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Da die Entwicklung der Tiroler Städte einen Zeitraum von zwei Jahrtausenden umfaßt, und zum Teile außerdem noch an der befahrensten Völkerstraße Europas vor sich gegangen ist, so darf es uns nicht wundern, daß wir sämtliche Stilformen, die seit der Zeit der Römer allgemeine Verbreitung erlangten, mehr oder weniger ausgeprägt, mehr oder weniger vermischt, vertreten finden.
Bürgerhäuser in gotischem Stile sind hauptsächlich in Nordtirol anzutreffen. Sehr deutlich sichtbar ist die Vertikalgliederung der auf Spitzbogenlauben aufruhenden Häuser der Herzog-Friedrich-Straße in Alt-Innsbruck (Abb. 81). Rein gotisch dürfte man in Nordtirol bis Anfang des 15. Jahrhunderts gebaut haben; um diese Zeit tritt an Stelle des Spitzbogens der Rundbogen, im übrigen blieb es bei der bisherigen Bauweise. Mit dem Eindringen der Renaissance von Italien herauf treten die gotischen Motive nicht ganz zurück, sondern verbinden sich mit denen der Renaissance zu einer merkwürdigen Mischung, die für den bürgerlichen Profanbau der Tiroler Stadt lange Zeit hindurch vorherrschend blieb. Auf einen straff horizontal gegliederten Renaissancebau wird ein über das Dach aufragender, vertikal gegliederter gotischer Ziergiebel aufgesetzt. Auch bei den Türen und Ecktürmen, wo solche vorhanden sind, hielt man sich noch vielfach an die Gotik. Als Baumaterial wird fast ausschließlich Bruchstein verwendet, die Mauern werden, da jedes Haus auch mitunter als Kastell dienen muß, in außergewöhnlicher Stärke hergestellt, die Giebel oft noch schartenartig abgestuft, wohl in unbewußter Erinnerung an die Zeit, da die Häuser durchwegs mit verteidigungsfähigen Flachdächern und Zinnenkrönung versehen waren. Sehr beliebt ist die Anbringung von Erkern, die die Vorderfront angenehm gliedern und in den Zimmern ein sonniges, aussichtsreiches Plätzchen schaffen. Großer Wert wird auch stets auf eine schöne Ausführung der Haustüre gelegt, denn an dem Tore erkennt der Kundige sofort, welcher Geist in dem Hause herrscht. Die Haustore sind auch, wenn das Haus selbst öfters ausgebessert oder wohl gar umgebaut wurde, die einzig verläßlichen Zeugen seiner Entstehungszeit (Abb. 85 u. 86). Der Spätgotik darf man die meisten Häuser der Stiftgasse (Abb. 79) und der Seilergasse (Abb. 66) in Innsbruck zuschreiben, wenngleich sie vielfach stark umgebaut wurden. Interessant ist es, daß die gotische Häuserzeile der Herzog-Friedrich-Straße mit dem in reinstem Zopfstil erbauten katholischen Kasino abschließt (Abb. 115), ohne daß diese Aneinanderreihung zweier so verschiedenen Stilarten bisher jemand als Disharmonie empfunden hätte. Ein Beweis dafür, daß es bei dem Schutze des Stadtbildes nicht auf die Stilgleichheit ankommt, sondern lediglich auf die Gleichwertigkeit des Nebeneinandergestellten. Nicht die Stilformen stoßen sich im Raume, selbst am Markusplatz stehen sie in harmonischem Einklang nebeneinander, nur die Nebeneinanderstellung des Soliden, des in Form, Fügung und Material durchaus Echten mit dem Verlogenen, mit dem einen wesensfremden Geist vergangener Zeiten vortäuschenden Dekorationsbau, gibt einen Mißklang. In Sterzing (Abb. 42, 92, 104 u. 106), in Schwaz, Brixen und Bruneck (Abb. 50, 114, 48 u. 57), steht das rein gotische Bürgerhaus neben dem oben geschilderten gemischten Typ, den man als den Normaltyp des alten Tiroler Bürgerhauses in den Städten bezeichnen könnte. Dabei sei bei Abb. 48 auf den schönen Erkerbau am rechten Hause aufmerksam gemacht, der wie ein kleiner Turm den