Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

Die Märzsonne beschien hell und klar die ganze lange Vorderseite des weißen Hauses und schien auch durch die weit offenstehenden Fenster mit den etwas grünlichen Fensterscheiben. In der halboffenen Hausthür stand Agnete und blinzelte unter dem frischgeplätteten Helgoländer Hut hervor, den sie heute zum erstenmal trug, während sie, bei dem kühlen Frühlingswind leicht zusammenschaudernd, das gestrickte wollene Tuch dicht um den Hals legte. Hierauf hob sie herzhaft mit beiden Händen das leichte Musselinkleid in die Höhe, das mit seinem großblumigen Muster auf helllila Grund schrecklich verblaßt aussah, was sie jetzt im Sonnenschein zum erstenmal entdeckte.

Sie wollte nur in den Küchengarten hinuntergehen und nachsehen, ob sich nicht ein paar Schneeglöckchen fänden, die sie in Vetter Joachims Stube stellen könnte; die Kommode sah gar so kahl aus, nur mit dem weißen Tuch und dem Spiegel darauf. Und dann wolle sie, dachte sie weiter, indem sie über die hohen, noch fest gefrorenen Spargelbeete sprang, die zwei kleinen Lithographieen vom Kronprinzen und General Adlersparre, die man über der Truhe drunten im Wohnzimmer kaum bemerkte, an die Wand über seinem Bett hängen. Das schien ihr sehr passend für, das Zimmer eines Offiziers.

Drin in der Küche vor dem offenen Herd stand Beate mit erhitztem Gesicht und buk mit größter Aufmerksamkeit »arme Ritter« zum Kaffee. Die mißratenen oder etwas verbrannten legte sie auf eine besondere Platte; mit ihnen konnte man der Wasch-Brita und dem Weber-Kerstin drunten im Brauhaus auch eine Freude machen.

In der Gesindestube wurde gewebt, wie gewöhnlich. Die gnädige Frau Majorin duldete nicht, daß die Mädchen heute zur Unzeit die Arbeit verließen. Ihr war der Vetter Joachim nicht so wichtig, als ihren Töchtern. Wenn man nicht mit größerer Ehre kam, dann …

Aber keine der Töchter wußte, warum der Vetter kam, weder Agnete noch Beate, nicht einmal Karin Maria. Mama hatte es weder passend noch klug gefunden, ihnen den Grund seines Besuchs mitzuteilen. Sie fragten auch gar nicht weiter danach; ihnen war es genug, daß er kam, ja, daß überhaupt jemand kam. Nun waren sie alle drei den ganzen Winter zu Hause auf Munkeboda gewesen, und seit den Weihnachtsgesellschaften bei dem Landrichter und dem Pfarrer, sowie der Maskerade bei Tante Brita an Knuts zwanzigstem Geburtstag, hatten sie, außer dem schweigsamen Baron Stjerne von Marieholm und der alten Mamsell Fiken, die beim Flicken und Nähen und dergleichen im Hause half, nicht eine einzige lebende Seele bei sich gesehen. Sie war ja ganz lieb und gemütlich, die gute Mamsell Fiken, aber jetzt hatten sie schon seit so vielen Jahren und so oft alle ihre Geschichten gehört, daß sie sie nächstens auswendig und besser als Mamsell Fiken selbst erzählen konnten. Auch handelten die paar neuen, die in der letzten Zeit dazugekommen waren, alle ohne Ausnahme von dem schlechten Per Larsen auf Bofors, der kürzlich seinen Schwiegervater im Rausch erstochen hatte. Es war auf die Dauer wirklich nicht sehr lustig, das immer wieder zu hören.

