Herrmann Löns
Der zweckmäßige Meyer und andere Geschichten
Herrmann Löns

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Aquariumsphilosophie

Sind Sie Nervös? Wenn ja, so schaffen Sie sich ein Aquarium an! Mögen Sie nun an fieberhaften Beunruhigungen, hysterischen Umwandlungen, neurasthenischen Anfällen, Gemütsdepressionen und so weiter leiden, schaffen Sie sich ein Aquarium an, Verehrtester; es gibt nichts Besseres für schlechte Nerven.

Sind Ihre Nerven gut? Dann schaffen Sie sich auch ein Aquarium an. Man kann ein todsicherer Schütze, preisgekrönter Athlet, gefeierter Hindernisreiter, weltberühmter Schwimmer, Bergfex von internationalem Ruf, Inhaber des Gordon-Bennett-Preises und so weiter sein, es ist sehr fraglich, ob die Nerven drei Aquarien aushalten; es gibt keine bessere Probe für die Nerven als ein Aquarium.

Lieben Sie leichte Zerstreuung, die den Geist nicht anstrengt? Gut, so kaufen Sie sich ein Aquarium! Es sieht hübsch aus, kostet wenig Arbeit, ist niemals so aufdringlich wie ein Kanarienvogel, kurz, es ist eine nette und angenehme Sache.

Lieben Sie anstrengenden geistigen Sport, tiefe Probleme und dunkle Spekulationen? Schön, so kaufen Sie sich ein Aquarium. Es ist eine Welt für sich, ein Mikrokosmus, rätselhaft und voll von seltsamen Erscheinungen, unberechenbar in seinen Vorgängen, reich an erschütternden Tragödien und grotesken Entsetzlichkeiten, an unerklärlichen Katastrophen und geheimnisvollen Revolutionen, kurz, ein furchtbares und schreckliches Ding.

Sind Sie Melancholiker? Das Aquarium wird Ihnen frohe Stunden bereiten und heitere Tage schaffen, wird Sie das vergessene Lachen wieder lehren. Sind Sie Phlegmatiker? Es wird Ihnen Beine machen, wird Ihre Taillenweite verringern, Ihren trägen Puls beschleunigen.

Es ist ganz gleich, wie groß Ihr Aquarium ist. Die Verwaltung eines Gefäßes von der Größe eines Weißbierglases erfordert genau so viel Sorgfalt, wenn man die Sache nicht kennt, wie ein Becken, in dem Sie ein Sitzbad nehmen können, kennt man sich aber nicht aus, so macht ein Aquarium, das zwölf Eimer Wasser schluckt, nicht mehr Mühe, als eins, das einen halben Liter faßt.

Als Besitzer eines Aquariums brauchen sie kein Theater, keine Romane mehr: es bringt Ihnen Lustspiele und Possen, Schauspiele und Trauerspiele. Das Aquarium lehrt Sie, das Leben verstehen, macht Sie zum Weltweisen, zum Manne des Nil admirari.

 

Mein Aquarium ist klein, einen Fuß hoch, dreiviertel breit. Seinen Boden bedeckt Kies, darin wächst Wasserpest und Vallisneria, und auf dem Wasser schwimmt ein Teppich von Salvinien.

Es ist unglaublich, wieviel Philosophie diese drei Pflanzen schon in meinen Gehirnzellen zutage gefördert haben.

Sehen Sie sich einmal die Wasserpest an. Ein uninteressantes Kraut, nicht wahr? Es stammt aus Kanada. Ein Sammler brachte es in den Berliner Botanischen Garten. Der war ihm zu eng, und er verließ ihn, eroberte sich die Spree, die Netze, die Warthe, die Oder, die Weichel, die Weser, den Rhein, die Donau.

Es wuchs, wuchs und wuchs. Verstopfte die Schleusen, hemmte die Schifffahrt. Alle Zeitungen schrieben darüber. Auf einmal ging es zurück, und jetzt ist es ein ganz bescheidenes Wasserpflänzchen geworden, das überall vorkommt, vor dem aber niemand mehr Angst hat, für das kein Mensch Ausnahmegesetze und Sondermaßregeln fordert.

