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Jacoba war zum erstenmal in ihrem Leben nachdenklich geworden. Es hausten Gedanken und Erwägungen in ihr, von denen sie bislang noch nichts verspürt hatte. Sie ging still und doch ruhelos von Zimmer zu Zimmer, saß bald da eine Weile, bald dort, besuchte nachts weder Eule noch Kauz, fühlte sich auf einmal in der jahrelang gewohnten Umgebung fremd und empfand mit leichtem Erstaunen, daß ihr das Haus nie vertraut geworden war oder daß sie den Zusammenhang mit dem düsteren Bau, mit dessen Unheimlichkeit und Geheimnissen sie doch so gern gespielt hatte, verlor. Wie kam das nur? Was bedeutete das alles? Sie war beängstigend freundlich zu allen Leuten, und darum scheute jeder sich noch mehr, mit ihr zusammenzusein. Sie saß auch stundenlang, ohne ein Glied zu rühren, an dem winzigen Austritt ihres Zimmers, der mit seinem schmiedeeisernen Gitterkorbe nach dem Park zu die eintönige Fläche des Hauses ein wenig unterbrach. Sie brütete dumpf vor sich hin. Irgendein Unheil schien sich ihr zu nähern. Eigentlich hatte sie Unheil genug hinter sich gebracht. Tirschenreuth war eine Niete gewesen, Gottwalt ein Versager, Michael eine Enttäuschung, und eine sehr große noch dazu, denn, das mußte sie sich gestehen: sie liebte ihn. Sie selber war in das Garn gegangen, das sie ihm gestellt hatte. Er hatte sie stehenlassen, aber sie fand jetzt keine Worte des Zorns, der Verachtung, der Beschimpfung mehr, die ihr sonst so willig zu Gebote standen. Das Schicksal mußte Vernichtung für sie in dunkler Bereitschaft halten. Unheimlich war es. Als ob ein Mensch unsichtbar im Zimmer stünde. Ihr fröstelte es im Rücken. Alles kehrt sich bumerangähnlich gegen einen, was man auch tut, mußte sie denken. Wie manches Mal war sie aus purer Lust in ihrem schwarzen Nachtanzug mit schwarzer Maske durch die »offene Wand« in ein Zimmer gestrichen, in dem ein Gast schlief, aus spielerischer Lust am Schreckenverbreiten und voller Triumph, wenn sie am nächsten Morgen hörte, daß der Gast sich gefürchtet habe. Bisweilen hatte sie auch versucht, in die Träume der Schlafenden hinein Fragen zu stellen und so die Menschen auszuhorchen. Jetzt hatte sie selbst das Gefühl, als stände bei ihr im Zimmer ein Mensch.
Ein devotes Räuspern wurde hinter ihrem Rücken hörbar. Sie fuhr entsetzt herum.
Fedor verbeugte sich ergeben und bat um Entschuldigung: die Frau Baronin habe leider sein mehrfaches diskretes Klopfen nicht gehört. Jacoba schrie den Kammerdiener Michaels nicht heftig an, sondern fragte mild, was er denn wünsche. Ob die verehrte Frau Baronin ihn nicht in ihre Dienste nehmen wolle. Da wäre doch die kostbare Gemäldegalerie. Er habe Kenntnisse und Beziehungen, wo man dergleichen Kunstschätze absetzen könne, ohne dem Zwischenhandel die größere Hälfte in den Rachen zu werfen. Als Jacoba einwandte, der Besitz der Galerie werde ihr von Herrn Michael bestritten, war Fedor der Meinung, Herr Spranger werde nachgeben, wenn er z. B. Fräulein von Rentmeister heirate. Dann würde er einen Vergleich schließen und Frau Jacoba für ihren Wegzug aus dem Schloß die Galerie überlassen, denn die junge Frau würde eine schönere nicht gern in unmittelbarer Nähe wissen. Fedor schloß seine Worte mit einem verschämten Lächeln, dem man seinen Stolz über seine eigene Kombinationsfähigkeit anmerkte.
»Ein kluger Ratgeber ist ein großes Kapital«, nickte Frau von Tirschenreuth höchst befriedigt. Fedor bat, sich für diesmal zurückziehen zu dürfen.
Die beiden hatten das Anfahren eines Autos auf der Rampe der Vorderfront überhört. Dem Polizeiwagen entstiegen Kriminalrat Holst und sein Vorgesetzter, Kriminaldirektor Dr. Spahn, die sich sogleich in die Galerie begaben. Dort prüften sie die Siegel an den Türen. Es war alles in Ordnung. Erst dann öffnete Holst den Haupteingang, schritt zu den Fenstern und zog die fünf ebenfalls versiegelten Rolläden nach sorgfältiger Untersuchung hoch. Darauf kehrte er sich um, wollte zu Dr. Spahn hinübergehen, blieb aber mit einem Ruf des höchsten Staunens wie angewurzelt stehen. Spahn fuhr herum und ließ von seinen Betrachtungen ab. Sein Blick suchte das Ziel von Holsts Augen. Er begriff und faßte sich in den Kragen.
Da hing er – der Van Dyck!
»Allerhand, Herr Kollege, mir scheint, es treibt hier einer Schabernack mit Ihnen«, bemerkte Spahn trocken, dem zuerst die Sprache wiederkam. Holst biß sich zornig auf die Lippen. Wer mochte ihm diese Blamage eingebrockt haben?
