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Die Ungeduld der Menge.

Das große Tor in der Stadtmauer Spartas, dessen erzene Türflügel wie das Brustschild eines Kriegers anzuschauen waren, öffnete sich nach dem Taygetus zu. Der staubige Abhang des Berges wurde von den kalten Strahlen der untergehenden Sonne eines frischen Wintertages beleuchtet. Von den Wällen der Stadt sah man auf den rauhen Abhang des Berges, auf dem an diesem Abende eine Hekatombe geopfert worden war. Eine Menge Menschen standen an der Mauer. Das Eisen ihrer Schwerter, ihre Peplen und die Spitzen ihrer Lanzen funkelten in der Abendsonne. Aber das Volk schien ernst und düster gestimmt. Aller Augen waren auf die Spitze des Berges gerichtet, von wo man eine Botschaft zu erwarten schien.

Vor zwei Tagen waren die Dreihundert mit dem Könige ausgezogen. Wie zu einem Feste geschmückt und mit Blumen bekränzt zum Kampfe für das Vaterland. Die Männer, die der Abend schon im Hades finden konnte, hatten im Tempel der Diana ihr Haar gestrählt und mit Blumen geschmückt. Dann hatten die jungen Helden mit ihren Schwertern an den Schild geschlagen und waren, unter den Beifallsrufen der Frauen, fröhliche Lieder singend, beim ersten Strahle der Morgenröte aus Sparta herausgezogen. Die Kräuter und Pflanzen, womit der Engpaß von Thermopylae bewachsen war, streiften zärtlich ihre nackten Beine, als ob die Heimaterde ihre tapfern Söhne, die ihr Leben für sie einsetzten, noch einmal liebkosen wollte, ehe sie dieselben für immer in ihren Mutterschoß aufnahm.

Am Morgen glaubte man in Sparta im Winde verlorene Klänge, fernes Waffengeklirre und Kriegslieder zu hören. Dann hatten Hirten Kunde gebracht. Zweimal waren die Perser zurückgeworfen worden und hatten nach einer ungeheuren Niederlage 10 000 Tote unbeerdigt zurücklassen müssen. Lokris hatte diese Siege gesehen. Ganz Thessalien stand auf. Theben sogar war diesem Beispiele gefolgt. Athen hatte seine Scharen unter des Miltiades Oberbefehl geschickt. 7000 Krieger sollten die Streitkräfte Spartas verstärken.

Doch Plötzlich drang in die Siegeslieder und Gebete, die im Tempel der Diana erschallten, ein jäher Mißton. Es kamen Boten, die den Ephoren etwas mitteilten, worauf diese einander sehr bestürzt ansahen. Darauf wurde der Senat berufen, der sofort den Befehl zur Verteidigung der Stadt gab. Man hatte gleich angefangen in aller Eile Gräben aufzuwerfen, denn sonst bestand des stolzen Sparta Schutz nur in seinen Bürgern.

Ein Schatten hatte alle Freude zerstört. Man glaubte den früheren Worten der Hirten nicht mehr, alle guten Nachrichten schienen vergessen. Als die Priester und Zeichendeuter die Eingeweide der Opfertiere untersucht hatten, zitterten sie und opferten dann über den aus den Dreifüßen auflodernden Flammen mit erhobenen Armen den Göttern der Unterwelt, deren Gnade sie anriefen.

Man raunte einander neue Mitteilungen zu. Dann befahl man den Jungfrauen den Tempel zu verlassen, denn man hatte den Namen eines Verräters ausgesprochen. Ihre langen Gewänder streiften die trunkenen Heloten, die auf den Stufen des Tempels umherlagen, als sie achtlos über sie hinwegschritten.

