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Hollunderkreuz.
Zu Anfang des zwölften Jahrhunderts gründeten fromme Benediktiner ein Kloster im Vintschgau. Der heiligen Mutter Gottes zu Ehren nannten sie es »Marienburg«. Vom Felsen herab schaute das Gotteshaus in das Tal. Hier blühten zarte, rosige Mandelbäume, und breitästige Edelkastanien badeten ihre Wipfel im Sonnengold. Oberhalb des Klosters aber, kaum zwei knappe Wegstunden hoch, da leuchteten die Schneefelder und Gletscher herab, Eisfirnen glänzten, und im Frühjahr rollten Lawinen mit dumpfem Getöse hinab in das blühende Tal.
Ein genügsames, arbeitsames Volk hatte sich hier, wo nach Plinius' Angabe einst das Volk der Venosten gehaust, angesiedelt. Nur schwer fand das Christentum Eingang in diese Täler, viele fromme Gottesmänner erlitten den Heldentod für ihren heiligen Glauben. Doch endlich siegte das Christentum, und das letzte schwache Häuflein heidnischer Ureinwohner zog sich in die Einöde unwegsamer Täler zurück. Einer, der mächtigste Heidenpriester, hatte sich hinauf in die Einsamkeit der Gletscherfelsen zurückgezogen.
Er war ein finsterer, starrer Mann; doch besaß er noch einen ziemlich starken Anhang im Tale, und geschützt durch das Dunkel der Nacht, zogen hilfsbedürftige Männer und Frauen zu ihm hinauf, bei ihm, wie in alter Zeit, Rat und Hilfe zu holen. Diesem Unwesen mußte ernstlich gesteuert werden, deshalb beschloß ein junger Priester, zu dem Einsiedler hinaufzugehen und ihm die Segnungen des Christentums zu bringen.
Mühselig war der Aufstieg. Heiß brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel, und weit und breit war kein schattenspendender Baum, kein schützender Felsenvorsprung zu erspähen. Die Begleiter des jungen Priesters ächzten und murrten, sie klagten über brennenden Durst, auch schmerzten sie die Augen von dem Glitzern und Blitzen der Eisflächen, die sie überschritten.
»Geduld, meine Brüder, Geduld, Gott selbst ist mit uns, habt nur noch eine Weile Geduld, und ihr werdet die Krone des Lebens erlangen.« Mit weit fördernden Schritten eilte der junge Priester voran, zögernd folgten ihm seine Begleiter. Nachdem sie oftmals in den weich gewordenen Schnee eingesunken, auf glatten Eisflächen ausgeglitten waren, erreichten sie die Felsenhöhle, in der der Alte hauste. Schon von ferne sahen sie seine hohe, ungebeugte Gestalt sich in plastischer Schärfe von der blendend weißen Schneedecke abheben. Die Männer erschraken, so gewaltig, groß und stark hatten sie sich den alten Heidenpriester nicht vorgestellt. Furcht stieg in ihren Seelen auf, nur der junge Pater zitterte nicht. Fest entschlossen schritt er auf den Alten los.
»Wen suchest du?« schallte es ihm gebieterisch entgegen.
»Ich suche dich – dich allein!«
»Mich – was willst du von mir? Ich bin arm, ihr habt mir alles geraubt, nur mein Leben blieb mir, dieses aber will ich gegen euch verteidigen, bis –«
»Dein Leben steht in Gottes Hand, in der Hand unseres Herrn Jesus Christus!«
Gellend lachte der Alte auf: »Ich verachte deinen Gott! Er starb den Tod am Kreuze; solch' schwachen Gott mag ich nicht! Unsere Götter allein sind stark und ewig, wie die Berge meines Heimatlandes.«
»Und dennoch ist mein Gott größer als deiner, denn er liebte uns und starb aus Liebe für uns am Kreuze.«
Bei den letzten Worten hielt der junge Priester seinen Stab, der das Kreuzeszeichen trug, in die Höhe; der Alte wich zurück, dann aber drang er plötzlich gewaltsam auf den nichts Böses ahnenden Priester ein, riß ihm den Stab aus der Hand und schlug ihn damit auf das Haupt.
Lautlos sank der Priester zu Boden, und sein Blut rötete die Schneefläche. Der Alte hohnlachte. Mit seiner letzten Kraft richtete sich der Geschlagene auf, hob den Stab gen Himmel und rief mit klarer, weithin tönender Stimme: »So gewiß dieser dürre Zweig Blätter und Blüten hervorbringt, so gewiß ist mein Gott der starke – er ist der Gott der Liebe und Barmherzigkeit!«
Das Haupt des Priesters sank herab, aber der Stab in seiner Hand trieb Blätter und Blüten, da neigten die Anwesenden, auch der alte Heide, ihre Knie, überwältigt von dem Wunder Gottes.
Der tote Pater, sowie der Wunderstab wurde hinab ins Tal getragen, und letzterer neben das Grab des jungen Glaubenshelden eingepflanzt. Dort trieb er zahlreiche Aeste, und bald überschattete er mit seinen Zweigen das stille Grab. Der Alte wurde ein treuer Anhänger des Christenglaubens, und auf der Stelle, wo der Hollerbusch gepflanzt, dort wurde nach Jahren das Kloster Marienburg gegründet.
Zum Angedenken an jenes Wunder geht noch heute die Sage im Vintschgau, daß, sobald das Hollerkreuz auf dem Grabe eines Toten grünt, dieser zur ewigen Seligkeit eingegangen ist.