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Wohnungswanderungen

Privatdruck, 1907

Man spricht seit zwei Jahren von einem Bankrott der modernen Wohnungseinrichtungen. Man spricht davon, daß man wieder zu den alten Stilen zurückkehren solle. Und als letztes Heilmittel wird Biedermeier verschrieben.

In Deutschland hieß die moderne Bewegung Jugendstil. Bei uns Sécession. Beide Bezeichnungen sind Schimpfwörter geworden.

Es sind bald zehn Jahre her, daß ich in einer Reihe von Aufsätzen vor diesen beiden Stilarten warnte. Ich sagte damals: Man möge sich weder in einer der alten, noch in einer der neuen Stilarten einrichten, sondern modern.

Mit meiner Ansicht blieb ich damals in der Minorität. In einer sehr kleinen Minorität sogar. Es war die Minoritätszahl eins.

Unsere modernen Erzeugnisse wurden sowohl von den Künstlern als auch von den staatlichen Behörden mit Geringschätzung behandelt. Ich verwies darauf, daß es gar nicht notwendig sei, den Stil unserer Zeit erst zu konstruieren, da wir ihn doch schon besitzen. Unsere Maschinen, unsere Kleidung, unsere Wagen und Pferdegeschirre, unsere Glas- und Metallwaren und alles, alles, was einer unzeitgemäßen Verballhornung durch die Architekten entgangen ist, war modern. Gewiß, die Tischlerarbeit war den Architekten seit 50 Jahren in Bausch und Bogen ausgeliefert. Es galt daher, sie von den Architektenklämschen und Kinkerlitzen zu befreien. Dann konnte uns zur modernen Wohnungseinrichtung nichts mehr fehlen.

Der Weg hiezu war sehr einfach. Gewisse Erzeugnisse des Tischlers, des Holzbearbeiters waren dem Architekten entgangen. Die hieß es nun zu sammeln und ihre Formen auf ähnliche Fälle anzuwenden. Da gab es Kassetten, die der Pikkolo in den Wiener Restaurants herumtrug, um die Zigarren zu servieren. Da gab es Eiskasten für »Gefrorenes« in den Wiener Kaffeehäusern. Da gab es Glasvitrinen in der Geschäftseinrichtungsbranche. Da gab es Beschläge, die auch dort, Schlüsselbleche, die bei der Kofferfabrikation verwendet wurden. Und sogar wie sich die Wandvertäfelung entwickelt hätte, konnte man erfahren: durch die Waterclosets, die eine solche Wandvertäfelung zur Verschalung des Wasserkastens und der Wand aufwiesen.

Nun hatte man die moderne Tischlerarbeit. Dieser Tischlerarbeit fehlte das, was die Mitarbeit des Architekten zur Voraussetzung hatte: das Ornament. Da nämlich das alte Möbel geschnitzte oder eingelegte Ornamente und Profile aufwies, der moderne Tischler aber keine zeichnen kann, drängte sich ihm der Architekt auf. Der Tischler kann das nicht, weil er ein moderner Mensch ist. Der Architekt konnte es und kann es, weil er ein unmoderner Mensch ist. Denn – auch das behauptete ich vor zehn Jahren – ein moderner Mensch ist nicht mehr imstande, ein Ornament hervorzubringen. Die modernen Erzeugnisse unserer Kultur weisen kein Ornament auf. Koffer- und Lederarbeiter, Schneider, Elektriker, Maschinenfabrikant ornamentieren nicht. Nur Menschen, die wohl in der Gegenwart geboren sind, aber faktisch in einem früheren Jahrhunderte leben, die Frauen, die Landbevölkerung, die Orientalen (die Japaner mit eingeschlossen) und verstümmelte Hirne wie die der Krawatten- und Tapetenmusterzeichner bringen auch noch heute ein neues, dem alten Ornament gleich wertvolles hervor.

Das Unvermögen unserer Kultur, ein neues Ornament zu schaffen, bedeutet ihre Größe. Evolution der Menschheit geht Hand in Hand mit dem Entfernen des Ornamentes aus dem Gebrauchsgegenstande. Mögen unsere angewandten Künstler – aus Selbsterhaltungstrieb – einwenden, was sie wollen: Für den kultivierten Menschen ist ein nichttätowiertes Antlitz schöner als ein tätowiertes und wenn die Tätowierung von Kolo Moser selbst herrühren wollte. Und der Kulturmensch will nicht nur seine Haut, sondern auch seine Bucheinbände oder sein Nachtschränkchen von der indianischen Verzierungswut der staatlich angestellten Kulturbarbaren geschützt wissen.

