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Riol, der alte Spielmann, dem Tristan sein Lied in die Seele gelegt, war unter manniger Fährde durch Länder und Städte bis übers Meer gekommen. Sein Leben lang hatte er die große Schönheit gesucht, die hier und dort in der Welt flammt. Wohl war er in schimmernden Burgen gewesen und hatte mancher schönen Frau ein Lied gesungen: aber noch immer war die Sehnsucht in seinem Herzen lebendig, ein Angesicht zu schauen, vor dem jeder erkennen mußte, daß es die Krone der Erde ist.
Und als er zu Tintaguel in den Palast trat, wo König Marke mit den Baronen seines Hofes tafelte, da schlug in der Brust des alten Menestrels die Flamme lodernd auf, die unter des Lebens Drang und Mühsal schon halb verschüttet war: er stand geblendet vor der Königin Isolde. Er vergaß des Liedes, das ihm Tristan für die Herrin gegeben hatte; die Worte, die ihm je einer gesagt, erstarben: denn er war ein Dichter, und er fühlte wieder in seiner Brust, was er seit den Tagen der Jugend nicht mehr gefühlt. Er sank in den Stuhl und blickte nieder. Gesichte stiegen aus der Tiefe, und er sprach leise: »Ich will Euch von seltsamen Dingen sagen!«
Alle schwiegen, und Riol begann mit der schwachen Stimme des Alters, die aber bald rein und tönend ward. Denn er wurde selber jung, da er dieses schaute:
Nur die schönen Sterne sahen in den Bronnengrund und die düsteren schweigenden Bäume von droben und ein trauriges Angesicht. Es war ein sehnsüchtiges Schauen, und in die letzten Abgründe der Welt zog der Blick hinein durchs Wasser. O du Nacht mit deinen funkelnden Geheimnissen! Da drunten lebte es. Der König mit dem langen weißen Barte nahm die Krone vom Haupt und legte sie auf den Stein, und die leuchtenden Fische zogen langsam durch den edelsteingeschmückten Goldbogen. Der König schlief. Um ihn schwammen die Fische und sangen sonderbare ferne Weisen. Die blaue Schlange kroch aus dem Meergrund; sie wand sich um die Krone, daß sie wie Türkis und Jachant schimmerte, und dann tauchte sie mit dem Schatze nieder. Immer leiser sangen die glänzenden Fische in ihrer wundersamen Sprache und zogen langsam nach in flimmernden Reihen, der blauen Schlange nach und der Krone in die Tiefe. Der König saß verlassen und schlief. Aber das Schwert an seiner Seite begann zu glühen und wurde rot wie der Meerrubin, der nur alle tausend Jahr einmal wächst und dann hinaufsteigt in der Nacht, da Sonne und Mond gleiche Kraft haben, und auf dem Meere schwimmt als ein Liebesstein und ein jedes Mädchen verblendet, daß es ihm nachziehen muß ins Weltmeer; und es versinkt mit ihm und flicht den grünen Nixenkranz ins Haar. So glühte das Schwert des alten Königs, und die Fische schwammen wieder nach oben und sangen seltsam und verwegen. Aber Muscheln und Steine bröckelten und der Thron sank mit dem schlafenden König, der Krone nach und der schillernden Schlange. Und die Fische zogen um ihn, ihr Singen schwand, bis alles in Nacht versenkt war. Tili tohala, tilitoo ...
Die schönen Sterne sahen auf den Bronnengrund. Und ein Angesicht schaute träumend alles Alte und alles Neue und wie das Leben aus seinen ewigen Quellen floß. In der Hand des geharnischten Ritters glühte das rote Königsschwert und Funken träufelten nieder. Das giftige Haupt des Riesenmolches fiel in zwei Teile gespalten und das Ungeheuer versank. Aber das Schwert konnte nicht mehr weiter glühen und ward kalt und rauh. Da kamen die drei erlösten Jungfrauen mit den herrlichen Diademen und neigten sich dem Ritter und schlangen den Reigen. Aber der Ritter zückte das erloschene Schwert gegen seine Brust, und der rote Blutstrom zog ihn nieder. Die lieblichen Jungfrauen wanden Tang um die Locken, und der Meerrubin erglühte in ihrem Haar ...
Die dunkeln Baumwipfel sahen nieder, und ein bleiches Angesicht konnte alles erschauen in einem Zauberbronnen voll tiefer Heimlichkeit. Leise, silberig sangen die Nixen und schlangen den Reigen. Der große Delphinfisch kam herangezogen und trug sie auf seinem Rücken, und sie waren immer ferner und ferner, wo der Mondregen fällt und alles leuchtet. Und man hörte nichts mehr. Aber hinter den Korallenbäumen lauerte der wilde Mohr; er hielt das Schwert und des Ritters Blut troff noch hernieder. Aus dem allertiefsten Grunde stieg die goldene Meerkönigin. Sie schwebte nach oben und war so schön, daß die Sterne erlöschen mußten vor Scham. Die langen Falten ihres blauen Gewandes verquollen mit den Wogen, und der Meergrund erstrahlte rötlich in seinem Glück. Aber der Mohr stürzte fletschend aus dem Korallengebüsch und stach das Schwert in ihr Herz. Da faltete sie die Hände über der Brust und wurde bleich wie die Perle der See. Alles erdunkelte, und den Tiefen entwand sich ein stöhnendes Klagen, das aus den großen Muscheln quoll. Der schwarze Polyp umstrickte den Mohren und zog ihn nieder. Leise, leise schwebte die Meerkönigin nach oben. Sie hob ihr weißes Antlitz, das durch die Nacht strahlte, und sah bis in das Auge des Träumers.
