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Die Jungfrau vom Drachenfels.

In grauer Vorzeit, als noch heidnische Völker längst des Rheines wohnten, da lebte einst in der Gegend, wo heute das gewerbliche Städtchen Königswinter liegt, ein reicher König, der zugleich auch ein mächtiger Zauberer war. Um seine Macht, seinen Reichtum noch zu mehren, hatte er mit unholden Geistern, die hoch oben in den Bergen ihr lichtscheues Wesen trieben, einen Bund geschlossen.

Nur den Drachen, der in halber Höhe des Berges in einer Höhle, mitten im dichtesten Walde lag, konnte sich der mächtige König nicht untertan machen. Der scheußliche Lindwurm beherrschte die Gegend meilenweit im Umkreise. Schon sein Anblick erzeugte Schrecken und Angst. Sein heißer, glühender Atem tötete Menschen und Tiere, die in seine verderbenbringende Nähe kamen.

Fast täglich überfiel das gefräßige Untier die friedlich am Bergeshang weidenden Herden. Um sich gegen die Ueberfälle des Lindwurmes zu schützen und seine Begierde zu befriedigen, brachte man ihm Opfer dar, ja, die unwissenden Landleute erzeigten dem Ungetüm, um es bei guter Laune zu erhalten, selbst göttliche Verehrung.

Wohl hatte der König versucht, den scheußlichen Wurm zu vernichten; doch entweder zogen die ausgesandten Krieger unverrichteter Sache heim oder mußten ihren Entschluß, sich in einen Kampf mit dem Tiere einzulassen, mit ihrem Leben büßen.

So gingen Jahre dahin. Schon waren dem Lindwurm zahllose Viehherden zum Opfer gefallen, als dem König plötzlich ein guter Gedanke aufstieß.

»Laßt uns dem Lindwurm die vom letzten Kriegszuge heimgebrachten Gefangenen opfern.«

Des Königs Befehl wurde schleunigst befolgt, nun blieben die Herden verschont.

Einstmals kehrte der König als Sieger gegen eine vordringende römische Kohorte heim. Unter den Gefangenen befand sich ein junges Mädchen. Claudia, so hieß die Römerin, war die Tochter eines vornehmen Hauses. Sie war schön und lieblich wie eine Maienrose. Dunkele Locken umrahmten ihr edel geschnittenes Gesicht. Ihre Haut war weiß und so fein, daß man an den Schläfen das rote Blut durch die Adern schimmern sah. Ihre Augen glänzten wie zwei Sterne. Schaute man in sie hinein, so vermeinte man, in einen stillen Bergsee zu schauen. Ihr Mund war wie zum Lächeln geschaffen. Jetzt freilich war er fest geschlossen, ein herber Schmerzenszug zitterte um ihre Lippen.

Als der Zug der Gefangenen vor dem Könige erschien – nach Volkssitte sollten die heimgebrachten Beutestücke, so Waffen, Geräte, kostbare Stoffe und natürlich auch die Gefangenen, an die Heerführer und Edelinge verteilt werden – erschien auch Claudia. Langsam, gesenkten Hauptes, schritt sie näher. Sie trug ein lang nachschleppendes blaues Gewand, dessen goldgestickter Saum über den Estrich schleifte. Eine goldene Spange hielt das faltenreiche Gewand auf der Schulter geschlossen.

Wunderbarerweise lag eine stille, fast überirdische Ruhe über ihre Gestalt gebreitet, ja, sie blickte selbst nicht empor, als der Herold ihren Namen aufrief.

»Teilt Claudia mir zu!« rief der Anführer der Leibwache. »Der König hat mir ein Beutestück auszusuchen erlaubt.«

»Mit nichten, mir gebührt die erste Wahl,« nahm der Königssohn das Wort, »ich verlange die Römerin zur Beute.«

Eine unheimliche Stille folgte auf diese Worte, niemand wagte den beiden an Tapferkeit gleichen Helden zu widersprechen.

Da erhob sich der König. Claudias Antlitz ward noch um einen Schein bleicher, doch sie blieb stumm.

