, jetzt auch die Sängerin Alice zu hören. Sie hatte hier Schüler und Schülerinnen, ihre Verehrer überwogen, wo sie oftmals den Ausschlag geben, in den Hintergründen, bei der Jugend: diese ist kritisch sowohl als hochherzig. Sie wäre auch neidisch, aber das lohnt nicht mehr.

Eine Anfängerin namens Adrienne kam unlängst, nach einem der vorigen Triumphe der Meisterin, zu ihr gelaufen:

»Wie Sie jung sind, angebetete Frau!« schwärmte die Kleine.

»Aber Sie würden sich bedanken für meine Jahre und meine Anbeter«, antwortete Alice nichts weniger als gerührt; mit dem Fuß kehrte sie Chrysanthemen, Lilien, Rosen, alle dargebrachte Liebe des zahlenden Publikums kehrte sie beiseite. Die zufällige Zeugin hat hierüber ein eifersüchtiges Schweigen bewahrt, vergessen wird sie das Geheimnis nie. Wenn alles gut geht, ist es dereinst ihr eigenes.

Achtung, Auftritt Manon. Das Zeichen, sie gebührend zu empfangen, gab Adrienne. Sie erklärte: »Das Schwein von Intendant rührt keine Hand«, worauf die Umgebung ihre Pflicht begriff. Veranlaßt von den Hintergründen, begrüßte das Haus die Sängerin in voller Sympathie. Der Intendant winkte ihr vertraulich, sie erwiderte mit einer Handlung: den Haufen von Blumen, die sie im Arm trug, legte sie an der Rampe vor ihm nieder.

Übrigens hätte sie auf jede Weise den Arm frei machen müssen. Manon betritt den geistlichen Schauplatz nicht, um ihren Ritter zu bekränzen. So wäre als Ablage nur der Betstuhl geblieben, aber daneben, vom Kruzifix nahezu versteckt, wartete Tamburini, oder erwartete für sich gar nichts. Willig überließ er der Sängerin die Szene, die mit ihm zu teilen sie vorerst nicht gesonnen schien.

Der reizbare Richard Wagner flatterte dort oben, in Angst und Sorge, daß sie weder zu spät noch zu früh komme. Was will der Fremdling, dachte Alice und strahlte das Haus an; ihre Augen wurden bekanntlich bei jedem Auftreten schön. Ein altes Zirkuspferd wie ich, dachte sie und setzte von selbst ein.

»N'est ce pas ma main?«

Sie legte los. Das Haus war augenblicklich von ihrer Stimme voll; nicht nur hier und bis auf die Treppe hinaus, noch in dem entfernten Frühstückszimmer hätte jeder sie genossen, wie zuvor das Paar Nina-André, als sie mit Arthur probte. Gläser klirren lassen, erwies sich als Warnung schwächlich: nun der Ernstfall vorlag, dröhnten Köpfe, und Trommelfelle fühlten den Druck wie im Flugzeuge, wenn es am höchsten steigt. Alice bleibt wie sie ist.

Arthur sagte unverhohlen: »Sie brüllt.« Er stand damals im Mittelgang bei Nummer fünfundvierzig. Melusine ins Ohr fragte er angestrengt: »Muß sie so viel hergeben in einem Konzertsaal, der nur die Hälfte ist, und auf der Bühne kann sie sich knapp umdrehen?«

»Sie muß«, erklärte Melusine. »Denn sie ist da. Tamburini, haben Sie wohl bemerkt, hat die Weisheit, Abstand vorzutäuschen.«

»Wie?« fragte Arthur. »Er hat sie enttäuscht?«

»Er singt, je nach den räumlichen Bedingungen, zehn Meter entfernt oder zwei Jahrhunderte.«

Arthur, der schlecht verstanden hatte, behauptete auf gut Glück, das sei die Kunst.

»Die Kunst ist immer noch, uns zu betören«, gestand die Liebhaberin, die es bis heute gewesen war. Gehört zu werden, gab sie auf und wünschte es nicht. »Wer mich von mir selbst befreit, der ist mein Freund«, sagte sie in undeutlicher Erinnerung an einen gläsernen Sarg, den sie leider durchaus nicht mehr angenehm fand. »Der Künstler ist er bestimmt«, schloß sie laut und mußte husten.