Dann die Vallisneria. Sieht aus wie Gras. Ihre weiblichen Blüten sitzen auf langen, fadendünnen, zusammengerollten Stielen auf dem Grunde des Flusses. Sind sie reif, so rollt sich die Spirale auf. Langt es dann noch nicht, dann wächst der Stiel, bis die Blüte die Oberfläche des Wassers erreicht. Dann hört es auf zu wachsen. Die männliche Blüte sitzt auch an den Wurzeln der Pflanze auf dem Grunde des Wassers, hat aber keinen Stiel.

Wenn nun die weibliche Blüte plötzlich die Tendenz nach oben bekommt, was tut dann die männliche? Bildet an ihrer Basis eine Abschnürungsfurche, reißt sich los und folgt ohne Stiel und Stengel der weiblichen nach, das übrige Wind und Wellen überlassend.

Ist die weibliche Blüte abgeblüht, so zieht sich ihr Stiel erneut spiralig zusammen, bis die Blüte wieder auf dem Grunde des Flusses sitzt. Und da bleibt sie sitzen, bis ihre Früchte reif sind. Deutlicher kann das Himmelstrebende der Liebe nicht symbolisiert sein und deutlicher auch nicht das Niederziehende.

Und nun die Salvinie: zwei, vier oder sechs erbsengroße zarte, grüne, langbehaarte Blättchen, schwach und hinfällig.

Ja, Kuchen! Ein Sturm, der Eichen zersplittert und Tannen umwirft, ist ihr ganz gleichgültig. Packt er sie, duckt er sie, will er sie ertränken, sie gibt nach und sinkt unter. Da sich in ihren Blatthaaren die Luft fängt, so kommt sie gleich darauf wieder ganz munter in die Höhe.

Anfangs war mein Aquarium ein Paradies. Damit die Algen die Glaswände nicht bedeckten, hatte ich ein dutzend Blasenschnecken als Fensterreiniger angestellt. Allerlei winzige Krebstiere entwickelten sich aus dem Grundschlamm.

Schließlich wurde es ein bißchen viel, und da ich mich scheute, sie zu töten, machte ich es wie die frommen Italiener der Renaissance, ich stellte Bravis an, grüne und braune Wasserpolypen. Die fingen mit ihren elektrisch geladen Fangarmen die Zyklopse und Daphnien und aßen sie auf. Das bekam ihnen so gut, daß sie Knospen trieben. Diese Knospen schnürten sich ab, machten sich selbständig und räuberten auf eigene Faust. Zuletzt starben die Zwergkrebse aus, da ihre Vermehrung der der Polypen nicht standhielt, und diese ergaben sich nun einem durch die Blutsverwandschaft doppelt schauerlichen Kannibalismus.

Dann erhielt ich einen Stichling. Den erbitterten die greulichen Zustände derartig, daß er sämtliche Polypen verschlang. Dann belauerte er die Blasenschnecken, riß ihnen die Köpfe ab und verzehrte diese. Das machte die Schnecken so verdutzt, daß sie das Atmen vergaßen und starben.

Dann bekam ich einen Steinbarsch geschenkt. Der war zweimal so lang und sechsmal so dick wie der Stichling. Als er in das Lokal kam, blieb der Stichling in seiner Ecke, ohne den Barsch zu begrüßen. Der Barsch war entrüstet. Er schwamm auf den Stichling zu und fixierte ihn scharf. Der Stichling sah ihn fest, aber ruhig an. Der Barsch machte das Maul halb auf. Der Stichling sah fest, aber ruhig hinein. Der Barsch machte das Maul ganz auf. Der Stichling schwamm interessiert näher. Der Barsch machte einen Stoß, und der Stichling richtete seine Stacheln hoch. Der Barsch verschluckte den Stichling bis auf die Schwanzflosse. Diese wedelte ruhig und besonnen. Der Barsch machte das Maul weit auf, spie den Stichling heraus und verzog sich in die äußerste Ecke, von heftigen Gaumenschmerzen geplagt und mit Achtung erfüllt. Der Stichling aber grinste und klappte seine Stacheln wieder zurück.

Das geschah damals, als Rußland Japan zur Defensivoffensive zwang. Wenn am Biertisch die Männer den kleinen Jap bedauerten und eifrig die Depeschen lasen, dann dachte ich an den Stichling und den Barsch und daran, daß Verschlucken und Verdauen zwei Dinge sind, die nicht immer in einem festen Zusammenhange stehen.