Endlich kam die genaue verzweifelte Nachricht. Ein unbesetzter Durchgang im Gebirge war von dem Feinde entdeckt worden. Ein Hirt aus Messenien hatte Hellas verraten: Ephialtes hatte die heilige Erde seines Vaterlandes dem Xerxes preisgegeben. Die von ihrem goldstrotzenden Satrapen geführte persische Reiterei brach in das geheiligte Land ein und verwüstete es unter den Huftritten ihrer Pferde. Fahrt hin, ihr Tempel und geheiligten Stätten, wo die Vorväter gewohnt! Sie, die verweichlichten, gelben Perser würden Lacedämonien in Ketten werfen und ihre Sklavinnen unter Spartas Töchtern wählen.

Die Bürger begaben sich auf die Mauern und Wälle der Stadt, ihre Bestürzung wuchs, als sie von dort nach den Bergen spähten. Der Wind fuhr heulend durch die felsigen Abhänge, so daß die Fichtenstämme sich bogen und krachten und ihre nackten schwarzen Zweige zerbrachen. Gorgo raste durch die Luft, düstre Wolken schienen ihr Antlitz wie mit einem Schleier zu verhüllen. Das Volk drängte sich zu den Schießscharten und sah erschreckt nach dem drohenden Himmel. Indes wagte keiner in der Menge ein lautes Wort zu sprechen, weil die Jungfrauen zugegen waren. Man durfte dieselben auf keinen Fall aufregen und beunruhigen, oder gar Mißtrauen gegen einen Mann von Hellas in ihnen erwecken. Man gedachte ihrer zukünftigen Kinder.

Die Ungeduld, die getäuschte Erwartung, die Ungewißheit dessen, was die nächsten Stunden bringen würden, lagen mit bleierner Schwere auf dem Volke. Jeder malte sich die drohende Gefahr in den dunkelsten Farben, die Wahrscheinlichkeit des vollkommenen Unterganges Spartas schien allen gewiß.

Gewiß, die Vorhut des persischen Heeres mußte bald kommen. Einige glaubten schon am fernen Horizonte die Reiterei und die Wagen des Xerxes zu erkennen. Die lauschenden Priester meinten, daß von Norden Waffengeräusch hertöne, obwohl jetzt ein Südwind ihre Mäntel wehen machte.

Die Wurfmaschinen wurden herbeigeholt und aufgestellt, Bündel von Pfeilen daran befestigt. Die jungen Mädchen stellten Kohlenbecken auf den Wällen auf, um Pech darauf glühend zu machen. Selbst die Veteranen hatten sich bewaffnet und mit gekreuzten Armen überschlugen sie die Zahl derer, die man zum Hades befördern könne, ehe man selbst ihnen folge!

Man verrammelte die kleinen Zugänge und Türen der Stadtmauer, denn Sparta würde sich niemals ergeben. Man berechnete, wie lange man mit den Lebensmitteln reichen könne, man beschloß für die Frauen den Selbstmord, wenn alles verloren sei.

Da man die Nacht auf den Wällen und Mauern zubringen wollte, um nicht von den Persern überrascht zu werden, so ließ Nogakles, der Stadtkoch, die gemeinsame Abendmahlzeit auf dem Walle zubereiten. Er stand vor einem mächtigen Bottich und war mit seinem schweren steinernen Stößer eifrig beschäftigt, das Korn in gesalzener Milch zu zerstampfen, aber auch er schien zerstreut und sah sorgenvoll nach den Bergen.

Man wartete. Schon flüsterte man einander allerlei Vermutungen und Gerüchte über die thessalischen Kämpfe zu. Die Verzweiflung eines Volkes erregt immer die Lust zu übler Nachrede und Verleumdung, und der Bruderstamm des Volkes, das später einen Aristides, Themistokles und Miltiades verbannen sollte, ertrug den auf ihm lastenden Druck auch nicht ruhig. Nur die steinalten Frauen schüttelten das Haupt, sie waren ihrer Söhne gewiß und betrachteten sie mit der milden Ruhe der Wölfin, die ihre Jungen selbst gesäugt hat.

