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In der Ebene und im Hügellande bilden die über das Häusermeer herausragenden weltlichen und kirchlichen Prachtbauten mit ihren Giebeldächern, Türmen und Kuppeln die Silhouette der Städte. Nur selten trifft dies auch in Gebirgsgegenden zu. Hier werden Giebel, Türme und Kuppeln von den Riesen der Bergwelt überragt, die ihre gewaltigen Häupter im Hintergrunde der Ortschaften erheben, zuweilen sich auch kulissenartig an ihre Seite schieben. Das Auge des Beschauers, nach den charakteristischen Umrissen der Ortschaft sehend, bleibt nicht an den Linien der Gebäude haften, sondern schweift unwillkürlich weiter hinauf bis dort, wo der Berggrat sich vom Himmel abgrenzt. Berg und Stadt sind eins, gehören zueinander und bleiben auch in der Erinnerung des Beschauers untrennbar miteinander verbunden. So gehört zu Innsbruck nicht als Hintergrund, sondern als wesentlicher, nicht wegzudenkender Bestandteil der Stadt selbst, die in den Himmel hinaufragende Kette des Sollsteingebirges, die den majestätischen, unvergleichbaren Abschluß der Maria-Theresienstraße bildet (Abb. 24). Gegen diese gewaltige Konkurrenz kann selbst der Innsbrucker Stadtturm, einer der schönsten mittelalterlichen Türme, die in deutschen Landen weit und breit zu schauen sind, dieser eisengewappnete ernste Ritter nicht aufkommen. Könnte man die Innsbrucker Nordkette hinter das hunderttürmige Prag stellen, so würde sich zeigen, daß gegen die gewaltige Umrißwirkung der Berge sich auch die wundervollste aller Stadtsilhouetten nicht abzuheben vermag. Eine ähnliche Wirkung beobachtet man ja auch bei den am Meere gelegenen Städten. Auch sie sind mit dem Wasser zu einer untrennbaren Einheit im Laufe der Jahrhunderte verwachsen und ohne dieses gar nicht denkbar.
Neben Innsbruck, das mit Bozen wohl das großartigste Beispiel dieser Silhouettenwirkung des Gebirges darstellt, sei noch besonders aus St. Ulrich (Abb. 25), den Hauptort des Grödentales, der durch das Quadermassiv der Sella und die Gotik des Langkofels beherrscht wird, auf Mals (Abb. 28) mit dem Ortlergipfel im Hintergrunde, auf den Hauptort des Ampezzanertales Cortina (Abb. 26), dessen grandiose Kulissen die Wände der Cofana bilden, auf Gossensaß (Abb. 29), das von dem Gletschergrund des Pflerschtales seine wirksame Szenerie erhält, hingewiesen. Der einzig schöne Bergabschluß von Bozen, der sich dem Panorama von Innsbruck gleichwertig an die Seite stellen kann, die Wunderwelt des Rosengartens (Abb. 27), ist jedem, der einmal Südtirol besuchte, unvergeßlich.
Zuweilen drängt sich dem Beschauer ganz unwillkürlich die Frage auf, ob nicht auch insofern eine Wechselwirkung zwischen Gebirge und Ortschaften nachzuweisen ist, als die Menschen ihre Bauten bewußt oder unbewußt dem Charakter der Berglandschaft angepaßt haben. Dieses Empfinden geht zuweilen so weit, daß man versucht ist zu behaupten, daß die Ortschaften geradezu den Stil der Bergformen wiedergeben.
Ich glaube, daß die Frage mit Recht bejaht werden kann. Sie erklärt sich auch, ohne daß man unseren Vorfahren ein besonders feingeartetes Stilgefühl oder Naturempfinden zuschreiben müßte, ganz einfach daraus, daß das Baumaterial aus demselben Gestein entnommen wurde und daher im kleinen die Eigenart, die es im Gebirge im großen zeigt, widerspiegelt. Besonders deutlich tritt dies bei jenen Ortschaften Wälschtirols hervor, deren Häuser aus unverputzten Bruchsteinen der dahinter aufsteigenden Felswände gefügt, so aus dem Berge hervorgewachsen anmuten, daß uns das Gefühl, Bauten aus Menschenhänden gegenüberzustehen, gänzlich entschwindet.
In der Photographie läßt sich diese verblüffende Anpassung in Ermangelung der Farbtöne nur unvollkommen zeigen, wie z. B. in dem Bilde von Mori (Abb. 30). Geht so bei größeren Orten der eigne Umriß unter dem Eindrucke des Berghintergrundes gänzlich verloren, so macht der aufmerksame Beschauer die Beobachtung, daß sich bei kleineren Ortschaften oftmals, bei Bergdörfern fast immer, der Umriß der Kirche, besonders aber des Kirchturmes erfolgreich gegen den Berghintergrund zur Wehr setzt. So springen die Kirchtürme von Kaltern (Abb. 35), Schenna (Abb. 31), Cortina (Abb. 40), sowie die Kirchen von Bruneck (Abb. 33), Reutte (Abb. 34) und Schwaz (Abb. 15) recht wirksam aus dem Berghintergrunde heraus.
Setzt man auch einen guten Teil der Harmonie, mit der sich die Ortschaften der vergangenen Jahrhunderte dem Landschaftsbilde anpassen, auf die Wirkung der Zeit, die ihre Härten abgestumpft, ihre Grellheiten gemildert, ihre Torheiten ausgemerzt hat, so bleibt doch immer noch viel feines, abgeklärtes Empfinden für die Wirkung der Bauten und für ihre imponderabilen Beziehungen zur Natur übrig, das den Baumeistern unserer Zeit sehr häufig mangelt. Daher auch die traurige Verunstaltung vieler schöner Landschaftsbilder durch stilwidrige, manchmal geradezu absurde Bauwerke. Ich erinnere hier den Kenner Tirols nur an die Kirchenneubauten von Sulden und Dötting, an die neue Hoferkapelle im Passeier (Abb. 149), an das Mausoleum in Schenna, an die zahlreichen Hotelkästen, die sich gerade an landschaftlich besonders schönen Plätzen breit machen. Erfreulicherweise ist in den letzten Jahren auch in Tirol ein Umschwung eingetreten und steht zu hoffen, daß die traurige Epoche der Landschaftsschändung und der Städteverunstaltung endgültig vorüber ist. Einzelne Tiroler Städte haben die Idee des Heimatschutzes nicht nur in ihrem konservierenden, sondern auch in ihrem fortbildenden Teile mit lebenswarmem Eifer aufgegriffen und geben den übrigen gutes Beispiel. Allen voran die alte Patrizierstadt an der Talfer, das traditionenstolze Bozen, dessen Bauamt, wovon noch später die Rede sein wird, Mustergültiges geleistet hat.