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Joachim hatte seit dem Auftritt am Vormittag keine Gelegenheit gehabt, mit Agnete auch nur ein einziges Wort zu wechseln; aber Beate hatte ihm heilig versprochen, die Schwester am Nachmittag zu bewegen, mit ihr zu Mamsell Fiken zu gehen, wo er sie dann treffen könnte. Als Vorwand für seinen Besuch wollte er sich bei Mamsell Fiken ein Paar gestickter Hosenträger bestellen.
Als die Mädchen etwa um zwei Uhr nachmittags dort eintrafen, war Joachim schon da. Mamsell Fiken war eben damit beschäftigt, dem »Herrn Lieutenant« ihre verschiedenen Muster vorzulegen, indem sie ihm, geschmeichelt durch den Auftrag, versprach, ein wahres Meisterwerk zu schaffen. Als die Mädchen ankamen, Agnete scheu, das Kopftuch tief über die Stirn hereingezogen, beide Hände unter dem Shawl versteckt, Beate aber erkünstelt ungezwungen und allzu unschuldig erstaunt mit ihrem »Was, Vetter Joachim, du hier?« – da verstand Mamsell Fiken sehr gut, welcher Wind die Herrschaften in ihre »niedere Hütte« geblasen hatte. Bengta hatte natürlich in der Gesindestube auch den Mund nicht halten können, und Mamsell Fiken hatte schon selbst ihre Ahnungen gehabt, als sie am Vormittag den Baron schon nach einer kleinen Stunde wieder hatte von Munkeboda fortfahren sehen. »Und,« sagte sie später zu Beate, »wenn man auch nur eine arme alte Jungfer ist und sich mit einem untergeordneten Platz in der Welt begnügen muß, so stammt man doch von besseren Leuten und hat, gottlob, auch ein Herz« – hier legte Mamsell Fiken beteuernd die Hand auf die Brust – »ein Herz, in dem Amor auch einmal seine Wohnung aufgeschlagen hatte!« Und nun mußte Beate unter vielen Thränen die oft vernommene Geschichte von dem Studenten wieder hören, der später Pfarrverweser in Bunkeflo wurde, aber »dort seine Jugendliebe vergaß«. Das war sozusagen die erste wirkliche Liebesgeschichte, die die Mädchen von Munkeboda gehört hatten. Sie hatte in ihren frühesten Jugendträumen eine Rolle gespielt und erschien ihnen auch später noch als das Vorbild eines »richtigen Romans«.
Die Mädchen begrüßten Mamsell Fiken etwas gezwungen und setzten sich nach einigem Sträuben nebeneinander auf das wackelige Kanapee, unter den ovalen Spiegel, den sich nicht einmal Karin Maria jemals mit einem Glas denken konnte. Der vergoldete Rahmen umschloß dafür einen Pappdeckel, den die erfinderische Mamsell Fiken von Maler Andersen in der Stadt mit einer Art wolkigem Himmelblau hatte übermalen lassen; es sollte die wechselnden Lichter eines Spiegelglases vorstellen. Die Wände des Zimmers waren mit gelbem Ocker gemalt, und jenes Blau nahm sich, wie Mamsell Fiken sagte, so »echt schwedisch« dazu aus, über den kleinen Lithographieen von Gustav Adolf und Königin Friederika. Zwischen diesen beiden hing, unter Glas und Rahmen, ein durchstochenes Herz, umgeben von gepreßten Blumen, sowie einem zweizeiligen Geburtstagsvers, den der treulose Pastor von Bunkeflo einstens selbst für sie geschrieben hatte. Unter diesem Erinnerungsblatt hing, von dem ersten Pariser Miniaturmaler gemalt und von einem feinen Rokokorahmen umgeben, ein wunderschönes Bild von Gustav Moritz Armfeld, das seinerzeit einer Tante von Mamsell Fiken gehört hatte. Diese Tante hatte sich einmal wegen ihrer Schönheit großer Berühmtheit erfreut. Sie war einst bei der Oper unter Gustav III. angestellt gewesen, kam aber nach einem etwas abenteuerlichen Leben in der Hauptstadt, schwindsüchtig und von ihren Freunden verlassen, wieder nach Schonen, um in der »niederen Hütte« zu sterben. Ihre Harfe, pietätsvoll von staubigen Immortellen bekränzt, stand noch in einer Ecke des Zimmers.