Das Ornament, das nicht organisch der menschlichen Seele entspringt wie beim alten Meister oder beim neuen Orientalen, ist wertlos. Wertlos, verlorene Arbeit, verschwendetes Material. Und diese Wertlosigkeit steigert sich von Tag zu Tag. Gebrauchsgegenstände, die noch vor fünf Jahren dem Käufer wertvoll erschienen, können heute kaum den zehnten Teil ihres Erstehungspreises im Dorotheum erzielen. Man täusche sich nicht: Auch den Gegenständen, die nach der heutigen unkultivierten, daher unzeitgemäßen, also unmodernen Richtung erzeugt werden, blüht in einigen Jahren dasselbe Schicksal.

Wir sollten trachten, bleibende Werte zu schaffen. Mir ist es nicht gegönnt, meine Lehre in die Herzen der kommenden Jugend zu verpflanzen. Mir ist es, da ich keiner Kunstclique angehöre, nicht gegönnt, in Ausstellungen mitzuwirken. Und so lade ich alle, die sich dafür interessieren, wie man eine Wohnung von bleibendem Wert einzurichten hat, ein, einen Gang durch eine Zahl von Wohnungen anzutreten, die unter meiner Anleitung geschaffen wurden.

Die Leute, die da sagen, wir sollten wieder zu den alten Stilen zurückkehren, haben Recht, so lange sie die Erzeugnisse der Ornamentierschulen für modern halten. Aber die wirkliche, moderne Richtung in der Tischlerei wird sie vielleicht eines Besseren belehren. Durch diese Wanderungen will ich den Rückfall zur alten Stilmeierei aufhalten, der schon weite Kreise ergriffen hat. Den Vorwurf der Reklame für mich selbst werde ich auf mich nehmen müssen. Vielleicht kann ich diesen Vorwurf entkräften, wenn ich daran erinnere, daß die Wohnungen, bei denen ich mithalf, nie in Kunstzeitungen veröffentlicht waren, und daß ich nie gegackert habe, wenn ich ein Ei gelegt habe.

Um die Bewohner, die in so selbstloser Weise ihre Wohnungen den Besuchern zur Verfügung stellen, vor zudringlichen und zu zahlreichen Wanderern zu schützen, ist für die beiden Wandertage eine Taxe von 20 Kronen festgesetzt. Karten sind bei Goldman & Salatsch am Graben und in dem neuen Stadtgeschäft der Kunstblumenfabrik Steiner in der Kärntnerstraße zu haben. Jede Karte gilt für zwei Personen. Das Geld wird jenem wohltätigen Zwecke zugeführt, den der Käufer bezeichnet.

Ich rechne vor allem damit, daß diejenigen sich an den Wanderungen beteiligen werden, die berufen sind, uns Wohnungen zu schaffen. Das sind unsere Tischler, Tapezierer und Dekorateure. Aber eine Berufsklasse ist ausgeschlossen: Das sind die Architekten!

Man glaube nicht, daß ich die Kopisten unter ihnen fürchte. Im Gegenteil: Ich wäre glücklich, wenn jeder Architekt in meinem Sinne schaffen würde. Aber sie werden es nicht tun. Sie werden mich nur mißverstehen. Wie sie mich mit dem Café »Museum« mißverstanden haben. Seit der Eröffnung dieses Kaffeehauses sehen alle Wohnungen so kahl wie ein Kaffeehaus aus. Früher – es war die Zeit der grün-, rot-, violett- und graugebeizten Hölzer, die Zeit, wo jedes Möbel in einen Kreis gepreßt wurde oder große, aus Latten gebildete Kreise sich im Räume spannten (ich erinnere nur daran, daß die Apollokerzenniederlage von Josef Hoffmann am Hof und das Café »Museum« um die gleiche Zeit entstanden) – war wenigstens etwas zu spüren, was man meinetwegen »angewandte Kunst« nennen konnte. Aber seitdem müssen unsere Kanalgitter herhalten, den Dekor für Blumenvasen und Fruchtschalen zu liefern. So war das nicht gemeint. Wäre damals das Café »Museum« nicht entstanden, so wäre die ganze Dekorationsrichtung von Olbrich, Van der Velde, Hoffmann am Ornamentismus zusammengebrochen. Das Kaffeehaus hat ihnen neue, aber falsche Wege gewiesen. Ich will sie nicht wieder auf einen falschen Weg bringen. Die Kultur hat ein Anrecht darauf, endlich von den Experimentatoren Ruhe zu haben. Wie ich es aber gemeint habe, davon mögen sich recht viele Menschen überzeugen.

