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19. Die Seele des Tyrannen

Als ein geeigneter Lagerplatz gefunden und Holz zu einem Feuer gesammelt war, brach schon die Nacht herein.

Manuel rupfte in der Dunkelheit zwei Sumpfenten, die Ulrich noch geschossen hatte, während dieser Holz und Bast aufschichtete. Friedrich blickte unterdessen träumend in die schwarze nächtliche Savannah. Plötzlich sah er aus der Gegend, wo der Sumpf lag, eine helle Flamme nahen. Er machte Ulrich durch einen leisen Ruf darauf aufmerksam. Manuel, der etwas abseits saß und zu seiner Arbeit eine schwermutsvolle Romanze sang, merkte nichts davon.

Die Brüder meinten, es nahe sich jemand mit einer Fackel; vielleicht waren es auch mehrere Menschen, denen ein Führer voranleuchtete. Jedenfalls fand Ulrich es ratsam, der Sache auf den Grund zu gehen, um eine etwa drohende Gefahr rechtzeitig zu erkennen. Er griff daher nach seiner Büchse und schlich sich vorsichtig in die Nacht hinaus, stets das Licht im Auge behaltend, das immer näher kam. Einigemal blieb er stehen und lauschte angestrengt, ohne daß er einen Laut vernehmen konnte; auch war außer der Flamme nichts zu sehen, keine Gestalt, kein Gegenstand, den sie in ihrer Nähe beleuchtet hätte. Manchmal hob oder senkte sie sich; im allgemeinen aber lief sie so schnurgerade parallel mit dem Boden, daß Ulrich ernstlich zu zweifeln begann, ob ein Mensch das Licht trage; infolge der Bewegung des Schreitenden hätte es viel regelmäßiger schwanken müssen.

Ulrich mochte der Flamme auf etwa hundert Schritte nahe gekommen sein und durfte hoffen, binnen kurzem sich mit Sicherheit überzeugen zu können, ob ein Träger vorhanden sei oder nicht, – da plötzlich stand das rätselhafte Licht still, und dann wich es zurück, erst langsam, bald aber immer rascher sich entfernend.

Ulrich verfolgte es eine Zeitlang; als er jedoch einsah, daß er es nicht einholen könne, begab er sich rasch zum Lagerplatz zurück, den er nur dank dem aufflammenden Feuer wieder entdecken konnte. Friedrich hatte sich nämlich gesagt, daß sich sein Bruder in der Dunkelheit nicht wieder zurückfinden könne; als er daher das Fliehen und allmähliche Verschwinden der Flamme bemerkte, entzündete er rasch den Holzstoß, so daß Ulrich einen sicheren Wegweiser hatte.

Manuel war inzwischen mit den gerupften und ausgenommenen Enten herbeigekommen und steckte sie an den Spieß, um sie über dem Feuer zu braten. Als er sich nach Ulrichs Verbleib erkundigte, berichtete ihm Friedrich von der rätselhaften Flamme. In dem Augenblick kam auch schon Ulrich zurück und erzählte, wie es ihm mit dem Irrlicht ergangen war, und wie es bei seinem Erscheinen plötzlich vor ihm zurückgewichen sei; er war nun überzeugt, daß es sich nur um ein Irrlicht handeln konnte.

»Das war die Seele des Tyrannen!« murmelte Manuel dumpf und bekreuzte sich.

»Die Seele des Tyrannen?« fragte Friedrich aufs höchste erstaunt.

»Ja, gewiß! Die Seele des Tyrannen geht nächtlich in den Llanos um und entweicht, wenn ein Mensch auf sie zugeht. Das ist der Fluch des Verfluchten!«

»Was für ein Tyrann ist es denn, von dem diese Sage geht?« forschte nun Ulrich seinerseits.

