Herrmann Löns
Der zweckmäßige Meyer und andere Geschichten
Herrmann Löns

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Die beiden Seeigel

Vor dem Fenster der Jagdbude, das nach Süden zu liegt, steht ein schwerer alter Eichenteich mit Kugelfüßen; darauf habe ich ein buntes Stilleben aufgebaut.

Auf jeder Ecke des Tisches steht ein großer, brauner Steinguttopf, genau den vorgeschichtlichen Aschenurnen nachgebildet, die man in der Heide oft in den Hügelgräbern findet. Der Töpfer, der sie anfertigte, wollte sie als Suppenterrinen in den Handel bringen, aber die Bauern wollten sie nicht haben.

Den einen Topf brauche ich als Aschbecher; der andere beherbergt schöne Federn vom Bussard, Reiher und Kolkraben, die ich bei der Pirsch auflas, ein ganz verrückt geformtes silbergraues Wacholderstämmchen, einige Zweige blühender Heide, rote und weiße, meine Pfeife und das Weidmesser.

Zwischen den beiden Töpfen stehen zwei zinnerne Standkrüsel, einer davon mit Stundenglas, und ein zinnerner Hängekrüsel. Ich fand sie in der Rumpelkammer der Bauern. Dann liegt da doch ein fußlanges Steinbeil, das auf einem einsamen Hof als Uhrgewicht diente, bis ich es für einige Bücher eintauschte, und eine abgeschossene Kugelpatrone. Die Kugel liegt daneben; sie zerriß einem Bock das Herz. Dann sind noch zu sehen: der Schädel des Bockes mit einem dicken Busch Tannenbärlapp zwischen den brav geperlten Stangen, ein großer, brauner Bockkäfer, eine scharlachflügelige Schnarrheuschrecke, eine halbe Lanzenspitze aus Feuerstein, ein alter Messingleuchter, eine stählerne Lichtschere und zwei versteinerte Seeigel.

Der eine ist blond, der andere ist bräunlich. Den brünetten fand ich auf einem schmalen Heidpatt an der Grenze der Jagd, an dem Abend, als ich im Stangenholze den Bock schoß. Der blonde lag auf der Landstraße. Ich wischte mit einem Kiefernzweige die Wildfährten und fand ihn. Ein Hirsch hatte ihn aus dem Boden getreten.

Die beiden Seeigel haben eine Geschichte. Sie gehörten einmal zusammen. Es ist kein Zufall, daß sie jetzt wieder zusammen sind. Sie liebten sich einst, denn es ist ein Männlein und ein Fräulein, ein blonder Herr und eine brünette Dame.

Im Eismeer war es, hoch oben im Norden, da sah er sie. Sie saß im Tang an der Küste. Als sie ihn sah, kokettierte sie mit ihm. Da war er geliefert. Er krabbelte auf seinen vielen Füßchen an sie heran und sagte ihr galante Dinge. Das gefiel ihr. Das hatte ihr noch keiner gesagt. Sie war etwas kurz und dick und es gab hübschere Seeigelinnen als sie. Er war unglaublich verliebt in sie. Er fand alles reizend an ihr, sogar die mangelnden Stacheln auf der linken zweiten Reihe, auch ihren etwas schleppenden Gang. Und wenn sie ihm lachend ihr laternenähnliches Gebiß zeigte, dann kugelte er vor Freude auf dem Meeresgrunde herum. Sie war ihm treu, denn augenblicklich verkehrte in der kleinen Bucht kein Seeigelherr mehr.