Zunächst machten sich die beiden Kriminalisten an die nochmalige Untersuchung der acht Siegel an Türen und Fenstern und spürten alles genauestens nach irgendwelchen Anzeichen einer gewaltsamen Aufbrechung ab. Doch die Untersuchung der Fenster und Türen ergab zur Verwunderung Dr. Spahns keinerlei Anhaltspunkte. Er glaubte nämlich nicht an die Ammenmärchen. Holst schloß einen Handscheinwerfer an und untersuchte den Fußboden, während Dr. Spahn das Van-Dyck-Bild von der Wand nahm und es sorgfältig auf Merkmale und Echtheit prüfte, denn es hätte ja sein können, daß dieses eine Bild keine Fälschung gewesen und deshalb beiseite gebracht worden wäre.
Inzwischen war die Post gekommen. Außer einigen unbezahlten Rechnungen brachte sie nur die Zeitung für Jacoba. Cordula schob sich schüchtern ins Zimmer, offiziell mit der Frage, ob die Polizeier auch noch was zu essen kriegen sollten, in Wahrheit aber, weil ihr ängstlich und bedrückt zumute war. Sie höre ihren Sohn jetzt gar nicht sprechen, das wäre ein böses Omen. Jacoba lächelte vor sich hin, was Cordula erzürnte, denn sie ahnte nicht, daß dies Lächeln Fedor und seinen weitschauenden Plänen galt. Da gefror Jacoba das Lachen auf den Lippen. Sie sah unausgesetzt mit finster zusammengezogenen Brauen auf eine Stelle in der Zeitung, so daß Ute und schließlich auch Cordula herbeikamen, um zu lesen, was es da gäbe.
»Ihre Verlobung geben bekannt Michael Spranger und Dr. Gefion Dankwart. Schloß Rüsternort über Hohennostritz, Berlin, im Oktober 1938.«
Jacoba kam zu sich, zerknüllte das Blatt und schleuderte es wie eine giftige Viper weit von sich. Utes Gefühle waren zwiespältig. Cordula schüttelte nur den Kopf, murmelte und nuschelte vor sich hin: dies ginge nicht gut aus, sie sähe schwedische Gardinen und einen Toten.
Jacoba hatte sich zuerst gefaßt. Sie ging im Zimmer auf und ab und wiederholte in der alten Beschließerin ungereimtes Geschwätz hinein mehrfach: »Meine Bilder, mein Glück, meine Bilder!« Cordula schüttelte wiederum sehr mißbilligend den alten Kopf, so daß die dünnen grauen Strähnen über der Glatze schaukelten und der Näherzusehende sich wundern mußte, wieso und woher es im Nacken noch zu einem kleinen Dutt reichte. Als sie etwas sagen wollte und warnend den Finger hob, den sie in solchen Fällen stets benetzte, als wolle sie prüfen, woher der Wind käme, klopfte es hart und kurz an die Tür. Die drei Frauen schauten schreckhaft auf. Herein trat Inspektor Kraus: »Kriminaldirektor Doktor Spahn ersucht Frau von Tirschenreuth, mit mir unverzüglich in den Saal zu kommen.«
Jacoba verbarg ihren Unwillen über den angeschlagenen Ton und begab sich mit höflich unbefangener Miene, den Inspektor ignorierend, in die Galerie. Die andern sahen ihr mit Bangen nach.
Der Van Dyck hatte sich ebenfalls als eine Fälschung und die Malerei als die eines Linkshänders erwiesen. Neue Fingerabdrücke konnten nicht gefunden werden, da derjenige, der das Bild zurückgebracht hatte, mit Handschuhen gearbeitet haben mußte. Als interessantes Ergebnis der Nachforschungen stellte sich heraus, daß die Leinwand des Van-Dyck-Bildes an den Rändern neue Nagellöcher aufwies, auch war sie anscheinend eilig und recht unsorglich wieder auf den Spannrahmen genagelt worden. Nicht einmal richtig gleichmäßig straff hatte der Täter die Leinwand gezogen. Wer war der Schuldige? Und warum war das Bild gestohlen worden? Noch interessanter: warum – und unter welchen Schwierigkeiten! – war es wieder an seinen Ort gebracht worden? Ein schwer zu lösender Rattenschwanz von Fragen. Während Spahn sich nun den Pesne vornahm und ihn kopfschüttelnd immer von neuem untersuchte, denn auch dies Bild mußte doch unecht sein, seufzte Holst endlich erleichtert und befriedigt auf, sah lächelnd zu Dr. Spahn hinüber: »Ja, Fräulein Dankwart und ich haben diesen General von Spranger auch als einen echten Pesne zurückgestellt.«
Spahn fragte, ob das Bild allen Untersuchungsmethoden standgehalten habe. Es sei doch nicht allein ausschlaggebend, daß es von einem Rechtshänder gemalt wurde. Holst bejahte. Dann trat er dicht vor seinen Vorgesetzten und sagte: »Den Van Dyck hat eine Dame mit sehr schmalem, kleinem Fuß, dessen Stiefel einen unverhältnismäßig großen Absatz hat, zurückgebracht. Sie setzt ihre Füße voll aufdrückend, ganz gleichmäßig und ein wenig mehr auswärts als allgemein üblich auf. Sie ist hier aus der Wand herausgetreten und auch wieder durch die Wand weggegangen. Beim Eintritt hatte sie ein wenig lehmige, etwas tonhaltige und leicht rötliche Erde am rechten Absatz. Da bei Damen auch ein Straßenschuh nicht einen so großen Absatz zu haben pflegt, so ist die Dame in Reitstiefeln gewesen, was zu Folgerungen Anlaß gibt«, schloß Holst seine sachlich nüchterne Ausführung, der man ein wenig Berufsstolz anmerkte.
