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An beiden ist Tirol gleich reich. Sie haben gemeinsam, daß sie fast nie in einem Zuge, sondern nur stückweise erbaut wurden, weshalb sie auch selten von einheitlichem Stile sind. Während die innere Ausgestaltung meistens barock gehalten ist, weist der äußere Bau oft sämtliche, in Tirol überhaupt gebräuchlichen Stilarten auf.
In dieser Hinsicht nahmen es unsere Vorfahren nicht so genau oder richtiger vielleicht, sie nahmen es eben genauer als heute. Sie versuchten sich nicht im Nachahmen alter Stilformen, sondern erachteten es als selbstverständlich, sich in der Sprache ihrer Zeit auszudrücken. Und darum wirken die Alten in ihren Kirchenbauten, welchen Stil immer sie dazu benützen mochten, so überzeugend ehrlich und groß. Die Haller Pfarrkirche (Abb. 138) aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, ist nicht nur als schöner gotischer Bau von Interesse, sondern auch insofern ein Kuriosum, als an ihre Kirchhofmauer Läden angestückt sind, in denen Kaufleute allerhand Waren feilhalten. An einer Stelle ist dieser Ring von einer torgeschützten Treppe durchbrochen, auf der man zum Kirchhof und über diesen zur Kirche selbst gelangt (Abb. 137). Die im Kirchhofe stehende Totenkapelle wirkt wie eine zierliche Verkleinerung der Hauptkirche. Gleichfalls gotischer Stilära, wenn auch späterer Zeit, gehört die Schwazer Pfarrkirche an, deren Fassade trotz großer Einfachheit eine imposante Wirkung ausübt (Abb. 139). Weniger gelungen erscheint ihr Turm, dessen Dachabschluß einen provisorischen Eindruck macht (Abb. 140). In der Landeshauptstadt selbst steht die durch das grandiose Grabdenkmal, das sich Kaiser Maximilian darin errichten ließ, weltberühmt gewordene Hofkirche (Abb. 49). Außer ihr ist nur noch die in einfacher Renaissance gehaltene Stadtpfarrkirche, dann die im äußeren Umriß sehr ähnliche, aber im Barockstil gehaltene Wiltener Pfarrkirche, sowie die im gleichen Stile gehaltene Wiltener Stiftskirche (Abb. 141) mit dem sie flankierenden alten gotischen Hause erwähnenswert.
Die Kirchen der alten Zeit wirken alle natürlich. Vor keiner einzigen haben wir das Gefühl des abstrakten Kunstwerkes, das in uns die Vorstellung eines mühevollen Denkvorganges auslösen würde. Schon daß die alte Kirche nicht abseits auf einem menschenleeren Platze steht, sondern mitten zwischen hohen Häusern, oft sogar links und rechts an diese angeschlossen, rückt sie unserem Empfinden näher. Die Häuser scharen sich um die Kirche. Die Kirchen der letzten Jahrzehnte sondern sich fast ausnahmslos aus ihrer weltlichen Umgebung zu ihrem Schaden ab und stehen wie ein Fremdkörper auf einem isolierten Platze. Es mag sein, daß diese bauliche Entwicklung der Stellungnahme unserer Zeit zur Religion entspricht, wie ja in den Werken der Baukunst der Geist der Zeiten sich am getreuesten, weil unbewußt, zum Ausdrucke bringt. Sicher aber ist, daß es unter den Kirchenbauten der letzten fünfzig Jahre nur ganz wenige gibt, die sich in ihre Umgebung halbwegs harmonisch einfügen, die nicht mühsam erdacht, sondern aus der Stadt, in der sie stehen, geboren erscheinen. Denn das ist der Baukunst Vollendung, daß jedes einzelne Glied mühelos, weil notwendig, aus dem anderen und schließlich auch das Ganze aus seiner Umgebung herauswächst. Wenn man auf das hin die Domkirchen von Brixen und Trient, die Kirchen von