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Die Entwicklung des Städtewesens in Tirol

Strenger als im Flachlande ist im Gebirge der Verkehr an Wege und Straßen gebunden. Im Flachlande mag es wohl zuweilen vorgekommen sein, daß eine Stadt entstand, die erst nachträglich an das bestehende Straßennetz angeschlossen wurde. In den Alpen war dies ausgeschlossen. Städte konnten nur dort entstehen, wo bereits eine vollausgebaute Straße den Verkehr ermöglichte. Solcher Straßen gab es seit den Römerzeiten her drei: Die älteste führte der Etsch entlang auswärts, bog bei Bozen in den Vintschgau ab und führte durch diesen über die Höhe von Reschen nach Landeck und von dort über den Arlberg zum Bodensee. Die zweite zweigte bei Bozen von der ersten ab, stieg über den Ritten nach Klausen, um von dort über den Brenner nach Veldidena, dem heutigen Wilten bei Innsbruck, zu führen. Von hier aus setzte sie sich einerseits durch das Inntal bis Passau und andererseits über die Scharnitz nach Augsburg fort. Dies war die »rechte Landstraßen aus dem Reiche deutscher Nation in Italia und Venedig«. Die dritte große Heeresstraße der Römer lief von Brixen durch das Pustertal über Aguntum (Innichen) und Lonicum (Lienz) nach Aquileja. Über anderthalbtausend Jahre ist es bei diesen Straßen geblieben. Erst das vergangene Jahrhundert hat sich zur Anlage von neuen Straßenzügen aufgerafft, die ebenso wie jene der Römer hauptsächlich militärischen Erwägungen ihr Entstehen verdankten.

Die Entwicklung der weltlichen Herrschaft in Tirol vollzog sich von dem weitgehendsten Föderalismus sehr langsam und durch viele Jahrhunderte zum Zentralismus. Die Besetzung Tirols durch verschiedene germanische Stämme stand der Bildung einer Zentralgewalt von Anfang an hinderlich entgegen. Infolge der fortwährenden gegenseitigen Befehdung der Bajuvaren, Langobarden und Alemannen gelang es schließlich den Franken, die Oberherrschaft über die Tiroler Herzogtümer an sich zu reißen und die ihnen unbequemen Herzogschaften in zahlreiche Gaugrafschaften aufzulösen, die im Laufe der Zeit mehr oder weniger selbständig wurden. Da den kleinen Grafschaften die Kraft zu starkem Widerstande fehlte, so gerieten sie vielfach unter die Herrschaft auswärtiger Potentaten, bis unter den übriggebliebenen sich schließlich die Grafen von Tirol teils durch Gewalt, teils durch Heirat und Erbschaft die unbestrittene Hegemonie sicherten. Aber erst unter Kaiser Maximilian erreichte die Grafschaft Tirol durch Erwerbung des Pustertales, der Herrschaften des Unterinntales und der Städte Riva und Rovereto sowie Ampezzos annähernd den heutigen Umfang.

Bei dieser verschiedenen politischen Zugehörigkeit kann von einer einheitlichen Städteentwicklung keine Rede sein. Während bei einzelnen Tirolerstädten eine formelle Erhebung zur Stadt überhaupt nicht nachweisbar ist, sie vielmehr seit jeher Stadttitel und Stadtrechte in Anspruch genommen zu haben scheinen, fällt bei den anderen der Erhebungsakt zur Stadt in die Zeit um das 12. Jahrhundert. Als Vorbedingung zur Stadterhebung galt die Befestigung des Ortes, die Aufführung von Graben und Mauer. Die Stadtrechte sind entsprechend dem Verleiher und der Verleihungszeit verschieden. Eigene Gerichtsbarkeit, Zoll- und Mauteinnahmen, das waren die wichtigsten Stadtrechte, zu denen sich dann oftmals das Recht der Selbstverwaltung, gewisse Zollfreiheiten und andere Privilegien gesellten. Manche Freiheiten gingen freilich viel weiter. So hatte Innsbruck von Herzog Otto II. das Recht erhalten, den Stadtrichter selbst zu wählen, König Heinrich erweiterte dies 1329 sogar so weit, daß er selbst für Edle das Hofrecht auf Innsbrucker Boden aufhob und sie dem Gerichte der Innsbrucker Bürger unterstellte. Außerdem bestimmte er, daß die Innsbrucker Bürger das Recht hätten, jeden ihrer Schuldner, sobald er das Stadtgebiet betrat, an Person und Gut ohne weiteres Verfahren zu pfänden.

Der Wert des Stadtrechtes begann aber vom 15. Jahrhundert ab rasch zu sinken. Schon früher gab es Ortschaften, die von dem angebotenen Stadtrechte keinen Gebrauch machten. So lehnte die Bewohnerschaft des Marktes Imst das Angebot König Heinrichs von Böhmen, ihr das Stadtrecht von Innsbruck zu verleihen gegen die Verpflichtung, den Ort mit Türmen und Mauern zu umgeben, ab, obwohl ihr außerdem noch die Erlassung aller landesfürstlichen Steuern durch zehn Jahre in Aussicht gestellt worden war.

Ein Hauptgrund, der sich der Weiterentwicklung des Tiroler Städtewesens hinderlich in den Weg stellte, war die bevorzugte Stellung der Marktorte, denen die Landesfürsten sehr weitgehende Privilegien, die in ihrem praktischen Werte zuweilen den Rechten der Städte gleichkamen, sie manchmal wohl sogar noch übertrafen, einräumten. Begreiflich, daß es sich die Bürgerschaft solcher Orte zweimal überlegte, die hohen Kosten der Umwallung und Befestigung auszulegen. Seither ist die Bezeichnung »Stadt« zum bloßen Titel herabgesunken, dessen Erlangen keinen anderen Vorzug als die Befriedigung der Eitelkeit der Bewohner, sich Städter nennen zu dürfen, gewährt. Nachdem durch beinahe fünf Jahrhunderte keine Stadterhebung in Tirol mehr erfolgt war, wurden im Jahre 1899 die beiden Marktorte Imst und Schwaz zu Städten erhoben, ohne daß damit irgendwelche besondere Vorrechte zur Verleihung gekommen wären.


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