Spahn, an Merkwürdigkeiten und Überraschungen in seinem Beruf gewöhnt, kehrte sich Holst voll zu und ging dann wortlos zu der von diesem bezeichneten Wand. Der Handscheinwerfer wurde wieder eingeschaltet. Holst ließ das Licht schräg auf den Boden an der bezeichneten Stelle fallen, und da zeigte sich dem geübten Auge des Kriminalisten in dem feinen Staub auf dem Parkett ein kaum wahrnehmbarer, hauchdünner Abdruck eines Damenstiefels nach zwei Richtungen, die sich leider überschnitten, aber an einer Stelle war der Abdruck klar, und davon nahm Holst jetzt einen Folienabzug.
»Gratuliere«, sagte Spahn nüchtern und erhob sich. »Die Tirschenreuth hat also erst den Spranger-Wendhusen vernichten wollen, dann hat sie das entweder für nicht ungefährlich gehalten oder hat sich in ihn verschossen. Dennoch dünkt mich das Ganze irgendwie sonderbar. Sie haben Glück gehabt, daß hier nicht reingemacht wurde. Dem Staub verdanken Sie Ihren ungewöhnlichen Erfolg.« Das Hausmädchen Selma wurde gerufen und ihr der Befehl gegeben, die Reitstiefel der gnädigen Frau sofort herzubringen. Unterdes holte Kraus Jacoba. Die Herren stellten sich seitwärts des Van-Dyck-Bildes, das sie wieder aufgehängt hatten. Inspektor Kraus faßte wie befohlen beim Eintreten Frau von Tirschenreuth plötzlich kräftig am Arm und führte sie an eine bestimmte Stelle. Wie vermutet, wehrte sich Jacoba gegen den festen Griff und sah dem Inspektor zornig ins Gesicht. Als der sie nun losließ, drehte sie sich zu den beiden Herren um und wollte mit einer Beschwerde beginnen, stieß aber einen dramatischen Überraschungsruf aus, den jeder Psychologe für echt halten mußte. Dann ging sie voller Verwunderung auf den Van Dyck zu, blieb davor stehen, die Kriminalisten völlig vergessend. Sie wollte sagen: Wie ist das möglich? Bekam sich aber in die Hand und äußerte gleichgültig: »Haben Sie das Bild gefunden und wieder angebracht? Gratuliere.« In diesem Augenblick erschien Selma mit den Reitstiefeln.
»Sind das die Ihren, Frau von Tirschenreuth?« fragte Holst scharf, der nun endlich zum Ziel kommen wollte. Jacoba bejahte ganz in dem Ton ihres alten Hochmuts.
»Dann zeigen Sie mir, wie sich hier die Wand öffnet«, befahl Holst barsch und sah Jacoba streng in die Augen. Die lächelte nur mokant: er solle nur selbst die Wand aufmachen. Und was denn ihre Stiefel mit der Wand zu tun hätten? Holst verglich nun den linken Stiefel mit der gesicherten Spur. Erstaunt sah er zu Dr. Spahn auf, der ihn um ein gutes Stück überragte. Der nickte: »Ich habe mir das fast gedacht. Falsche Spur auf richtiger Fährte.« Ute wurde geholt. Sie mußte ihren Schuh auf ein Stück Papier setzen, aber eigentlich wäre das gar nicht nötig gewesen, denn sie trug einen breiten Haferlschuh, der nichts mit dem Abdruck gemeinsam hatte. Zur Vorsicht ließ man sie den Schuh ausziehen, aber auch wenn man ihren Fuß in einen chinesischen Schraubstock, der die Zehen zusammenpreßt und schließlich abtötet, gesteckt hätte, er hätte niemals in diese Aschenbrödelpantöffelchen gepaßt.
Jacoba ging bei alledem unruhig im Saal umher. Spahn folgte ihr mit den Blicken, die er nicht von ihren Füßen ließ. Diese Frau ging auf den Ballen wie eine Katze. Von der stammten die Abdrücke nicht. Sie trat nie so mit dem ganzen Fuß auf wie die Täterin. Er wandte sich zu ihr: »Ihre Fingerabdrücke sind auf dem Rahmen des Van-Dyck-Bildes und auch auf der Leinwand einwandfrei festgestellt worden. Sie haben also in einer Weise, die noch aufzuklären sein wird, mit dem Verschwinden und, wenn auch vielleicht nicht direkt, mit dem Wiederauftauchen des Bildes Zusammenhang. Sie erhalten Ausgehverbot. Das Telephon wird überwacht, sowie jeder, der das Haus betritt. Sie haben sich zur Verfügung der Polizei zu halten. Wegen wissentlich falscher Anschuldigung.« Damit wurde sie entlassen. Kraus ward beauftragt, das gesamte Hauspersonal herbeizuschaffen. Inzwischen nahmen die Herren Ute in ein immer schärfer werdendes Kreuzverhör, denn das junge Mädchen hatte nicht verbergen können, daß sie einiges um das Verschwinden und Wiederauftauchen des Bildes wußte. Doch wollte sie um keinen Preis mit der Wahrheit herausrücken. Sie verteidigte sich nicht ungeschickt und beteuerte immer wieder, daß sie das Bild nicht zurückgebracht und es auch vordem nicht gestohlen habe. »Bei den Blicken Ihrer Mutter in Sprangers Arbeitszimmer haben Sie sich doch damals etwas gedacht?« beharrte Holst. »Ich habe genau bemerkt, daß Sie sich einmal über ein kurz aufzuckendes Erstaunen Ihrer Mutter gewundert haben. Das müssen Sie doch zugeben!«
»Ach, bei dem Lenbach« – entfuhr es Ute. Spahn lächelte. Holst ging hinaus, kehrte rasch zurück und hielt Ute das Lenbach-Bild vor die Augen. »Hier drunter war der Van Dyck verborgen. Gestehen Sie es.«
»Ich verweigere die Aussage«, schrie Ute erbost.