Schon in ihrer frühesten Jugend hatten die Mädchen mit nie schwindendem Interesse die romantischen Erinnerungen dieser Hütte betrachtet, und auch jetzt konnte Agnete, trotz all ihres Kummers, nicht unterlassen, einen Blick auf die stumme Harfe in der Ecke zu werfen, auf deren nun zerrissenen Saiten einstens zarte, weiße Finger gespielt hatten, Finger, die gewohnt waren, von dem Alcibiades Schwedens und seinen fröhlichen Genossen geküßt zu werden.
Mamsell Fiken, die viel erfahrener war als die unschuldige Beate, verstand natürlich sogleich, daß sie ihrem Günstling, dem »Herrn Lieutenant«, keinen größeren Gefallen erweisen konnte, als wenn sie ihn mit seiner Agnete allein ließ. Nachdem also ihre Gäste Platz genommen hatten, stellte sie sich gerade vor sie hin, ihre vor Kälte steifen Hände unter dem baumwollenen Umschlagetuch gekreuzt, und sann auf einen Vorwand, unter dem sie Beate aus dem Zimmer führen könnte. Wenn sie nur wenigstens ein paar Kaffeebohnen im Haus gehabt hätte! Aber mit den letzten hatte sie leider gestern Frau Bofors bewirten müssen.
»Liebe Beate, möchten Sie nicht vielleicht das Kleid sehen, das ich für Kantors Sissa nähe?« fiel ihr endlich glücklicherweise zu sagen ein. »Es wird wirklich wunderschön, mit einer Reihe › Excuses‹ um den ganzen Rock herum – hier unten,« beschrieb sie, mit der Hand über ihre Kniee hinfahrend.
Beate verzog nicht einmal den Mund; es war eine altbekannte Sache, was mit Mamsell Fikens französischen Ausdrücken gemeint war. »Excuses« bedeutete »Volants«, und der Ausdruck hatte sich durch den vieljährigen Gebrauch beinahe im ganzen Dorf eingebürgert. Beate erhob sich daher eifrig und sagte: »Ach ja, liebe Mamsell Fiken, lassen Sie es mich doch sehen!«
Agnete wurde nicht mit einer Silbe genannt, aber der Schein war jedenfalls gerettet, und Mamsell Fiken führte Beate im Triumph über ihre Schlauheit mit sich in die Küche. Hier setzte sich diese, ohne eine weitere Erklärung zu verlangen, sogleich auf den Küchentisch und erhielt von der guten alten Jungfer die Leibspeise ihrer Kindheit: Schwarzbrot mit Sirup darauf gestrichen und getrocknete Apfelschnitze, die sie behaglich verzehrte, während sie nach Herzenslust mit der alles Romantische liebenden und sehr teilnehmenden Mamsell Fiken die unglückliche Liebesgeschichte der Schwester besprach.
Aber drin in der Stube saß Agnete immer noch unbeweglich auf dem Sofa, die Hände unter dem Shawl versteckt und auf ihre Schuhe niederblickend.
»Agnete!« flüsterte Joachim, sobald Mamsell Fiken die Thür hinter sich geschlossen hatte. »Sieh mich an – sprich mit mir … ich weiß sonst nicht, was ich glauben soll! Hast du mir wirklich vergeben, oder … oder … bist du im Grunde deines Herzens böse auf mich? Agnete?«
Sie schüttelte etwas matt den Kopf, ohne seinem flehenden Blick begegnen zu wollen. Er fiel vor dem wackligen Sofa auf die Kniee und schlang zärtlich die Arme um sie – jetzt erst sah er, daß in ihren gesenkten Augen große Thränen standen.
»Herr Gott, Agnete – laß mich dir nun zuerst alles erklären!« bat er leise.
