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Der Brautlauf

Viele glänzende Herren und viele schöne Damen zogen nach Arundele, die Hochzeit Tristans von Lonnois mit Isolde Weißhand, der Erbin von Karke, zu feiern. Da waren dunkellockige Ritter aus Anchois und Hispanien, blonde Herren aus den allemandischen Landen, ja selbst einen Mohren konnte man sehen, den König Pridusar von Ninive, der fast so groß war wie ein Baum und die herrlichsten Gewänder führte. Er war ein Heide und betete zu dem Götzen Jupiter. Auf dem Haupte lag ihm anstatt des Helmes ein purpurroter Turban, den der Wurm Salamander im Feuer gewirkt hatte und der ganz mit großen grünen Smaragden besetzt war. Oben schwankte eine Pfauenfeder und darin der Stein Carbunculus; der leuchtete schier eine Meile weit. Sein Schild war aus gelbem Helfenbein geschaffen und man sah darauf, wie Eneas ins Meer fuhr und wie die schöne Heidin Dido unter einer Buche vor Gram das Schwert in ihre eigene Brust stach. Mit dem König kamen seine sechs Söhne. Ihre Sprache konnte kein Christenmensch verstehen. Sie waren vom Kopf bis zu den Sohlen schwarz und weiß gestreift, denn ihre Mutter war keine schwarze Heidin gewesen, sondern die schöne Annore von Honolant. Sie lebte nicht mehr. Neben Pridusar ritt Bellins, der Herzog der Antipoden, der nur fünfeinhalb Spannen groß war (aber um so größer an Mut) mit seinem ganzen Gezwerge.

Artus, der Herr der Ritterschaft, hatte seinen Schwestersohn, den Cons du chastel, Sagremor li cortois, entsandt. Der brachte einen silbernen Schild als Geschenk für Tristan. In seiner Mitte war das gräßliche Haupt einer Sorziere aus Gold gebildet; ihre Haare waren Schlangen. Jeder Feind, der diesen Schild ersah, mußte verzagen. So lag auch ein Luchsenfell darüber, wenn es nicht zum Kampfe ging. Mit Sagremor kam die helläugige Jungfrau Guentafleur, die Joye de la Curt zubenannt war: denn alle Menschen wurden froh, die in ihr liebliches Angesicht schauen durften. Sie trug eine Vase, von Ginevra für Isolde gesandt. Diese Vase war einst aus dem Feenland Avalun gebracht worden und fühlte sich zart an wie Sammet. Sie hatte keine bestimmte Farbe, denn alle Schimmer des Regenbogens lagen in ihr verborgen und leuchteten bunt auf, einer nach dem andern. Schillernde Streifen gingen in mancherlei Windungen von oben bis hinab und brachten ein wunderbares Leuchten hervor. Welche Blume in dieses Gefäß getan wurde, konnte nimmer welk werden, solange sie darin war; hob man sie aber heraus, so zerfiel sie in Staub. Sieben Tage lang hatte die Jungfrau Guentafleur die herrlichen Rosen getragen, die nirgends in der Welt als nur in Ginevras Blumengarten wuchsen und welche die Königin mit eigenen Händen gepflückt. Und wie sie zu Isolde kam, waren die Rosen frisch, als wären sie am Morgen gebrochen worden. Heimlich vertraute Guentafleur der bräutlichen Königin, daß ihr nie ein Mann Untreue erweisen könne, der dieses Gefäß mit den ewig blühenden Rosen vor Augen sehe. Da küßte Isolde die liebliche Joye de la Curt und schenkte ihr ein Festkleid aus scharlachnem Cendal und wahrte die Blumen sorglich. –

Turnier und Spiel und Reigentanz wurden abgehalten und die Herren zeigten ihren Mut und erhielten manch einen werten Frauendank. Tristan ging hin und wieder und sorgte für alle Gäste. Nie war er so fröhlich gesehen worden wie heute. Trotz schwerem Abendtrunk hatte er oft ruhelos gelegen; nun aber würden ihm die Nächte in süßem Liebesspiel vergehen.

Der junge Abelin wachte in der Kapelle. Am Morgen des Hochzeitstages sollte ihm das Schwert gegeben werden. Er lag auf den Knien vor Sankt Georg und Sankt Michael, den Schützern des Rittertumes. Er rang die Hände und betete in wirren Worten, aber die starren Bilder blieben unbewegt. Von fern her tönte das Jubeln der Trinker. Viele Ritter hatten sich verschworen, in dieser Nacht keinen Schlaf zu suchen, sondern voll mit Wein der feierlichen Messe am Morgen beizuwohnen; meist waren es deutsche Herren, die solchen Sinn trugen, aber andere hielten zu ihnen, um nicht als Schlafmäuse verlacht zu werden. Sie saßen beisammen und lärmten aus besten Kräften.