»Es hat keinen Sinn, Fräulein von Tirschenreuth. Sie verraten sich mit jeder Miene. Um Michael Spranger zu verderben, hat Ihre Mutter den Van Dyck unter dem Lenbach angebracht, wir sollten ihn programmäßig finden. Da hätte Spranger sich vergeblich gewehrt. Niemand hätte ihm geglaubt, daß er das wertvollste Bild nicht hätte beiseite schaffen wollen.« Spahn wechselte das Thema und fragte Ute nach dem Mechanismus, der die Wand bewege. Sie antwortete offen und freimütig, daß sie ihn zwar kenne, aber nicht verraten dürfe. Die Herren zuckten die Schultern und entließen das Mädchen. Noch immer standen sie vor einer verschlossenen Wand.
Weder Cordulas noch des Kochlehrlings, noch der andern Angestellten Fuß paßte in den Folienabzug. Fedors war zwar aristokratisch schmal, Form Potsdam, wie er stolz betonte, aber viel zu lang. Nach dem Wandmechanismus wurde das ganze Personal vergeblich ausgefragt. Als man auf Fräulein Doktor Dankwart wartete, die telegraphisch herbeizitiert worden war, da sie zu der Zeit des Vorgangs im Hause anwesend, brachte Inspektor Kraus mit sichtlicher Erregung die Abendzeitung.
so lautete die Überschrift. Dr. Spahn überflog das Blatt, gab es an Holst weiter. »Hier. Wenn Sie nachlesen wollen. Da hat einer unsere Notizen verdammt geschickt aufgemacht.« Holst las:
»Die Ausfuhr von alten Kunstwerken ist bekanntlich verboten. Was tut nun ein gerissener Kunsthändler, wenn er ein altes, kostbares Meisterwerk ins Ausland verschieben will? Sehr einfach. Er läßt es von einem billigen lebenden Maler mit einer faden Landschaft überpinseln. – Was spielte sich nun in diesen Tagen in Neuyork Interessantes ab? Ein kleiner Händler in Hamburg hatte so eine Landschaft von dem unbekannten Karl Miller an den bedeutenden Kunsthändler James Hall in Neuyork verkauft, für lumpige dreihundert Dollar. Herr James wird von der Neuyorker Zollbehörde am Hafen benachrichtigt, daß er das Bild nach Erlegung des Zolls abholen könne. Was trifft aber zu gleichen Zeit bei dem behäbigen Zolldirektor Williamson ein? Ein anonymer Brief! Der behauptet, daß diese Landschaft von Miller eine bloße Decklandschaft sei. Darunter befinde sich ein bisher unbekanntes großartiges Gemälde, eine › Leda mit dem Schwan‹ von dem berühmten italienischen Maler Correggio. Beabsichtigter Zollbetrug. Achtung! Zupacken! Der Brief schlägt in dem stillen Zolldirektionsbüro wie eine Bombe ein. Herr Williamson sperrt sofort die Auslieferung des Bildes an James Hall, der zur Abnahme eigentümlich eilig herbeigekommen ist. Der anerkannte Kunsthändler protestiert heftig. Zolldirektor Williamson reibt sich vergnügt die dicken Hände. Was werden die Zeitungen schreiben über ihn, den wachsamen Beamten, der dem Staat hunderttausend Dollar Strafgelder einbringt. Der arme Kunsthändler windet sich in Krämpfen. Er weiß von nichts, er ist unschuldig, er ward betrogen von dem verdammten Dutchmann. Zwei Bildersachverständige, die Herr James vorschlägt, werden berufen. Das Landschaftsbild von Karl Miller wird in das Hauptbüro des Hafenzolls gebracht. Die Sachverständigen trudeln ein. Man beginnt sofort, sich zu streiten, wer das Bild in Angriff nehmen soll und wie. Endlich einigt man sich auf eine bestimmte Methode. Die Arbeit beginnt. Die Farbe löst sich leichter ab als gedacht. Sie muß noch sehr frisch sein, und der Firnis wurde nur hauchdünn aufgetragen. Da! Ein allgemeiner Schrei, der sich ringsum fortpflanzt. Die Sensation ist da. Die Federn der Reporter rasen über das Papier, die Telephone werden gestürmt. Es zeigt sich ein altes, tief nachgedunkeltes Bild, der Correggio. In den feinen Rissen der alten, dicken Firnisschichten haftet noch die moderne Farbe des Landschaften klecksenden Miller.
Ein echter Correggio ist den Behörden des verkalkten Abendlandes entschlüpft. Welch überirdische Fügung! Gottes eigenes Land ist um ein Meisterwerk ohnegleichen reicher! Es besitzt nun einen berühmten Italiener der Hochrenaissance mehr. Dank der wunderbaren Spürnase unseres genialen Zolldirektors. So rasen die Berichte in die Redaktionsbüros, so rasen sie durch die ausschmückenden Schreibmaschinen der Hauptschriftleiter, die sich dieses grandiosen Falles natürlich selbst bemächtigen. So rasen sie durch die Rotationspressen, so rasen die Zeitungsjungen durch die überfüllten Straßen. So brüllen sie durch die Lokale: ›Williamson rettet dem Staat Millionen!‹
In emsiger Arbeit wird inzwischen auf dem Chefbüro der herrliche Correggio von der elenden Übermalung befreit. ›Leda mit dem Schwan‹ steigt aus der traurigen Umhüllung. Ein kühnes Bild. Eine großartige Phantasie. Eine Einmaligkeit auf dem ganzen Kunstmarkt wurde durch die Wachsamkeit unserer Beamten für USA gerettet. Leda, die Frau, welche jeden Mann verschmäht, zu der Gott Jupiter in Gestalt eines Schwanes kommen mußte, auf daß sie sich endlich hingab. In einer Berliner Galerie hängt ein Pendant dazu, ›Jo und Jupiter‹, der diesmal in Gestalt einer Wolke das Mädchen beschattet. Bei unserm Bild ist die Phantasie des Künstlers an die Grenzen des Möglichen, des Erlaubten gegangen und hat den Gott die Gestalt eines stolzen Vogels annehmen lassen. Ein Meisterwerk, wie geschaffen für die Privatgalerie eines unserer erfolgreichen oberen Zehntausend. So und ähnlich ergossen sich die amerikanischen Zeitungen über das schlüpfrige Thema.