So heiser und so schön, sprach Arthur bei sich, und für Melusine: »Alice war immer nur ein Kehlkopf.«

»Den hat eine große Frau«, berichtigte sie, auf einmal vollkommen klar. »Wenn eine es weiß, bin ich es.«

»Ich verstehe«, sagte er und hätte sie gern auf ihre blendende Schulter geküßt. Die schwarze Fünfundvierzig baumelte daneben, Arthur ließ sie verschwinden.

Die tönende Altersgenossin dort oben breitete sich herrlich aus. Zugegeben, sie ist keine Manon oder geträumte Wiedergekehrte der holden Zeiten. Sie macht nichts anderes gegenwärtig als die Sängerin Alice, aber oho! mit ihr ist nicht zu scherzen, wie unverzagt hatte man über den Krüppel doch lachen können! Hier, die große Robe und Kraft der Gestalt gebieten Ernst. Die breiten Schenkel sind nicht zum Vergnügen prall eingespannt, ein wuchtiger Fuß schlägt die Schleppe weg, vor jedem Gang der Person und ihres gehorsamen Scheinwerfers die Rampe entlang.

Alice ist da. N'est-ce pas ma main? Ihre Hand ist da, und nicht allein die Hand, die im Format, in der Gliederung das Muster einer Hand vorstellt: sondern sooft sie auf die Brust gepreßt, immer wenn sie anschaulich gespreizt oder erhoben wird, funkelt das Armband. Ein nie gesehenes Armband, kein Mensch erinnert sich seiner, mit ihm und der Frau, die es trägt und um sich blitzt, geht heute Außerordentliches vor. Dramatisiert es! Ah!

Für das Ah! des Hauses dankt die Sängerin Alice. Mindestens bestanden Zweifel, was gemeint sei mit der beiläufigen Beugung ihrer Schenkel. Der Sinn und Vortrag der Arie hätte allenfalls begründet, wenn Manon, ein leichtes Persönchen, in den Knien zitterte. Aber Alice? Die zittert nicht. Sie ist, den Kehlkopf abgerechnet, die Ausstellerin eines unwahrscheinlichen Schaustückes, seinen Eindruck wird sie beileibe nicht übergehen.

Kein Schauspieler, und spräche er seine besten Sätze, vergißt seine Krawatte. Eine natürliche, robuste Alice betäubt die Leute mit Geschmetter ohnegleichen, sie müssen sagen: darüber hinaus geht es nicht. Den schlagartigen Sieg ihres Armbandes sollte sie mit Wegsehen quittieren? Das verhüte ihr guter Geist! Ah!

Die Fürstin Babiline war es, die ihre Anerkennung in die treffendsten Worte kleidete: »Elle est un peu la«, rief sie ihrer gesamten Nachbarschaft zu. »Elle m'assourdit et me foudroie. C'est a n'en pouvoir plus, on s'ecroule à force d'être ravi!«

Was sie mitzuteilen versuchte, wurde zugedeckt von dem riesigen Organ der Sängerin. Gleichwohl triumphierte Madame Anastasia, als hätte sie selbst dieses Haus betäubt, niedergeblitzt und vor Entzücken hingestreckt. Sie saß auf keiner Klappe mehr, sie schwebte darüber, ihre Demütigungen waren gerächt.

Auch diesem Gefühl gab sie Ausdruck; eine geschulte Dame wurde redselig:

»Et ce cher Tamburini?« fragte sie Personen, die nichts hörten, »Mais il s'est évanoui, l'artiste insigne, l'incomparable bossu.«

Eine Frau, die ihr Rang davor hätte bewahren sollen, niedrig zu denken, stellte sich dennoch an, als wäre der Meister, den sie nur zu wohl kannte, hiermit in der Versenkung verschwunden. Künstlerschaft und Auswuchs, beides hätte weichen müssen vor der Übermacht einer Sängerin – niemand hierselbst nennt sie gemein. Nur gerade eine geschmackvolle Vielgereiste weiß, was sie weiß.

Une médiocrité impudente ne reculant devant rien, urteilte ihr Gewissen: ach! seine sanfte Altstimme unterlag geräuschvolleren Obertönen. Elle prend tout ce beau monde d'assaut et elle s'assoit dessus, sagte die gerechte Einsicht, die auch wieder fehlerhaft sein mag. Schließlich tut die Sängerin, wofür sie da ist. Ihr Empfang bei der Welt ist verdient, die Welt will gezwungen sein, auf ihren Instinkten sitzt man bequem.