Agnete schüttelte noch einmal den Kopf, diesmal etwas kräftiger. »Das ist nicht nötig, Joachim,« murmelte sie, ohne ihn anzusehen, »das hat keinen Wert … wir können uns ja nun auf alle Fälle nicht heiraten.«
»Meinst du darum nicht?« fragte er mißtrauisch, halb gedemütigt und halb erstaunt. »Darum … weil du weißt … was Tante Charlotte sagen wollte? Mein geliebtes Mädchen – du verstehst das nicht recht, oder glaubst du wirklich, daß du je einen Mann bekommst, der keine solche Sünde auf dem Gewissen hat?«
»Ich weiß es nicht,« schluchzte Agnete und brach nun in heftiges Weinen aus. »Es ist ja nicht allein das! Es ist natürlich eine große Schande für dich, das verstehe ich wohl, aber … ich habe ja diese Person gar nie gesehen, und Stockholm ist soweit weg von hier! Nein, Joachim!« sie sah ihn plötzlich mit ihren großen Augen traurig und vorwurfsvoll an, »es ist nicht allein das … obgleich …« sie zog sich von ihm gegen die Sofalehne zurück, »wie konntest du nur …!«
Aber als Joachim nun reuevoll sein Gesicht auf ihre Hände drückte, neigte sie sich wieder zu ihm hernieder und flüsterte verzweiflungsvoll: »Ich habe früher niemals darüber nachgedacht, ich glaube sogar, ich habe es gar nicht gewußt … Mama hat mir aber jetzt gesagt, daß das Gesetz es verbietet, und daß es geradezu als Sünde betrachtet wird, wenn man sich mit seinem leiblichen Vetter verheiratet.«
»Sonst nichts!« rief Joachim erleichtert. »Wir kommen natürlich um königliche Erlaubnis ein! Das thun viele.«
Agnete schüttelte betrübt den Kopf. »Das sagte Karin Maria auch, aber Mama meinte, du könntest nicht erwarten, daß dir der König irgend eine Gnade gewährte, nachdem du dich in Stockholm so benommen habest – zumal, da es sich um deinen Regimentschef handelte!«
»Und dann konnte Tante Charlotte natürlich unmöglich länger an sich halten, sondern mußte dir haarklein erzählen, worin ich mich so schlecht aufgeführt habe?« fragte Joachim spöttisch und verbittert.
»Ich hatte es ja schon erraten,« murmelte Agnete leise. »Ich weiß nicht, wie es kam, aber sobald ich dein Gesicht sah, als du ins Comptoir kamst, und Mama anfing, davon zu sprechen, erriet ich … ich wollte es aber nicht hören. Es ist ja auch ganz gleichgültig –« Sie blickte starr auf ihre Füße, und ihre Stimme wurde noch leiser. »Ich meine …« Sie stockte plötzlich und rief dann leidenschaftlich: »Es handelt sich ja ganz allein um die Sache selbst – wer die Person ist, das ist mir vollständig einerlei!«
»Aber es kann dir doch unmöglich einerlei sein, daß ich in einem verwünschten Augenblick des Uebermuts, um einer Dirne willen, aus der ich mir ebenso wenig mache als aus Bengta, eurem Stubenmädchen, meine ganze Carriere vernichtet habe!« rief Joachim bitter und reuevoll. »O Agnete! Wagst du es … wagst du es wirklich mit mir … jetzt, da du weißt, wie schrecklich launenhaft und leichtsinnig ich sein kann!«
Agnete legte beide Hände auf seine Schultern. »Ach Joachim, ich fürchte, ich bin gar nicht recht tugendhaft, nicht wie Mama … aber … aber … wenn ich dich hier bei mir habe – dann berührt mich alles andre gar nicht; es ist so weit weg, so nebelhaft und unwirklich … Nein, ich kann nicht sagen, was ich meine, und es hat ja auch keinen Wert – jetzt, da sogar das Gesetz uns trennt!« schloß sie mutlos.
»Natürlich verweigert der König die Erlaubnis nicht!« rief Joachim ungeduldig. »Außerdem ist er und der Kronprinz, sowie alle die andern hohen Herren gar nicht so unzufrieden mit mir. Die Erlaubnis wird beinahe nie verweigert – sie ist nur eine Formsache!«
»Aber Mama sagt, es wäre auch um deinetwillen äußerst unklug, wenn man jetzt eine Eingabe machte; das würde nur dazu führen, den Skandal wieder aufzufrischen,« sagte Agnete betrübt und abwehrend. »Sie sagt auch, alle Menschen würden es Papa im höchsten Grade übelnehmen, wenn er so kurz nachher … und sie sagt –« Agnete flüsterte jetzt leise, qualvoll verwirrt, »die Leute müßten ja glauben, ich sei … verstehst du … ich sei ein ganz merkwürdiges und leichtsinniges Mädchen, die … die … so darauf aus sei, dich … jetzt, da jedermann von dir spricht …«
Sie schwieg einen Augenblick und fuhr dann mit fester Stimme fort: »Ich verstehe sehr gut, daß sie recht hat, und daß es natürlich einen schlimmen Eindruck machen würde, wenn wir … nachdem du nun so lange hier im Hause gewohnt hast …« Sie zwang sich, ihn anzusehen, schlug aber dann, sich vorbeugend, beide Hände vors Gesicht. »Ach, mir ist, als müßte ich vor Scham in die Erde versinken, wenn ich nur daran denke, wie niedrig … die Leute alles auslegen könnten!«
Joachim hatte sie unverwandt betrachtet, während sie abgerissen und mit großer Anstrengung gesprochen hatte. Jetzt erhob er sich, blaß bis in die Lippen vor Zorn und Entrüstung.
