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Frankfurter Zeitung, 25.8.1929
Als ich als kleiner Knabe zum ersten Male das Österreichische Museum – so heißt in Wien das Kunstgewerbemuseum – betrat, fielen mir vor allem anderen zwei mächtige Holztafeln auf. Sie, die noch als Mann auf mich den nachhaltigsten Eindruck machten, waren so zusammengefügt, daß Farbe und Fladern der verschiedenen Hölzer ein historisches Gemälde ergeben. Die Figuren waren in Lebensgröße und die Tafeln maßen je 360 cm in der Höhe und 373 bzw. 376 cm in der Breite. Woher ich das weiß? Ich entnehme die Daten dem bibliographischen Werk von Hans Huth: »Abraham und David Roentgen und ihre Neuwieder Möbelwerkstatt« (Jahresgabe des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft). Mit 2 Abb. und 120 Tafeln (X. 77 S. Nur für Mitglieder.) Es ist der Werkstätte gewidmet, aus der jene hölzernen »Tapisserien« hervorgegangen sind.
Dieses Buch macht uns nicht nur mit dem Leben und dem Werk des »größten Ebenisten des Jahrhunderts« – so nennt der Enzyklopädist Baron Grimm in einem Empfehlungsbrief an Katharina II. David Roentgen – bekannt, sondern wir lernen auch den Vater, Abraham, kennen und die Anfänge der Werkstätte. Dieser, ein Rheinländer, arbeitete in Holland und ließ sich dann in London nieder und darin lag das Entscheidende. In Huths Werke wird gezeigt, daß man, als die Werkstätte schon nach Neuwied bei Koblenz verlegt war, Stiche aus Chippendales Werk verwendete. Auch werden – wie Huth bemerkt – nach englischem Muster die Schubladen mit einem kleinen vorstehenden Wulst umrandet, was bei den deutschen Tischlern nicht üblich war.
Ich bin glücklich, dies Buch in Händen zu haben. David Roentgen ist immer als Idol neben meinem Leben hergegangen, obwohl ich nicht mehr von ihm wußte, als daß er gelebt und der großen Katharina einen Schreibtisch um 20.000 Taler verkauft hatte, den sie so exorbitant billig fand, daß sie den Kaufpreis erhöhte. Wohl niemand hat diese Geschichte so häufig und nachdrücklich erzählt wie ich; denn ich bin überzeugt, daß sich das Handwerk durch solche Anerkennung zur vollsten Blüte entfaltet. Aber die Katharinen scheinen ausgestorben zu sein.
Dabei war der Schreibtisch schon fertig, er hätte nicht nach vorhergegangenem Preisdrücken schlechter ausfallen können. Aber der nächste wäre schlechter ausgefallen! Es ist selbstverständlich, daß die Erzeugnisse einer Werkstätte, wenn sie freiwillig überzahlt werden, immer besser und besser werden müssen. Darum aber gilt im Gewerbe der Grundsatz: Die Werkstätte erzieht die Kundschaft. Aus dem Buche erfuhr ich, daß sich David Roentgen englischer Tischler – nein, cabinetmaker nannte. Folgende Reklame ist enthalten (S. 28):
David Roentgen, Englischer Cabinet-Macher in Neuwied a. Rh. Fabriciert und verkauft alle möglichen Sorten von Cabinets-Ameublements, sowohl nach dem englischen wie französischen Gout, nach der neuesten Art und Erfindung, als nämlich Schreibtische, Commoden, Toilettetische, Spieltische, Chatoullen, Arbeitstische und Tambourins, wohlfaconierte Stühle, Cannapees etc.