Im Privatleben ist diese Alice von mittleren Maßen, eine unzulängliche Bühne übertreibt bekanntlich. Das gilt für die Schulterbreite, den Aufwand stimmlicher Mittel und den Lärm, den das fabelhafte Armband macht. Au théatre de la Scala, erinnert die Babiline sich und gibt es ehrlich zu, ce bracelet ne serait qu'un joujou quelconque. Der Szene gegenüber, wo sie am entferntesten ist, in der großen Mittelloge würde ich diese Stimme gerade groß genug finden. Don Pasquale sah von dort wie ein Puppenspiel aus; winziger als die anderen Marionetten wäre auch Tamburini nicht.

Die grande dame auf der Klappe ging in Träumerei über; vollsinnig war niemand. Was zuviel ist, unterhält nicht lange. Die Sängerin Alice, ein altes Zirkuspferd, wie sie sich genannt hatte, bemerkte es früher als ihr Publikum: schon nach einigen Takten ihrer Arie und zwei funkelnden Gängen längs der Rampe. Übrigens brauchte sie ihren Partner, der Gegenstand ihrer Verführung war, nicht länger zu entbehren, sie winkte ihm vorzukommen.

Willig verließ er seine Zuflucht, spielte sich unauffällig nach vom, hinter seinem Rücken hing wieder das diskrete Mäntelchen, er tat schlechthin keinen Seufzer, um auf sich hinzulenken. Faccia pure, sagte eine ergebene Miene. Mio dovere, versicherte sie, aber sogar sein Pflichtgefühl verstand sich dahin, daß er die große Frau gewähren ließ. Hier meine Hand, è lei la seduttrice immortale, Ihr Ritter kann nicht umhin, ihn überwältigt Ihr Gesang.

Tatsächlich, ihr letzter, zauberischer Aufschwung – n'est-ce pas, Manon? – hätte sie selbst hinreißen sollen bis zum Bewußtsein ihrer Rolle, der einzigen Verführerin, die ohne Ende verführt und singt an Stelle aller vergessenen. Die Sängerin Alice gedachte der Geschichte nicht, noch ihres ruhmreichen Geschlechts. Sie blieb, die sie war, und schickte ihre Lungenkraft in das Haus, das davon unerschüttert blieb. Sturmangriffen widerstand es nunmehr vermöge der Gewöhnung seiner Ohren und seiner wiedergewonnenen Gleichgültigkeit.

Von Manon überzeugt war ihr Desgrieux allein. Erschrecken, Entzücken, beides zeigte er den Leuten zum Schein, ernstlich geschah es dennoch in seiner Brust. Nicht umsonst hatte er im voraus eingeübt, den alten Zauber zu fühlen. Gleichviel wer ihn vollstrecken soll, l'antico fascino, den Bescheidenen trifft er sogar von einer Manon, die nur ein Mordsweib ist. Tamburini ließ zwischen sich und ihr eine räumliche Lücke, die Last ihres Körpers hätte ihn umgeworfen, falls sie den klugen Einfall hatte, ihn nach ihrem ganzen Umfang zuzudecken.

Dies versäumte die Darstellerin, trotz aller ihrer Schulung nahmen die beklommenen Umstände ihr den Witz. Sie gab das Gesicht des Mitspielers frei, kein Mitspieler darf zugedeckt werden, das ist Gesetz. Man sah ihn, sah Erschrecken, Entzücken: »Verzeihen Sie«, murmelte ein Präsident, »ist der Mann verliebt?«

Er meinte genauer, ob der Mann an die Liebe glaube, an ihre Macht, um eventuell, nehmen wir an, aus einem Angehörigen der guten Gesellschaft einen Abenteurer zu machen? Gewiß, es kommt vor, der andere Präsident, erste Reihe rechts, verspricht in der Hinsicht manches. Aber er verjüngt sich darum nicht, im Gegenteil. Der merkwürdige Mensch auf der Bühne ist wirklich hinüberversetzt in die Geschichte zweier Minderjähriger – die meinetwegen aus anderen Zeiten kommen, aber wie alt ist er selbst?

Sein erfahrenes Gesicht wird kindlich, er hat achtzehn Jahre, hat alle törichte Begeisterung, die den wirklich Jugendlichen, soweit man sieht, etwas zu sehr abgeht, oder ihnen gebricht es am physiognomischen Ausdruck. Unterhalb des Orchesters standen nebeneinander André und Stephanie.

