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März, 1908
Nun haben sie sich doch zusammengefunden und haben in München getagt. Sie haben wieder unserer Industrie und unseren Handwerkern erzählt, wie wichtig sie sind. Um ihre Existenzberechtigung zu rechtfertigen, erzählten sie anfangs, es war vor zehn Jahren, daß sie Kunst in das Handwerk bringen müßten. Das konnte der Handwerker nämlich nicht. Dazu war er viel zu modern. Dem modernen Menschen ist die Kunst die hohe Göttin, und er empfindet es als ein Attentat auf die Kunst, wenn man sie für Gebrauchsgegenstände prostituiert.
Aber das empfanden die Konsumenten auch. Der Angriff dieser Kulturlosen auf unsere moderne Kultur schien abgeschlagen zu werden. Die Tintenfässer (Felsenriff mit zwei Nymphen), die Leuchter (ein Mädchen hält einen Krug, drin steckt die Kerze), die Möbel (die Nachtkästchen sind kleine Trommeln, das Büfett eine große Trommel, um die in Laubsägearbeit ein Eichenbaum seine Äste spannt) blieben unverkauft. Und wenn man sie kaufte, schämte man sich zwei Jahre darauf ihres Besitzes. Mit der Kunst war es also nichts. Aber man war einmal da und mußte doch leben. Da verfiel man auf den Ausweg, der Kultur auf die Beine helfen zu müssen. Es scheint auch nicht zu gehen. Eine gemeinsame Kultur – und es gibt eine solche – schafft gemeinsame Formen. Und die Formen der Möbel von Van de Velde weichen ganz erheblich von den Möbeln Joseph Hoffmanns ab. Für welche Kultur sollte sich nun der Deutsche entscheiden? Für die Kultur Hoffmanns oder Van de Veldes? Für die Riemerschmieds oder Joseph Olbrichs?
Ich glaube, mit der Kultur ist es auch nichts. Denn schon wurden Stimmen laut, die ausgiebige Beschäftigung der angewandten Künstler sei eine nationalökonomische Frage für den Staat und den Produzenten. Das wurde den Fabrikanten drei Tage lang wiederholt.
Ich aber frage: Brauchen wir den angewandten Künstler?
Nein.
Alle Gewerbe, die bisher diese überflüssigen Existenzen aus ihrer Werkstatt fernzuhalten wußten, sind auf der Höhe ihres Könnens. Nur die Erzeugnisse dieser Gewerbe repräsentieren den Stil unserer Zeit. Sie sind so im Stile unserer Zeit, daß wir sie – das einzige Kriterium – gar nicht als Stil empfinden. Sie sind mit unserem Denken und Empfinden verwachsen. Unser Wagenbau, unsere Gläser, unsere optischen Instrumente, unsere Schirme und Stöcke, unsere Koffer und Sattlerwaren, unsere silbernen Zigarettentaschen und Schmuckstücke, unsere Juwelenarbeiten und Kleider sind modern. Sie sind es, weil noch kein Unberufener sich als Vormund in diesen Werkstätten aufzuspielen versuchte.
Gewiß, die kultivierten Erzeugnisse unserer Zeit haben mit Kunst keinen Zusammenhang. Die barbarischen Zeiten, in denen Kunstwerke mit Gebrauchsgegenständen verquickt wurden, sind endgültig vorbei. Zum Heile der Kunst. Denn dem neunzehnten Jahrhundert wird einmal ein großes Kapitel in der Geschichte der Menschheit gewidmet werden: die Großtat, die reinliche Scheidung von Kunst und Gewerbe herbeigeführt zu haben.
Die Verzierung des Gebrauchsgegenstandes ist der Anfang der Kunst. Der Papuaneger bedeckt seinen ganzen Hausrat mit Ornamenten. Die Geschichte der Menschheit zeigt uns, wie sich die Kunst aus der Profanierung dadurch zu befreien suchte, daß sie sich von dem Gebrauchsgegenstande, dem gewerblichen Erzeugnisse emanzipierte. Der Trinker des siebzehnten Jahrhunderts konnte noch ruhig aus einem Kruge trinken, in dem die Amazonenschlacht geschnitzt war, der Esser hatte die Nerven, sein Fleisch auf einem Raube der Proserpina zu schneiden. Wir können das nicht. Wir. Wir, die modernen Menschen.
Sind wir dadurch Feinde der Kunst, weil wir sie vom Handwerk trennen wollen? Mögen die unmodernen Künstler darüber jammern, daß man ihrer Mithilfe bei der Schuhfabrikation nicht bedarf, während doch – mit Tränen im Auge gedenkt man der vergangenen Zeiten – Albrecht Dürer noch Schuhschnitte anfertigen durfte. Aber der moderne Mensch, der glücklich ist, heute und nicht im sechzehnten Jahrhundert zu leben, empfindet einen solchen Mißbrauch von Künstlertum als Barbarei.
Zum Heile unseres Geisteslebens. Denn die Kritik der reinen Vernunft konnte nicht von einem Manne geschaffen werden, der fünf Straußenfedern am Barett trägt, die »Neunte« stammte nicht von einem, der ein tellergroßes Rad um den Hals trug und das Sterbezimmer Goethes ist herrlicher als die Schusterstube Hans Sachs', mag dort auch jedes Stück von Dürer gezeichnet sein.
Das achtzehnte Jahrhundert hat die Wissenschaft von der Kunst befreit. Vorher zeichnete man anatomische Atlanten, die in Kupferstich säuberlich zeigten, wie die Götter Griechenlands ohne Bauchhaut aussehen, und der Mediceischen hingen die Gedärme heraus. Und heute noch wird den bayerischen Hiaseln auf Jahrmärkten an der »anatomischen Venus« Wissenschaft beigebracht.
Wir brauchen eine Tischlerkultur. Würden die angewandten Künstler wieder Bilder malen oder Straßen kehren, hätten wir sie.