Klausen, Bruneck, Imst, Bozen, Meran, letztere in ihrer herben Gotik eine der schönsten Kirchen Tirols (Abb. 142, 143, 146, 148), betrachtet, und sie dann der Pfarrkirche in Hötting, die vor ein paar Jahren erst erbaut wurde, vergleichend an die Seite stellt, so wird der Unterschied auch dem an architektonische Wertungen nicht geübten Auge ohne weiteres klar. Ein anderes, noch viel charakteristischeres Beispiel kann ich mir nicht versagen, hier anzuführen, obwohl es nicht der Tiroler Stadt, sondern dem Lande entnommen ist. Das ist die alte und die neue Hoferkapelle im Passeiertale, welch letztere im Jahre I899 »fertiggestellt« wurde (Abb. 149). Wenige Schritte nur trennen die beiden Kirchlein räumlich voneinander, aber welche Kluft liegt zwischen der bodenständigen Echtheit der alten und der verlogenen Originalität der neuen. Dort ein in trefflichen Maßen gehaltener einfacher Langbau, mit einem wohlabgemessenen, lieben Türmchen, das, ein wenig über die Giebelfront herausgeschoben, gleichzeitig das Schutzdach des Einganges bildet. Ein weißer Anstrich, ein dunkles Schindeldach, kurz, herausgewachsen aus dem Tale, wesensgleich ihm und seinen Bewohnern in seiner Schlichtheit und Wahrheit, wie auch dem Helden, der vor seinem Altare einst gekniet hat. Hier ein protziger, auf das Quadrat dimensionierter Quaderbau in romanischem Stile (vielleicht um sinnreich anzudeuten, daß Hofer von romanischen Soldaten erschossen wurde), mit einem, um das Vierfache zu groß geratenen Turm, der den Unterbau völlig zerdrückt. Dazu gewaltige, für einen Dom berechnete Bogenfenster, ein ganz zweckloser Schnickschnack auf dem Giebel über dem Eingange und – als Gipfelpunkt der Geschmackswidrigkeit – ein buntlasiertes, scheckig gemustertes, moskowitisches Ziegeldach! Alttirol und Neutirol nebeneinander gestellt, ein Edelmann neben dem Geldparvenu. Und zu diesem Musterdenkmal, das krassester Mangel an Stilempfinden, an Heimatsgefühl und an Formensinn erbaut, hatte man nicht weniger als sechzehn Jahre Zeit und einen Geldbetrag von 30 000 Kronen benötigt! Der Spanier hat ein Sprichwort: »Über den Geschmack läßt sich nicht streiten, aber es gibt Leute, die man für den ihren prügeln soll.«
In Landorten findet man auch zuweilen den Glockenturm neben die Kirche gestellt, eine Sitte, die wohl welsche Baumeister aus Italien heraufgebracht haben (Abb. 144.)
Die Pfarrkirchen waren früher stets von dem Friedhofe umgeben, ein schöner, alter Brauch, der notwendigerweise der Entwicklung der Städte und den Anforderungen der Hygiene zum Opfer fallen mußte. Nicht notwendig wäre es freilich gewesen, daß damit gleichzeitig auch die Sitte, den Verstorbenen ein ihnen und der Familie würdiges Grabdenkmal zu setzen, so selten geworden ist. Die Friedhöfe der kleinen Landstädte und selbst der Dörfer nähern sich von Jahr zu Jahr mehr den Begräbnisfeldern der Großstädte; das individuelle Grabdenkmal, sei es nun aus Stein, Eisen oder Holz, wird immer häufiger durch die Fabrikware aus Kunststein und Gußeisen ersetzt, bis wir es wohl glücklich zum Einheitsformat gebracht haben werden, das schließlich auch für die ewige Ruhe von zehn Jahren, auf welche die sterblichen Reste unserer Verstorbenen in die Erde gesenkt werden, um sodann den nächsten Platz zu machen, ganz gut passen würde. Um einen Begriff zu bekommen, wie früher Gottesäcker der tiroler Städte ausgesehen haben, sei auf die Abb. 141 u. 145 verwiesen.
