Herrmann Löns
Der zweckmäßige Meyer und andere Geschichten
Herrmann Löns

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Lex Heinze

Schon wird es bunt in Wald und Garten,
Schon wird es grün in Feld und Flur,
Es schafft jetzt ihre schönsten Werke
Mit Künstlerhänden die Natur,
Da pfeift Nordostwind um die Blüten,
Da fällt der Schlappschnee in das Grün,
Es welkt die Saat, es fällt die Knospe,
Vorüber ist's mit ihrem Blühn.
»Wir wollen,« rufen Sturm und Schlappschnee,
»Nur töten Engerling und Maus!«
So sagen sie und machen dabei
Den armen Blumen den Garaus.
Ich hab' gepflückt die welken Blumen,
Die gestern noch so froh gelacht,
Und hab' dabei an die lex Heinze,
An Kunst und Polizei gedacht ...

Es war am 24. März 2000, als ich nach längeren Reisen im Ausland wieder nach Hannover kam. Ich hatte die Erholung nötig gehabt, denn wegen Beleidigungen eines Schwindlers hatte ich eine längere Gefängnisstrafe zu verbüßen gehabt, und das von Rechts wegen. Ich hatte während der langen Reise keine Zeitungen gelesen, um mich einmal gründlich auszuspannen, und wußte wenig von dem, was im lieben deutschen Vaterlande und besonders in Hannover geschehen war.

Daß allerlei Sonderbares geschehen würde, das dachte ich mir schon im Frühjahr 1900. Ein Naturkenner sagte mir damals: »Dieses Jahr wird ein Raupenjahr erster Ordnung,« und er behielt Recht, wie kriegten die lex Heinze. Und da eine Raupe noch kein Raupenjahr macht, so kriegten wir die lex Roeren und die lex Stöcker und die lex Ballestrem und die lex Ahlwardt und die lex Oertel und die lex Groeber und noch viele Gesetze, welche die Namen von Leuten trugen, die auf andere Weise nicht zur Berühmtheit kommen konnten.

Das alles hatte ich im Kupee und an Bord, an der Hoteltafel und auf den Veranden der Logiervillen gehört, hatte mich aber nicht weiter darum gekümmert, sondern Land und Leute studiert, den Wein und das Bier probiert, mich an Bergen und Gletschern, an Wäldern und Triften gefreut, an Meeresrauschen und Wellengeflute, und kam so ins Vaterland zurück, wie in ein fremdes Land.

Ich war nachts im Schlafwagen von der holländischen Grenze abgefahren und kam gegen Morgen in Hannover an. Als ich aussteigen wollte, trat mir ein Mensch in einem Kostüm entgegen, wie es mir noch nie begegnet war. Es war ein baumlanger Mensch in einen blauen, mit Silberschnüren benähten Gewand, das wie ein Sack die ganzer Figur einhüllte. Auf dem bartlosen Kopfe trug er einen topfähnlicher Hut und um die Hüften ein Schwert. Er winkte zwei gleichgekleideten Männern, und beide drangen zu mir ins Kupee, legten mir Handschellen an, warfen mir einen Karoffelsack über, in den oben ein Loch für den Kopf geschnitten war, und führten mich dann durch den Ausgang und durch die Perronsperre nach der Bahnhofswache.

Dort waren mehrere ähnlich gekleidete Wesen vorhanden, von denen einer, der mir durch seine silbernen Achselklappen besonders auffiel, mir zurief: »Setzen Sie sich!« Da ich nicht wußte, was man von mir wollte, so sagte ich dem Kommissar – denn daß die seltsamen Gestalten Schutzleute waren, hatte ich inzwischen begriffen –: »Sagen Sie mir bloß ...« aber wie fuhr ich zurück, als der Gestrenge mich anschnautze: »Ich verbitte mir hier jeden unsittlichen Ausdruck. Sie haben hier von ›bloß‹ gesprochen und ich ersuche sie, sich zusammenzunehmen und ihre Straftat nicht noch zu erhöhen, sonst bekommen Sie drei Tage Arrest!« »Unter diesen Umständen ...« wollte ich fortfahren, wurde aber sofort wieder derartig angeranzt, daß ich mehr aus Angst, wie mit Willen auf die Bank fiel. »Notieren Sie, Suffinski, die beiden unsittlichen Ausdrücke,« rief der Kommissar dem Schreiber zu, »und bemerken Sie dabei, daß der Inhaftierte wegen Ungebühr in zehn Mark Strafe genommen ist wegen wiederholter Verletzung der guten Sitte!«