»Hört mich, ihr Edelinge und Vasallen. Ich werde den Streit schlichten! Ich beanspruche die Jungfrau als Opfergabe für den heiligen Drachen. Morgen, zur Feier unseres Frühlingsfestes, geziemt es uns, ihm ein Dankopfer darzubringen. Auf, bringt das Opfer in strengen Gewahrsam!« Claudia wurde abgeführt.

Am anderen Morgen stieg die Sonne in goldener Pracht hinter den Bergen empor. Zur Frühlingsfeier strömten von allen Seiten festlich geschmückte Landleute herbei. Auf dem Platze vor der Königsburg war nach alter Sitte eine schlanke Birke eingepflanzt, die »Maie«, deren Zweige mit Blumen und Bändern geschmückt waren.

Nachdem sich die Festteilnehmer versammelt hatten, wurde Claudia, zur Feier des Tages in schneeige Gewänder gekleidet, das schwarze Haar mit köstlichen Maiblumen geschmückt, gebracht. Heute glich die Römerin keinem irdischen Mädchen, und bei ihrem Erscheinen senkte sich eine feierliche Stille auf die Versammlung. Nur der König schien von der allgemeinen Ergriffenheit nicht berührt. Auf einen Wink seiner Hand wurde die Jungfrau auf den Berg hinaufgeschleppt.

Lautlose Stille herrschte, aller Blicke hingen an dem Opfer. Eine Schar beherzter Männer schloß sich dem Zuge an. Zuletzt drängte ein Haufen Volk nach.

Oben auf halber Bergeshöhe, auf dem Platz vor der Höhle angekommen, ergriffen die Schergen das Mädchen, umwanden ihren zarten Leib mit Stricken und banden sie fest an eine alleinstehende Eiche, unter deren Laubdach ein riesiger Steinblock als Opferaltar stand.

Allmählich stieg die Sonne hoch zum Zenit. Ihre goldenen Strahlen umwoben den schroffen Gipfel des Berges mit rosiger Glut; aber die hellen Strahlen beleuchteten auch den Eingang zur Höhle des Drachen, die halb versteckt hinter hochragenden Waldbäumen lag.

Ein Schnurren und Knurren, dem ein weithin schallendes Schnaufen folgte, schallte aus der Höhle, und im selben Moment wurde auch schon der Kopf des mit Schuppen gepanzerten Ungeheuers sichtbar. Schon von weitem öffnete es den rotschimmernden Rachen. Wie ein Bild aus Marmor stand die schöne Jungfrau da, mit andächtig gefalteten Händen, den Blick ergebungsvoll gen Himmel gerichtet. Anscheinend betend, erwartete sie ihr Ende.

Schon streifte der heiße, verpestete Hauch des langsam nahenden Ungeheuers ihre Stirn; da zog sie leise ein Kruzifix aus ihrem Kleide, betrachtete es verklärten Blickes, küßte das Kreuz und hielt es voll heiliger, unerschütterlicher Glaubensstärke dem Lindwurm entgegen.

Das scheußliche Tier zuckte zurück, ein schauerliches Gebrüll erschütterte die feierliche Sabbatstille, dann stürzte sich das Ungetüm unter heiserem, angstvollem Geschrei den steilen Abhang hinab, in die hoch aufrauschenden Wogen des Rheins. Von Schrecken und Grauen gebannt, verharrte die Menge in atemlosem Schweigen; dann eilten mehrere Männer hinzu und lösten die Fesseln des Opfers, unter lautem Jubel die Todgeweihte umringend. Mit Staunen betrachteten sie das kleine goldene Kreuz, welches Claudia so wunderbare Errettung gebracht.

»Ich bin eine Christin; mein Heiland, mein Erlöser allein hat mich gerettet,« sprach die Jungfrau und erklärte ihren aufmerksamen Zuhörern die wunderwirkende Kraft des heiligen Kreuzes. Und siehe da, in andachtsvollen Schauern kniete die versammelte Menge nieder und gelobte, von nun an dem einzig wahren Gotte, dem Gotte Claudias zu dienen. So wurde am Maifest, am Tage der heiligen Pfingsten, eine zahlreiche Schar Germanen zum Christenglauben bekehrt, und an der Stelle, wo einstmals der Opferaltar des Drachen gestanden, dort wurde die erste christliche Kapelle im Rheinlande erbaut.


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