Die Majorin saß auf ihrem gewöhnlichen Platz am Fenster und strickte Vorhänge »in Wellenlinien«, was eine besondere Kunst war. Sie hatte sich doch dazu bequemt, ihren Gast wenigstens soweit zu ehren, daß sie heute den großen Flickkorb beiseite gelassen hatte. Dieser Flickkorb war ganz gefüllt mit unzähligen feinen leinenen Tüchern aus der Zeit der Urgroßeltern, die sie zu allerunterst aus dem alten Leinenschrank hervorgesucht hatte, und die wunderschön zu flicken ihr ein besonderes Vergnügen machte. Jetzt stand der Korb drüben auf der Truhe mit der filetgestrickten Decke darüber und unter den Bildern des Kronprinzen und des Generals Adlersparre, die Agnete hinterlistigerweise fortschmuggeln wollte.

An dem ovalen Tisch gerade vor dem großen Sofa stand Karin Maria und deckte den Kaffeetisch. Sie stellte die Festtags-Kaffeekanne auf den Tisch und das Brotschiffchen aus getriebenem Silber daneben. Sie hatte zuerst ein wenig zaghaft nach der Mutter hinübergeblickt, als sie diese Stücke aus dem Eckschrank hervorholte und die altertümliche Kanne aus dem alten Kissenbezug herausnahm, in den sie für gewöhnlich gehüllt war. Diese Kanne war ein Erbstück der Familie; es war ursprünglich ein Weinkrug gewesen, aus der Zeit Karls XII., aber eine erfindungsreiche Frau Skytte hatte, als der Kaffee Mode wurde, von einem Goldschmied in Kristianstad eine Ausgußröhre daran setzen lassen. Die Majorin sah es wohl, aber sie kniff nur den Mund zusammen und that, als ob sie es nicht bemerke. Da hatte Karin Maria die Kanne genommen und mitten auf den Tisch gestellt.

Darauf legte sie noch ein paar Holzklötze auf die Kohlen und ließ dann ihre Augen im Zimmer umherschweifen, um ihre Anordnungen noch einmal zu prüfen.

Der lange, aus lauter schmalen tannenen Brettern zusammengefügte Zimmerboden war so blank gescheuert, als es überhaupt möglich war, und der Sonnenschein ließ ihn wirklich blendend weiß erscheinen. An den Wänden standen glänzende, solide Mahagonimöbel – altertümliche und neumodische – auf jeder Seite von der Thür nach dem Flur befand sich ein Klapptisch mit vielen kleinen Brettern und breiten Klappen, die so erfinderisch eingerichtet waren, daß sie bei feierlichen Gelegenheiten zu einem langen Tisch zusammengesetzt werden konnten. Die drei Fenster waren von langen, selbstgewebten Vorhängen bedeckt, einer Arbeit der drei Töchter des Hauses, und auf dem Fenstersims, neben dem Platz der gnädigen Frau Majorin, standen zwei blühende Hyazinthen.

Ueber dem Sofa hingen in glatten Mahagonirahmen die großen Bilder des Königs und der Königin Desideria, und zwischen diesen beiden in einem ovalen, vergoldeten Rahmen ein Oelbild von Hedwig Elisabeth Charlotte, das »sie selbst« Mamas Tante geschenkt hatte, als sie noch Herzogin war. Dieses Bild hatte früher in der Staatsstube zwischen den Familienbildern gehangen; da jedoch in diesem nur ein- oder zweimal im Winter geheizt wurde, hatte es Mama jetzt ins Wohnzimmer gehängt. Sie liebte es, hie und da einmal jemand, und wenn es auch nur Jungfer Fiken war, die Geschichte von ihrer Tante zu erzählen.

Es war ganz still im Zimmer, und man hörte, wie Agnete auf dem Flur ihre Füße an dem Strohboden aus Tannenreis reinigte, ehe sie die Treppe zum oberen Stockwerk hinaufeilte.

Beate kam nun mit den »armen Rittern« herein; hellbraun und einladend lagen sie auf einer Platte und wurden von ihr zu dem übrigen Kaffeebrot in den silbernen Korb gelegt. Karin Maria warf rasch noch einen verstohlenen Blick in den etwas trüben Pfeilerspiegel in der Ecke, an dem übrigens der Rahmen die Hauptsache war. Sie ordnete ihr Haar und die Enden ihres feinen Musselinhalstuchs, das über dem ausgeschnittenen Kleide aus selbstgewebtem Stoff mit einer Nadel zusammengesteckt war.