Die zwei Sachverständigen einigten sich merkwürdigerweise und bestätigten die Echtheit des Bildes, zumal dem einen eingefallen war, daß in der Albertina zu Wien eine Skizze von Correggio, also wohl der Entwurf zu dem unbekannten Bilde, vorhanden war.
Herr James Hall zahlte mit schrecklichem Jammergeschrei einhunderttausend Dollar Zollstrafe. Am Tage darauf verkaufte er den Correggio für 1,1 Million Dollar an den bekannten Milliardär C. Absch von den Gutachten der zwei Sachverständigen gab er gratis zu. Der Dollarikaner hätte beinahe, beinahe einen echten Correggio bekommen. Ja, Majestät Dollar, wenn die Kriminalzentrale in Berlin nicht wäre! Denn: das Correggio-Bild ist kein Original, ist eine geniale Fälschung. Aber jetzt hatte man zwei staatliche Gutachten, die das Bild für echt erklärten.
Die Kriminalzentrale hatte von der Sache längst Wind bekommen und sich durch Luftpost den anonymen Brief, der aus Berlin abgesandt worden war, schicken lassen.
Sie besaß einen wundervoll konstruierten Apparat, der durch immer neues Ausscheiden der nicht in Frage kommenden Typen aller vorhandenen Schreibmaschinenfabrikate zuletzt unweigerlich die richtige Maschinentype, mit der ein Brief getippt wurde, herausschält. Es ergab sich ein heute wenig gebräuchliches altes System, dessen verwendeter Repräsentant verschiedene Verschleißfehler aufwies. Eine Haussuchung bei einigen Hehlern usw. erbrachte kein Ergebnis.
Einen großen Kunsthändler hatte das Amt aus bestimmten Gründen in Verdacht. Zwei Wochen lang war dessen Post überwacht worden. Vergeblich. In der dritten konnte man einen Brief beschlagnahmen, der unzweifelhaft mit dieser Maschine geschrieben worden war. Das Beweisstück ist da! Aber die Maschine fehlte noch. Der Kunsthändler K. hat die Übermalung in Auftrag gegeben, hat einen bereits sichergestellten Maler I. R. dies Bild überpinseln und es darauf durch einen Hamburger Hehler nach Neuyork verkaufen lassen.
Nun aber kommt der raffinierteste Trick, der seinesgleichen selten finden wird. Der Kunsthändler K. hat selbst den anonymen Brief an den Zolldirektor Williamson geschrieben und ging nicht fehl in seiner Kalkulation, daß die amerikanischen Sachverständigen auf die ungewöhnlich gute Fälschung hereinfallen würden. Die Echtheit wurde programmäßig von dort aus bestätigt. Sein Komplice James Hall hatte nun damit die Beglaubigungen, daß der Correggio echt sei, und es war ihm ein leichtes, straffrei eine Million in die eigene Tasche zu stecken, denn er hatte ›natürlich‹ von der Fälschung nicht das geringste gewußt, und die Gutachten der amtlichen, angesehenen Sachverständigen schützten ihn vollkommen. Eine großartige Gaunerei erster Klasse.«
Holst gestattete sich ein mageres Lachen. Die Aufmachung war gut. Aber es würde noch lange dauern, bis die Fäden sich so zusammenzogen, daß man den Kunsthändler Kapsdorf und den noch unbekannten Maler dieses Millionenobjektes überführen konnte. Dort wie hier stand man noch immer vor einer Wand, die sich nicht öffnen wollte. Dr. Spahn hatte in unermüdlicher Arbeitstreue jeden Punkt des Getäfels abgeklopft. Ohne Erfolg. Nun verließ er den Saal und begab sich in das anschließende Billardzimmer. Dort stellte er eine Abweichung der Wand von dem rechten Winkel fest. Es ergab sich die Möglichkeit, daß an der äußersten Kante ein Hohlraum von der Breite eines Menschen vorhanden sein könne. Wieder arbeitete der Holzhammer. Da! Ein leichter Schlag, ein leiser Druck, eine wundersame Auslösung: ein ungeheurer Quader dreht sich zimmereinwärts. Das Getäfel geht mit. Spahns Aufregung ist so groß, daß er nicht mehr weiß, wo er den die Geister beschwörenden Schlag getan hat. Ein spitzes, dunkles Dreieck hatte sich vor ihm aufgetan. Er leuchtete es mit seiner Taschenlampe aus und sah zu seinem Erstaunen eine gewöhnliche Klinke an der gegenüberliegenden Seite. Bei genauerer Betrachtung zeichnete sich eine feine Fuge in dem Gemäuer ab. Spahn sagt sich, daß dies der Eingang zum Saal sein müsse, den sie so lange vergeblich gesucht hatten. Sollte es möglich sein, daß man nur auf diese Klinke zu drücken brauchte, um dann im Ahnensaal zu stehen? Er legte die Hand auf die Klinke. Sie gab nach. Wieder öffnete sich ein Quader, begann sich um seine Achse zu drehen. Ein winziger Tropfen Fett lief an der oberen Angel herab. Die Tür war also kürzlich frisch geölt worden.
