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Hans Görge.

Es war einmal ein lustiger Musikant, Hans Görge mit Namen, der zog frank und frei im Lande umher, und wo sich tanzlustige Füße fanden, sei es unter einer alten Dorflinde, in der Scheune oder im niedrigen, stauberfüllten Tanzsaal, überall ließ er seine lockenden Weisen erklingen, und jung und alt strömte in hellen Scharen herbei, um Hans Görges Geige zu hören und sich Herz und Sinn an seinen lustigen, prickelnden Melodien zu laben.

Er hatte echtes, rechtes Musikantenblut. Seßhaftigkeit kannte er nicht, und hinter dem Ofen hocken oder zur Sommerszeit seinen Garten, sein Feld zu bestellen, daran dachte der Spielmann nicht. Nein, frei wie der Wind, von dem man nicht weiß, woher er kommt, wohin er geht, zog er seine Straße, und immer und überall fand er einen Willkommengruß, offene Herzen und gedeckte Tische.

Bei keinem Kirmesschmaus, keinem Hochzeitsfeste durfte der allezeit aufgeräumte Fiedler fehlen, es war, als ob die ungelenkesten Füße nach seinen Weisen Takt halten und tanzen könnten; deshalb war er auch bei alt und jung beliebt.

Eines Nachts, schon hatten die Glocken die zwölfte Stunde geschlagen, befand er sich auf dem Nachhausewege von einem Hochzeitsschmaus. Einsam trabte er, seine geliebte Geige unter dem Arm, fürbaß. Weib und Kind besaß er nicht, niemand erwartete ihn in der kleinen Hütte, die, am Ende des nächsten Dorfes gelegen, sein ganzes vom Vater ererbtes Eigentum bildete.

Im Gehen überrechnete er sich die ergeigten Groschen, freilich, einen bedeutenden Teil seines Gewinnes hatte er am Schenktisch geopfert, denn Hans liebte nichts so sehr, als einen tiefen Schluck roten, funkelnden Weines. Darob grämte sich der lustige, kreuzvergnügte Spielmann nicht, bald war die Woche zu Ende, und am Sonntag fiedelte er sich wieder ein hübsches Stück Geld zusammen.

Die durchgeigte Nacht und der schwere Wein machten jetzt ihr Recht geltend. Hans ward schläfrig, deshalb beschleunigte er seine Schritte, um recht bald nach Hause in sein Bett zu kommen.

Um ein Stück Weges abzuschneiden, beschloß er, die glatte Landstraße zu verlassen und einen Seitenpfad einzuschlagen. Freilich erzählte man sich mit halblauter Stimme im Dorfe, daß es hier nicht geheuer sei, Geister und Unholde sollten hier ihr nächtliches Spukspiel treiben. Aber Hans war nicht furchtsam, er nahm es mit dem Teufel und seinen Gefährten auf.

Und wie es so geht, wenn man einzeln wandert, Hansens Gedanken schweiften von der Gegenwart ab, zurück in die Vergangenheit, und verirrten sich auch in das unbekannte Land der Zukunft.

Der schrille Aufschrei eines Raubvogels riß ihn aus seinen Träumen; er blickte empor. Just vor ihm zeichneten sich die scharfen Umrisse eines steil aufsteigenden Berges am hellen Nachthimmel ab. Im selben Augenblick stand Hans eine Geschichte, die er in seiner Kindheit oft gehört, klar vor der Seele; Muhme Sibylle hatte sie dem Knaben so oft erzählt.

Dort oben auf der steilen Höhe sollte vor vielen, vielen Jahren ein prächtiges Schloß gestanden haben. Bis tief ins Land hinaus hatte man von dem hohen Turm, der es krönte, schauen können. Ein reicher Fürst hielt dort Hof. Da ward der Fürst übermütig und lästerte den Schöpfer. Zur Strafe für seine Missetat und seinen wüsten Lebenswandel ward das Schloß, wie es stand, in den steilen Berg versenkt, und nur manches Mal in besonders klaren, hellen Nächten sollte es in seiner Herrlichkeit emporsteigen, seine Tore sich öffnen und dem, der beherzt eindringe, reiche Schätze bieten.

An diese Erzählung aus seiner Kinderzeit gedachte Hans, und der Wunsch stieg in ihm auf, Einlaß in das Schloß zu erhalten.

»Ich wollte schon zugreifen und fürchtete mich nicht, wenn mir nur jemand den Eingang zum Zauberschloß zeigen wollte!« so rief Hans plötzlich laut in die Nacht hinaus; doch kaum waren diese Worte seinen Lippen entschlüpft, da antwortete eine tiefe Männerstimme: »Wenn du dir weiter nichts wünschest, den Weg vermag ich dir wohl zu zeigen!«

Hans blickte sich erstaunt nach dem Sprecher um; es war ein langer, hagerer Mann, dessen Gesicht zum größten Teil ein breitrandiger Schlapphut verdeckte.