Da verdunkelte sich plötzlich der Himmel. Es war nicht das Dunkel der Nacht: vom Südwind getragen zog ein ungeheurer Zug schwarzer Raben mit schrecklichem Gekrächze über Sparta hin und verfinsterte die Luft. Sie ließen sich auf den Ästen des Gehölzes am Taygetos nieder, wo sie unbeweglich sitzen blieben. Ihre Schnäbel waren gen Norden gerichtet und ihre Augen leuchteten unheimlich.

Eine Flut von Verwünschungen erhob sich, man versuchte sie zu verscheuchen. Die Wurfmaschinen wurden mit Kieselsteinen gefüllt, die man gegen die Bäume schleuderte, wo sie mit prasselndem Geräusch niederfielen.

Dann versuchte man die Unglücksvögel durch Händeklatschen und Lärm zu verjagen. Vergebens. Als wüßten sie, daß bald mancher Held fallen und ihre Beute sein würde, saßen sie wie verzaubert da auf den schwarzen Ästen, die unter ihrer Last krachten.

Als die Mütter dies sahen, seufzten sie tief.

Nun fingen auch die Jungfrauen an sich zu beunruhigen. Man hatte die heiligen Schwerter, die seit Jahrhunderten im Tempel hingen, unter sie verteilt. »Was sollen die Schwerter?« fragten sie und ihr unbefangener Blick wanderte staunend von der funkelnden Klinge zu dem, der sie ihnen reichte. Man lächelte ihnen freundlich und achtungsvoll zu, aber man ließ sie in Ungewißheit; man wollte ihnen erst im letzten Augenblicke sagen, daß die Schwerter für sie selbst bestimmt waren.

Plötzlich stießen ein Paar Kinder einen Schrei aus. Ihre scharfen Augen hatten in der Ferne etwas entdeckt. Von der schon in bläulichem Dämmerlichte verschwindenden Spitze des Berges eilte ein Mann, wie in rasender Flucht herab und näherte sich der Stadt.

Aller Blicke richteten sich auf den Ankömmling.

Er nahte gesenkten Hauptes und stützte sich auf einen knorrigen Stab, den er wahrscheinlich unterwegs irgendwo abgerissen hatte.

Da die Sonne ihre letzten Strahlen gerade mitten auf den Berg warf, erkannte man ganz deutlich den großen Mantel, der ihn umhüllte. Der Mann mußte wohl unterwegs gefallen sein, denn Mantel wie Stock waren ganz mit Schmutz bedeckt. Ein Soldat konnte es nicht sein – – er hatte keinen Schild! – –

Mit düsterem Schweigen sah man dem Kommenden entgegen.

Woher kam der Flüchtling? – Es war eine böse Vorbedeutung!

Dieser Aufzug war eines Mannes unwürdig, was wollte er? Suchte er Schutz? Wer verfolgte ihn denn? – Der Feind ohne Zweifel! – So war er also schon nahe! Schon!

In diesem Augenblicke, als das Licht der versinkenden Sonnenscheibe ihn von Kopf bis zu den Füßen beleuchtete, erkannte man deutlich sein Schuhzeug.

Das ganze Volk war plötzlich von Wut und Schrecken erfüllt. Man vergaß die Gegenwart der Jungfrauen, die weißer wie Lilien wurden.

Ein Zornesschrei ertönte! Es war ein Spartaner, es war einer der Dreihundert, man erkannte ihn!

Ein spartanischer Soldat, der feige seinen Schild weggeworfen hatte! Er floh! Und die anderen! Hatten die Tapferen auch Fersengeld gegeben? – Die Aufregung und Angst verzerrte die Gesichter. Das Erscheinen dieses Mannes brachte die Gewißheit der Niederlage! Ach, warum sich ferner noch das große Unglück verhehlen? Sie waren geflohen, alle! Die andern würden folgen, sie würden gleich kommen, hinter ihnen die persischen Reiter. Der Koch schrie, er sähe sie schon durch die Abenddämmerung heran kommen.