Wenn im Zusammenhange mit den Kirchen von den Burgen Tirols gesprochen werden soll, so geschieht es, weil sie neben diesen die wichtigsten Bauwerke großen Stils darstellen, die vielfach, wie z. B. in Kufstein (Abb. 11) und Klausen (Abb. 1) das Stadtbild völlig beherrschen. Es mangelt der Raum, um die hochinteressante Geschichte der Tiroler Burgen und Schlösser auch nur in Kürze wiederzugeben. Für unseren Zweck muß es beim Hinweis auf ihre entscheidende Bedeutung für das Stadtbild sein Bewenden haben. Der Stil ist ein sehr wechselnder, selten ein völlig einheitlicher (Abb. 1, 11, 133, 158). Tiefburgen, wie Schloß Maretsch (Abb. 159) bei Bozen (das übrigens früher auf einem Felsen gestanden sein soll, der erst durch die Überschwemmungen der Talfer nivelliert wurde) und die landesfürstliche Burg zu Meran (Abb. 155) sind begreiflicherweise in Tirol noch seltener als in anderen Ländern.
Im Anschluß an die Sitze des Adels sei auch noch der aus dem Jahre 1765 stammenden Innsbrucker Triumphpforte gedacht, die den wirksamen Abschluß der Maria-Theresien-Straße gegen Süden bildet (Abb. 156).
Der gute Grundriß, die Echtheit der Bauform und des Materiales, die harmonische Unterordnung der einzelnen Teile unter das Ganze, das waren die Grundlagen des vorbildlichen Stadtbaues (und scheinen es dank der rastlosen Aufklärungsarbeit von Männern wie Theodor Fischer, Hermann Muthesius, Schultze-Naumburg, Gabriel von Seidl, Camillo Sitte, Josef August Lux auch langsam wieder zu werden). Daß dort, wo diese Voraussetzungen gegeben sind, das einmal errungene Formgefühl und die Wertschätzung der Gediegenheit auch all das Zubehör, das ein großes Gemeinwesen benötigt, liebevoll umfaßt und ohne Zwangsanwendung harmonisch zum Ganzen fügt, auch dafür geben die alten Städte, wohin wir schauen mögen, treffliches Beispiel.
Da sind in jeder Stadt die öffentlichen Brunnen, reine Zweckbauten, und doch hat man sie immer und sichtlich mit spielender Leichtigkeit, ohne Konkurrenzausschreiben, künstlerisch zu gestalten gewußt, während man heute vergeblich in allen Städten nach auch nur halbwegs befriedigender Gestaltung der Transformatorenzellen oder der elektrischen Leitungsmasten suchen wird. Man sehe die Brunnen Abb. 68, 83, 152, 153 an, von denen gewiß keiner als Monumentalbrunnen geschaffen worden ist, und vergleiche sie mit dem, was heute dafür aus Gußeisen in Stadt und Land aufgestellt wird. Fast in allen Tiroler Städten finden wir auch noch den aus alter Zeit stammenden Monumentalbrunnen, der am Platze, auf dem er stand, nur zum Schmucke dienen sollte, so in Innsbruck der Leopoldsbrunnen vor der Hofburg (Abb. 109), der Rudolfsbrunnen am Margarethenplatz, der Denkmalsbrunnen des Vogelweiders am Waltherplatz (Abb. 69), der Neptunbrunnen am Obstmarkte in Bozen und am Domplatz in Trient (Abb. 70) u. a. Den Typus des öffentlichen Nutzbrunnens im italienischen Landesteile repräsentiert der Brunnen in Arco (Abb. 151). Welch stimmungsreiche Winkel in diesem sonnenreichen Landstriche die üppig wuchernde Natur hervorzuzaubern vermag, davon gibt der heckenüberwucherte Wasserkanal in Arco (Abb. 154) eine schwache Vorstellung. Ihm gegenübergestellt sei ein Ausschnitt aus dem nördlichen Hallerstädtchen (Abb. 160), der ihm, in anderer Art freilich, an malerischer Wirkung nicht nachsteht.
Es würde zu weit führen, auf all die vielen Einzelheiten, als da sind: Denkmäler, Bildsäulen, Einfriedungen, Gitter, Bänke, Gartenanlagen, Bäume, Parke, Terrassen, Treppen usw., näher eingehen zu wollen. Es sei nur, um zu zeigen, bis wie weit die allgemeine Kultur des Geschmackes einst ging und hoffentlich einst wieder gehen wird, noch zum Schlusse auf die künstlerische Durchbildung der alten Aushängeschilder aufmerksam gemacht, die das Problem, im Stadtbilde aufzufallen, es aber nicht zu stören, fast immer in glücklicher Weise gelöst haben (Abb. 50, 66, 94, 117 u. 161).