Eingang der Straße flankiert. Abb. 105 gibt eine Straße aus Hall wieder, in der Mitte die »Naggelburg«, nach der Volkserzählung das älteste Haus der Stadt. Ganz überwunden aber sind die letzten Spuren der Gotik in der schönen Renaissancepforte eines Bürgerhauses in Hall (Abb. 89), wie auch in den Barockportalen zu Hall und Sterzing (Abb. 90 u. 91). Die alten Bürgerhäuser in der Maria-Theresien-Straße in Innsbruck, von denen leider nur mehr eine kleine Zahl erhalten geblieben ist, variieren von feiner italienischer Renaissance bis zum deutschen Barock (Abb. 24). Wie aufgeblasen und verlogen nehmen sich dagegen die in den letzten Jahren unter sie hineingestellten Kitschbauten aus! Ein Bierwirtshaus gebärdet sich gleich einer alten Ritterburg und ein Kino als venetianischer Renaissancepalast. Mit der Schmalseite gegen die Straße gestellt, gaben die Giebel der alten Häuser den beiden Fronten eine reiche, harmonische Gliederung, die sich selbst gegen die gewaltige Wirkung des hoch über sie aussteigenden Gebirges zu halten vermochte. In den anderen nordtiroler Städten treffen wir den bereits oben erwähnten, aus einer Kreuzung der Gotik mit der Renaissance entstandenen Profanstil des Bürgerhauses, dem man später, bei gelegentlicher Renovierung, manches dem Formenschatze des deutschen Barocks entnommene Zierstück anklebte oder aufsetzte (Abb. 58, 82, 87, 88, 93, 95).
Besonders stimmungsvolle und ausgeglichene Straßenbilder von mittelalterlicher Echtheit wußte sich die Salinenstadt Hall, am Fuße des Bettelwurfes gelegen, zu bewahren, weshalb sie nicht ganz mit Unrecht als das Tiroler Nürnberg bezeichnet wurde (Abb. 76, 77, 84, 94 u. 107).
Das Rokoko, die schon etwas entartete Tochter des Barocks, hat nur ganz vereinzelt in Tirol Eingang gefunden. Als Glanzstück des Zopfstiles sei neben dem schon früher erwähnten »katholischen Kasino« das Innsbrucker Landhaus (Abb. 110) genannt, während die unter Maria Theresia erbaute Hofburg in einem etwas schwerfälligen, einfachen Barockstil gehalten erscheint (Abb. 109). Daß es auch in der guten alten Zeit schon Baugreuel gab, demonstriert das alte Maut- und Zollamt am Rennwege zu Innsbruck (Abb. 108), das zum Troste für heutige Städteverunstalter angeführt sei.
Neben den Bürgerhäusern, die die Hauptstraßen flankieren, trifft man in allen Tiroler Städten auch heute noch Häuser in Bauernstil. Sie entstanden zuerst meist außerhalb der Stadtmauern und wurden mit der Erweiterung der Umschanzung in diese einbezogen, wenn sie nicht überhaupt erst zu einer Zeit zum städtischen Territorium kamen, da Wall und Mauer bereits den Verkehrsbedürfnissen zum Opfer gefallen waren. So stehen in dem Teile von Innsbruck, der früher die Vorstadt Wilten bildete, noch mehrere mit schindelgedeckten und steinbeschwerten Dächern versehene alte Bauernhäuser, die sich in ihren einfachen, gediegenen Bauformen neben den ohne jeden Stilzwang und ohne irgendwelche ästhetische Bedenken erbauten städtischen Kollegen wie alte Patrizier neben heimatlosen Proletariern ausnehmen. Auch in Hötting, der das nördliche Hügelgelände sich hinaufziehenden Vorstadt Innsbrucks, finden sich noch zahlreiche Bauernhäuser von oft malerischer Wirkung (Abb. 103). Ebenso in den übrigen Nordtiroler Städten. In Kitzbühel stehen neben in Tirol fast nirgends anzutreffenden modernen Fachwerkbauten noch uralte holzgezimmerte Blockhäuser (Abb. 115) im Stile des Alpach- und Zillertales. In Vorarlberg hingegen macht sich der schwäbische Einschlag beim Bürgerhaus bereits stark bemerkbar (Abb. 96 u. 111).