Dann erstarb ihr Blick. Das Angesicht war hinauf gewandt, und aus ihrer Brust fiel ein roter Tropfen um den andern. Alles Wehklagen war verstummt und Schweigen lag über dem Abgrund. Und das Wasser hob sich und netzte das Haupt des Träumers, und er sank langsam nieder in einen Zauberbronnen voll tiefer Heimlichkeit ...
Die schönen Sterne blickten wieder bis in der Welt letzte Tiefen und die schwarzen Baumwipfel neigten sich und schwiegen. –
Der Sagamann hatte nicht aufgesehen. Herren und Damen waren lautlos um ihn geschart.
Nun erhob er den Blick zur Königin. Sie schaute ihm forschend ins Auge. Absonderlich schien ihr, was der Alte erzählt hatte, sie wußte es nicht zu deuten. Sie stand auf und ging aus dem Saal.
Aber König Marke leerte sein Glas und sprach mürrisch: »Weißt du nichts Besseres? Ein Trinklied oder Possen? Ich will keine Geschichten vom Sterben hören! Lustig, ihr Leute! Trinkt und schenkt mir neu ein!« Er sah mißtrauisch auf den Menestrel. Denn er haßte alle, die Lieder und Mären wußten, seit Tristan vor seinem Weibe gesungen.
Die Herren begannen ein großes Lärmen, wie es Marke liebte, und tranken auf das lange Leben des Königs. Riol starrte zu Boden. Da schlich der bucklige Narr hinterrücks heran und zog den Stuhl fort, daß der Alte niederfiel, als er sich setzen wollte. Die Herren lachten, und der Sänger verließ den Saal, von Spottreden verfolgt.
Die großen dunkelbraunen Augen des Königs standen in düsterem Feuer. Wie tiefe Wasserschächte glommen sie, an deren Rand ein Reisighaufe loht. Und die Qual, die den König manchmal stundenlang durch Schloß und Höfe trieb; die ihn des Nachts aufstehen hieß und an allen Türen lauschen, ob es denn in der Welt noch Menschen gäbe, die schlafen konnten; die ihn mehr Wein zu trinken zwang, als jemand sonst ertrug; die ihn neben dem Schächer festbannte, der gefoltert wurde: diese Qual schwelte in seinen Augen. Sie wußten es alle, die da saßen, daß es heute keine Ruhe für sie gab bis an den Morgen; denn der König erhob sich nicht früher. War es das Rätsel von Tristan und Isolde, das ihn verbrannte, das er nicht lösen konnte und das doch zu schwer auf seiner Seele lastete? War es das nie gestillte Begehren nach der Gemahlin, die ihn ihrer Kammer hart verwiesen hatte, seit Tristan fern war? In mancher Winternacht hatte er eine frische, junge Magd in sein Zimmer gerufen, sich geschlossenen Auges zu betrügen. Aber die Liebe zu Isolde war so stark in ihm, daß er die fremde Schmeichlerin wieder hatte hinausweisen müssen. Wie ein Schlangenleib war ihre Haut anzufühlen gewesen, und er hatte sie nicht zu umarmen vermocht. Dann lag er allein und fror.
Brütend saß König Marke auf seinem hohen Stuhl; immer mehr trank er, aber er konnte das Glück des Rausches nicht finden.
Niemals hatte ihm eine Frau Liebe geschenkt. Feile Weiber hatten sein Bett geteilt, ehe die Irin ins Reich gekommen war. Da er, ein reifer Mann, vor ihr zum erstenmal Liebe gefühlt, mußte er die Qual der schweigenden Abneigung erdulden. Würde sie nie sein werden? War sie Tristans? Er glaubte es, und jeder glaubte es; aber er hatte keine Gewißheit.
König Marke saß aufrecht und trank und trank ohne Lust. Die Flammen waren verflackert und qualmten in den Schalen. Die Köpfe der Trinker lagen auf dem Tisch, und ihre Atemzüge gingen schwer, wie schmerzhaft. Die Knappen schliefen an den Wänden. Mit einem neidischen Blick sah der reiche König über sie alle hin, über Vasallen, über Diener, die ihm gehorsamten. –
Riol stand vor dem Torturm. Er dachte jetzt wieder des Liedes, um dessen willen er in dieses rohe Land gekommen war, das er der Königin hätte singen sollen. Aber vor ihr hatte er es vergessen, weil ihn ein eigenes Gesicht bedräut hatte. Er konnte nicht mehr zu Hofe gehen, war er doch in Ungnade verwiesen worden.