»Sage?« erwiderte Manuel verächtlich. »Es ist die lautere Wahrheit; ihr habt ja den irrenden Geist selber gesehen! Aber ich habe Hunger: wenn euch gelüstet, die Geschichte zu vernehmen, so wollen wir zuvor speisen; der Braten wird bald gar sein.«

Auch die Knaben hatten Appetit, und so wurde zunächst die köstliche Mahlzeit gehalten, und das Brülläffchen, das Friedrich »Salvado« (den Geretteten) getauft hatte, erhielt ebenfalls sein Futter; dann streckten sich die drei behaglich am Feuer auf dem Moose nieder und setzten ihre kurzen Pfeifen in Brand.

Friedrich war so begierig auf die romantische Erzählung, die er erwartete, daß er kaum so lange an sich halten konnte; dann aber mahnte er den Führer lebhaft an sein Versprechen: »Also! los jetzt, Manuel! Was ist's mit der Seele des Tyrannen?«

Und Manuel begann: »Ich weiß nicht, Sennores, ob euch die Geschichte dieser Länder bekannt ist, bei uns wird noch viel von den alten Zeiten erzählt, als die spanischen Konquistadoren ein Reich um das andre eroberten und ein Volk ums andre unterjochten; was sie aber vor allem begehrten und suchten, wofür sie den größten Gefahren trotzten und Gesundheit und Leben tausendfach wagten, das war das Gold.

»So große Schätze an Silber, Gold und Edelsteinen sie besonders in Mexiko und Peru fanden, so hatten sie doch nie genug; und als sie von den Indianern die Kunde von dem Goldlande der Omagua und von der Goldstadt Manoa mit dem goldenen Sonnentempel und dem Dorado vernahmen, ging all ihr Streben und Trachten nach dieser Heimstätte der größten Erdenreichtümer.«

»Von der El-Dorado-Sage habe ich auch schon gehört,« unterbrach Ulrich den Erzähler. »Vor Zeiten müssen zahlreiche Eroberer ausgezogen sein, dieses fabelhafte Goldland zu entdecken; es gelang aber keinem, und viele fanden dabei ihren Untergang; heute glaubt kein Mensch mehr an jenes El Dorado. Wenn du aber etwas Näheres über den Inhalt der Sage weißt, so teile es uns, bitte, mit: ich meinesteils bin von den Einzelheiten nicht unterrichtet.«

Manuel sah ihn spöttisch lächelnd an:

»Erstens ist El Dorado kein Land, sondern ein Priesterkönig; El Dorado, das ist ›Der Vergoldete‹. Die Goldstadt dieses vergoldeten Königs heißt Manoa. Freilich, wenn man heutzutage die Leute hört, so reden sie immer von El Dorado als von einem Lande; aber ich habe das alles in Büchern ganz genau gelesen und weiß es besser. Zweitens, meine jungen Herren, handelt es sich um keine Sage oder Fabel, sondern um eine sichere Überlieferung. Es ist wahr, die Konquistadoren, die Eroberer Südamerikas, haben die Stadt Manoa nicht gefunden; aber nicht etwa, weil sie nicht bestände, sondern einfach deshalb, weil jene Abenteurer alle nicht so weit vorgedrungen sind, als nötig gewesen wäre; es handelt sich um Gegenden, die bis heute noch keines Weißen Fuß betreten hat. Auch haben die Indianer aus Rache wegen vieler abscheulicher Grausamkeiten die Weißen absichtlich irregeführt und die wahre Lage des Goldlandes geheim gehalten. So ist es ja mit Hunderten von Silberminen in den Kordilleren auch gegangen; bis heute sind die wenigsten von ihnen wieder entdeckt worden.