Das bürgerliche Haus Nordtirols unterscheidet sich auch in der Rückfront von dem südtiroler Patrizierhaus. Denn während bei diesem die Zugänge zu den einzelnen Zimmern meist alle in einen gemeinsamen Lichthof ausmünden, die einzelnen Wohnungen also für sich nicht abgeschlossen sind, findet man beim nordtiroler Bürgerhaus derartige Wohnhöfe nur ausnahmsweise. In der Regel bildet jedes Stockwerk für sich eine abgeschlossene Wohnung mit einem eigenen Hausflur, von dem aus man links und rechts in die Wohnräume gelangt. Auch ist die dem Südtiroler Bürgerhause eigentümliche große Raumverschwendung des Treppenhauses in Nordtirol nicht Brauch. Die Treppen sind meist sehr schmal und steil, wobei die auf ihnen herrschende ägyptische Finsternis das Hinaus- und Herunterklettern erheblich erschwert. An schönen Erkern ist das Nordtiroler Bürgerhaus reich, in ihrer Detailausbildung übertrifft es sogar jenes von Südtirol. Bei Eckhäusern wächst der Erker oft zu einem kleinen Eckturm empor und ist dann der Gegenstand liebevoller architektonischer Durcharbeitung (Abb. 36, 42, 53, 100, 112 u. 117). Eine besondere Ausbildung erfuhr der Erker des Wirtshauses, da er bestimmt war, den Honoratiorenstammtisch aufzunehmen. Er kann sich daher nicht mit der üblichen Dreizahl von Fenstern begnügen, sondern erbreitert sich zu vier, fünf, sechs und noch mehr Fenstern.
Mit Klausen und Atzwang endet die Herrschaft des nordtiroler Städtestiles. Eine Wanderung durch die Städte Deutsch-Südtirols, auch wenn wir nicht eigens darauf achten wollten, erweckt in uns das Gefühl, daß hier andere Ideen die Hände der Bauherren und Baumeister lenkten. Wohl finden wir die hohen, kühlen, sanft gekrümmten Gassen, die wir auch in den nördlichen Städten antrafen, wieder, allein der Stil ihrer Häuser mutet uns ungewohnt an. Während in Nordtirol die Gotik mit der Renaissance nur eine Scheinehe einging, in welcher die Motive nur äußerlich nebeneinander gestellt wurden, ohne daß sie sich geistig gegenseitig durchdrungen hätten, hat sich unter dem heißeren Himmel Südtirols deutsche und italienische Kunst in aufrichtiger Liebe gegattet und einem gar prächtigen Jungen das Leben geschenkt, dem Etschländer Baustil. Seine charakteristischen Motive mag man aus den beigegebenen Abbildungen am besten ersehen (Abb. 32, 51, 59, 63, 69, 73 u. 99).
Nicht wesentlich für ihn, aber ein schmückendes Beiwerk, sind die originellen Lichthauben der Dächer, die den Zweck haben, Licht und Lust in reicherem Maße, als es sonst die kleinen Dachlücken ermöglichen, dem Dachgeschosse zuzuführen. Gut sichtbar sind solche Lichthauben in Abb. 73 u. 98. Zu den Sonderheiten des Bozner Patrizierhauses gehört neben dem raumreichen, lichthellen Treppenhof, von dessen Galerien man direkt in die Wohnräume gelangt (wohl darauf zurückzuführen, daß jede Familie ihr eigenes Haus besaß, in das keine fremden Mietparteien aufgenommen wurden), auch der schöne, stets nach rückwärts hinaus gelegene Gartenhof, der bei keinem guten Patrizierhaus fehlen durfte. Da Bozen infolge seines großen Handels durch Jahrhunderte die reichste Stadt Tirols war, die es übrigens auch noch heute sein dürfte, so gab es dort zu allen Zeiten ein wohlbegütertes, weltkundiges und traditionenstolzes Bürgertum, das seine Ehre darein setzte, in der Pracht der öffentlichen Gebäude Kunstsinn und Wohlhabenheit zu dokumentieren. Am schönsten ist diese Absicht in dem Merkantilgebäude unter den Lauben, einem aus dem Anfang des 18.Jahrhunderts stammenden Baue, verwirklicht worden (Abb. 112). Da der Bozner Magistrat allezeit mit wachsamen Augen auch über die private Bautätigkeit wachte, so wurde die Stileinheit überraschend gut gewahrt. Von den Privathäusern fällt ein einziges, ein gotischer Bau am Obstmarkte (Abb. 97), sichtlich aus dem Rahmen des Etschländer Stiles, ohne aber, da es in seiner Art Qualitäten besitzt, den Gesamteindruck zu stören.
