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Hoch oben im Norden, dort, wo das silberglänzende Meer seine schäumenden Wogen auf die einsame, sandige Düne rollen läßt, dort steht am Fuße einer steil emporsteigenden Klippe ein Busch wilder Rosen.
Vor vielen, vielen Jahren hatte der vom Lande herüberwehende Wind ein Samenkörnchen auf die sandige Düne getragen. Das federleichte Körnchen war, nachdem es der ungestüme Geselle, der pausbackige Ostwind, hoch in der sonnendurchglühten Luft emporgewirbelt hatte, zur Erde hinabgestürzt und war glücklicherweise auf einigen Bröckelchen fruchtbarer, schwarzer Moorerde liegen geblieben.
Dort lag es, atemlos vom tollen Wirbeltanze, ein Weilchen still. Behaglich schmiegte es sich in den weichen, lockeren Erdboden ein. Es dehnte und reckte sich nach allen Seiten. Nach einigen Tagen bildeten sich feine Würzelchen, die sich fest und fester in die schwarze Erde eingruben; aber, nachdem sie einen festen Stand gefunden, sehnten sie sich nach Sonnenschein und Mondenglanz. Gewaltsam durchbrachen sie die Erde, und, gelockt und umschmeichelt von den warmen Sonnenstrahlen, sproßten zarte, grüne Zweiglein empor, die sich nach und nach zu einem in jugendlicher Schöne prangenden Rosenbusch entwickelten.
Alljährlich setzte er neue, frische Triebe an, und eines Tages sproßte ein zierliches Knöspchen am Mittelzweige empor. Es ward größer und entfaltete sich zu einem allerliebsten Röslein. Weil nun das Röslein so frisch und gesund erblühte, so brachte die Elfenkönigin eines Nachts, als der Mond klar und hell vom tiefblauen Himmel strahlte, ihr jüngstes Töchterlein nach der Düne.
»Die Menschen bringen ihre kranken Kinder an die See, damit sie in dem gesunden Odem des Meeres sich stärken und gesund werden, deshalb bringe ich mein Nesthäkchen, mein geliebtes Elfenkindlein, auch hierher, damit es gesund und stark werde. Das arme Kleinchen hat gar blasse Wänglein, müde und matt schauen die lieben blauen Aeuglein. Im Kelch des roten Rösleins ist genügend Platz für mein süßes Prinzeßchen.«
Der Rosenbusch freute sich über die Gnade der Elfenkönigin, die ihm so viel Vertrauen schenkte; er versprach, das zierliche Elfenfräulein vor jeder Gefahr zu behüten.
»Gewiß, ich will dem guten Rosenstock gehorsam sein,« gelobte Prinzeßchen, als die Elfenkönigin sich spät in der Nacht zur Heimreise anschickte.
»In der Johannisnacht kehre ich zurück, dich in das Elfenreich heimzuholen. Sei hübsch artig. Zur Belohnung erhältst du, wie die Prinzessinnen, deine älteren Schwestern, später silberglänzende Flüglein.«
Noch ein letztes Nicken und Grüßen, dann flog die Elfenkönigin auf einem Mondenstrahl davon. Elflein schaute ihr nach; dann aber betrachtete es seine Umgebung, die ihm neu und unbekannt war.
Besonders das weite Meer mit seinem Rauschen und Brausen gefiel dem zarten Elflein. Aufmerksam schaute es zu, wie eine schaumgekrönte Welle nach der anderen den Strand hinaufrollte, und wie eine jede sich mühte, höher als die Schwesterwelle emporzuklimmen.
»Mich trefft ihr doch nicht,« lächelte Elflein, sich anmutig auf dem schlanken Stengel hin und her wiegend; dann, als es von dem lustigen Spiel müde geworden, und ihm die Aeuglein zufielen, da bat es die Rose: »Schließe deine Blättchen zusammen, ich möchte schlafen, der Gesang des Meeres schläfert mich ein.« Sogleich falteten die Rosenblätter sich zusammen, und Elflein schlummerte sanft und ruhig ein.