»Ihr sagt, kein Mensch glaube mehr an die alte Sage vom Dorado? Wo ich noch hinkam, wissen die Leute davon zu sprechen, und ich habe Männer aus Chile, Peru, Ecuador, Colombia, Guayana, Brasilien und Bolivia getroffen, die alle bestätigten, daß die Kunde von den Wundern der Goldstadt bei ihnen noch lebendig sei.«

»Das mag wohl sein,« wandte Friedrich ein, obgleich er nur zu geneigt war, an die geheimnisvollen Überlieferungen zu glauben, von denen er schon viel gehört hatte, weshalb er mit leuchtenden Augen voller Spannung dem weiteren Berichte entgegensah. »Aber daß die Leute heute noch von den vergangenen Träumen etwas wissen, beweist nichts über deren tatsächlichen Hintergrund.«

»Sennores,« sagte Manuel, »als die Spanier nach Peru kamen, erzählten ihnen die Indianer vom Dorado; an der Mündung des Amazonas, viele tausend Leguen von Peru entfernt, wußten die Indianerstämme das gleiche zu berichten; am Orinoko war die Kunde von Manoa überall zu Hause; die Deutschen erfuhren sie in Venezuela. Man mochte hinkommen, wohin man wollte, man mochte die Eingeborenen der verschiedensten Völkerschaften ausfragen, die nie miteinander verkehrten, – es gab nicht einen, der unwissend gewesen wäre; ja, sie wußten Richtung und Wege anzugeben, und diese stimmten überall genau überein: in Bolivia wiesen sie nach Norden, in Peru nach Nordosten, in Ecuador nach Osten, in Colombia nach Süden, in Venezuela nach Südwesten, in Brasilien nach Westen. Aber damals waren die Schwierigkeiten, durch die unendlichen Wälder zu dringen, viel größer als jetzt, und alle El-Dorado-Sucher machten sich durch ihre Schandtaten die Eingeborenen zu Feinden; überdies hatten sie die Kenntnisse nicht, die man heute besitzt: es ist kein Wunder, daß sie Manoa nicht fanden. Wenn aber die Gelehrten von heute nur an die Goldstadt glaubten, eine wissenschaftliche Expedition würde sie bald entdecken müssen. Allein, wer denkt noch an jene abgelegenen Gegenden? Nur das Volk! Dieses aber liebt keine weiten, gefahrvollen Reisen, und deshalb ist das Land dort in der Ferne heute noch so unerforscht wie vor dreihundert Jahren. Ich meinesteils sage nur noch eins: woher haben die Napo den Goldstaub, mit dem sie ihre hohlen Bambusstäbe anfüllen, um in Quito Waren dafür einzutauschen, wenn es kein Goldland gibt?«

»Sei es, wie es wolle,« sagte Ulrich immer noch ungläubig, »was weißt du uns von Dorado zu berichten?«

»El Dorado, der Vergoldete, das ist der Priesterkönig von Manoa, der alle Morgen gesalbt wird und sich im Goldstaube wälzt, so daß sein ganzer Leib im Goldglanz leuchtet; des Abends spült er das Gold im heiligen See wieder ab und wirft alle Edelsteine ins Wasser, mit denen er tagsüber geschmückt war. So geht es Tag für Tag; denn die Schätze an Goldstaub und Edelgestein dort oben sind unerschöpflich.«

»Etwas Ähnliches sagt man vom See von Guatavita,« schaltete Friedrich sinnend ein. »Dieser See liegt im Norden von Santa Fe de Bogota auf der Sierra Cipaquira in den Anden Kolumbiens. Dort soll der Kazike der Idacanzaindianer vor Ankunft der Spanier alljährlich ein Opferfest abgehalten haben. Es wird erzählt, er habe sich dabei den Leib mit wohlriechendem Öl gesalbt, worauf er über und über mit Goldstaub bestreut worden sei; dann fuhr er in einer Piragua inmitten seines prächtigen Hofstaats auf den See hinaus, in den er Hände voll Gold und Smaragde als Weihopfer für den in der Tiefe hausenden Gott versenkte; zuletzt stürzte er sich selbst ins Wasser, den Goldstaub von seinem Leibe abzuspülen. Musik und Gesang und Jubel des Volkes widerhallten hierbei von den Bergwänden, die den See im Kreise umgeben, und Tanz und Trinkgelage beschlossen das Fest. Aber schon als Gonzales Pizarro, der Bruder des Eroberers von Peru, auszog, den Dorado zu finden, wurde dieses Fest nicht mehr gefeiert.