»Ich glaube, er könnte jetzt bald da sein!« rief Beate.

In diesem Augenblick kam Agnete die Treppe herunter. Sie nahm immer zwei Stufen auf einmal, riß die Thür zwischen den beiden Klapptischen auf und rief mit lauter Stimme: »Mama! Mädchen! – Ich habe Ola Mattsons Wagen droben auf dem Hügel gesehen! Das muß Joachim sein!«

Die Mutter legte ihr Strickzeug zusammen. »Sei so gut und erinnere dich daran, daß du Vetter Joachim zu sagen hast, wenn du mit ihm sprichst,« sagte sie in strengem Ton zu ihrer jüngsten Tochter. Es war wirklich zu toll, was die Mädchen für ein Wesen aus dem Burschen machten! Agnete hatte sich sogar die neue seidene Schleife ins Haar gesteckt! Da saß nun die rote Rosette oben auf der Frisur, dicht vor dem Kamm zwischen den Locken, die über die Schläfe hereinfielen, und so oft Agnete den Kopf bewegte, neigte sie sich kokett hin und her. Ja, sogar Karin Maria hatte der Großmutter perlenbesetzte Nadel im Halstuch stecken – die doch sonst nur bei den allerfeierlichsten Gelegenheiten hervorkam! Und Beate trug ihr goldenes Konfirmationsherz um den Hals! Die Mama sah das alles recht wohl, aber da es nun einmal geschehen war, so war es wohl am besten, sie that, als ob sie es nicht merkte; sie machte nur ein sehr bedenkliches Gesicht, während sie langsam und sorgfältig die umständliche Strickarbeit zusammenlegte.

Aber was war nun das? … War denn das nicht wirklich und wahrhaftig Mamsell Fiken selbst, die jetzt gerade auf den Hof kam – natürlich nur, um den »Stammherrn« zu sehen!

Kurz darauf öffnete Mamsell Fiken die kleine Tapetenthür zwischen dem Sofa und der Truhe und steckte ihren kleinen Kopf mit den runden Augen und einer Nase, die fast einem Vogelschnabel ähnlich sah, schüchtern zur Thür herein; auf jeder Seite des Kopfes saßen an den Schläfen drei graue Papierwickel.

»Ach, liebe gnädige Frau, ich bitte tausendmal um Verzeihung!« rief sie ganz bestürzt, als sie schon unter der Thür dem kalten, erstaunten Blicke der Majorin begegnete. »Ich bin heute abend zur Taufe beim Kantor eingeladen, deshalb habe ich meine Locken noch nicht gemacht.« – Sie fuhr sich ängstlich entschuldigend mit der Hand an die Lockenwickel. – »Und dann hätte ich gerne Karin Marias neue Schuhe entlehnt, denn die meinigen« – sie streckte dabei mit einer gewissen Koketterie einen kleinen hübschen Fuß in einem abgetragenen, niedergetretenen Kreuzbandschuh vor, der sich allerdings nicht für Gesellschaften eignete.

»Sehr gerne, Mamsell Fiken,« sagte die Frau Majorin ebenso steif als vorher. »Geh und hole die Schuhe, Karin Maria!«

»Jetzt?« fragte Karin Maria, die den Wagen gerade in den Hof fahren hörte, unwillig.

Die Majorin verstand die ganze Lage ganz gut; deshalb wandte sie sich sehr kühl und mit großer Würde an Mamsell Fiken und sagte: »Wir erwarten Lieutenant Skytte, den Neffen meines Mannes, heute nachmittag.«

»Ach so!« antwortete Mamsell Fiken. Als ob sie das nicht gewußt hätte!

Die Mädchen warfen einander ängstliche Blicke zu. Jetzt hielt der Wagen vor der Staffel – und Papa war nicht zu Hause! Wer sollte hinausgehen in den Flur und den Vetter empfangen?