Im Saal fuhr Holst herum, denn er sah an Gefion Dankwarts Gesicht, die soeben eingetroffen war, daß in seinem Rücken etwas Ungewöhnliches geschah.
Dr. Spahn trat aus der Wand.
Nun stand er im Saal.
Holst ließ die Hand, mit der er eben das Zeitungsblatt aus der Tasche ziehen wollte, sinken. »Also doch!« Die beiden Kriminalisten nickten sich befriedigt zu und untersuchten das Wunderwerk der Mechanik. Gefion war ihnen interessiert gefolgt. »In meinem Fremdenzimmer hier oben ist sicher auch solche Geheimtür. Mehr als einmal hatte ich das bestimmte Gefühl, daß des Nachts ein Mensch im Zimmer war«, sagte sie zaghaft und fürchtete, ausgelacht zu werden. Aber die Herren ließen sich alles genau berichten. Erst dann zog Holst das vorhin schon ergriffene Zeitungsblatt hervor und hielt die dicken Überschriften Gefion plötzlich vor das Gesicht, die Wirkung genau beobachtend. Das Mädchen erschrak heftig. Ihre Hände, die begierig nach der Zeitung griffen, zitterten ein wenig. Spahn und Holst sahen sich bedeutsam an. Ihre Vermutungen stimmten also: diese Dame wußte um die Geschichte mit dem Ledabild des Correggio. Wenn sie etwas wußte, so konnte das nur die Fälschung betreffen. Wenn sie Angst hatte, so konnte das nur daher kommen, daß sie den Fälscher kannte und – liebte. Dann aber war ihr Verlobter, Michael Spranger, der gesuchte geniale Hersteller eines scheinbar echten alten Kunstwerks.
Das alles sagten sie Gefion wechselweise auf den Kopf zu, nachdem diese den Artikel überflogen hatte und ihr das Blatt aus der Hand geglitten war. Mit allen Mitteln versuchte Gefion Michael zu decken; sie hatte sich zu ihm bekannt; die Verlobungsanzeige war schon vor dem letzten Zusammensein aufgegeben worden. Die entstandene Unstimmigkeit würde beizulegen sein. Aber obwohl sie sich alle Mühe gab, die Kriminalisten auf andere Spuren zu bringen, blieben diese bei ihrer Ansicht, daß Michael der Maler der hiesigen Ahnengalerie und des Ledabildes sei, daß Fräulein Dr. Dankwart dies alles sehr wohl wisse; sie solle sich durch ein Geständnis erleichtern. Vergeblich. Da kam Holst ein Einfall. Rasch schritt er auf die offene Wand zu und leuchtete die Schmalseite des spitzen Dreiecks ab. Er fand auch sogleich einen Druckknopf, der diese Wand sich nach außen auftun ließ. Es war eine gewöhnliche Tür, die in einen schmalen Gang führte, in dem es unangenehm roch. Nach Moder und Verwesung. In dem Gang stand, wie er vermutet hatte, das halbfertige Bildnis Gottwalt Sprangers, das ihn in roter Husarenuniform darstellte. Holst ergriff es und trug es hinaus, die Rückseite nach vorn haltend. Dann drehte er es mit einem Ruck vor Gefions Augen herum und ließ sie diese neue Überraschung erleben.
»Auch dieses Bild ist mit der linken Hand gemalt. Es ist rechts oben begonnen worden, die linke untere Ecke ist noch unvollendet. Dies Bild hat, laut Zeugenaussage, Michael Spranger, der Linkshänder, gemalt. Es ist die gleiche Hand, die hier die Galerie gemalt hat. Ihr Leugnen war vergeblich«, stellte Holst sachlich fest.
»Sie als anerkannte Kunsthistorikerin können niemals einen vorbestraften Fälscher heiraten, das muß Ihnen klar sein.« »Herr Doktor Spahn, was mischen Sie sich in mein persönliches Leben!« rief Gefion flammend vor Zorn. »Michael hat die Bilder nie signiert, er hat nie einen Betrug ausgeführt. Diese Galerie hier ist eine unschuldige Spielerei, die Signaturen stammen nicht von ihm. Er hat mir sein Wort gegeben: er hat nichts Verbrecherisches getan! So glauben Sie es doch! – Gemein!« Sie brach wieder in verzweifeltes, wildes Weinen aus.
Da betrat Frau Jacoba den Saal; sie hatte es vor Neugier in ihrem Zimmerarrest nicht mehr ausgehalten. Wieso war plötzlich ohne ihr Wissen diese Gefion wieder da? War sie von der Polizei hergeholt worden?
Als sie ihre Feindin und Rivalin in Tränen sah, ging eine aufschlußreiche Genugtuung über ihr Gesicht, und es hätte ihres leisen Lachens nicht bedurft, um die Kriminalisten gegen sie einzunehmen.
Holst machte demzufolge eine Geste nach der offenen Wand und freute sich über das nicht zu verbergende Erschrecken Jacobas, deren Augen sich unnatürlich weiteten.