Auch sie wahrten unter sich den räumlichen Abstand. Schlank aufgerichtet, hell und kühl betrachteten sie den theatralischen Vorgang. Nachahmung verdient er kaum. Realistisch ist nicht die Welt allein, wir sind es vor allem. Wir machen uns keine Übermacht der Sinne vor; ob tippen, zeichnen, lieben oder essen, es liegt auf demselben, nur mittleren Gebiet, das Leben ist durchaus beherrschbar. Dennoch geschah es den verfrühten Kennern, daß auf der Wand, sowenig sie daran rührten, ihre Hände zueinander fanden.

Von ihren Augen weiß man nichts; sie waren weggewendet nach dem ältlichen Tamburini. Möglich, daß er sie rührte wie einer ihresgleichen. Dies einzugestehen, wäre die Sache ihrer Hände. Soviel ist richtig, als sie die Sprache wiederfanden, bemäkelten die netten jungen Leute sowohl den Ritter wie seine Verführerin, mitsamt dem Theater überhaupt. So sieht es aus; allemal wenn ein Paar besonders hübsch sein müßte, besteht es aus einem brüllenden Koloß und einem Zwerg, er gibt die Partie verloren.

Das Haus, nein, es dachte anders, dieser Narr von Tamburini führte es mehr und mehr am Seil. Als er endlich wieder sang, befriedigte er eine gefährlich angewachsene Ungeduld, von seiner übermächtigen Manon hatte man entschieden genug. Natürlich wußte er es, und zweifellos fühlte sie es dunkel. Daher drehte sie dem Haus den Rücken; fortan, wenn ihr Stichwort fiel, schrie sie ihrem Liebhaber kurzweg ins Gesicht. Über ihm blitzte ihr Armband, das Muster einer Hand war gegen ihn erhoben, wann schlägt sie zu?

Er, ihren Mißerfolg erkennen und Partei für sie nehmen war eins. Die Unglückliche kämpft um ihr Leben: er wurde davon aschgrau anzusehen. Seine Stimme gab nur her, was nicht ohne grobe Ungezogenheit zu unterdrücken war. Er tat, als sänge er, ein Schatten singt. Das ist nun der Fehler, aber wie er es auch gemacht hätte, es wäre falsch gewesen.

Reiten will Tamburini die arme Alice – et il l'enfonce, sah eine Dame mit scharfem Blick. Eine andere Dame, vormals Nummer fünfundvierzig, wiederholte die Bemerkung, die sie dem roten Frack an ihrer Seite schon einmal gewidmet hatte.

»Er singt aus einem Abstand von zwei Jahrhunderten.«

Das hieß: Er entrückt mich, beglückt mich, er ist in Wahrheit Desgrieux, das Wunder eines Liebhabers, ich hoffte darauf nicht mehr.

Wäre nun Melusine allein seinem ungewollten Zauber erlegen! Hätte Madame Babiline als einzige festgestellt, daß er Alice, o wie ungern in Grund und Boden sang! So stand es nicht. Das Haus teilte in jedem Betracht diese Eindrücke. Gedämpft fand es die Stimme des Sängers um so vertrauter und näher, indes er bemüht war, aus dem Spiel zu bleiben. Er kämpfte für seine Mitbewerberin, er machte sich zum Schatten, damit sie groß zugegen sei. Was er erreichte, war der vollkommene Ausdruck eines gequälten Herzens, widerstehe, wer kann! Wir halten nicht nur auf Takt, wie man weiß, auf den Sinn für edle Pflege, den wir mitbekamen. Das Erwerbsleben beiseite, schlägt auch unser Herz, wir möchten darum gebeten haben.

Der Erfolg wird eine Katastrophe sein, die genaue Umkehrung der menschenfreundlichen Absichten, wie der weise Kauz von Toskana sie allenfalls gehegt hat.

»Ein Kauz gewiß. Weise, das fragt sich«, sagten Stephanie und André aus einem Munde, da ging der Vorhang nieder. Die üppigen Gottheiten bei ihrem Gelage konnten nichts ahnen von der Vielheit menschlicher Ungewißheiten.

»Ist er doch nur ein Intrigant?« fragte Stephanie.

»Er hat sie ruiniert, mehr kann man nicht wissen« antwortete André.