Eines Tages erschien aber ein Seeigelgigerl in der Bucht. Er hatte zwar kein Gemüt, aber modernere Stacheln als der Blonde, Stacheln mit bunten Ringen und mit Knöpfen an den Enden. Er wußte allerlei Schnurren und Witze, die der Blonde nicht kannte. Ganz reizend erzählte er die Geschichte von dem verliebten Hering und der Auster. Das Seeigelfräulein hatte keinen psychologischen Scharfblick. Es sah nur auf die glänzende Außenseite. Ihr gefiel der Flirt des Elegants aus der großen Bucht besser als das ewige »Ich bete dich an!« des Blondins. Sie gab ihm ihr Herz. Er nahm es an mit der eleganten Nonchalance des alten Roués.

Der blonde Seeigel mit der treuen Seel war zu betrübt, um länger am Daseinsbewußtsein Genuß zu finden. Er krabbelte aus der Salzflut, kroch bis zu einem Süßwasserbach, der sich in das Meer ergoß, verfluchte das weibliche Geschlecht im allgemeinen und seine treulose Liebste im besonderen und mordete sich dann nach Seeigelart durch Ersäufen in Süßwasser. Er verlor seine einfachen Biedermannsstacheln und der Schlamm bedeckte und begrub ihn.

Sechs Wochen verlebte die Brünette mit ihrem Elegant unter Küssen und Kosen. Dann wurde ihm die Sache fade. Er fand sie zu korpulent, er bemerkte, das ihr drei Stacheln fehlten, er langweilte sich bei ihren Liebkosungen. Als sie von einer standesamtlichen Befestigung ihres Verhältnisses sprach, schützte er eine dreitätige Geschäftsreise vor, nahm kühl Abschied und kam nicht wieder.

Die Seeigelin raufte sich die Stacheln, als er nicht wiederkam und kokettierte weiter. Aber sie hatte kein Glück damit. Die Geschichte mit dem Selbstmord ihres treuen Anbeters hatte sich herumgesprochen. So lebte sie denn mürrisch in ihrer muffigen Felsenecke in Freundschaft mit einem alten Knurrhahn, der auch den Anschluß verpaßt hatte, und hoffte immer noch, daß der Treulose wiederkommen würde.

Der aber kam nicht. Er machte eine gute Partie, wurde aber, da er etwas eilig gelebt hatte, sehr früh neuralgisch und verlor alle Stacheln. Sein größter Kummer war, daß die Jugend so sittenlos war und das Alter nicht achtete. Der Ärger darüber verschaffte ihm ein Gallenleiden, das ihn langsam, aber schmerzlich tötete.

Bald darauf starb auch seine verlassene Geliebte an einem Herzschlag; sie konnte den Verlust ihres letzten Stachels nicht überleben, eitel, wie sie noch auf ihre alten Tage war.

Einige tausend Jahre ruhten die drei im Schlamm, der sie mit festen Krusten umgab. Da paßte eines schönen Tages die Frau des Erdriesen, der tief unter dem Berge wohnte, nicht auf und ließ das Essen überkochen. Der kochende Brei floß über Berg und Tal, lief in alle Ritzen und sickerte in alle Spalten. Auch in die Grüfte der drei Seeigel floß er und füllte sie aus. Als der Erdriese nach Hause kam und seinen Walfisch in Gelee nicht fand, wurde er grob. Er nannte seine Frau ein Dötsches Dier und ein Duffel und trat den ganzen Berg in den Klumpen. Da plumpste der in das Eismeer, und das lief ein bißchen über, bis nach Deutschland hinein, und schwemmte eine Handvoll Sand, Steine, Lehm und Schutt mit und setzte das alles in der Lüneburger Heide ab. Die drei versteinerten Seeigel wurden mit fortgeschwemmt. Sie machten allerlei unterwegs durch und später auch noch manches.

Nachts um zwölf Uhr, wenn das Käuzchen auf dem Dache ruft und mein Hund den Mond anheult, regt sich das alte Leben in den Steinen. Dann knistern sie sich ihre Geschichte zu, ich höre ein leises Aneinanderklappen der beiden Schnäuzchen und vernehme, wie sie sich ihr Leiden erzählen.