Da sang er um Mitternacht Tristans Lied vor der Mauer des Schlosses. Hoch oben öffnete sich ein Fenster, und etwas Helles ward sichtbar. Der Harfner hielt inne. Bald kam Brangwine herabgestiegen und rief ihn heimlich zur Herrin.
Sie sandte die Mägde aus der Kammer. »Das war nicht dein Lied, fremder Spielmann!« »Nein, es ist eines Fernen Gruß für Euch!«
Isolde barg ihr Gesicht und schwieg.
»Sing noch einmal!« Aber wie er zu der Stelle kam:
Iseult ma drue, Iseult m'amie,
En vus ma mort, en vus ma vie –
konnte sie sich nicht mehr halten und weinte bitterlich.
Riol hatte lange geendet. Leise sprach die Königin: »Wo ist mein Freund?«
»Ich weiß es nicht! In einem einsamen Wald traf ich ihn an, weit von hier, in allemandischen Landen.«
Da weinte Isolde wieder und gedachte der großen Liebe, die sie aneinander band und die ihnen doch nie eine glückliche Stunde schenken wollte, seit sie Cornwalls Boden betreten. Sie nahm ihre goldene Schere und schnitt eine Locke ab, die sich an der Schläfe krauste. Es war seltsam: die Schere verlor den Glanz in Isoldes Haar.
»Willst du ihm mein Zeichen bringen, alter Mann? Und sag ihm, daß er heimkehre! Daß er endlich wiederkehre! Und wenn wir beide sterben müßten – die Liebe ist mächtiger als der Tod!«
»Und wenn er den Tod fürchtet?«
»Tristan fürchtet den Tod nicht, wenn ich ihn rufe! Er möge kommen! Und sag ihm auch, daß ich das Sterbegewand aus Reiherflaum bereiten will, das uns beiden gehört.«
»Und wenn er andere Liebe gewonnen?«
»Du kennst Tristan nicht! Es ist wohl schon lange her, daß dir ein Liebesgesang aus dem Herzen quoll, Harfner?«
»Nein, Herrin! Es sind erst wenige Stunden!«
»Geh zu Tristan! Geh schnell, ich bitte dich! Da ist ein Ring für dich, den ich lang getragen! Er ist kostbarer als manches Königs Schatzkammer, und ich hab ihn dem gewahrt, der mir Tristans Gruß brächte. Er ist dein! Und laß dir ein schnelles Pferd aus dem Stall des Königs geben!
Geh, Alter! Geh noch diese Nacht und such Tristan! Bring ihm das Haar, das du wohl bergen mußt, und sag ihm: Es gibt nur eine Liebe!«
»Ich will Euch meine Harfe lassen! Denn nun darf sie nie mehr erklingen!«
Und der Greis ging ruhig von dannen. Die alte Sehnsucht seines Lebens war gestillt worden: er hatte die Krone der Schönheit gesehen, um die sich ein langes Leben voller Irrsal lohnt, wenn man sie einmal schauen darf. Und ritt in derselben Nacht zum Meer hinab.
Aber er verlor den Weg. Am Morgen war er in den zerklüfteten weißen Klippen ganz verirrt und wußte nicht, wo er landkundige Menschen und ein Schiff finden könnte. Drei Reiter kamen ihm entgegen. Er fragte nach dem Hafen, aber sie sahen den strahlenden Ring und stachen mit langen Spießen nach dem Spielmann. Sterbend fiel er nieder. Die Buschklopfer entrissen ihm sein Kleinod und nahmen das Pferd mit sich und ließen den alten Mann liegen.
Riol fühlte, daß es sein Ende sei. Kein lebendiges Wesen war um ihn, nur die schnellen blauen Schwalben jagten schrillend über die Klippen. Er zog die Locke hervor, die ihm die Königin für Tristan gegeben: aus ihrem Leuchten floß ihm neue Kraft. Und er konnte noch einmal Tristans Lied singen. En vus ma mort – hier erlosch seine Stimme. Eine zarte Schwalbe flog heran und setzte sich auf seine Schulter. Da schlang Riol Isoldes Haar um Hals und Brust des Tierchens. »Trag es übers Wasser! Übers Meer zu Tristan! Ich weiß nicht, wo er ist, aber du wirst ihn finden, kleiner Vogel! Du bist schnell und hast klare Augen. Und denke, daß er ein Sänger ist wie du!«
Die Schwalbe flog auf und sandte ihr Jubeln hell in den neuen Morgen. Wie ein feuriger Stern bei Nacht schoß sie dem Meere zu.
In einem kurzen Aufblitzen sah der Harfner noch einmal das Haar über sich, das er dem Vogel vertraut hatte. Dann starb er mit einem Lächeln um den Mund.