Was aber der Bürgerschaft von Bozen zur höchsten Ehre gereicht, ist: Daß sie von allen österreichischen Städten als erste die Fahne des Heimatschutzes erhoben hat. Wohl vermochte man nicht zu verhindern, daß in den neunziger Jahren einige Zinshäuser in entsetzlichem Nürnberger Dekorationsstil erstanden, aber seither hat Bozen sowohl durch das Beispiel, das bei allen Neubauten gegeben wurde, wie durch eine zielbewußte Leitung der behördlichen Bauaufsicht und unter allgemeiner Anteilnahme der Bürgerschaft, Mustergültiges aus dem Gebiete des guten Städtebaues geleistet, wovon noch später die Rede sein soll. Die Freude am Erker und am schönen Portal ist im südlichen Landesteil womöglich noch größer als im nördlichen. So zeigt das Haus (Abb. 47) aus der Streiter-Gasse in Bozen einen ganzen Hausflügel zum Erker ausgestaltet. Auch hier wird auf Erker, die an Straßenecken zu stehen kommen, besondere Sorgfalt verwendet, wie aus Abb. 112 u. 101 zu ersehen ist. Die Haustüren sind beim Patrizierhause stets mit einem steinernen Portale eingefaßt, mit zwei schweren, dunkelgebohnten Flügeln, von denen sich die glänzend geputzten Messingbeschläge selbst im Halbdunkel der Lauben sehr wohl abheben, verschlossen. Hier sei der vielfach verbreiteten irrigen Ansicht entgegengetreten, daß die Laubengänge, die im Mittelalter sehr beliebt waren, italienischer Herkunft wären. Die Laubengänge, deren Entstehen auf das Bestreben möglichster Platzausnützung zurückzuführen ist, trifft man in ganz Deutschland, in den deutschen Sudetenländern, in den deutschen Alpenstädten viel häufiger und entwickelter als in Italien, wo sie meist nur als Kolonnaden bei öffentlichen Gebäuden anzutreffen sind.
Ganz anders aber muten uns wieder die Städtebilder Welschtirols an. Hier herrschte stets unumschränkt die Renaissance, wenigstens früher, denn das, was die italienischen Baumeister von heute unter dem Vorwande, ein Kunstgewerbe auszuüben, in Welschtirol an Wohnhäusern erbauen, darf durchwegs den abscheulichsten nordischen Zinskasernen als gleichwertig zur Seite gestellt werden. Die alten Teile Trients und Roveretos hingegen unterscheiden sich in nichts von dem Stile der oberitalienischen Städte. Die verwitterten Fassaden prunkvoller, totenstiller Palazzi, die hellfarbigen Fronten der Bürgerhäuser mit ihren hohen Balkonfenstern (die den charakteristischen Unterschied zwischen dem italienischen und etschländer Bürgerhaus bilden), die vielen prächtigen Portale, die flachen, weit vorstehenden Ziegeldächer, dazu eine geniale Unordnung und Nachlässigkeit auf Schritt und Tritt, alles dies zusammen gibt ein dem deutschen Auge ganz ungewohntes Straßenbild (Abb. 4, 52, 118, 11|9, 120, 128 u. 133). Gleich dem Etschländer Haus besitzt auch das Patrizierhaus Welschtirols einen großen Lichthof, dessen Steingalerien die Türen zu den Wohnräumen aufnehmen (Abb. 121). Die Torportale tragen womöglich noch reicheren Schmuck als in Bozen; auch erscheint hier manches Ziermotiv dem Barock entlehnt. Die Abb. 122, 123, 124 u. 125 zeigen einige davon, ganz willkürlich herausgegriffene. Ähnliche Straßenbilder sieht man im übrigen Südtirol italienischer Zunge: In der am Gardasee gelegenen Hafenstadt Riva (Abb. 126 u. 134), in Arco, das aus einem schon recht zerfallenen Städtchen in den letzten Jahrzehnten ein bekannter Kurort geworden ist; wie es aber früher ausgesehen hat, kann man aus dem heutigen Alt-Arco ganz gut rekonstruieren (Abb. 127 u. 136). Die zum Großteile von bäuerlicher Bevölkerung bewohnten großen italienischen Marktorte zeigen den gewöhnlichen rätoladinischen Typ. Wenn sie von den anderen rätoladinischen Ortschaften, deren Bewohner heute deutsch sprechen, sich in etwas unterscheiden, so ist es in dem geringeren Grad an Ordnungs- und Reinlichkeitssinn (Abb. 7, 30, 45, 116, 129, 130, 131, 132 u. 135).