Die Majorin dachte einen Augenblick nach – nein, sie sollte keinen Anlaß zum Klatschen bekommen, die alte Schwatzbase!

»Sie entschuldigen mich wohl, Mamsell Fiken!« sagte sie daher mit ihrem allervornehmsten Ausdruck. Darauf öffnete sie die Thür nach dem Flur und trat hinaus. Die drei Mädchen streckten eifrig die Köpfe vor und sahen ihr über die Schulter.

Da stand er schon oben im Hauseingang, hochgewachsen und breitschulterig, in großen Reisestiefeln und in einem Mantel aus Wolfspelz, die Mütze in der Hand. Das dichte, braune Haar fiel lockig über seine Stirn herein, und das wettergebräunte, lachende Gesicht mit den klaren, dunkelblauen Augen war wie eingerahmt von einem schönen, in der Mitte geteilten Vollbart, »Favorites« genannt.

»Willkommen, lieber Joachim!« grüßte die Majorin mit lauter Stimme, mehr in Gedanken an Mamsell Fiken, die auch drinnen den Hals reckte, als an den Neffen, der sich verbeugte und seinen Kratzfuß machte, ehe er pflichtschuldigst von Tante Charlotte umarmt wurde.

Drin im Saal begrüßte er die Cousinen. Er küßte sie alle drei auf die Wange und verwunderte sich sehr darüber, daß Agnete so groß geworden war.

»Jawohl,« sagte Agnete und spielte mit ihrem Gürtelband: »ich wurde aber auch im Herbst neunzehn Jahre alt …«

Karin Maria stand schon mit der silbernen Kaffeekanne in der Hand am Tisch. Mamsell Fiken bat noch einmal um Entschuldigung wegen ihrer Lockenwickel und wurde dann eingeladen, dazubleiben und auch eine Tasse Kaffee zu trinken.

Karin Maria, schlank und vornehm, mit Spitzenrüschen an den weißen, schmalen Händen, fragte jetzt mit wohlgesetzten Worten nach Tante Anne-Ulla und Cousine Lisen, die ja den Winter in Stockholm zugebracht hätten, und Beate, noch immer mit vom Backen heißen Wangen, nötigte wohlwollend Mamsell Fiken, sich mit Kaffeegebäck zu versehen, obgleich diese schon eine Menge davon auf ihrer Untertasse aufgehäuft hatte. Agnete aber saß ganz still da und blickte vor sich hin auf ihre kleinen, schmalen, vom Märzwind bös mitgenommenen roten Handgelenke – sie fühlte es wohl, daß Vetter Joachim die ganze Zeit, während er mit den andern redete, sie verstohlen betrachtete. Sie wünschte von Herzen, sie hätte das rote Seidenband nicht in ihr Haar geschlungen – denn natürlich war das der Grund, warum er immer zu ihr herübersah …

Und während Joachim Skytte sich mit Tante Charlotte und Karin Maria in liebenswürdiger Weise über die Verwandten in Stockholm und Kristianstad unterhielt und sich Beates »arme Ritter« vortrefflich schmecken ließ, verwunderte er sich im stillen darüber, daß er wirklich ganz vergessen gehabt hatte, wie Cousine Agnete aussah – denn noch niemals hatte er jemand gesehen, der ihr ähnlich gewesen wäre. Sie war so blond, daß das Haar oben am Scheitel unter der hochroten Schleife beinahe silberweiß erschien, und die vielen kleinen krausen Löckchen, die an den Schläfen über die Ohren und Wangen hereinfielen, waren weich und glänzend wie Seide. Ihr Gesicht war noch ganz kindlich; es hatte sehr weiche Züge, eine frische Haut und war sogar – so früh im Jahre schon – ein wenig sonnverbrannt. Und dann hatte sie – und das war das merkwürdigste von allem – ein Paar große, braune Augen, so braun wie brauner Sammet; dunkel und warm, wenn sie schwieg, schelmisch und freimütig, wenn sie sprach. Sie paßten so merkwürdig gut zu dem kleinen, roten Mund.



 << zurück weiter >>