»Der See von Guatavita liegt nur 55 Kilometer nordöstlich von Santa Fe auf dem Südostabhange des Paramo de Cipaquira, einem westlichen Ausläufer der Cordillera de la Suma Paz; er befindet sich 2770 Meter über dem Meere im Krater eines erloschenen Vulkans. Bei einem Versuch der Ableitung des Sees, den vor dreihundert Jahren Herman Perez und Antonio de Sepulveda unternahmen, wurden riesige Smaragde und allerlei Goldgeschmeide zutage gefördert. Nach einem Sturm findet man noch heute Gold und Edelsteine an den Ufern, an denen auch noch herrliche Tempelruinen stehen. Erst neuerdings hat sich in London eine Gesellschaft gebildet, um den See abzulassen und die unermeßlichen Schätze zu heben, mit denen sein Grund gepflastert sein soll.«

Manuel hatte Friedrichs Bericht kopfschüttelnd angehört; als der Jüngling zu Ende war, hub er wieder an: »Was Ihr vom See von Guatavita erzählt, hat allerdings seine Richtigkeit; es ist dies aber durchaus nicht der See des Dorado von Manoa. Der Kazike von Guatavita hat nur den Dorado nachgeahmt, und was dieser täglich tat, begnügte er sich, einmal im Jahre zu tun, da er über die unerschöpflichen Reichtümer nicht verfügte wie El Dorado. Manoa selbst muß weit südlicher liegen als Guatavita, und wenn es heute vielleicht verlassen ist und in Ruinen liegt, so birgt es doch des Goldes und der Juwelen noch genug, namentlich im Schoße des heiligen Sees, um jeden Einwohner Südamerikas zum Millionär machen zu können.«

Als Manuel schwieg, erinnerte ihn Ulrich daran, daß er ihnen noch Aufklärung über »die Seele des Tyrannen« schuldig sei.

»In der Tat,« begann der Führer wieder; »das habe ich über El Dorado ganz vergessen. Also: als Gonzalo Ximines de Queseda die Provinz Bogota erobert hatte, begab er sich nach Spanien, um sich die Regierung dieses Gebietes übertragen zu lassen. Wie es aber damals meist ging, er bekam sie nicht, sondern sie wurde dem verdienstlosen Don Luis Alfonso de Lugo zuteil. Dieser hatte kaum drei Jahre von Santa Marta aus das neue Königreich Nueva Granada verwaltet, so wurde auch schon wegen seiner Mißwirtschaft ein anderer an seiner Stelle von dem indischen Rat zum Vizekönig ernannt: Don Miguel Diaz de Armendariz. Ich weiß diese Dinge genau, denn sie stehen in einem Buche, das mein Vater besaß, und das ich sehr oft gelesen habe. Während Don Miguel in Cartagena und den übrigen Küstenstädten die Untersuchung gegen seinen Vorgänger leitete, beredete er seinen Neffen Don Pedro de Ursua, einen Edelmann aus Navarra, ihn in Bogota zu vertreten. Trotz seiner Jugend bewies sich der ebenso tapfere wie liebenswürdige Ursua als der tüchtigste Regent, der je in Amerika geherrscht hat, und der berühmte Garcilasso Inka de la Vega, Sohn des Don Juan Munnos de Collantes und der Inka-Prinzessin Donna Francisca Coya, der auch durch Philipps II. Undank und Mißtrauen nach Spanien zurückberufen wurde, schildert ihn als großmütig, ehrenhaft, einen tadellosen Ritter, aller Liebling. Das hindert nicht, daß sich Ursua arglosen Indianern gegenüber als blutiger Verräter zeigte: was galten die Indianer den stolzen Spaniern?