Und so weiter. Wo bleibt aber das wichtigste Möbel, nach dem sich die ganze Profession nennt? Wo bleibt der Schrein, der Schrank oder meinetwegen nach damaliger Form die Armoire, die Chiffonière? Der Schrank wird nicht angekündigt. Er wird von dem Autor trotz der reichhaltigen und trefflichen Bilderbeigabe nicht abgebildet. Wird diese Sorte verschwiegen? Nein, sie wurde nicht mehr erzeugt, sie war nicht mehr modern. Zur Zeit der Roentgenwerkstätte wurden die Kleider nicht mehr in mächtigen Schränken aufbewahrt, sondern in kleinen Gelassen, welche bei den Engländern closets = Verschluß genannt wurden. (Daher kommt closet = Wasserverschluß, was aber etwas ganz anderes ist.) Bei den Franzosen hieß das penderie, was bei den Deutschen Wandschrank heißt. Engländer und Franzosen halten an dieser Neuerung fest, die Deutschen haben die Kleideraufbewahrung wieder aus dem 17. Jahrhundert übernommen und dekorieren ihre Räume mit Kleiderschränken und das selbst dann, wenn sie bloß Einsiedegläser darin haben. Es liegt am Architekten, den Kleiderschrank abzuschaffen. Das moderne Bestreben in der Architektur in allen Ehren, aber was nützt es uns, wenn wir noch Gebrauchsgegenstände aus der Zeit der Lichtputzscheren benützen?
Im Gegenteil! Wir sind doch um mehr als hundert Jahre weiter! Aus der Liste Roentgens müßte man heute schon einiges streichen. Heute werden von Tischlern überhaupt nur »Möbel« erzeugt, also nur Mobiles zum Kaufe angeboten. Das Übrige gehört zum Haus, also dem Architekten. Der Nachfolger in der Wohnung übernimmt alles von seinem Vorgänger durch Kauf oder Miete. Mit Decken, Fußboden, Wänden und Schrankmöbeln (eingebauten Möbeln) im modernen Stil gibt sich heute jeder zufrieden. Aber der Architekt sollte dem Tischler nicht ins Handwerk pfuschen! Die Möbel, die noch vom Tischler herrühren, sind modern, die vom heutigen Architekten nicht. »Entwirft« der Architekt die Möbel, so fragt man sich: Werden alle diese Dinge zusammenpassen? Natürlich nur dann, wenn sie modern sind. Das tun moderne Dinge immer. Schuhe, Socken, Kleider, Hemden, Lederkoffer. Vom Architekten dürften diese nicht sein. Denn er kann nicht wissen, was modern ist. – Aber zur Zeit David Roentgens gab es so moderne Menschen, wie heute nur unsere Ingenieure und unsere Schneider es sind. Menschen, die das Beste schaffen wollen, das ihnen erreichbar ist, ohne zu wissen, was modern ist. Denn das Wissen darum schließt die Modernität aus! Hier ist die scharfe Grenzscheide zwischen Menschen und Auchmenschen. Aber die Zeit sondert die Spreu vom Weizen und läßt einmal nur den Menschen gelten.
Mit den hölzernen Wandbildern ließ mich David Roentgen einen Blick in mein Jahrhundert werfen. Ich verstand ihn sofort: Nicht mehr um Möbel handelt es sich, sondern um Wände. Wir würden sagen: um eingebaute Möbel. Darauf beruht der starke Eindruck auf jeden unverdorbenen Menschen, also auf jedes Kind.
Jeder Mensch verläßt mit modernen Nerven den Mutterleib. Diese modernen Nerven in unmoderne zu verwandeln, nennt man Erziehung.
Der Zufall wollte es, daß ich in Amerika in eine Marqueterie-Manufaktur hineingeriet. Zuerst als Unterzeichner, dann als Schattierer vor dem heißen Sandteller, dann als Parkettmacher (12 Furniere wurden immer geschnitten), dann als Einleger, als Säger. Der Gedanke an diese »Tapisserien« gab mir die Kraft, mein Handwerk lieb zu gewinnen, obwohl ich ein gelernter Maurer war, was ich für wichtiger halte, als am Polytechnikum studiert zu haben.
Möge sich aber jeder Leser dieses Handwerksbuches erinnern, daß es eine große Umwälzung in der Tischlerei war, an der David Roentgen teilgenommen hat: Sie liegt in dem Begriff der Qualität. Es ist ganz falsch, wenn behauptet wird, daß so gute Arbeit heute nicht geleistet werden kann. Das Gegenteil ist wahr. Solche Arbeit ist heute Gemeingut jeder Tischlerei. Und der verstorbene Wiener Künstlerhausmaler hat für das Handwerk auf alle Fälle recht, der gesagt hat: Wir alle möchten so malen wie der Raffael oder der Michelangelo, wenn es uns bezahlt werden würde.