Obwohl Hans keine Furcht kannte, so fühlte er in diesem Augenblick doch eine Beklommenheit der Kehle. Am liebsten wäre er davongelaufen; doch der lange Mann fuhr tröstend fort: »Folge mir ohne Furcht – dir geschieht kein Leid. Der Herr des Schlosses erwartet dich, du sollst ihm und seinen Gästen zum Tanze aufspielen. – Er wird dir zahlen, daß du Zeit deines Lebens genug hast. Doch hüte dich, im Schlosse zu reden, und fordere keinen Lohn für dein Spiel, wenn man dich danach fragt. Hast du mich wohl verstanden, so komm und folge mir getrost!«

Hans war sprachlos vor Staunen. Er konnte sich nicht erklären, woher der lange Mann gekommen. War er vom Himmel gefallen, oder aus der Tiefe der Erde emporgestiegen?

Aber dem verzagten Spielmann blieb keine Zeit, lange Betrachtungen anzustellen; ohne es zu wollen, mußte er seinem Begleiter folgen. Dieser geleitete ihn durch schmale, enge Wege, die Hans, dem das Land viele Meilen im Umkreis bekannt wie seine Tasche war, noch nie gesehen, geschweige denn betreten hatte. Endlich blieb der Führer vor einem weit geöffneten Tore stehen, welches in einen, von Fackellicht tageshell erleuchteten Hof führte. Sobald der Spielman diesen Hof betreten, schlug das schwere Tor mit einem lauten Krach hinter ihm zu.

»Gefangen! Gefangen!« zitterte es über Hansens bleich gewordene Lippen – er fürchtete, nie mehr das goldige Sonnenlicht zu schauen.

Gefoltert von Angst und dennoch im Anschauen der märchenhaften Pracht versunken, die sich seinen erstaunten Blicken darbot, schritt Hans tiefer in den Hof hinein und stand alsbald vor einem hellerleuchteten, prächtigen Schlosse. Dieses war aus weißem Marmor erbaut, das helle Fackellicht spiegelte sich in seinen glänzend geschliffenen Marmorflächen und umhüllte das feenhafte Gebäude mit rotglühendem Schein.

Hans staunte immer mehr. Solche Pracht hatte er nicht erwartet; doch sein Führer eilte die mit kostbaren Teppichen belegten Steinstufen empor und zog den Ueberraschten in einen von mehr als tausend Wachskerzen erleuchteten Saal.

Hier war eine vornehme Gesellschaft versammelt – Herren in goldgestickten Uniformen, die Brust mit Ordenssternen geschmückt – schöne Damen in gebauschten, mit ungeheuren Reifröcken versehenen, seidenen Prachtgewändern. Im Haar, am Hals und an den nackten Armen schimmerten kostbare Edelsteine in eigenartiger Fassung und Form. Sobald die Gesellschaft den Fiedler erblickte, drängte sich alles zu ihm hin – aber kein Wort ward bei dieser Begrüßung gesprochen.

Hansens Herz pochte – und er war froh, als ihn sein Führer durch den Saal geleitete und nach einem erhöhten Sitz nahe einem Kamin brachte. Hans stimmte seine Geige und begann zu spielen – aber seltsam – solche Töne hatte er noch nie seinem Instrument zu entlocken verstanden. Ihm war, als klängen die Saiten auf besondere Art, als sei ein fremder Geist in die Geige gezogen, der sie nun nach seinem Willen ertönen lasse. Auch der Tanz, den die festlich geschmückten Herren und Damen aufführten, war Hans ganz fremd. Solche kunstvollen Schwingungen, Drehungen und Verbeugungen hatte der Spielmann noch nie gesehen. Ihm flimmerte es vor den Augen, es war nur gut, daß seine Geige allein, ohne sein Zutun, so wunderschöne Melodien hervorbrachte.

Zuletzt drehten sich die Paare in einem tollen Wirbel. – Plötzlich auf ein schrilles Glockenzeichen standen sie alle still und zogen paarweise an dem erstaunten Spielmann vorüber. Schweigend, aber scharf betrachteten sie ihn, so daß dem armen Hans das Blut zu Kopfe stieg und ihm die Augen schmerzten. Zuletzt trat ein alter Herr, er trug ein schwarzes mit Schmelz gesticktes Sammetkleid, vor den Geiger und fragte:

»Nun, Spielmann, der Tanz ist aus, was begehrst du zum Lohn?«

Hans erbebte. Die Stimme des schwarzgekleideten Herrn erschreckte ihn; doch noch zur rechten Zeit erinnerte er sich der Worte seines Führers, und so hielt er nur seinen alten, von Regen und Sonnenschein verwitterten Filzhut dem Frager entgegen, ihn dabei bittend anblickend.

Der schwarze Herr nickte dem Zaghaften freundlich zu, nahm eine Kohlenschaufel zur Hand, fuhr mit dieser in das hochauflodernde Kaminfeuer und schüttete eine Schaufel voll rotglühender Kohlen in den hingehaltenen Hut.