»Als Don Pedro de Ursua von den Goldfahrten der Deutschen Hohemut und Federmann in das Land der Omaguas erfuhr und von der reichen Beute, die jene gemacht hatten, erwachte in ihm die glühende Sehnsucht, selbst eine solche abenteuerliche Unternehmung zu leiten und womöglich die Schneeberge zu erreichen, die die Deutschen nur von ferne sahen; dort hoffte er Manoa und dessen König El Dorado zu finden. Mit seinem Freunde Ortun de Belasco warb er vierhundert Freiwillige an, über die er von seinem Onkel Armendariz den Oberbefehl erhielt.

»Ursua drang zunächst in das Land der Lachesindianer und der Chitatero ein, woselbst er die wichtige Stadt Nueva Pamplona gründete. Nachdem sein Onkel infolge verleumderischer Anklagen in Ungnade gefallen und abgesetzt worden war, versuchte Ursua, die Muzoindianer zu unterwerfen; als ihm dies im offenen Kampfe nicht gelang, bat er die Häuptlinge unter Friedensversicherungen in sein Lager, wo er sie sämtlich ermorden ließ. Dennoch gelang ihm die Unterjochung der Muzo nicht. – Ich erzähle das, damit ihr seht, wie unsere Vorfahren mit den Indianern umgegangen sind, und wie recht wir hatten, uns von dieser grausamen Heimat loszusagen und eine Republik zu gründen.

»Bald darauf machte Ursua einen Versuch, die kriegerischen Tayronen zu bezwingen, deren Land reich an Gold und Silber war. Heute noch gräbt man dort goldene Götzenbilder und Geschmeide in Form von Schlangen, Kröten, Adlern, Hirschen, Fledermäusen, Eichhörnchen, Halbmonden und so weiter aus der Erde. Aber die Tayronen warfen Ursua zurück, und nur ein heldenmütiger Verzweiflungskampf rettete ihn vor völliger Vernichtung. Der edle, hochgebildete Stamm der Tayronen konnte nie unterjocht werden und ist auf rätselhafte Weise vom Erdboden verschwunden.

»Später segelte Ursua nach Peru, woselbst der Vizekönig Don Andres Hurtado de Mendoza, Marques de Cannete, ihm die Leitung einer Expedition zur Entdeckung El Dorados und der Goldländer der Omaguas anvertraute.

»Es war nämlich ein Häuptling der Tupinambaramas, namens Viraratu, in Lima eingetroffen. Dieser erzählte, er sei aus Tatendrang mit zweitausend Kriegern von seiner Heimat in Westbrasilien aufgebrochen und den Amazonas hinaufgefahren. Nach langer Reise sei er in eine weite, von hohen Gebirgen umschlossene Ebene gelangt. Dort sei ein See gewesen, an dessen Gestaden so zahlreiche und große Ortschaften gelegen seien, daß seine Leute kein Ende des Staunens fanden: dort befinde sich auch die Goldstadt Manoa und ihr Herrscher El Dorado. Bei dem Erscheinen seiner Flotte im See hätten die Eingeborenen sofort ein zahlreiches Geschwader von Piroguen und Kanus ihm entgegengesandt und ihn in einer Seeschlacht so völlig geschlagen, daß er nur mit knapper Not entronnen und unter tausend Gefahren nach langwieriger Flucht in Peru angelangt sei.

