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Lage und Gestalt

Im vorhergehenden Abschnitte wurde bereits ausgeführt, daß Tirol vom 4. Jahrhundert bis zum 19. Jahrhundert auf die Straßen angewiesen war, die die Römer durch das Land gezogen hatten, um eine sichere Verbindung mit den nördlich der Alpen gelegenen Provinzen herzustellen. An diesen Straßen entstanden nun, zumeist an wichtigen Kreuzpunkten oder Flußübergängen, römische Ansiedlungen, die zwar beim Einbruch der germanischen Stämme meist zerstört worden sein dürften, später aber infolge der günstigen natürlichen Lage und der zum Teile gewiß noch benützbaren Bauwerke, Umwallungen, Wasserleitungen, Grundmauern u. dgl. von der siegreichen germanischen Bevölkerung wieder aufgebaut wurden. An der großen Heerstraße von Italien nach Innsbruck und von da nach Augsburg und Passau liegen heute die Städte: Ala, Rovereto, Trient, Bozen, Brixen, Klausen, Sterzing, Innsbruck, Hall, Rattenberg, Kufstein und Vils; dann an den Römerstraßen durch den Vintschgau und das Pustertal: Meran, Glurns und Bruneck, Lienz. Es liegen also von den ehemaligen 19 Tirolerstädten 16 an den alten Römerstraßen, zwei weitere, Arco und Riva, auf dem alten römischen Kulturlande am Nordufer des Gardasees, und nur eine einzige, nämlich Kitzbühel, liegt abseits. Von den meisten erscheint mit Sicherheit nachgewiesen, daß sie ihr Entstehen einem römischen mansio oder castellum verdanken. Man vermag bei den meisten ohne viel Mühe zu ergründen, warum die Römer gerade diese Stelle zur Anlage einer Garnison für geeignet hielten.

In den Bergen muß auf eine günstige örtliche Lage, die eine Verteidigung zuläßt, mehr Rücksicht genommen werden als in der Ebene, in der sich durch Wälle und Graben schließlich jeder Ort verteidigungsfähig gestalten läßt. Daneben kommen wie überall Flußübergänge als wichtige strategische Punkte in Betracht. So ist Trient aus einem römischen Kastell auf dem Doß Trento, einer Felskuppe mitten im Etschtale, entstanden (Abb. 4). Das kleine Städtchen Ala (Abb. 7) sperrte die Klause ab, welche die Etsch bei ihrem Durchbruch durch die Voralpen bildet, Rovereto (Abb. 2), dessen römischer Ursprung wahrscheinlich, aber nicht sicher ist, lehnte sich wohl an den befestigten Schloßberg an, Bozen (Abb. 3) entstand zwar nicht an der Stelle der Pons Drusi, die sich in der Gegend des heutigen Sigmundskron befunden haben dürfte, sondern etwas nördlich davon, in der durch Eisak und Talfer gebildeten Landspitze. Ganz abgesehen davon, daß die damals noch vorhandenen, höchst ungesunden Etschsümpfe (unter deren Miasmen später die Burg Sigmundskron so schwer zu leiden hatte) die Anlage einer größeren Ortschaft neben der Pons Drusi unratsam, wenn nicht unmöglich machten, lagerte sich Bozen unmittelbar vor die Straße über den Brenner und sperrte diesen wichtigen Übergang gänzlich ab. Auf dem Felsriff ober Klausen (Abb. 1) stand wahrscheinlich schon eine rätische Ringburg, sicher ist, daß dort ein starkes Römerfort die vom Ritten herabkommende Brennerstraße deckte. Das heutige Brixen (Abb. 5), das jedenfalls schon vorrömischen Ursprungs sein dürfte, liegt an der Gabelung des Puster- und Eisaktales, am Knotenpunkte der nach Aquileja abzweigenden römischen Militärstraße. Das alte Vipitenum, an dessen Stelle heute Sterzing (Abb. 6) sich erhebt, bildete offenbar die letzte Etappenstation vor dem Brennerpaß, dem auf der Nordseite das alte Matrejum, heute Matrei (Abb. 8), entsprach, während das befestigte Veldidena den Abstieg der Brennerstraße in das Inntal und gleichzeitig die dortige Gabelung der Heerstraße zu überwachen hatte. Daß der Schloßfelsen von Rattenberg (Abb. 9) und Kufstein (Abb. 11) bereits von den Römern befestigt worden war, wird von Geschichtsforschern behauptet und erscheint glaubwürdig. Jedenfalls ist die Lage beider Städte eine offensichtlich strategische, ebenso wie die des Vintschgauer Städtchens Glurns (Abb. 17), das den Übergang über den Reschenpaß und wohl auch den uralten Rätersaumweg durch das Münstertal und den Ofenbergpaß decken sollte. Ebenso wie das alte Maja, an dessen Stelle sich später die Stadt Meran (Abb. 10) erhob, als Etappenstation am Fuße des Talanstieges in den Vintschgau von großer Bedeutung war. Auf dem Boden vorrömischer Ansiedlungen steht das heutige Bregenz, das seinen Namen von der römischen Straßenstation Brigantium ableitet (Abb. 12). Nur ganz wenige Tiroler Städte vermögen ihre Lage auf andere Gründe zurückzuführen, wie z. B. die Nordtiroler Salinenstadt Hall (Abb. 18), die Landeshauptstadt Innsbruck (Abb. 13), die keineswegs aus dem alten Veldidena, dem späteren Milten (Abb. 14), das ein gut Stück südlicher lag, entstanden ist, der Bergwerksort Schwaz (Abb. 15) und andere. Die Stadt Feldkirch (Abb. 16) dürfte eine rein alemannische Gründung sein.