Am anderen Morgen, als die liebe Sonne über die sandige Düne streifte und ihre warmen Strahlen bis an den Fuß der steil aufsteigenden Klippe sandte, da öffnete das Röslein seine Blumenblätter, und ein neckischer Westwind, der über die lustig wogende See tanzte, nickte dem Prinzeßchen zu und lispelte: »Guten Morgen, Langschläfer, hast du süß geruht, Elflein?«
Dieses dehnte und reckte die feinen Glieder und atmete mit wohligem Empfinden den würzigen, frischen Hauch ein, der vom Meere herüberwehte – und siehe, schon am zweiten Tage röteten sich die Wänglein des Elfenkindes, und seine Aermchen wurden rund und kräftig. Mit Wohlbehagen schlürfte es das Restchen Morgentau, das die allezeit durstigen Sonnenstrahlen in dem Kelch des roten Röslein übrig ließen. Je kräftiger sich das Elflein fühlte, desto übermütiger schaukelte es sich in seinem Blumenhäuschen, so daß der Rosenstock sein Gesicht in ernste Falten legte und sagte: »Sei nicht so wild, liebes Prinzeßchen, sonst bricht das rote Röslein ab, und du fällst hinab in den Sand. Dann kommen die Wellen und ziehen dich hinunter in das Meer, und dort mußt du unrettbar ertrinken.«
Das vorwitzige Elflein dünkte sich überklug und lachte den Rosenstock aus.
»Du bist nur zu alt und steif, da behagt dir das lustige Schaukeln und Wiegen nicht mehr; lasse mich, ich bin jung, ich will mich meines Lebens erfreuen, du bist ein Griesgram, ein Spielverderber geworden.«
Auf diese Vorwürfe erwiderte der Rosenstock kein Wörtchen, nur ein Zittern und Beben ging durch seine Zweige; er ahnte, daß Prinzeßchen für seinen Uebermut bestraft und ein schlimmes Ende nehmen würde.
Und das schlimme Ende kam rascher, als der verständige Rosenstock gefürchtet.
Der zarte Stengel, an dem das Röslein erblüht, wurde durch das wilde Wiegen und Schaukeln matt und welk, er verlor sein blühendes Ansehen, schrumpfte ein, und als das Elflein sich wieder ungestüm schaukelte – knack – da brach der Zweig ab, und Prinzeßlein fiel hinab, hinab in den Sand.
Brrr, die feinen Sandkörnchen flogen Prinzeßchen in die Aeuglein, und wie schwer konnte es in dem feinen Sande vorwärtsschreiten. Mühsam zog Elflein ein Beinchen nach dem anderen heraus – langsam, ganz langsam nur kam es in dem tiefen Sande vorwärts – ratlos blickte sich Elflein um, wohin sollte es sich wenden?
Auf der weiten Sanddüne gab es kein Blümchen, in dessen Kelch es schlüpfen konnte, und das rote Röslein lag welk und verdorrt auf dem von den heißen Sonnenstrahlen durchglühten Sande.
Nun war guter Rat teuer, schon sank die Sonne und graue Dämmerschatten huschten über das Meer.
Mit lautem Hussa fegte ein auffrischender Wind über die Fluten, und plötzlich, als Elflein sich hilfesuchend umschaute, da bemerkte es ein feines, glitzerndes Wasserzünglein dicht neben sich im Sande vorschnellen.
Schnell rückte Elfchen zur Seite, jedoch die feinen, silbernen Wasserzünglein waren behender, als es gedacht. Zwar noch einmal rettete sich das angsterfüllte Prinzeßchen auf ein Sandhügelchen; aber auch hierher folgte ihm das kristallhelle Wasser nach, es überflutete das Sandhügelchen, auf dem Elfchen zitternd und bebend stand.
Und nun – nun rollte eine riesige schaumgekrönte Welle daher, sie überschwemmte die Düne, ja, bis hoch an die Klippe hinauf spritzte das klare Meerwasser. Es benetzte die Wurzeln des Rosenbusches, doch seine Zweige vermochte es nicht zu erreichen, die strebten hoch über dem schäumenden Wasser empor. Freilich – das arme, schutzlose Elfenprinzeßchen, das zogen die zurückweichenden Wellen mit sich hinab in das Meer.
»Hätte ich des Rosenstrauches Warnung befolgt, so wiegte ich mich noch frisch und lustig auf seinem Zweige – jetzt ziehen mich die gleißenden Wasser hinab in das Meer. Hilf mir, Rosenstock! Ich sterbe – sterbe!« schrie Elflein angstvoll auf. Mit seiner letzten Kraft klammerte es sich an den feuchten Sand an; umsonst, er gab nach und rollte der Welle nach in das Meer.
Der Rosenstock an der steilen Klippenwand schüttelte seine Zweige und flüsterte: »Armes Elflein, weshalb auch schlugst du meine treue Warnung in den Wind, ich kannte die Gefahr, ich versuchte, dich vor ihr zu bewahren. Du folgtest deinen Gelüsten, nun hat dich das Meer verschlungen.«