Erster Tag

I. Graben, Ecke Naglergasse, Geschäftseinrichtung Goldman & Salatsch.

Durch das Lokal ging eine Gurte, es in zwei Hälften teilend. Die Gurte wurde mit Riesenlaternen in Messing und geschliffenem Glas verkleidet, Schlangenholz. Spritzwurf.

 

I. Naglergasse 1, III. Stock, Speisezimmer des Hrn.A.

(Kein Aufzug, Eingang durch das Lokal Goldman & Salatsch.) Braungebeiztes, politiertes Eichenholz, Kamin verde antico, Griechenland.

 

I. Kärntnerstraße 33, Geschäftslokal Sigmund Steiner.

Das Portal in Messing und Skyrosmarmor (Griechenland). Größte gebogene Scheiben in Wien. Innen: Ein eingemauerter Spiegel läßt den kleinen Laden doppelt so groß erscheinen. Um die Täuschung zu vervollständigen, erhielt der Plafond Balkeneinteilung und die Mauer unter dem Spiegel einen Vorhang. Ostindisches Satinholz.

 

I. Falkestraße 6 (beim Stubentor) Musikzimmer des Hrn. W., II. Stock (Aufzug).

Das Vorzimmer mit Verwendung alter Möbel in weißem Lack. Das Musikzimmer soll das Spielen eines Quartetts ermöglichen und möglichst vielen Zuhörern Sitzgelegenheit bieten. Daher sind Bänke über das Fenster und die Vorzimmertüre gezogen. Die Familie zählt zum Freundeskreise William Ungers, dessen Galeriewerk teilweise in die Wandverkleidung eingelassen ist. Original Japantapete, Mahagoniholz. Ein Tischchen mit Münzen von Frl. Unger (Hoffmannschule).

 

IV. Wohllebengasse 19, Ecke Alleegasse, I. Stock, Wohnung des Hrn. T. (Kein Aufzug).

Vorzimmer nicht von mir. Herrenzimmer in Mahagoni, mit Verwendung bestehender Möbel. Speisezimmer mit schiefer Feuermauer. Daher die vielen Ecken des Büffets, die die schiefe Mauer mit Hilfe optischer Täuschung verschwinden machen. Daher der ovale Tisch. Familie hatte viel altes Silber und Porzellan. Daher die vielen Büffets. Kirschholz. Schlafzimmer der Frau in Ahorn.

IV. Schleifmühlgasse 2, Paulanerhof, IV. Stock (Aufzug).

Speisezimmer des Hrn. W. in dunkel gebeizter Erle. Verwendung einer alten Kommode aus der Maria Theresiazeit.

 

I. Opernring 13, II. Stock, Speisezimmer des Hrn. L. (Kein Aufzug).

War ursprünglich Zimmer und Kabinett. Der Traverse wegen wurde ein Stück Scheidemauer übrig gelassen. Die Traverse mit Mahagoni verkleidet und der Symmetrie halber diese Verkleidung wiederholt, so daß eine Balkendecke entstand. Mahagoniwände mit 60 cm breiten und 240 cm hohen Pyramidenflader (eine Rarität). Sessel in Schweinsleder. Fensterverkleidung in Pavonazzo forno (italienischer Marmor). Neue Schiebefenster mit Teneriffaspitzenstores. Der Vorhang alter Bozener Bauernstoff (Seide).

 

I. Elisabethstraße 15, IV. Stock, Herrenzimmer des Hrn. S.

Zimmer mit schiefem Kabinett, wurde vereinigt. Besitzer ist Amateurphotograph. Dunkelkammer. Der Kamin macht durch seine Form die schiefe Feuermauer verschwinden. Handgedruckte, englische Tapete. Naturfarbenes Eichenholz (wie bei Bureaueinrichtungen). Trotzdem paßt das alte schwarze Pianino ganz gut dazu. Schlafzimmer in Ahorn.

 

I. Nibelungengasse 13, I. Stock, Wohnung des Hrn. K. (Kein Aufzug).

Eine Übersiedlung mit Portois & Fix-Möbeln. Viel Umbau, um die Wohnung zu verbessern. Vergrößerung der Stiegenhausfenster. (Man beachte die ursprünglichen im I. Stock.) Zugang durch einen Teil des Bades nach dem neuen Vorzimmer und dem Speisezimmer. Neu: Vorzimmer in weißem Lack mit gelbem Spritzwurf. Annex zum Speisezimmer, halb Kaminplatz, halb Wintergarten. Skyrosmarmor, Donatello-Fries.