Abelin warf sich vor der Madonna nieder und flehte ihre Hilfe herab. Er wußte selbst nicht recht, worum er bat; er wußte nur das eine: daß Isolde am Morgen Tristans Frau werden sollte ... Und er war nun herangewachsen und nahm selbst das Schwert; in wenig Jahren konnte er vielleicht den bestehen, der seine Herrin nahm – war doch Tristan vor einem unbewehrten Waldknaben geflohen! Abelin weinte in sich hinein; alle Gebete, die ihm auferlegt worden waren, hatte er vergessen.

Er zog den kleinen weißen Seidenschuh hervor, den er immer an seiner Brust trug. Isolde hatte ihn einst beim Ballspiel im Park verloren, und trotz allem Suchen war er nicht mehr zu finden gewesen. Schalkhaft hatten sich die drei Mädchen angelächelt, denn sie wußten es wohl, daß weiße Schuhe nicht von Grashüpfern verschluckt werden, wie dies Abelin in seiner Verwirrung behauptet hatte. Aber Isolde hatte sie nicht weiter suchen lassen, und die flinke Alienor war flugs um einen andern Schuh ins Haus gelaufen.

Diesen Schuh hielt Abelin als sein bestes Gut verborgen. Er war ihm wie ein Heiligtum, und wollte er beim Hochamt fromme Gedanken in seiner Seele erwecken, so dachte er stets an den Schuh. Jetzt zog er ihn heraus und stellte ihn neben das Lämpchen, das vor der Madonna brannte. Er kniete hin und sah, wie Isolde leicht ihr Kleid hob und durchs feuchte Gras sprang. Ihre Schuhe reichten nicht einmal bis an die Knöchel; die waren von feinen gelben Strümpfen bedeckt ... damals war Tristan noch nicht im Land gewesen! Der Knabe küßte seinen Schatz und versank in Träumereien ...

Als der Priester kam, die Frühmesse zu lesen, saß Abelin bleich und erschöpft im letzten Stuhl; er achtete kaum der heiligen Handlung.

Das Fest begann. König Jovelin hängte dem Knaben das kurze Schwert selbst um den Hals und schenkte ihm ein weißes Roß. Tristan gab goldene Sporen und Isolde einen Helm mit stolzem Zimier. Alle Frauen standen um ihn und freuten sich des schönen Jünglings. Doch Abelin warf keinen Blick auf die Waffen. An dem Tage, da man ihn unter die Männer aufnahm, wurde seine Herrin einem andern vermählt! Während der Hochzeitsfeier stand Abelin knapp an der Tür der Kapelle. Als die Sängerknaben mit dem Choral anhuben, lief er fort und warf sich draußen weinend ins Moos. Leiser und leiser ging sein Schluchzen; endlich schlief er ein.

Der Schaukampf war zu Ende. Mancher starke Mann war vom Pferde gestochen und wund aus den Schranken getragen worden. Pellehan de Nantes lag im Sterben. Die eisenschweren Hengste hatten alle Blumen niedergestampft, aber statt ihrer sah man den Rasen mit bunten Edelsteinen bedeckt, die aus Schilden und Helmen gebrochen worden. Viele Herren lagen weinmatt auf den Dielen umher, andere wurden von einer Dame in die Kammer eingelassen und genossen der Liebe, die ihnen heimlich geschenkt ward.

Tristan führte sein Weib ins Brautgemach. An ihrem Finger glänzte der Ring, den Tristan einst von der Königin im Norden empfangen hatte. Dieser Ring trug keinen Stein. Es waren wunderzarte goldene Ranken, die Isolde um seinen Finger geschlungen. Sie umwanden sich und drangen ineinander ein und flochten ein inniges, unauflösliches Netz. Blättchen wuchsen auf und eine sprossende Blüte. Die hatte sich in einer Nacht aus der Knospe erschlossen, da ihm die Irin liebend ihre Magdschaft gegeben ...

Willenlos, in unbewußter Seligkeit überließ sich Isolde Tristans Händen. Ein Gebände aus Goldfäden war in ihr Haar eingesponnen, Maßliebchen wuchsen aus dunklem Erdreich. Tristan löste ungeschickt das Haar auseinander. Es fiel tief hinab, und das Gesicht der Königin sah klein und zaghaft aus dem Rahmen. Nun lag das goldene Band frei, und Tristan hob es samt den zerdrückten Blüten auf.