»Wollen Sie nun gestehen, Frau von Tirschenreuth, daß Sie das Van-Dyck-Bild durch jene Wand entfernten, weil Sie den Erben, wenn er das Testament nicht gefälscht haben sollte, durch einen vorgetäuschten Diebstahl zur Strecke bringen wollten? Nein, Sie wollen nicht der Wahrheit die Ehre geben? Nun, dann werden wir Sie zwingen müssen. Sie haßten zunächst Michael Spranger, den Eindringling, der Ihnen das erhoffte Erbe wegschnappte. Dann gefiel Ihnen der Mann, gefiel Ihnen nur allzusehr. Ihre Erotik spielte Ihnen einen Streich. Woher wir das wissen? Ja, gnädige Frau, Sie hatten das ganze Personal so umsichtig entfernt, aber doch eine Kleinigkeit übersehen. Das ganze Personal weiß, was geschehen ist, denn Fedor wurde bei dem Schneider nicht aufgehalten und kam vorzeitig nach Hause. Auf jeden Fall bereuten Sie später die Anzeige gegen Herrn Spranger und haben das Bild zurückgebracht oder zurückbringen lassen.«
»Wenn Sie alles so genau wissen, was fragen Sie mich dann?« höhnte Jacoba. Hier mischte sich Dr. Spahn ein; Sein Ton war kühl. Man merkte ihm die Verachtung, die er für dieses schöne Weib empfand, deutlich an. »Ich teile Ihnen offiziell mit, daß diese gesamte Galerie, von deren Verkauf Sie sich mehr denn eine Million versprachen, unecht, Bild für Bild gefälscht ist. Sie ist, da sie als Fälschung nicht verkauft werden darf, keinen Groschen wert.«
Jacoba verlor alle Haltung, stürzte sich auf Spahn, packte ihn an den Rockaufschlägen: »Das ist nicht wahr, das kann und darf nicht wahr sein!« schrie sie heftig und schüttelte, gelb vor galligem Zorn, den Kriminaldirektor, der mit lässiger Gebärde ihre Hände abstreifte.
»Sie ist unecht von A bis Z. Michael Spranger hat sie gemalt«, sagte Holst. »Nicht wahr, Fräulein Doktor Dankwart?«
Gefion hatte ihr Gesicht dem Fenster zugekehrt. Jetzt nickte sie zaghaft, und schickte einen scheuen Blick zu Jacoba hinüber, die nun auch von einem vernichtenden Schlag getroffen worden war. Jacoba zerrte an ihren Fingern, daß es unangenehm und laut in den Gelenken knackte, und ging fassungslos hin und her. »Also deshalb, deshalb wollte er mir die Galerie nicht überlassen, wollte nicht verkaufen. Deshalb«, sprach sie zu sich selbst. Sie machte den Eindruck, als wäre sie irre geworden. Fast tat sie Gefion leid. »Die Galerie wird sichergestellt und vorläufig auf die Zentrale gebracht«, hörten die beiden Frauen Doktor Spahn sagen. Die Herren machten sich abfahrtbereit. Gefion wurde entlassen. Es hielt sie in Rüsternort fest. Schließlich hatte sie als Michaels Braut ja auch ein Recht, hier zu sein. Sie ging hinunter in die Räume, die er bewohnte. Sie lief ruhelos von einem Zimmer zum andern. Plötzlich stand Fedor lautlos im Salon. Sie schrak heftig zusammen. Das war auch so eine schleichende Kreatur, die hier heimisch zu sein schien. Wenn sie nur fort könnte. Aber es hielt sie hier, wie der Sumpf einen Versinkenden mit gierigen Greifzangen umfängt. Sie mußte auf Michael warten. Was stand denn diese Pagode noch immer da, ohne ein menschliches Wort? Ein aufgezogener nickender Automat. Wenn das Uhrwerk abgelaufen, würde die Kinnlade herabfallen.
»Die Mittagszeitung, gnädiges Fräulein«, sagte der Automat und machte eine Verbeugung. Daß es Menschen gab, die nur aus Verbeugungen bestanden! Stiefel oder Stiefelknechte, hatte einmal ein geistvoller Freund gesagt. Die Zeitung. Was ging sie die Zeitung an? Dennoch nahm sie das hingehaltene Blatt. »Danke, Herr Fedor, ich brauche Sie nicht mehr.« Der Automat verbeugte sich an der Tür noch einmal.
Die Zeitung. Was sollte sie mit der Zeitung? Mechanisch, wie der Zivilisationsmensch den Produkten seiner Zeit gegenüber ist, sah sie nach der Überschrift. Der vernichtende Schlag des Schicksals, den sie den ganzen Vormittag ahnend gefürchtet hatte, traf sie nun. Es konnte, es durfte nicht wahr sein, was da stand!
Doch wie konnte sie nur, ohne eine Sekunde zu schwanken, Michael verdächtigen, sie, seine Verlobte, die Frau, für die er alles tat, die er ein Jahrzehnt lang geliebt hatte. Sie, Gefion, glaubte ohne weiteres sofort an seine Schuld. Entsetzlich.
»Kunsthändler Carl Kapsdorf ermordet!«
Da stand es. Wer anders als Michael konnte es getan haben? Kapsdorf hatte die Schiebung mit der Leda gemacht, Kapsdorf hatte das ihm geschenkte Bild gegen Michaels Willen signiert, er; dieser Kapsdorf, hatte die Bilder der Ahnengalerie sämtlich signiert. Und wie viele andere vielleicht außerdem! Dieser Kapsdorf hatte Michaels Fälschungen als echt verkauft. Daher seine Millionen. Wer sollte einem Bild wie dem Sprangerschen Pesne die Unechtheit nachweisen? Waren nicht Kenner wie Holst und Spahn, ja sie selbst, darauf hereingefallen? Hatten sie nicht, nur weil das Bild auch zu der falschen Ahnengalerie gehörte, sich zu dem Urteil »unecht« durchgerungen?