Hans erschrak – schon wollte er die Lippen öffnen, als sein Führer erschien und ihm schweigend andeutete, daß es Zeit sei zu gehen. Hans gehorchte, nachdem er noch einen letzten Blick auf den alten Herrn geworfen. Dieser lächelte noch immer. Mit seinem Führer durchschritt Hans den Vorhof, das Tor – ein gewaltiger Donnerschlag erschütterte die Gegend – – – und Hans stand allein im Dunkel der Nacht, und auf derselben Stelle, wo ihn der lange, hagere Mann mit dem breitrandigen Filzhut angesprochen hatte.

Eine Weile war Hans wie geblendet. Der Uebergang von dem hellerleuchteten Schloß in die stockfinstere Nacht, die ihn umgab, war zu überraschend. Als Hans sich dann von seinem Schreck erholt hatte, eilte er auf dem nächsten Weg nach seiner Hütte. Innerlich schalt er auf die wenig fürstliche Belohnung, die er für sein Spiel eingeheimset. Am liebsten hätte er die glühenden Kohlen auf den Weg geschüttet; doch fürchtete er den Zorn der Schloßbewohner. Von einer wilden Hast getrieben, rannte er den schlecht gebahnten Weg entlang. Die glühenden Kohlen in seinem Hut wurden mit jedem Schritt vorwärts schwerer und schwerer, so daß der arme Spielmann ganz in Schweiß gebadet vor seiner Hütte ankam. Mit zitternder Hand erschloß er die Tür und schüttete, ehe er seine Schwelle überschritt, den glühenden Inhalt seines Hutes vor die Haustür; dann warf er diese angstvoll zögernd hinter sich ins Schloß. Ohne Licht anzuzünden kroch er ins Bett, zog die Decke bis über die Ohren herauf – dann lauschte – lauschte er mit angehaltenem Atem. Draußen blieb es stille, die Geister waren ihm nicht gefolgt, so schlief Hans beruhigt ein; das Abenteuer der Nacht hatte ihn ermüdet.

Am andern Morgen, als die Sonne golden in sein Stübchen schaute, wachte der Langschläfer auf, und sofort stand das Erlebnis der letzten Nacht frisch und klar vor seiner Seele.

Im Nu sprang er aus den Federn und eilte zum Tische. Dort lag seine Geige und sein alter Filzhut.

Mißtrauisch betrachtete er ihn von allen Seiten; doch zu seinem unaussprechlichen Staunen fand er den Hut unversehrt, die glühenden Kohlen hatten kein Loch eingebrannt, ja, es zeigte sich nicht einmal eine versengte Stelle. Als Hans noch voller Staunen den alten Filz hin und her betrachtete, rutschte zwischen dem defekten Hutfutter ein blankes Goldstück hervor.

Der Spielmann fühlte sich einer Ohnmacht nahe, mit zitternden Händen mußte er sich an der Tischplatte festhalten, sonst wäre er vor Schreck zu Boden gestürzt – denn mit einem Schlage ward ihm die Bewandtnis mit den glühenden Kohlen klar.

»Heilige Barmherzigkeit!« stammelte er erschrocken. Er stürzte vor das Haus – da lag ein Häufchen Kohlenschlacken, von Goldstücken war nichts zu sehen.

Mit beiden Händen raffte er die Kohlen auf, trug sie hinein; aber alle seine Mühe blieb erfolglos, sie ließen sich nicht wieder in Glut bringen, sondern waren und blieben tote ausgebrannte Schlacken.

»Welch ein Dummhut bin ich gewesen!« murmelte Hans. »All das viele schöne Geld ist durch meine Schuld verloren gegangen; ich konnte mir doch denken, daß solch vornehmer Herr mich fürstlich belohnen würde. Nun bin ich so arm wie vorher,« seufzte er, ließ den Kopf zur Brust herabhängen und marterte sich mit Vorwürfen – dann plötzlich fiel sein Blick auf seine Geige. – Rasch setzte er sie ans Kinn und spielte – spielte, – und je länger er spielte, desto leichter ward ihm ums Herz. – Hans Görge war eben ein echter, rechter Spielmann, dem der goldene Klang seiner Fiedel über das Klingen der goldenen Münzen ging.

Lustig und wohlgemut zog er hinfort mit seiner Fiedel von Ort zu Ort und spielte wie früher seine lustigen Tanzweisen. Freilich die Melodien, die er seiner Geige im Zauberschloß entlockt hatte, die hat er nie mehr im Leben gehört – sie waren mit dem Schloß und den schönen Herren und Damen in die Tiefe des Berges versunken.

Dort liegen die süßen Weisen noch heute begraben; wer sie finden will, muß ein Sonntagskind und ein echter, rechter Spielmann sein. Viel Glück auf den Weg!


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