Einige der aus früheren römischen Soldatenlagern entstandenen Ortschaften zeigen diesen Charakter noch sehr deutlich. Ich möchte zwar die von mehreren Seiten aufgestellte Behauptung, daß man aus der Straßenführung noch die Linien der Zeltaufstellung in den römischen Lagern rekonstruieren könne, als zu weitgehend zurückweisen; denn da müßte man annehmen, daß die Legionen auch in den ständigen Castra dauernd unter Zelten gelagert haben, was bei dem rauhen Gebirgsklima ganz bestimmt nicht der Fall war und dann, daß nach und nach die Zeltreihen in Häuserreihen umgebaut wurden, ein Vorgang der ganz undenkbar ist. Immerhin aber wird die geschlossene, stramm frontale Bauweise des nichtbefestigten Marktortes Matrei (Abb. 8) auf römische Anlagen zurückzuführen sein, da sie der bajuvarischen offenen Bauweise, die jedes Haus von dem anderen gesondert hinstellt, wie auch der rätoladinischen gleich fremd ist.

Aber auch dort, wo keine Rücksicht auf Verteidigung vor dem menschlichen Feind zur Anlage der Ortschaft auf oder um einen Felsriff nötigt, baut der rätoladinische Tiroler gerne den Berg hinauf. Meist ist es die drohende Wassergefahr, die dazu ratet, vielfach auch der Umstand, daß es sich auf den Berglehnen trockener und sonniger wohnt als in der Talsohle.

In solchen Fällen diktiert das Terrain die Anlage und läßt für die Richtung, Anlage und Breite der Straßen und Gassen meist nur einen sehr kleinen Spielraum. Beispiele solcher um eine Felsenburg gedrängter Städteanlagen geben Klausen (Abb. 19) und Kufstein, »Coafstein« genannt (Abb. 20). Planmäßige Stadtanlagen hingegen zeigen Innsbruck, dessen Achse die vor der landesfürstlichen Residenz entspringende Brennerstraße bildet (Abb. 13) und Bozen, dessen Straßenführung im Jahre 1703, wenn man den zeitgenössischen Stichen (Abb. 21 u. 22) Glauben schenken darf, als eine musterhafte bezeichnet werden muß.

Übrigens ist es gerade die von unserer Zeit viel bekrittelte Hügelanlage der Städte, die diesen nicht nur ein wohlgegliedertes, rasch übersichtliches und malerisches Ansehen verleiht, sondern auch die Möglichkeit terrassenartiger Aufstellung der Häuser gibt, wobei jedem einzelnen Hause freie Aussicht, sowie ein gutes Stück Licht und Sonne gesichert werden kann. Voraussetzung hierfür ist allerdings voraussehender Weitblick der zum Entwurf des Bebauungsplanes berufenen Behörden, worin es in Tirol bedauerlicherweise vielfach noch heute mangelt. So wurde das sonnenreiche, prächtige Plateau von Hötting, nördlich Innsbrucks, das bei zielbewußter Bebauung ein zweites Obermais hätte werden können, derart regellos und wüst mit einem Durcheinander von Zinskasernen, Villen und öffentlichen Bauten belegt, daß es wohl für immer verlorenes Terrain bleiben wird.

siehe Bildunterschrift

1. Klausen mit Säben

siehe Bildunterschrift

2. Rovereto

siehe Bildunterschrift

3. Bozen gegen Süden

siehe Bildunterschrift

4. Trient mit Doß Trento

siehe Bildunterschrift

5. Brixen

siehe Bildunterschrift

6. Sterzing

siehe Bildunterschrift

7. Ala

siehe Bildunterschrift

8. Straße in Matrei

siehe Bildunterschrift

9. Rattenberg: Stadtplatz

siehe Bildunterschrift

10. Meran

siehe Bildunterschrift

11. Kufstein

siehe Bildunterschrift

12. Bregenz

siehe Bildunterschrift

13. Innsbruck gegen Süden

siehe Bildunterschrift

14. Wilten bei Innsbruck

siehe Bildunterschrift

15. Schwaz

siehe Bildunterschrift

16. Feldkirch

siehe Bildunterschrift

17. Glurns

siehe Bildunterschrift

18. Hall gegen Norden

siehe Bildunterschrift

19. Klausen und Kloster Säben um 1649 (Nach Mathias Merian)

siehe Bildunterschrift

20. Kufstein um 1649 (Nach Mathias Merian)

siehe Bildunterschrift

21. Bozen um 1610

siehe Bildunterschrift

22. Bozen anno 1649


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