Er redet immer von seiner Liebe und seiner Sehnsucht und wie glücklich er sei, jetzt bei ihr sein zu können. Es wäre ja schöner, hätte er noch seine Stacheln und könnte sie zärtlich umkrabblen, aber er sei auch so zufrieden.

Sie hat andere Leiden. Erst haben sie die Heidschnucken getreten, dann hat eine Krähe an ihr herumgehackt, dann habe sie ein Hase weggekratzt, schließlich habe eine dicke Ricke drei Stunden an ihr gefressen. Unverschämtheit! Ein anders Mal sei ein Mistkäfer gekommen und habe an ihr herumgeschnüffelt. Solche Frechheit! Von Ruhe keine Spur. Eben scharrt eine Birkhenne sie hierhin, dann stößt ein Reiher sie dahin, dann schleudert ein Hirsch mit seinen Schalen sie wieder ein Ende weiter. Zu rücksichtslos! Ein anderes Mal radelt ihr ein Mensch über die Seite, dann trampelt der Nagelschuh eines Bauern auf ihr herum, dann die Gummisohle eines pirschenden Jägers. Bald setzt sich ihr eine Wasserjungfer auf die Nase und kitzelt sie mit den ekligen dünnen Beinen, bald macht ein Trauermantel dasselbe. Ein Junge kommt, nimmt sie und schmeißt nach einem Vogel mit ihr. Der Schäfer wirft sie mit der Schippe seines Stabes nach einem Schnuckenbock, der in die Lupinen will. Dann kommt eine alberne Heuschrecke, sitzt auf ihr eine Stunde herum und fiedelt in einer Tour dieselbe stumpfsinnige Weise. Das macht einen schließlich ganz nervös! Dann haut ein Bauer Plaggen und schmeißt sie auf den Wagen. Sie kommt mit der Streu in den Kuhstall. Auch kein Vergnügen, mein Freund! Dann gerät sie mit dem Dünger auf die Landstraße und fällt vom Wagen. Jeder Mensch, der vorbeikommt, tritt auf sie. Auch die Kühe. Ein Leutnant reitet mit seinem Burschen vorbei. Natürlich kriegt sie ein Eisen auf den Kopf. Und noch nicht einmal das des Leutnants. Ja, ja, mein Lieber, wenn man nicht mehr jung und hübsch ist!

Er tröstet sie. Für ihn sei sie immer noch jung und hübsch. Auch ihm sei es ja schlecht gegangen, aber das sei alles Nebensache, nun er sie wieder habe.

Dieser Tag fand ich einen dritten Seeigel, einen sehr schäbigen. Ich legte ihn auf den Tisch. Am anderen Morgen fand ich, daß der brünette Seeigel an ihn herangerückt war. Als ich die folgende Mitternacht aufwachte, hörte ich ein leises Klappen. Ich machte Licht und sah, daß der brünette und der neue Seeigel sich geküßt hatten. Der Blonde lag abseits und hatte Kummerfalten um die Nase. Ich paßte die nächste Nacht auf und hörte, wie der neue Ankömmling der Dame versichterte, sein Vater habe ihn zu der Heirat gezwungen, sein Herz habe immer ihr gehört. Da sagte sie, das habe sie auch immer geglaubt, und sie sei glücklich über seine Worte. Da hörte ich ein leise Knistern, dann ein Klappern, ein Poltern und Krachen. Ich steckte die Lampe an und sah den Blonden an der Tischkante. An der Erde lagen die Trümmern des anderen. Der Blonde hatte ihn in den Abgrund geschleudert. Da der andere innen morsch und kreidig war, so hatte er den Sturz nicht ausgehalten.

Seitdem liegen die beiden wieder zärtlich nebeneinander und halten ihre Nasen zusammen. Er ist glücklich, daß sie ihn liebt. Und sie liebt ihn wirklich treu und innig. Denn ein anderer liegt ja nicht auf dem Tisch.

 


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