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Vor vielen, vielen Hunderten von Jahren stand dicht am Ufer des heiligen Gangastromes eine niedrige Hütte.
In ihr hauste Wasaki, ein kleines, ausgedörrtes, uraltes Männchen. Auf seinem, mit einer flachen, glatten Haube bedeckten, breiten Schädel war kein einziges Härlein mehr zu entdecken.
Seine schlotternden Glieder umhüllte ein viel zu weiter Rock, der in tausendfachen Fältchen auslief.
Wasaki gehörte zur längst ausgestorbenen Zunft der Windmacher.
An schönen, sonnenhellen Tagen, wenn sich kein Lüftchen regte, dann stand er am Uferrand und spähte emsig landauf und landein.
Neben ihm, auf einem Steine, hockte sein getreuer Diener und Gehilfe Kausiki, zu dessen Füßen vier graue, hoch aufgebauschte, bis an den Rand mit Wind gefüllte Säcke lagen.
»Unser Geschäft geht schlecht,« klagte Wasaki, »kein einziger Schiffer begehrt zu Tale zu fahren, und früher vermochten wir nicht Wind genug zu schaffen. Wenn diese Windstille noch lange anhält, dann verdorrt das Gras auf den Wiesen, und die Früchte auf den Feldern verbrennen unter den Strahlenpfeilen der Sonne.«
Kausiki neigte zustimmend sein Haupt, dann wieder verharrten die Gefährten in stummer Regungslosigkeit. Sie ließen die Köpfe hängen und – warteten auf bessere Zeiten.
Endlich aber sollte ihre Geduld belohnt werden.
Von Sonnenaufgang her zog ein stolzes Heer. An seiner Spitze ritt auf einem riesengroßen weißen Elefanten der Herr des Angalandes. Ueber seinem Haupte schwebte, als Zeichen seiner königlichen Würde, ein goldgelber Sonnenschirm.
Als der Kriegerzug nahe herbei gekommen, erhob sich Wasiki, den Anführer zu begrüßen.
»Wer bist du?« herrschte ihn der Fürst an.
»Herr – ich bin Wasiki, ein Windmacher, und harre auf vorübersegelnde Schiffe. Hier in diesem Sacke verwahre ich köstlichen, frischen Wind, der die weißen Segel bläht und reichbeladene Schiffe talabwärts geleitet.«
Ueber das gebräunte Antlitz des Fürsten flog ein wohlgefälliges Lächeln.
Eilfertig sprang er aus dem Sattel, und Wasakis Hand ergreifend, fragte er eindringlich:
»Du verstehst es, Wind zu machen?«
»Gewiß, Herr, das ist mein Geschäft,« erwiderte lächelnd Wasaki, »soll ich dir eine Probe meiner Kunst zeigen?«
Huldvoll gewährend gab der Fürst seine Erlaubnis.
Wasaki beugte sich zu dem ersten der vollgefüllten Sacke, zog die Schnur, welche die Oeffnung des Sackes verschloß, locker, und siehe da – ein leichtes, frisches Lüftchen flog daher. Es fächelte die heiße Stirn des Angafürsten, dann zitterte es über die Fluten des heiligen Gangastromes; die bewegten sich und kräuselten sich in lustigem Spiele.
Der Fürst staunte.
»Du bist ein Tausendkünstler, Wasaki; aber sage, vermagst du es, meine Flotte herbeizuzaubern. Die plötzlich eingetretene Windstille hält die Schiffe oberhalb dieser Stelle fest!«
»Nichts leichter als das, mein Fürst,« erwiderte Wasaki mit stolzem Selbstbewußtsein.
»So höre. Du bist arm, ich will dir es reichlich lohnen. Ich verspreche dir eine Stange Goldes, wenn durch deine Hilfe die Schiffe bewegt werden, so daß ich mein Heer hier einzuschiffen vermag.«
»Gewiß, Herr – habe nur kurze Zeit Geduld. Dein Wunsch wird erfüllt.«
Wasaki öffnete nun, mit Hilfe seines Dieners Kausiki, den ersten Sack. Da erhielten die eingesperrten Winde freien Lauf.