»Kunsthändler Carl Kapsdorf ermordet!«
Wer war der, Täter, wenn Michael, der eine große Rechnung mit ihm hatte, es nicht wäre? Einen einzigen Menschen, mit dem sie in ihrer wahnsinnigen Herzensangst über dies Grausige reden könnte, der vielleicht etwas erspähte, was ihr entging. Einen Ausweg sah, eine helfende Hand reichte. Wenn Michael ihr nur nicht die Sache mit der Leda erzählt hätte, die Geschichte dieser großartigsten aller Fälschungen. Zwei Berühmtheiten der amerikanischen Kunstwelt hatten das Bild für echt erklärt; das würde Michael gleich ihr in der Zeitung gelesen haben. Das war ein Verrat Kapsdorfs, der Michael zur Raserei bringen mußte. Das Bild war für eine Million Dollar verkauft worden. Auch dies würde ihn, da er nicht beteiligt war, blind vor Wut gemacht haben. Hinzu kam noch die schwere Enttäuschung, die sie ihm wider Willen zugefügt hatte, ihm, ihrem Michael. War dieser Mann noch immer der ihre? Auch, wenn er nun ein Mörder, nein, bestimmt nicht, wenn er nur ein jähzorniger Totschläger wäre? Jetzt, jetzt, wo es keinen Sinn mehr hatte, jetzt schrie in ihr das dumme Herz, jetzt liebte sie ihn, den Mann, der sie geweckt, der die weibliche Sehnsucht in ihr wachgeküßt hatte, jetzt, wo es eine Schande war, diesem Manne anzugehören. Es gab keine Regung mehr für sie. Sie war verloren gleich ihm. Diese unheimlich gewaltige Institution da im Zentrum Berlins, die würde ihren Geliebten – und jetzt glaubte sie ihn mit allen Fasern ihres Seins zu lieben – die würde ihn unter ihrer grausam gerechten Pranke zermalmen. Und sie mit.
»Kunsthändler Carl Kapsdorf ermordet!«
Nein!« schrie Gefion gellend auf. »Nein ...« Warum stand dieses grüne Lackkästchen auf einer grellroten Decke? Wie konnte Zinnoberrot so weh tun? Die Augen schmerzten, wenn man nur eine Sekunde hinsah. Warum stürmte es immer an diesen Seen, konnte nicht einmal Friede hier herrschen? Der Wind heulte als Antwort darauf um so schauerlicher und zog mit einem unendlich höhnischen Klagelaut durch den altertümlichen Kamin. Wieviel Weh, wieviel unendliches Herzeleid verlassener und verratener Frauen mochten diese erbarmungslosen Mauern aufgefangen haben. Hier hatte immer nur der brutale Mann recht gehabt. Das fühlte sie in einem Schauer der Angst, wie ihn die von der Gnade Verlassenen erleiden. Einen Menschen, einen einzigen Menschen nur, zu dem man Vertrauen haben kann. Einen Menschen, mit dem man das Letzte seines Ichs bereden könnte! Ein Wesen, das einen nicht auslacht, das mit einem leidet, weil es liebt, wie man selbst. Und wenn es eine Feindin wäre! Gefion sprang auf, riß das zerknüllte Zeitungsblatt an sich, jagte aus dem Zimmer, raste die Treppe hinauf, sah sich um, als wolle sie sich vor verfolgenden Furien sichern, und riß die Tür zu Jacobas Wohnzimmer auf, ohne anzuklopfen, ohne zu fragen, ohne zu warten.
Im Zimmer stand Frau von Tirschenreuth in einem bis auf den Boden reichenden Kleide, ohne sich zu rühren, ohne die hereinstürmende Gefion anzuschauen, hatte die Augen auf eine Konsolvase geheftet, an der nicht das geringste zu sehen war. Vor ihr auf dem Tisch lag das gleiche Zeitungsblatt. Unzerknittert und keineswegs tränenbenetzt. Jacobas innerer Blick konnte nicht los von der unechten Ahnengalerie, der unwiderruflich entschwundenen Million. Gefion beugte sich vor. Sie wollte das Gesicht der Frau enträtseln, die Michael ebenfalls liebte, denn das war ihr noch nie so klar geworden wie in diesem Augenblick. Glaubte die schöne Rivalin an seine Schuld? Jacoba schaute träge auf. »Sie bei mir? Was sagen Sie zu Ihrem Kapsberg oder wie der Kerl heißt? Sicherlich hat er Selbstmord begangen. Nach dem Leda-Skandal das vernünftigste, was er tun konnte. Wer ein erfolggesättigtes Leben hinter sich hat, wird nicht den Rest im Zuchthaus verbringen wollen.« Sie sah Gefion in hochmütiger Ablehnung an. Sie hatte gar keine Lust, sich mit ihr auf Gespräche einzulassen. Grußlos verließ sie das Zimmer.
Gefion sah ihr völlig verblüfft nach. Auch eine Feindin kann die helfende Hand reichen. Sollte die Mittagszeitung wieder einmal alles sensationell aufgebauscht haben? Sicherlich hatte Jacoba recht. Es mußte Selbstmord sein. Alle Gründe sprachen ja dafür. Daß sie daran nur nicht gleich gedacht hatte. In einer großen Befreiung begann ihr Herz erleichtert zu schlagen.
Im Hinausgehen sah sie Jacoba auf dem Treppenpodest stehen und auf Fedor hinuntersprechen, der bescheiden und leise verzweifelt ihrer Rede lauschte. »Sie haben sich lächerlich gemacht mit Ihren hochtrabend verstiegenen Ideen von der Verwertung der Ahnengalerie. Ein Kind mußte doch sehen, daß diese Bilder unecht sind. Keine hundert Mark Wert haben sie, keinen Groschen. Herr Fedor, ich muß Sie entlassen. Ich kann solche Dienste nicht gebrauchen.«
Der Kammerdiener war bekümmert, obwohl er gar nicht in den Diensten der Frau von Tirschenreuth gestanden hatte.
Gefion wartete die halbe Nacht auf Michael. Dann schlief sie den unruhigen Schlaf tiefer seelischer Erschöpfung.
* * *