 

Zweiter Tag

VIII. Wickenburggasse 24, Mezzanin, Wohnung des Dr. T.

Speisezimmer Kirsche, Ordinationszimmer Mahagoni, Schlafzimmer in Battist rayée (Damenblusenstoff). Nach dem in der »Kunst« erschienenen Schlafzimmer meiner Frau.

IX. Alserstraße 22, I. Stock, Wohnung des Dr. Seh. (Kein Aufzug).

Vorzimmer weißer Lack, Speisezimmer braungebeiztes Eichenholz, japanische Tapete: grass cloth (aus Grass gewoben), Sitzzimmer weißer Lack, alter Kamin.

 

IX. Alserstraße 53, II. Stock, Wohnung des Dr. H. (Kein Aufzug).

Speisezimmer. Soll auch als Besuchszimmer verwendet werden. Häßlicher Ofen mit großer Uhr verbaut. Als Blumenständer altitalienischer Trog. (Abguß.) Dunkel gebeizte Eiche. Arbeitszimmer unfertig, zum Vergrößern eingerichtet. Schlafzimmer in Ahorn.

 

VIII. Josefstädterstraße 68, im Hofe.

Beim Eingang nach dem Hofe auf den Knopf der Türklinke drücken.

Speisezimmer des Frl. Ella Hofer, früher Volkstheater, jetzt New-York. Ursprüngliches Haus des kais. Rates Hanusch. Das Zimmer außer jedem Verhältnis, Plafond mittelst Balkenplafond tiefer gelegt. Das schiefe Kabinett dazugeschlagen. Kamin aus Polcevere mit Donatelloabgüssen, weißer Lack und Kirschholz, grüner Spritzwurf. An Stelle des großen Fensters ursprünglich 2 gewöhnliche Fenster. Das Zimmer war durch den großen Fensterpfeiler ganz finster, da Loggia vorgebaut.

VIII. Josefstädterstraße 73, II. Stock, Wohnung des Dr. G., vis-a-vis der vorigen. (Aufzug).

Vorzimmer nicht von mir. Speisezimmer in weißem Lack und Mahagoni. Herrenzimmer: Es fehlt das Klavier; bietet ein gutes Beispiel für den Anfang meiner Wohnungen, da ich nur die Grundlinien angebe. Unfertig, da erst seit 14 Tagen bezogen.

 

I. Bellaria 4, I. Stock, Wohnung des Hrn. F. (Aufzug).

(Erster Bau von Otto Wagner). Herr ist Cellospieler und sammelt Bucheinbände. Frau Bildhauerin.

Speisezimmer: Der Architekt brachte hier aus seiner Berliner Studienzeit ein Berlinerzimmer zur Anwendung. Ist vom Hofe nur einseitig beleuchtet, daher nur abends verwendbar. Wände, Büffets und Kamin aus Pavonazzo (Italien), Japantapete. Sessel, Kopien der berühmten chippendalischen Ribbandchairs (Mahagoni). Wandbrunnen, pompejanische Schlange (von der Hochzeitsreise). Musikzimmer Kirschholz, Kamin vert-vert (Belgien). Herrenzimmer Mahagoni. Kamin Tiroler Onyx.

Sämtliche Speisesessel nach Originalen des österreichischen Museums.

Sämtliche übrige Sitzmöbel nach englischen Originalen von F. O. Schmidt.

Der Elefantenrüsseltisch ist aus der Werkstatt s F. O. Schmidt nach Angaben des Herrn Max Schmidt (Ausführung und Detaillierung Werkmeister Berka) hervorgegangen. Kacheln darauf von Bigot, Paris.

Alle übrigen modernen Möbel und Beleuchtungskörper von mir. Die Wohnungen verteilen sich auf die letzten 8 Jahre.

Den Besitzern der Wohnungen sage ich für ihr Entgegenkommen meinen Dank.

Ausführungen von Wohnungen werden nur von solchen Bestellern entgegengenommen, die das tiefste Bedürfnis dazu treibt. Snobs sind ausgeschlossen. Die Zimmer werden nicht in den Kunstzeitungen publiziert und Wanderungen nicht mehr veranstaltet.


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