Im Mai leistete sich der Stichling eine rote Weste. Ich dachte: es ist nicht gut, daß der Stichling allein sei, und verschaffte ihm passende Damenbekanntschaft. Sofort fing er an, ein Nest zu bauen, und übernahm alle häuslichen Pflichten. Er hütete die Eier, entfernte faule, ließ das Wasser über ihnen sich bewegen, und als die Jungen erschienen, schützte er sie vor dem anderen Stichlingsherrn, den ich hineintat, und vor der eigenen Mutter, die plötzlich medeaähnliche Gelüste zeigte.

Was also die modernen Frauen verlangen, die Stichlinge haben es längst, die Verteilung der Mutterpflichten auf beide Teile des Ehepaares. Später setzte ich einen Hecht in das Aquarium. Drei Tage später hatten die Stichlinge den Räuber um die Ecke gebracht. Genau so machten sie es mit einem gemütlichen Spiegelkarpfen, einem friedlichen Schlei, einer gutmütigen Karausche und einer harmlosen Ellritze. Einen schuppenlosen Aal und einen nackten Schlammpeitzger ließen sie in Ruhe.

Warum wohl? Diese schleimigen Fische kriechen auf dem Boden herum, sind den Stichlingen nicht standesgemäß. Tritt einen studierten Mann einer seinesgleichen auf die Zeh, dann kracht es; beschimpft ihn ein Prolet, so tut das seiner Ehre nichts.

Ich glaube, unsere Begriffe von Standesehre sind dem Stichlingsstaat entnommen.

Es gibt Soziologen, die da behaupten, der Eigentumsbegriff sei von den Menschen erfunden. Irrtum! Setzen Sie zwei Stichlinge in ein Glas, und fünf Minuten nacher ist der juristische Begriff des Privateigentums praktisch in Erscheinung getreten. Kommt ein dritter hinzu, gibt es erst Beißerei, aber schließlich hat er auch seine Ecke.

Ich hatte einmal acht Stück zusammen. Jeder hatte seine Ecke, die er eifersüchtig hütete. Warum, das ist mir unklar: das Wasser war überall gleich naß und gleich warm, und Futter gab es überall in gleicher Menge; es muß also allein in dem Gefühl des Besitzes etwas Erhebendes liegen. Sonst würden Bauern nicht oft lange Prozesse um einem Zaunpfahl führen.

Auch Standesunterschiede gibt es bei den Fischen, wenigstens bei den Bartwelsen. Ich hatte zwei. Der eine fraß Regenwürmer und wurde immer dicker, der andere fraß keine und blieb so groß, wie er war. Schließlich gab ich den einen fort, da seine Größe einen Hohn auf den Durchmesser des Aquariums bedeutete. Sofort fraß der andere Regenwürmer und nahm zu an Umfang, Weisheit und Verstand. Ich habe nie gemerkt, daß der große den kleinen am Fressen hinderte. Es muß also lediglich Respekt gewesen sein, der den kleinen veranlaßte, dem großen die besten Schüsseln zu lassen. Oder wissen Sie eine bessere Erklärung? Nervosität ist ebenfalls kein spezielles Vorecht des Menschen. Ich habe da einen Steinbeißer, einem richtigen Stumpfbold. Acht Tage liegt er in dem Sande eingebohrt bis auf die Nase. Auf einmal schießt er heraus, fährt hin und her, macht Luftsprünge, wühlt den Schlamm auf, kurz und gut, zeigt alle Anzeichen von schwerer Nervenstörung.

Es tut mir leid, aber was soll ich machen. Beruhigende Medikamente, wie Brom und Baldrian, lehnte er höflich, aber bestimmt ab. Der hypnotischen Behandlung entzieht er sich durch Einbohren in den Sand, und gegen Massage hegt er eine tiefe Abneigung. Auch eine Wasserveränderung half nichts. Ein hoffnungsloser Fall!

Diese wenigen Beispiele werden genügen, zu beweisen, das ein Aquarium sehr viel Lehrreiches bietet und imstande ist, uns die tiefsten Einblicke in Politik, Volkswirtschaft und Seelenleben tun zu lassen.

Wenn ich einen Menschen sehe, der zeigt, daß er von dem Wesen und dem Zusammenhange der Dinge eine bedeutende Ahnung hat, so weiß ich sofort, daß er ein Aquarium hat.

Damit will ich nun nicht sagen, daß ich, weil ich eins habe ...

Nein, so unbescheiden bin ich nicht.

 


 << zurück weiter >>