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Möbel

Neue Freie Presse, 2.10.1898

Man kann die Interieurs, die in unserer Jubiläums-Ausstellung zu sehen sind, in drei Kategorien einteilen. Die erste bemüht sich, alte Möbel so getreu als möglich zu kopieren, die zweite will modern sein, und die dritte versucht es, alte Möbel für neue Bedürfnisse umzuändern.

Für heute will ich mich mit der ersten Kategorie befassen. Die zweite habe ich schon bereits in den Aufsätzen über das Otto-Wagner-Zimmer des längeren gewürdigt, die übrigen Räume sollen das nächste Mal beschrieben werden. Über die dritte Kategorie aber muß ich mit Stillschweigen hinweggehen.

Ich glaube, daß man einem toten Meister, wenn nicht Verehrung, so doch so viel Achtung entgegenbringen kann, daß man seine Werke unangetastet läßt. Es wäre eine Entwürdigung, begangen an den Manen Rafaels, wenn man eine Kopie der Sixtinischen Madonna in der Weise anfertigen würde, indem man den grünen Vorhang in Rubensrot ummalen, die beiden Engel mit anderen Köpfen versehen und an Stelle des heiligen Sixtus und der heiligen Barbara den heiligen Aloisius und die heilige Ursula setzen würde. Nur nicht übertreiben, höre ich da den Tischler sagen. Gewiß, das wird man nicht machen. Rafael war ein Maler. Aber bei einer Tischlerarbeit ...

Die großen Tischler der Renaissance und des Barock sollten aber von ihren Epigonen gerade so in Ehren gehalten werden, wie es unsere Maler mit ihren alten Meistern tun. Das erfordert die Standesehre. Man kann neues malen und tischlern, man kann altes kopieren, streng kopieren, so streng, als es unserer Zeit möglich ist, bis zum Aufgeben der eigenen Persönlichkeit, aber denjenigen, die sich an den Alten wissentlich vergreifen, sei ein energisches »Hands off« zugerufen.

Man wird einwenden, daß es nicht gut getan ist, auch das zu kopieren, was den alten Meistern anders zu machen nicht möglich war. Das Glas ist schlecht und besteht nur aus kleinen Stücken. Sicher hätte der große Meister, wenn ihm unsere hochentwickelte Glasindustrie zur Verfügung gestanden wäre, davon Gebrauch gemacht.

Gewiß hätte er das. Dann aber hätte er auch einen anderen Vorwurf für ein Glasgemälde gewählt, dann hätte er auch einen anderen Entwurf angefertigt. Stets hat man mit diesen vermeintlichen Verbesserungen Schiffbruch gelitten. Diese Figuren und diese Anordnung passen nur für dieses Material, und falls man ein modernes Glas anwenden würde, müßte man auch moderne Figuren zeichnen. Mißfällt einem etwas an dem alten Meister, dann lasse man ihn ganz in Ruhe. Größenwahn ist es aber, ihn verbessern zu wollen.

Man wird es in manchen Kreisen nicht gerne sehen, daß ich dem Kopieren das Wort rede. Andere Jahrhunderte haben auch nicht kopiert. Das ist nur unserer Zeit vorbehalten gewesen. Das Kopieren, das Nachahmen alter Stilformen ist aber eine Folge unserer sozialen Verhältnisse, die mit jenen der vorigen Jahrhunderte nichts gemein hat.

Die französische Revolution hat den Bürger frei gemacht. Nichts konnte ihn davon abhalten, Geld zu erwerben und von dem Gelde jeden beliebigen Gebrauch zu machen. Er konnte denselben Gebrauch davon machen wie der Adelige, ja der König sogar. Er konnte in goldenen Kutschen fahren, Seidenstrümpfe tragen und Schlösser kaufen. Warum sollte er das nicht? Das war sogar seine Pflicht. Es gibt Leute, die noch nach dem Ancien régime gravitieren. Allerdings, sagen sie, habe ich jetzt das Recht, mich wie der Prinz von Wales anzuziehen. Aber ich bin kein Königssohn. Ich bin nur ein einfacher Bürgersmann. Nein, lieber Bürgersmann, du hast nicht nur das Recht, sondern du hast auch die Pflicht, dich wie der Prinz von Wales anzuziehen. Gedenke, daß du ein Enkel bist. Dein Urgroßvater und dein Vater haben dafür gekämpft, vielleicht ihr Blut vergossen. Ein König und eine Kaiserintochter mußten ihr Haupt für diese Idee auf das Schafott legen. Nun ist es an dir, von dem Erkämpften den richtigen Gebrauch zu machen.

Wie sich der Prinz anzog, hatte unser Bürgertum bald heraus. Denn Kleider nützen sich bald ab, und wenn die alten unbrauchbar sind, bestellt man neue. Da war es nun ein Leichtes, zu demselben Schneider zu gehen und ihm zu sagen: Repéte. Anders war es aber mit dem Wohnen. Der Hochadel und das Königtum besaßen einen solche Überfluß an alten Möbeln, daß sie auf einige Zeit, auf Jahrhunderte hinaus versorgt waren. Was sollte man auch aus purer Neuerungssucht das Geld zum Fenster hinauswerfen? Im Gegenteile: Man freute sich des alten Besitzes, durch den man sich von dem reich gewordenen Bürgertum distinguierte. Denn das hatte damals, als man noch das Heft in der Hand hielt, nicht die Mittel, sich derartiges anzuschaffen. Unbewohnte Festräume, also richtige Möbelmagazine, hatte es nicht. Der Bürger brauchte seine Möbel auf. Wollte er sich nun mit denselben Sachen umgeben, so war er gezwungen, Kopien davon anfertigen zu lassen.