»Da hast du recht,« sagte er. »Und ehe ganz Schonen über Agnete Skytte sprechen soll, als ob sie ein verführtes Dienstmädchen sei, die gezwungen ist, sich mit dem ›ersten besten Don Juan‹ zu verheiraten – das war es doch, was deine Mutter mich nannte? – so will ich …«
Agnete schwieg. Sie war ebenso blaß geworden wie er und drückte, während er sprach, einen Augenblick krampfhaft die Augen zu. Er hatte sie wohl verstanden, und übersetzte nun die vorsichtigen Andeutungen der Majorin rücksichtslos in klare Worte.
Sie schwiegen beide eine Weile. Joachim ging ein paarmal im Zimmer hin und her und sagte dann schnell: »Ich wußte nicht, daß ich einen so erbärmlichen Ruf habe.«
Und als sie immer noch nicht antwortete, fügte er hinzu: »Du bist leicht einzuschüchtern, mein Täubchen!«
Da richtete Agnete sich auf; ihre braunen Augen sahen trotzig und vorwurfsvoll in die seinigen.
» Bis jetzt hat mich noch niemand durch Einschüchterung gehindert, zu thun, was ich wollte.«
Er wandte sich hastig zu ihr hin.
»Und doch sagst du, du wollest nichts mehr von mir wissen? …«
»Doch,« antwortete Agnete mutig und errötete ein wenig, »aber jetzt nicht. Ich will, daß wir eine Weile warten, bis der Sturm sich gelegt hat und die Leute die Geschichte vergessen haben.«
»Und während der ganzen Zeit soll ich hier auf Munkeboda herumgehen, von allen mit Mißtrauen betrachtet, von der Mutter, die vielleicht hie und da wieder darauf verfällt, deine Verlobung mit Stjerne veröffentlichen zu wollen, bewacht und ungern gesehen! Du scheinst ja ohnedies keinen besonderen Widerstand zu leisten …«
»Joachim!« rief Agnete und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. »Du weißt, jetzt lügst du!«
Aber Joachim war außer sich und hörte nicht auf sie.
»Es ist also deine Meinung,« fuhr er heftig fort, »ich soll wie eine Memme, vielleicht jahrelang, mich hier herumtreiben, ohne es wagen zu dürfen, mit dir zu sprechen, ohne dich auch nur zu berühren … Agnete, Agnete!« Er hielt dicht vor ihr an. »Ich sage dir, ich würde verrückt dabei!«
»Ich bleibe ja nicht daheim,« murmelte sie und blickte mit Thränen in den Augen auf. »Mama will mich fortschicken …«
»So–o–« Er begegnete ihrem Blick und fügte hinzu: »Du kannst Tante Charlotte von mir grüßen, und das sei nicht nötig, meinetwegen nicht. Ich werde selbst fortgehen!«
Wieder begann er in der kleinen Stube hin und her zu gehen – empört, aufgeregt, die Daumen in den Westentaschen – indem er heftig fortfuhr: »Meinen Abschied vom Militär zu nehmen, daran habe ich schon lange gedacht – für mich gibt es keine Lorbeeren mehr auf der Laufbahn des Offiziers. Und um die Wahrheit zu gestehen, der Gedanke macht mir keinen Kummer! Seit ich hierherkam, fühle ich deutlich, daß ich mich eigentlich viel besser dazu eigne, Onkel Niklas in der Landwirtschaft zu helfen, als zu dem einförmigen und unthätigen Kasernenleben. Und die Liebe zum Lande, zu Munkeboda, ja, zu der ganzen Gegend hier, die liegt bei mir im Blut, wie bei allen Gliedern der Familie Skytte. Aber jetzt …« er winkte abwehrend mit der Hand. »Gott sei Dank, daß die Franzosen in Afrika ernstlich Krieg führen wollen, sonst fände sich nicht so leicht ein Platz für mich auf der Welt!«
»Du willst doch nicht sagen …« Agnete sprang auf. »Du kannst nicht Seite an Seite mit den Franzosen kämpfen!« rief sie und ergriff in ihrer Angst mit plötzlicher Geistesgegenwart die am nächsten liegende Einwendung. »Denke daran, daß dein Vater von einer französischen Kugel getötet wurde!«
Joachim blieb dicht vor ihr stehen.