»Dieser Bericht des Häuptlings Viraratu bestärkte Ursua in seinem Verlangen, die Goldstadt aufzusuchen. Er rüstete ein gewaltiges Heer und ließ eine Flotte auf dem Huallagaflusse bauen. Die nötigen Mittel, die er zu seinem Unternehmen außer den Unterstützungen des Vizekönigs brauchte, scheute er sich nicht, zum Teil durch Erpressungen und grausame Gewalttaten aufzubringen. Ursua hatte zwei Jugendfreunde, Dias de Arles und Diego de Frias, zu Offizieren ernannt und ihnen Pedro Ramiro, der eine genaue Kenntnis des Landes und der Eingeborenen besaß, zeitweilig zum Vorgesetzten beigegeben, um die Spanier mit den Häuptlingen und Indianern in Verbindung zu bringen. Vertrauend, daß ihre Freundschaft mit Ursua ihnen Straflosigkeit gewährleiste, ließen die Offiziere den Ramiro meuchlings ermorden, bloß aus Eifersucht, weil er ihnen auf kurze Zeit vorgesetzt worden war. Ursua aber ließ die Mörder in Santa Cruz enthaupten.

»Sennores, wir sagen, daß ein Unternehmen, das mit Blut beginnt, auch mit Blut endigt: das ist wahr und bleibt wahr! Auch der Vizekönig, Marquis von Cannete, teilte diese Befürchtung; er warnte Ursua vor Meutereien, mahnte ihn namentlich, einen gewissen Lope de Aguirre aus seiner Schar zu entfernen und doch ja seine schöne Braut, die mutvolle Donna Inez de Atienza aus Truxillo nicht mit auf die gefahrvolle Fahrt zu nehmen. Ursua schlug die Warnung in den Wind und beantwortete sie nicht einmal.

»Gleich zu Anfang der Expedition wurden die Indianerstämme, durch deren Gebiet man kam, in schauerlicher Weise bekämpft, durch Verrat und Mord aufgerieben, während viele Männer und Weiber zu Sklaven gemacht wurden. Durch den Motilones oder Huallaga gelangte Ursua, talabwärts fahrend, in den Bracamoros, den Oberlauf des Maranon. Es folgte hieraus eine lange, anstrengende Fahrt durch verschiedene Nebenflüsse und Flußarme, teils flußauf, teils flußab. Zu ihrer großen Enttäuschung fanden aber die Spanier nur spärliche Ansiedlungen und gar kein Gold. Eine Meuterei brach bald aus; Ursua verzieh den Schuldigen, wie er stets große Nachsicht gegen die Soldaten übte. Aber weit entfernt, ihm die Milde zu danken, empfanden die Meuterer sie als eine entehrende Schmach, der sie den Tod vorgezogen hätten: so stolz sind wir Spanier, Sennores!

»Ursua ahnte nicht, daß er längst am goldreichen Lande der Omagua östlich vorbeigefahren war und drang immer weiter vor nach Osten. Mühen und Entbehrungen und die völlige Ungewißheit, ob und wo das Goldland zu finden sei, erzeugten unter Soldaten und Offizieren immer größere Unzufriedenheit: sie verlangten nach Peru zurück, und Lope de Aguirre nebst einigen anderen, die Ursua doch viel Dank schuldeten, schürten heimlich den aufrührerischen Geist.

»Die Meuterer boten dem Gonfaloniere Don Fernandez de Guzman den Oberbefehl an, und dieser sagte ihnen aus reiner Eitelkeit zu. Man beschloß, Ursua auszusetzen, während Aguirre auf seine Ermordung drang. Dieser schreckliche Mensch versprach Guzman, nach ihrer Rückkehr nach Peru den Vizekönig zu beseitigen und ihn an dessen Stelle zu setzen. Solche Aussichten bestimmten den ehrgeizigen Gonfaloniere, der Ermordung Ursuas beizustimmen. Ursuas Sorglosigkeit begünstigte die schwarzen Pläne; denn der Feldherr schlief ohne Wache in seinem Zelte. In der Nacht des 1. Januars 1561 wurde er nebst seinem Freunde Juan de Arze ermordet, nachdem seine Entdeckungsfahrt drei Monate und sechs Tage gedauert hatte. Er war erst fünfunddreißig Jahre alt.