Er öffnete den Gürtel, der schimmernd wie ein Fluß den schmalen Leib umrann und über und über mit blauen Saphiren besetzt war. Ein Gebetbüchlein hing von der Rinke nieder. Und nach dem Maul des Bären löste er noch die vielen Heftelein, die den Rock festhielten. Jedes war eine goldene Kralle und griff in einen Ring. Über den schweren, purpurroten Damast des Rockes flogen Drachen und Greife; unten brämte ihn breiter, schneeiger Hermelin mit tiefschwarzen Flecken.

Er löste die Fürspange von ihrer Brust; sie war aus Gold, aber man konnte es kaum sehen, so dicht lagen Adamassteine von lichtem Feuer darüber. Die Spange fiel ihm aus der Hand, denn er zitterte. Die Borden quollen voneinander und aus dem schwarzen Zobelnest lugten schüchtern wie zwei junge Tauben die kleinen Brüste hervor. Tristan küßte sie lang, eine nach der anderen, und umfing die schwankende Jungfrau. Nun stand sie da in dem weißen Seidenhemd, das bis an die Knöchel der Füße floß.

Alle Kraft verließ Isolde, sie preßte die Hände vors Gesicht. Da hob sie Tristan hoch und trug sie auf das Bett.

In dieser Nacht dachte Tristan keines andern Dinges als des weißen, warmen Weibes neben sich. Immer wieder zog er sie in seine Arme hinein, bis sie beide in tiefen Schlaf sanken.

Beim ersten Morgendämmern hüllte sich Isolde fröstelnd in das Leilach. Nur die Arme lagen unbedeckt und Tristans Ring stak an der weißen Hand, die bis in das ferne Navarra und nach Britannien hin berühmt war. Tristan lag wach; er starrte gegen das hohle Rund des Fensters, vor dem die Morgennebel wogten.

Er fuhr zusammen: ein leises Picken und Flügelschlagen war draußen vernehmlich. Er setzte sich auf und lauschte. Aber der Vogel ließ nicht ab. Tristan erhob sich und ging zum Fenster hin und öffnete es. Ein matter Glanz kam herein. War es schon die Morgensonne, die hinter den Nebeln aufstieg? Ein kleiner Vogel saß da, eine bläuliche Schwalbe mit weißer Brust, die vor dem Herbst aus Norden floh. Aber um ihren Hals war ein wundersames goldiges Leuchten ...

Da sank Tristan ins Knie und barg sein Gesicht und weinte. Er weinte um alles, was er verloren, was er selber zerstört. Sie sandte ihm ein Zeichen, das lang ersehnte Zeichen, ihr geliebtes Haar, um ihn der ewigen Treue zu mahnen, die er geschworen hatte ...

Es war zu spät ...

Die Schwalbe saß vor ihm und begann zu jubilieren. Tristan streckte die Hand aus und nahm das Geschenk, das sie ihm bot. Sie flog auf und verschwand singend im Nebel.

Von Tristan fiel ab, was so lang gehaftet hatte; es war wie ein Erwachen aus schwerem, bösem Traum. Er sah nichts mehr als die Locke in seiner Hand.

Er erhob sich und legte sein Gewand an und das Panzerhemd darüber und barg das Haar, das ihm der Vogel gebracht hatte. Das reiche Hochzeitskleid ließ er auf dem Stuhle liegen. Er gürtete das Gehenk um den Leib und nahm das Schwert aus der Ecke. Sein Blick streifte die fremde Frau, die dort schlief und die er zu seinem Weibe gemacht hatte. Dann ging er aus der Kammer.

Auf den Gängen war es noch finster. Tristan stieß in einen Körper und fuhr zurück. Von dem großen Wisenthorn, welches das Sims schmückte, hing Abelin kalt nieder. Da hatte er sich bei Nacht erhängt. Sein neues Schwert klirrte, als Tristan gegen den Leichnam stieß.

Tristan ging über die Treppe hinab in den Stall. Ohne Hilfe wappnete er Bigrat, den er lange nicht bestiegen hatte und der ihm entgegen wieherte, und ritt gen Norden, dem Meere zu. Er hatte Arundele und die Königin vergessen. Auch Markes dachte er nicht, der einen hohen Lohn auf sein Haupt gestellt. Unter dem Kleid trug er Isoldes Zeichen. Alles Schwanken war vorüber: er wußte, daß es für ihn nur einen Weg gab im Leben und im Tode.


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