Dann wurde ich zu Protokoll genommen: »Sie heißen?« – »Fritz von der Leine!« – »Auf die Welt gekommen?« – »Ich bin geboren ...« Weiter kam ich nicht, denn der Kommissar wurde dunkelrot vor Wut und rief: »Mensch, ich lasse Sie sofort einsperren, wenn Sie sich zum dritten Male unanständiger Worte bedienen Esel...«

Ich war ratlos, und wußte nicht genau, ob ich das Opfer eines Studentenulks oder der Spielball eines Klubs von Verrückten geworden war, und sagte: »Das können Sie, aber ich bin mir keiner Schuld bewußt. Wenn ich einen Verstoß begehe, so bitte ich um Belehrung, denn Sie können versichert sein, daß ich nicht ein solcher Esel bin, mich freiwillig in Ungelegenheit zu bringen. Ich bin längere Zeit im Ausland gewesen und weiß von den hiesigen Verhältnisse nichts, Herr Kommissar, und bitte Sie, mich nicht eher abführen zu lassen, als bis ich Ihnen das auseinandergesetzt habe. Bitte sagen Sie mir zuerst, weshalb ich verhaftet bin!«

Der Kommissar wurde freundlicher. »Ja, sehen Sie, schon in diesen Worten haben Sie dreimal gegen das Gesetz verstoßen, Sie haben schmutzige Ausdrücke, wie ›Verhältnisse‹ und ›abführen‹ gebraucht, ferner das streng verspönte Wort ›Herr‹, das in unschuldigen Gemütern den Verdacht erregen kann, als wenn es auch ›Frauen‹, also,« – hier hob er die Stimme – »Personen anderen Geschlechtes gäbe, eine leider bedauerliche Tatsache, auf die hinzuweisen streng verboten ist; ferner haben Sie laut Protokoll indezente Worte, wie ›bloß‹, ›geboren‹ und ›Umstände‹ gebraucht. Ihr Hauptvergehen aber ist, daß Sie in unsittlicher Tracht nach Hannover gekommen sind.«

»Aber ich bitte Sie, He ... – Verzeihung, wie darf ich Sie anreden?«

»Mensch ist die allgemeine, jede Zweideutigkeit ausschließende Anrede,« erwiderte freundlich der Beamte, der entschieden nun Mitleid mit mir hatte.

»Also, Mensch Kommissar, ich bin doch von oben bis unten bekleidet, habe Jacke, Weste und Hose ...«

»Um Himmelswillen, schweigen Sie! Hose, solche widerlichen Worte darf nur der Richter – und auch der nur bei Ausschluß der Öffentlichkeit gebrauchen. Daß ist ja gerade Ihr Vergehen, daß Sie durch Tragen dieses Kleidungsstückes, das aufs frechste jeder Sittlichkeit Hohn spricht, schwer gegen die lex Roeren verstoßen haben! Sehen Sie denn nicht, wie wir gekleidet sind? Und außerdem tragen Sie einen Schnurrbart! Jedes Kind sieht ja, daß Sie ein Person männlichen Geschlechtes sind ... Haben wir Bärte?« fragte der einstige Krieger von 1870/71 mit melancholischer Stimme und faßte traurig nach seiner Oberlippe, während eine Träne über seine glattrasierten Backen rann.

»Junger Mensch,« sagte er dann, »Sie dauern mich, Sie sind allem Anschein nach gut veranlagt, und ich würde es bedauern, wenn Sie ins Unglück kämen. Ich diktierte Ihnen – billiger kann ich es nicht machen – nur zwanzig Mark Strafe zu. Ich mache bei Ihnen eine Ausnahme, weil ich mich früher oft über Ihre Sachen gefreut habe. Nun passen Sie auf! Ich werde nach der Firma Goldschmidt telefonieren, damit Ihnen Maß genommen wird zu einem Anzug und Ihnen dann, wenn Sie anständig gekleidet sind, gegen Entgelt einen Beamten auf mehrere Tage zur Begleitung mitgeben, damit er Sie einigermaßen instruiert, Sie brauchen sich deswegen nicht zu genieren, denn unter Polizeiaufsicht steht heutzutage beinahe jeder anständige ... ach verdammt, ich wollte sagen, jede Person.«

