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An Isoldes Herzen klang das Lied, das ihr Tristan gesandt. Er lebte und er dachte ihrer! Sie wußte nicht, was sie tun sollte vor Sehnen und Glück. Sie ging in ihrem Gemach von einer Wand zur andern, wie sie es gewohnt war, und rief Brangwine und warf sich an ihre Brust. »Du siehst ihn wieder!« flüsterte die Freundin. Aber da fiel Isolde auf das Bett und jammerte und weinte des unerträglichen Leides. »Er kann nicht wiederkehren! Sonst wäre er längst bei mir! Er ist krank oder in Gefangenschaft. Und ich kann ihm nicht helfen! O daß doch der König stürbe! Ich wollte ihm Gift geben, wüßt ich sicher, daß es Tristan erfährt! Wenn ich ihn nur wieder hätte!«
Und dann sprang sie auf und jubelte über seinen Gruß und jagte Brangwine in die Nacht hinaus, zu sehen, ob der alte Harfner schon ausgeritten sei. –
Sie hörte schwere Schritte, die näher kamen, und verschloß eilig die Tür. Der König klopfte. Aber Isolde gab keine Antwort.
»Mach mir auf, Frau! Bin ich nicht dein Gemahl?«
»Warum versperrst du mir deine Tür? Kannst du mich nicht lieben? Bin ich dir zu häßlich?«
»Geh fort!«
»Verschmäh mich nicht! Ich weiß, daß du besser bist als ich! Aber ich habe dich geliebt, wie ich es vermocht! Alle deine Wünsche hab ich erfüllt!«
»Geh!«
»Warum hassest du mich? Ich bin so stark wie einer! Glaubst du, ich sei alt? In meinen Sehnen ist Mark! Bin ich nicht dein Mann, dein König? Ich könnte befehlen, aber ich flehe, ich bitte vor dir – ... Laß mich ein! ...«
»Geh! Du hast getrunken!«
»Seit Jahren verschließest du mir deine Kammer! Warum ist es? Was hab ich dir getan? Ich sehne mich nach dir!«
Isolde schwieg.
»Was willst du, daß ich dir gebe? Soll ich hundert Menschen martern lassen dir zu Ehren? Ich will mir selbst den rechten Arm brechen, damit du meinen Mut sehest! Vor dir will ich es tun! Beide Arme will ich mir brechen um einen Kuß, nur einen einzigen Kuß von dir!« Leise und mit heißem Atem sprach Marke.
»Geh fort! Du bist voll Wein!«
»Isolde, geliebte, schöne! Noch nie hat mich jemand betteln gesehen! Warum willst du mich nicht dulden? Hab ich dich nicht lang allein gelassen? Öffne mir jetzt! Ich bin nicht schwach! Heut ist alle Kraft der Jugend in mir! Ich will dich küssen, daß dir die Sinne schwinden!«
Aber die Königin sprach in großem Ekel: »Geh! Ich will dich nicht sehen!«
»Bin ich dir zu schlecht? Könnt ich nicht befehlen? Hör, Isolde! Wir werden alt, und sie stoßen sich heimlich an – sie sprechen untereinander – wir haben keine Kinder ...«
Isolde schwieg.
»Laß mich heut zu dir! Nur heute! Ich schenke dir, was du begehrst! Ich werde um einen Halsschmuck senden, der von allen Edelsteinen die schönsten umfaßt, und all meine Schätze will ich dafür geben! Aber laß mich heut zu dir!« Der König schlug seine Stirn gegen den Pfosten. Er sank ins Knie.
Isolde sprach hart: »Geh!«
»Was willst du haben? Ich werde dir morgen ein Bad bereiten lassen, ganz aus starken Tränken, gemischt mit dem Blut junger Kinder. Es wird dich verjüngen ... alle meine Küsse kannst du von dir spülen ...
Höre mich! Du weißt nicht, wie tief die Liebe in mir lebt! Bist du nicht mein Weib? Willst du einen andern ... ich könnte es dir erlauben – für eine Nacht. Dann müßte er sterben! Ich könnte es tun, ich bin der König ... Soll ich Tristan zurückrufen? ... Aber öffne mir jetzt!« ...
Drinnen preßte Isolde ihr Gesicht in den Polster. So kauerte sie lange regungslos und hörte nicht mehr, was der König stammelte. Mit einem dumpfen Stöhnen sank er nieder und lag betäubt vor der Gadentür.
Isolde rührte sich nicht. Nur den Schmerz sog sie, der ihre Brust durchwühlte. Ein Gefühl unendlicher Verlassenheit war in ihr; sie dachte der Mädchenzeit und der fernen Heimat; sie dachte der Ankunft Tristans und der großen Liebe, die in ihnen erwacht war – und sie weinte ohne Aufhören, wie nicht mehr seit den ersten Tagen der Trennung.
Dann stand sie leise auf und trat ans Fenster und maß die Höhe. Unten lag ihr Garten, den sie liebte und den kein fremder Fuß betreten durfte. Nie war darin ein Blatt noch eine Blume welk geworden sommers und winters, seit jener letzten Nacht, da die große Liebe hineingeflossen war. Oft lauschte sie beim Sternschein am Fenster, wie die Nachtigallen, die einst ihren Abschiedsruf erhorcht, heraufsangen, klagende Stimmen ihrer eigenen Seele.
Aber heute stieg kein Ton aus dem Garten. Eine entsetzliche, schwere Angst wand sich im Herzen der Königin wie ein kaltes Ungeheuer, das emporkriechen will, und würgte sie in der Kehle. Sie lauschte lang – die Nachtigallen schwiegen.
Über den Himmel kam das matte Blau des Morgens heran. Einer nach dem andern vergingen die Sterne. Isolde ertrug es nicht länger in der Kammer. Sie warf den Mantel um und öffnete die Türe. Da lag der König schlafend, an seinem grauen Barte hing Staub. Isolde stieß ihn mit dem Fuß beiseite und ging hinab. Er stöhnte auf und wandte sich gegen die offene Tür, mit der Hand ins Zimmer langend.
Isolde steht auf den Stufen. Alles Leben des Gartens ist erstorben. Die Rosen haben ihre welken Blatter ins Gras gestreut, die Glocken sind von den Schäften gebrochen. Kahl stehen die Bäume, alle Kraft ist aus ihnen gewichen, dürr und morsch hängen ihre Äste am Stamme nieder. Nichts Grünes ist mehr zu schauen. Weißer Reif fällt auf die Zweige. Der Garten ist tot. Auf runzeligen Blättern liegen die Singvögel erfroren. Nur eine dicke grüne Schlange hängt um den Stamm der Ulme, unter der sich Tristan und Isolde umfangen haben.
Isolde sinkt langsam in sich zusammen. Sie weiß, daß Tristans Liebe gestorben ist. Ihrer Seele Leben ist die Liebe gewesen, die auch den Garten ernährt hat, die längst eins mit ihm geworden. Die Todesstille dringt in sie ein und erfüllt sie mit Kälte. Ihr Herz erfriert langsam, weil die Kraft gestorben ist, die das Leben bewegt. Bei Nacht sind alle Tränen aus ihrer Brust geströmt, kein warmer Tau kann den Frost mehr bannen. »Alona Tristan! merihl alona!« haucht die Königin und stirbt dahin.