Jauchzend und fauchend drangen die Winde aus dem Sacke, und wie mit einem Schlage veränderte sich das landschaftliche Bild.
Am azurnen Himmel flogen leichte Wölkchen auf, die eben noch trägen Fluten des Gangastromes bewegten sich lebhaft; je mehr der Wind auffrischte, desto höher hoben sich die Wogen, und noch ehe der Fürst sein Erstaunen über diese plötzliche Veränderung ausdrücken konnte, kam schon das erste Schiff in Sicht. Stolz wie ein Schwan schwebte es mit aufgeblähten Segeln daher.
»Du bist ein Hexenmeister,« lobte der Fürst, »reichlichen Lohn will ich dir spenden.«
Schiff folgte auf Schiff, so daß bald eine ansehnliche Flotte im Gangastrome vor Anker lag.
Ohne zu zögern begann die Einschiffung der Krieger.
Wasaki schaute dem ungewohnten Schauspiele zu; endlich, als schon das letzte Schiff bemannt wurde, näherte er sich dem Fürsten.
»Herr, wohin nehmen deine Schiffe ihren Lauf?«
»Gen Wideha,« erwiderte der Fürst. »Ich will das Land unter mein Zepter bringen, den Fürsten verjagen und das reiche, üppige Land beherrschen.«
»Gen Wideha?« wiederholte Wasaki, wie im Traume. Und mit einem Male stieg das Bild seines Heimatlandes Wideha in seiner Erinnerung auf. Er sah die blühenden Städte, die fruchtbaren Felder, die köstlichen Wälder, und das alles – alles sollte verwüstet, von Rosses Hufen zertreten, vom Feinde zerstört werden? Und er selbst, ein Sohn jenes Landes, sollte seine Hand zu dem abscheulichen Werke leihen?
Nein, nein, das durfte, das konnte nicht sein. – – – –
Während Wasaki, in Gedanken versunken, gestanden, war der letzte Krieger eingeschifft. Schon hißten die Schiffe ihre Segel auf, stolz blähte sich das silberweiße Linnen im Strahle der Sonne.
»Hier, nimm deinen Lohn,« sagte der Fürst und überreichte Wasaki eine große Stange gleißenden Goldes, »leb wohl – ich habe Eile!«
Der Fürst bestieg das Schiff, klatschend setzten sich die Ruder in Bewegung.
Wie ein Marmorbild, steif und bewegungslos, stand Wasaki am Ufer. In der Hand hielt er noch immer die Stange Goldes. Plötzlich flog ein Zittern und Beben durch die schmächtige Gestalt des Windmachers, die Stange Gold entsank seinen zitternden Händen, sie rollte die steile Uferböschung hinab und verschwand in den hochaufspritzenden Fluten des Gangastromes.
Als das gleißende, glitzernde Gold in der Tiefe verschwunden, da atmete Wasaki wie befreit auf. Mit geschäftiger Hand verschloß er den ersten Windsack, dann aber öffnete er den zweiten, der erheblich größer und umfangreicher war. Im Nu erhob sich ein orkanartiger Sturm, der wild über die empörten Fluten dahinjagte. Pfeifend erfaßte er die Schiffe, so daß sie wie Nußschalen vom Orkan gepeitscht hin und her tanzten.
»Fahrt zu, fahrt zu. Ihr segelt in euer Verderben!« schrie Wasaki, einen dritten Windsack öffnend. »Der Sturm jagt die Schiffe aus dem sichern Kurs auf unsichtbare Felsenriffe; mögen sie an deren spitzen Krallen zerschellen. Blast, ihr Winde, blast dem grausamen Eroberer ein Sterbelied!«
Erschöpft sank Wasaki auf seine Knie, und sein Antlitz, nach der Vorschrift seiner Religion, gen Osten wendend, sprach er:
»Ihr hohen Götter, habt Dank – ich gehe ein zum Frieden, ich habe meine Pflichten treulich erfüllt. Mein Vaterland habe ich vor Krieg und Not gerettet!«
Jama, der Gott des Todes, berührte die Stirn des alten Windmachers und nahm seine Seele mit sich hinab in das Reich des Todes.