Nach zehn Minuten erschien ein junger Mensch, in einen grauen, bis auf die Füße reichenden Sack gekleidet. Er nahm mir Maß, erklärte, daß Passendes auf Lager sei, und schickte mir bald darauf eine Auswahl von braunen und blauen, grünen und schwarzen Säcken mit passenden Kappen. Ich wählte einen blauen Sack, und dann wurde ein Barbier herbeitelephoniert. Der Mann bekam beinahe eine Dahlschlag, als er meinen Schnurrbart sah, und mit zitternden Fingern knipste er mir die Spitzen ab, seifte mich ein und schabte mich glatt. Die Schnurrbartspitzen aber steckte er verstohlen in die Tasche.

Ich sah in den Spiegel und sagte: »So, Mensch Kommissar, nun geben Sie mir einen Beamten mit. Mit diesem Gesicht, glatt wie ein Ei, werde ich Hannovers Sittlichkeiten wohl nicht zum Wacklen bringen!«

Der Kommissar lächelte trübe. »Junger Mensch,« sagte er dann, »sehen Sie sich doch vor! Sprechen Sie nie laut und fragen Sie immer erst den Beamten, ob in dem, was Sie sagen wollen, keine Unsittlichkeit steckt. Sie gebrauchten eben das Wort ›Ei‹ und wiesen damit auf die natürliche Entstehung der Geschöpfe hin. Drei Wochen Gefängnis wären Ihnen sicher, käme es an die große Glocke. Und nun gehen Sie und seien Sie vorsichtig. Mit dem Beamten können Sie frei reden, er gehört zur Unterweisungsabteilung, und die Anzeige ist nicht sein Beruf!«

So zogen wir denn beide los. Auf dem Ernst-August-Platz blieb ich erstaunt stehen und sah mir das Denkmal an. Ich mußte laut lachen, als ich den guten König sah. Er hatte ein langes Blechhemd an, das bis auf die Stiefelspitzen ging.

Mein Lachen war, wie Sie sich denken können, sehr laut. Und so sehr ich mich über die in lange Säcke gekleideten Menschen wunderte, die über den Platz eilten, noch mehr wunderte ich mich, daß die Leute sich alle neugierig nach mir umdrehten.

»Warum tun sie das?« fragte ich meinen Begleiter.

»Weil Sie lachen. Heute lacht kein Mensch mehr. Lachen ist weltlich, verrät Sinnlichkeit, und worüber sollte man auch froh sein. Sehen Sie, ich bin Beamter und habe mein Auskommen. Aber ich wollte – zu Ihnen kann ich offen reden – es wäre so wie früher. Da hatte ich dreihundert Mark weniger, aber ich hatte doch noch mehr vom Leben. Ich hatte solchen schönen Schnurrbart – weg ist er. Alle Mädels« – hier flüsterte er – »freuten sich über mich. Jetzt sieht mich keine an, und wenn auch, was hat man davon. Sehen Sie, das ist eine. Soll man sich über solche Vogelscheuche freuen?«

Ich mußte ihm recht geben. Dieses Wesen mit den schlaffen Zügen, dessen Figur ein Sack umhüllte, dessen goldiges Haar eine unbarmherzige Schere verstümmelt hatte, konnte kein Männerherz schneller schlagen lassen. Gleichgültig wollte ich vorübergehen, als sie die Augen aufschlug. Die kannte ich doch ...

»Fräulein ...« weiter kam ich nicht, denn der Schutzmann sagte: »Pst.« Ach richtig, ich hatte »Fräulein« gesagt. Aber sie kam schon auf mich zu und ihr Gesicht strahlte: »Endlich sehe ich Sie wieder,« sagte sie.

»Lassen Sie uns in ein Restaurant gehen,« sagte der Schutzmann, »hier erregen wir Aufsehen. In meiner Begleitung können Sie wohl« – hier flüsterte er wieder – »mit einer Dame gehen, aber besser ist besser.«

So gingen wir denn nach Kröpcke. Unterwegs betrachtete ich das junge Mädchen. Ich hatte sie mit ihren Eltern im Berggasthaus Niedersachsen vor zwei Jahren kennen gelernt. Sie war die glücklichste Braut von der Welt. Ihr Bräutigam war ein junger Ingenieur. Und was war sie jetzt? Ein Schatten von früher.