»Unter den Meuterern brach alsbald der Unfriede aus; die einen wollten die Entdeckungsreise fortsetzen, während die andern, vornehmlich Aguirre, nach Peru zurückkehren und sich zu Herren des Landes machen wollten. Auch um die Gunst der Donna Inez stritten sich einige der Anführer. Aguirre war die Seele der Zwistigkeiten, die ihm Gelegenheit gaben, sich mehrerer Gegner durch Totschlag zu entledigen. Der Blutmensch plante nun, den Amazonas bis zur Mündung hinabzufahren und sich zur See nach Nombre de Dios zu begeben, die Stadt zu überrumpeln, den Statthalter und alle Beamten nebst allen Widerstand leistenden Einwohnern niederzumetzeln und die Stadt nach ausgiebiger Plünderung in Brand zu stecken. Ebenso wollte er mit Panama verfahren. Dann sollte mit Hilfe der erbeuteten Schiffe und Waffen und der sich ihnen anschließenden Einwohner nebst Tausenden entlaufener Sklaven Peru erobert werden.

»Durch solch verlockende Aussichten und Versprechung fürstlicher Belohnungen gewann Aguirre die Mehrzahl der Meuterer für sich. Alle Gegner, vor allem Don Fernandez de Guzman und Donna Inez, fielen durch Meuchelmord, und das Blut floß in Strömen. Aguirre übernahm alsdann den Oberbefehl und legte sich den Titel ›General‹ zu. Seine Soldaten nannte er ›Marannonen‹, das heißt Verschwörer.

»Aguirre hatte sich durch den Rio Negro und den Cassiquiare in das Stromgebiet des Orinoko verirrt, ohne es selber zu ahnen: er glaubte stets, sich auf dem Amazonas zu befinden, der seinen zweiten Namen ›Marannon‹ von eben jenen Marannonen herleitet. Aguirre hielt seine Leute in grausamer Zucht, und mit dem Argwohn des Tyrannen verbot er ihnen sogar bei Todesstrafe, miteinander zu reden oder sich zusammenzugesellen! Wer auch nur zufällig in seiner Gegenwart die Hand an den Schwertgriff legte, hatte ohne weiteres sein Leben verwirkt.

»Das Blutvergießen war den Spaniern so zur Gewohnheit geworden, daß sie ohne allen Grund friedliche Indianer niederschossen. Um die Wirkung des Pfeilgiftes zu beobachten, wurden einem gefangenen Indianer und einer Indianerin Wunden mit vergifteten Pfeilen beigebracht, an denen sie sterben mußten.

»Alle indianischen Männer und Weiber, die unterwegs zu Sklaven gemacht worden waren, setzte Aguirre, soweit sie sich noch am Leben befanden, trotz ihres Flehens in Gegenden aus, deren Einwohner Kannibalen waren.

»Als endlich das offene Meer erreicht wurde, steuerte Aguirre der Insel Margarita zu, der er sich durch Verrat bemächtigte, unter der königlichen Besatzung und den Einwohnern ein gräßliches Blutbad anrichtend. Diese sich im blühendsten Wohlstande befindende Insel wurde durch die Marannonen derart geplündert und verwüstet, daß sie gänzlich verarmte und sich nie wieder zur alten Blüte aufschwang.

»Aguirre bedurfte zur Ausführung seiner hochverräterischen Pläne noch mehrerer Schiffe; um solche zu kapern, sandte er einen seiner Kapitäne, Pedro de Moguira, aus. Dieser aber verriet Aguirres Vorhaben dem Ordensprovinzial von Santo Domingo, der sofort die königlichen Regierungen von Venezuela und Panama warnen ließ und selber auszog, Aguirre auf Margarita anzugreifen.