»Du täuschest dich, Agnete. Erstens fiel mein Vater im Kampf mit einem deutschen Regiment des französischen Kaisers, und zweitens glaube ich nicht, daß man diejenigen, welche jetzt in Paris herrschen, für das verantwortlich machen kann, was im Jahre dreizehn bei Leipzig geschah. Sie würden sich auch gewiß bestens dafür bedanken! Nein,« fügte er eigensinnig hinzu, indem er sich auf dem Absatz herumdrehte und wieder zwischen Fenster und Thür hin und her ging, »morgen melde ich mich beim Chef des französischen Kriegsministeriums.«
Er sah flüchtig nach ihr hin, und als sie nicht antwortete, setzte er etwas prahlerisch hinzu: »Ich hätte natürlich lieber mein Blut für Griechenland vergossen, aber das braucht mich nicht mehr! Ach, wäre das nur vor fünfzehn Jahren gewesen! Damals war man in ganz Europa froh an einem verzweifelten Kerl und einem ehrlichen Willen!«
»Joachim!« Agnete that einen Schritt vor, und das Tuch fiel von ihren Schultern. »Ich kann es nicht ertragen, dich so reden zu hören – ich verbiete dir, fortzugehen, hörst du!«
Er hielt an, und ohne die Hände aus den Westentaschen zu nehmen, sah er ihr gerade ins Gesicht. Sie sahen in diesem Augenblick einander so ähnlich wie Bruder und Schwester.
»Darf ich dich fragen, was mir sonst noch übrig bleibt?«
Da schlang sie plötzlich ihre Arme um seinen Hals und sah ihn innig an.
»Warten, sage ich dir! Warten!«
Er zog sie leidenschaftlich an sich.
»Aber ich will nicht warten! Ich kann nicht warten! Ich will, daß du in diesem Augenblick, da es gilt, daß wir zusammenhalten, mutig, ohne Vorbehalt und ohne jegliches Bedenken ja oder nein sagst! Verstehst du mich?«
Agnete war erbittert über diese unkluge Rücksichtslosigkeit, sie sagte sich, daß er dadurch alle ihre Aussichten zerstöre und sie nicht einen Schritt vorwärts bringe. Sie machte deshalb eine Bewegung, um sich aus seinen Armen loszumachen, während sie heftig antwortete: »Du willst mir also die Pistole auf die Brust setzen? Du glaubst, du könnest mich zwingen? … Aber du magst mir drohen, wie du willst, du kannst mich doch nicht davon abhalten, das zu thun, was ich für recht und klug halte … das einzig Vernünftige …«
»Du bist doch die echte Tochter Tante Charlottens, das sehe ich jetzt!« rief er höhnisch und außer sich vor Zorn über ihren zähen Widerstand. »Klug – vernünftig – ja, vernünftig vor allem andern!«
Agnete hob stolz den Kopf. »Wenn du noch ein Wort über Mama sagst, gehe ich auf der Stelle. Was sie auch thun mag, sie meint es gut mit mir, das weiß ich!« Den Shawl auf dem Arm, ging sie mit erhobenem Haupt auf die Thür zu.
Er legte hastig seinen Arm um sie, und ihren Kopf heftig zurückbiegend, daß sie ihm gerade ins Gesicht sehen mußte, hielt er sie fest wie in einem Schraubstock.
»Du gehst nicht,« rief er nun ganz außer sich, »ehe du ein für allemal ja oder nein gesagt hast, ob du mit mir gemeinsame Sache machen willst! Ich habe ein Recht, das von dir zu fordern!«
Agnetes Gesicht war dicht unter dem seinigen, mit der Hand drückte er ihren Nacken an seine Schulter – ihre braunen Augen leuchteten ihm funkelnd entgegen.
» Nein also!« sagte sie kurz und machte sich mit einer Kraftanstrengung von ihm los.