»Mensch,« sagte sie zu mir, »wir haben gar nichts davon gelesen, daß Sie so lange Zuchthaus gehabt haben.«

»Zuchthaus?« fragte ich erstaunt, »ich habe kein Zuchthaus gehabt, ich war im Ausland. Wie kommen Sie auf solche Frage?«

Sie lächelte und der Schutzmann auch. »Na,« meinte er, »das wissen Sie nun wieder nicht. Zuchthaus, das ist heute nicht so schlimm. Jeder hat beinahe schon Zuchthaus gehabt. Die Polizei führt nur noch über solche Leute Listen, die noch nicht drin waren, die sind verdächtig, die anderen sind ungefährlich. »Weshalb hatten Sie Zuchthaus?« fragte er dann das junge Mädchen. »Weshalb? weshalb haben alle meine Freundinnen Zuchthaus gehabt? Weil sie sich von ihren Verlobten küssen ließen. Ich habe nur ein halbes Jahr bekommen – aber Karl, Sie kennen ihn ja noch, hat vier Jahre bekommen, weil ich noch minderjährig war.«

»Aber was reden Sie da?« fuhr ich erstaunt auf, »Sie sind minderjährig? Sie sind jetzt doch – verzeihen Sie meine ungalante Frage – sicher zwanzig Jahre alt?«

Der Schutzmann lächelte: »Zwanzig? Ja, wissen Sie denn nicht, daß heute bei dreißig Jahren erst der gesetzlicher Schutz aufhört?«

»Hol der Teufel den ganzen Ritt!« schrie ich los, sah aber ängstlich meinen Begleiter an. Der lächelte wieder. »Den Teufel können Sie ruhig anrufen, das wird sogar gern gesehen. Seitdem der junge Doktor Roeren es herausgebracht hat, daß der liebe Gott den Menschen nackt erschaffen hat, sind die wirklich frommen Leute noch im Zweifel, ob wahre Frömmigkeit sich noch mit Gottesverehrung verträgt, während der Teufel dagegen sehr in ihrer Achtung gestiegen ist. Denn dieser hat als Schlange Eva verführt, Adam den Apfel zu geben, und den ersten Menschen dadurch die Augen geöffnet, daß sie sahen, daß sie nackt waren, und sich schämten. Und wegen dieses großen Verdienstes ist jetzt der junge Roehren dabei, die Bibel neu auszulegen und den Teufel als das wahrhaft sittliche Element hinzustellen. Er gibt sich unnütz Mühe, der Teufel regiert jetzt doch schon.«

Nun wollte ich mir die Stadt besehen. Sind die Menschen so verändert, mußte die Stadt auch verändert sein. Lustige Leute traf ich nirgends. Kein Kind lachte, kein Bäckerjunge pfiff, alle, groß und klein, latschten müde und verdrossen in langen Säcken durch die Straßen. Vor dem Hoftheater standen Wachtposten von den Dreiundsiebzigern. Uniform hatten sie an, aber nicht die frühere, sondern lange Säcke.

»Warum stehen die da Wache?« fragte ich, »will man der modernen Kunst den Eintritt verwehren?«

»Kunst gibt's nicht mehr,« versetzte mein Begleiter, »die ist abgestorben. Die alten Theaterstücke sind nicht aufführbar, weil Männer und Weiber darin vorkommen, und neue schreibt keiner mehr. Das Hoftheater ist jetzt Männerzuchthaus Nr. 25.«