»Kapitän Franzisco Faxardo, ein Bürger der Stadt Nuestra Sennora de Carabelleda, des heutigen Caracas, brach sofort nach Eintreffen der Botschaft des Provinzialen gegen Aguirre auf. Dieser segelte, um den Nachstellungen zu entgehen, nach der Küste, besetzte Burburata, dessen Einwohner bei der Annäherung des gefürchteten Plünderers geflohen waren, und verbrannte seine Schiffe, um ein Entweichen seiner Soldaten unmöglich zu machen. Nachdem er die Stadt geplündert und eingeäschert hatte, begab er sich nach Nueva Valencia. Schauerlich wehten seine schwarzseidenen Fahnen, mit blutigroten, gekreuzten Schwertern übersät, den Rebellen voran. Auch Valencia war verlassen; die Bewohner hatten sich auf die Inseln des Sees von Tacarigua geflüchtet, von wo aus sie ihre geplünderten Heimstätten in Flammen aufgehen sahen.

»Nachdem Aguirre wieder viele seiner Soldaten, denen er nicht traute, hatte hinrichten lassen, zog er weiter nach Barquifimeto. Auch diese Stadt fand er verödet. Das Heer der Meuterer zählte noch hundertvierzig Mann; aber die königlichen Truppen hatten sich bereits in der Nähe zusammengezogen, und täglich liefen viele Marannonen zu ihnen über, trotz der grausamen Strenge, mit der sie von ihrem argwöhnischen Führer bewacht wurden. Als Aguirre wieder einen seiner Kapitäne hinrichten lassen wollte, verweigerten ihm die Soldaten den Gehorsam, und die meisten folgten dem Kapitän offen ins Lager der Königlichen.

»Da stürzte Aguirre verzweifelt in sein Zelt, in dem sich seine einzige, heißgeliebte Tochter, noch ein halbes Kind, befand. Mit den Worten: ›Es soll dich niemand die Tochter des Verräters heißen!‹ stieß er dem blühenden Mädchen seinen Dolch in die Brust. In diesem Augenblick drangen die Feinde ins Lager, und der grausame Tyrann wurde von zwei Kugeln seiner früheren Anhänger zu Tode getroffen. Sein Leichnam wurde zerstückelt; seine blutbefleckte Seele aber konnte keine Ruhe finden und irrt heute noch unstet als bläuliche Flamme in den Llanos umher, scheu entweichend, sobald ein ehrlicher Christ sich ihr naht. Ihr habt sie gesehen, ›el anima del Tirano Aguirre‹!

»El Dorado wurde späterhin noch von Martin de Provedo und Don Pedro Malaver de Silva nebst Don Diego de la Cerpa gesucht. Beide Unternehmungen endeten, obgleich die erstere dem Ziele nahekam, mit fast völliger Aufreibung der Teilnehmer unter unnennbaren Mühsalen und unter den Pfeilen erbitterter Indianer. Endlich suchten noch Don Antonio de Berreo und der Engländer Sir Walter Raleigh nach dem berühmten Goldsee; aber sie wähnten ihn im Lande Guayana zu finden, und man mag noch so sorgfältig suchen, man findet nie etwas an dem Platze, an dem es nicht ist. Der Engländer entdeckte zwar einen Goldberg und den fast dreitausend Meter hohen Kristallberg, der von Edelsteinen leuchtet, und von dessen Gipfel sich ein großer Fluß in die Tiefe stürzt, ohne die Felsenmauer zu berühren; aber nur aus weiter Ferne erblickte er diesen merkwürdigen Berg, der ihm wie ein weißer Riesenkirchturm erschien, und er vernahm das schauerliche Getöse der stürzenden Wassermassen. Den See von Manoa jedoch fand er natürlich nicht.«

»Höre, Manuel,« sagte Ulrich, nachdem der Erzähler zu Ende war, »solche ins einzelne gehenden geschichtlichen Kenntnisse hätte ich nie bei einem Diener des Herrn Lehmann vermutet, und du verstehst zu erzählen wie ein gelehrter Mann.«

»O!« erwiderte Manuel geschmeichelt, »ich habe das alles bloß in kurzen, großen Zügen erzählt, wie ich es im Gedächtnis behielt; in dem Buche meines Vaters steht noch viel, viel mehr, das meiste aber habe ich vergessen.«


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