Der Vorhang wurde eilends hochgezogen, auf der Bühne die beiden Künstler hielten sich an den Händen, und jeder rüttelte und schüttelte die andere, um den Beifall abzulenken, wohin er gehörte. Weder Tenor noch Sopran gaben zu, daß ihm selbst der Dank des Hauses gebühre: Sein Gefährte allein habe ihn verdient.

Von Seiten der Sängerin war dies bloßes Wohlverhalten, die Überzeugung fehlte. Man sah: den Kleinen hätte sie womöglich in eine Versenkung gestoßen und wäre allein auf dem Platz geblieben – indes er wahr machte, was seine Hand beteuerte. Er führte seine Mitbewerberin bis vor die Rampe, ließ sie los und trat zurück.

»Tamburini!« rief jemand. Er erschrak – nicht zum Schein, wahrhaftig hüpfte er vor Entsetzen auf, um ganz hinter der großen Frau zu verschwinden. Ach! er reizte nur das Haus, es verlangte nach ihm wütend mit Händeklatschen und Aufschrei: »Vogliamo il Tamburini!« rief man, damit er es sicher verstehe; als ob er nachgerade nicht begriffen hatte, sein Verschulden sei unwiderruflich.

Er wagt sich nicht zu zeigen. »Tamburini wollen wir!« er duckt sich, er greift zu dem verzweifelten Mittel, die Schleppe der Sängerin über sich zu werfen. Am Anfang der Vorstellung hätte es Gelächter erregt: Buffone! jetzt beharren die Leute todernst auf ihrem Willen, am festesten in den Hintergründen bei der hochherzigen, aber kritischen Jugend. Eine helle Stimme dringt durch: Adrienne, sie verleugnet die verehrte Meisterin. Weg mit ihr! Nach vorn mit dem Sieger! Der Intendant sieht sich um, welche helle Stimme so trefflich durchdringt. Mittlerweile senkt sich schon wieder der Vorhang.

Des öfteren wird er nieder- und aufgehen. Tamburini tritt darum nicht in Erscheinung, auch er ist hartnäckig. Seine lehrhafte Absicht schlägt fehl wie schon mehrmals, aber er läßt nicht ab. Hinter der Sackleinwand, die eine Tür sein will, bewegt er Alice, ohne ihn hinauszugehen.

»Il insiste, chère amie, pour que vous en appeliez à la conscience d'un public qui sera trop heureux de réparer ses torts.«

Innig beharrt er bei seinem Wunsch, sie möge auf die bessere Einsicht dieser reizbaren Auslese vertrauen. »La grande artiste que vous êtes, ne leur en tiendra pas rigueur.« Verständnis für die Laune der Menge erbittet er von ihr, die man verkennt! »Montrez-vous! Un triomphe sans précédence vous attend.«

Sie hat sein Versprechen, ob glaubwürdig oder nicht: sie stürzt hinaus, gerade noch rechtzeitig, daß der halb gefallene Vorhang ihre schönen kraftvollen Arme zeigt, wie sie ausgestreckt sich hingeben dem Empfang der Welt. Schrecklich, gerufen wurde der andere Name, für sie waren andere Geräusche. Ihre Knie, das einzige was nachgerade übrigblieb, zischte man aus, in Ermangelung ihres Gesichtes, das vom Mahl der Götter dem Anblick entzogen, vom Haß entstellt laut fluchte, was kam darauf noch an.

Jenseits der Sackleinwand bedurfte der Moralist seines ganzen Mutes, um nicht davonzulaufen; das leichte Schlendern, das seinen anderen Niederlagen gefolgt war, stand ihm nach dieser nicht zu Gebot. Seine Haut wurde feucht, er klebte an dem Pfosten, hoch über ihm meldete ein Kranz die Unsterblichkeit an. Er dachte: Was tat ich nur! Sie hat Schulden, und das Alter naht. Ich mußte lauter schreien als sie. Das ist es, da liegt mein Vergehen, da liegt, wer kennt sich ganz, meine Eitelkeit.

Dies kaum gedacht, empfing er von einer Hand, die wütend funkelte, die längst schon fällige Ohrfeige.

»Une gifle bien acquise«, murmelte er, während sein Auge tränte. »Merci Madame … Manon si incommodi! Ne vous dérangez plus«, sprach er merkwürdig fest; ihre nochmals erhobene Hand blieb stehen, vor seiner stillen Autorität.


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