Überall, wo wir hinsahen, waren Gefängnisse und Zuchthäuser. Das Kontinentalhotel, das alte und neue Provinzialmuseum, der Zirkus, der Zoologische Garten, die Fabriken, alles waren Strafanstalten. Fast alle Arbeiten wurden in Strafanstalten gemacht von dem einen Teil der Einwohner und der andere Teil bewachte sie dabei. Die Künstler, Schauspieler, Dichter und Buchhändler hatte man auf lebenslänglich verurteilt, weil man Angst hatte, daß sie das Volk aufwiegelten. Schon mehrfach waren Versuche gemacht worden. Auf dem Klagesmarkt hätte es beinahe Revolution gegeben, als die Polizei dem Gänseliesel lange Röcke machen ließ. Die Polizei hatte Mühe, den Aufstand zu unterdrücken, besonders, da das Militär sich weigerte, ihr zu helfen. Denn der Höchstkommandierende hatte geäußert: »Die Leute haben völlig Recht, Radau zu machen. Seit der lex Ballestrem, die auch beim Militär des Schnurrbarttragen und das Monokel verbot und die Sackuniform befahl, ist aller Schneid weg. Die, die an der Eselei schuld sind, mögen sehen, wie sie damit weiterkommen, ich danke für den Zimt.«

So erzählte mir der Schutzmann und fügte hinzu, daß alle schneidigen Offiziere das Vaterland verlassen hätten, weil ihnen schlecht wurde, wenn sie ihre Soldaten ansahen oder sich selbst im Spiegel beguckten. Gerade, als er mir das erzählte, kamen wir an die Ulanen-Kaserne. Ein langer Kerl in blauer Sackuniform stand dort Posten. Früher standen dort Leute mit blanken Augen und roten Backen, und die Kindermädchen verrenkten sich die Hälse, wenn sie vorbeifuhren mit den Sportwagen. Dieser trübselige Jünglinge, der weder Schnurrbart noch Haltung hatte, hätte aber im Jahre 1900 kein Mädchenherz erschüttert.

»Es ist 'ne Schanden wert,« sagte der Schutzmann »was sie mit den famosen Leuten gemacht haben. Mein früherer Leutnant hat sich totgeschossen. Was zwanzigtausend Mark Schulden nicht fertig kriegten früher, das hat die allgemeine Muckerei fertig gebracht. Er erbte hintereinander drei große Güter und war mit einem Male aus der Klemme – aber was soll der Mensch heute mit Geld.«

Wir fuhren nun zum französischen Garten. »Sie können ja noch lachen,« sagte mein Begleiter, »da werden Sie was zu lachen kriegen.«

Ich dachte mir schon, was da kommen würde. All die alten Figuren hatten Blechhemden an. Na, das war mir nichts Neues. Mit einem Male stand der Schutzmann still. »Pst,« machte er und winkte mir. Und wie ich ihm leise nachging, da sah ich auf einer Bank einen Schutzmann sitzen, der hatte ein Mädel um den Hals gefaßt und küßte es tüchtig. Plötzlich sah er uns und wurde kreidebleich. Aber sein Kollege beruhigte ihn und sagte, wir wollten Wache stehen, daß keiner käme.

»Anders geht's heute nicht. Man muß immer einen oder zwei gute Freunde haben, wenn man seine Kleine mal sprechen will, sonst riskiert man Amt und Brot.«

Ich hatte genug in Hannover und sah im Fahrplan nach, wann der nächste Zug nach Südafrika ging. Aber da hörten wir, als wir in der Elektrischen saßen, wüsten Lärm aus der Stadt dringen. Je näher wir kamen, desto toller wurde es, und die Menschen liefen wild nach dem Zentrum. Dort warfen Leute Extrablätter aus den Fenstern und die Leute auf der Straße lachten und sangen und schrien: »Hurra, hurra, Ministersturz in Berlin! Das Ministerium ist zum Teufel gejagt, die Luft wird wieder rein.« Und merkwürdigerweise schrien alle Schutzleute mit und die Soldaten auch und alle zogen vor den Justizpalast, wo die Richter saßen, die alle ins Zuchthaus steckten, die jung und gesund waren, und die Menge nahm Steine und warf sie nach den Fenstern.

Klirr ... ging es, und ich wachte auf und sah mich dumm um. Da lag die Kaffeetasse, die ich von dem Tischen geschlagen hatte, als ich so lebhaft träumte, und erschrocken kam meine Wirtin ins Zimmer.

»Frau Döllmer?« fragte ich sie, »was halten Sie von der lex Heinze.

»Was ich d'rvon halte? Viel verstehe ich d'r nicht von, aber was ich d'rvon kapiert habe, is, daß es man gut is, daß alle fünf Jahre Reichtagswäöhl is!" Also sprach Anastasia Döllmer.

 


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