Das ist kein Fehler. Es mag parvenümäßig sein, aber es ist die Vornehmheit am Parvenü. Der Wunsch, sich mit Kopien oder Abbildungen alter Kultur-Erzeugnisse zu umgeben, die einem wohl gefallen, deren Originale aber einem unerreichbar sind, ist sicher sehr menschlich. Eine Photographie eines alten Bauwerkes, der Abguß eines Bildwerkes, die Kopie eines Tizian werden im Stande sein, einem die glücklichen Empfindungen zurückzurufen, die man bei der Betrachtung der Originale empfunden hat.

Drei Firmen haben in dieser Richtung gearbeitet. Leider nur drei, denn die Arbeiten der anderen gehören, ausgenommen die wenigen, die modern gearbeitet haben, in die dritte Kategorie. Diese drei, die ihrer modernen Interieurs wegen auch das nächstemal genannt werden, sind: Sandor Jaray, Bernhard Ludwig und J.W. Müller.

Man erinnert sich des Kampfes, den Sandor Jaray im Vorjahre mit dem Direktor unseres Kunstgewerbe-Museums, Hofrat v. Scala, ausgefochten hatte. Wenn man aber die Exposition Jaray betrachtet, so fragt man sich erstaunt: Wozu der Lärm? Hofrat v. Scala hat sich mit seinen Fundamental-Grundsätzen die Gegnerschaft der jetzigen Machthaber in der Kunstgewerbeschule und der Kunstgewerbe-Vereine zugezogen. Der erste Grundsatz, den ich eingangs durchgeführt habe und nach dem nun in allen Kulturländern gearbeitet wird, lautet: Kopieren, aber streng kopieren. Der zweite lautet: Für den modernen Möbelbau ist der englische tonangebend. Beides wird in den genannten Lagern auf das energischeste bekämpft. Man glaubt dort noch immer, im Geiste einer anderen Zeit Neues schaffen zu können. Man fühlt dort nicht, daß der gotische Gaskandelaber genau so ein Nonsens ist, wie die gotische Lokomotive. Der zweite Grundsatz aber, offenbar weil in ihm das Wort englisch vorkommt, wirkt wie ein rotes Tuch.

Sehen wir zu, wie Sandor Jaray Herrn v. Scala durch die Tat bekämpft. Er stellt einen Salon im Stile Ludwig's XV. aus, ein Speisezimmer in italienischer Barocke, einen Salon im – nach Ilg – »Maria-Theresia-Stil«, einen Salon im Empire, alles getreue Kopien, und nun kommt das Moderne, ein – horribile dictu – englisches Herrenzimmer. Man sieht also, daß Sandor Jaray Kunstgewerbe-Verein predigt, aber Hofrat v. Scala trinkt.

Gegen den Theoretiker Jaray mußte ich mich einmal in scharfen Worten äußern, für den Praktiker Jaray fehlen mir die Worte des Lobes. Man kann getrost sagen: Noch nie hat ein Wiener Gewerbetreibender in allen Stücken, sowohl der Qualität als der Quantität, Vollendeteres geboten. Gewiß ist die Quantität sehr bemerkenswert, denn es gehört eine eminente Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit dazu, außer laufenden Geschäften eine solche Anzahl mustergültiger Objekte zum gleichen Termin fertigzustellen. Was die Wiener Kunstindustrie an bedeutenden dekorativen Talenten aufzuweisen hat, wurde herangezogen, um das Speisezimmer auszugestalten. Wir sehen Supraporten von Matsch, einen Kamin von Schimkowitz, Reliefs von Zelezny und Lunetten von Makart. Wohin auch das Auge fällt, es ist kein Fehler drin. Alles ist strenge Kopie, streng im Geiste der Zeit. Und das ist eine Kunst, eine ganz bedeutende Kunst. Denn es ist viel leichter, eine neue Madonna in rafaelischer Manier hinzumalen, als der Sixtinischen gerecht zu werden.

Bernhard Ludwig hat außer drei modernen Räumen einen Salon, die Kopie eines Raumes im fürstbischöflichen Schlosse zu Würzburg, ausgestellt. Wände, Plafond und Möbel sind im grünen Vernis Martin hergestellt, ein reizender Effekt, den sich allerdings nur Leute gestatten können, die dazu einen roten Salon bauen, um schnell, wenn es nötig sein sollte – und es wird nötig sein – als Antidoton einige Minuten Aufenthalt in demselben zu nehmen.

J.W. Müller zeigt ein Herrenzimmer in deutscher Renaissance. Wie anheimelnd, wie gediegen! An liebevoller tüchtiger Tischlerarbeit sucht es seinesgleichen. Welche Achtung vor dem Können des alten Meisters offenbart sich in jeder Linie, jedem Beschläge! Nichts wurde geändert, selbst die alten deutschen »unschönen« Verhältnisse, wohl die härteste Probe auf das Empfinden eines modernen Menschen, wurden beibehalten. Recht so. Denn hier heißt es entweder – oder. Wie schön! Wie herrlich! Der moderne, tüchtige Wiener Meister, der dem alten Kollegen aus dem 16. Jahrhunderte zum Siege verhilft. Wie sagt doch Hans Sachs mit Richard Wagner? Ehrt eure deutschen Meister, dann bannt ihr gute Geister. Nun wissen wir: Sandor Jaray, Bernhard Ludwig und J.W. Müller sind gute Geisterbanner.


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