Da ertönte ein furchtbarer herzzerreißender Schrei! Ein alter Mann und eine große Frau hatten ihn ausgestoßen. Beide verhüllten trauernd ihr Antlitz nach dem verzweiflungsvollen Ruf: »Mein Sohn!«

Eine wahre Sturmflut von Verwünschungen erhob sich. Man streckte dem Flüchtling die geballten Fäuste entgegen.

»Du irrst dich, dies ist nicht das Schlachtfeld.«

»Lauf nicht so rasch, mäßige deine Eile! Die Perser haben dir Schwert und Schild wohl teuer bezahlt?«

»Ephialtes ist sehr reich!«

»Sieh zur Rechten! Die Gebeine des Pelops, des Herakles und des Pollux liegen da. Du wirst die Geister deiner Väter herauf beschwören, sie werden stolz auf dich sein.«

»Hermes hat dir wohl seine beschwingten Füße geliehen? Du wirst bei den olympischen Spielen den Preis gewinnen!«

Der Soldat schien von all' dem nichts zu verstehen, unbeirrt setzte er seinen Lauf fort.

Daß er weder antwortete, noch stehen blieb, vermehrte den allgemeinen Unmut. Die jungen Mädchen sahen sich betroffen an.

Die Priester riefen: »Elender, du bist mit Kot besudelt, du hast die heilige Mutter Erde nicht geküßt, du hast sie gebissen!«

»Nun ist er vor dem Tore, aber bei den Göttern der Unterwelt, er kommt nicht in die Stadt.«

Tausende von Stimmen riefen: »Zurück, man wird dich in Stücke reißen! – Nein, zurück! Wir wollen uns nicht mit deinem Blute besudeln. Zurück in den Kampf.«

»Fürchte die Schatten der Helden, die dich umgeben.«

»Die Perser werden dir den Kranz und die Leier reichen, geh' und erheit're ihre Feste, elender Sklave!«

Bei diesen Worten sah man die Jungfrauen Spartas die Stirn neigen, sie drückten die Schwerter fest an die Brust, ihre Tränen benetzten die Waffen, die die freien Könige Spartas in alten Zeiten geführt. Sie verstanden jetzt, warum sie ihnen gegeben worden; sie waren bereit, sich für das Vaterland selbst den Tod zu geben. –

Plötzlich drängte eine von ihnen, ein zartes blondes Mädchen, sich bis vorne an den Wall. Man wich achtungsvoll auseinander, um ihr Platz zu machen.

Es war die dem Flüchtling Verlobte, die künftige Gattin.

»Sieh' nicht hin, Simais,« riefen ihre Gefährtinnen ihr zu.

Sie aber ließ ihr ernstes Auge forschend auf dem Manne ruhen, dann bückte sie sich, nahm einen Stein auf und schleuderte ihn auf den Flüchtling.

Der Stein traf den Unglücklichen. Er blickte auf und stand still. Ein heftiges Zittern überfiel ihn: dann senkte er traurig das kaum einen Augenblick erhobene Haupt. Er schien nachzudenken – worüber?

Die Kinder sahen ihn an, die Mütter zeigten mit Fingern auf ihn. Der mächtige, kriegerisch aussehende Koch unterbrach seine Arbeit und verließ seinen Kochtopf. Ein heiliger Zorn machte ihn seine Pflicht vergessen. Er entfernte sich von dem Kessel und drängte sich zu einer Schießscharte in der Mauer. Dann spie er verächtlich auf den Flüchtling und der Wind trug die Zeichen seiner Verachtung auf die Stirn des Elenden.

Allgemeiner Beifall ertönte, man freute sich dieses kräftigen Zornausbruches.

Man war gerächt!

Nachdenklich, müde auf den Stab gelehnt, blickte der Soldat starr auf den offenen Eingang zur Stadt. Aber auf ein Zeichen des Befehlshabers schlossen sich plötzlich die schweren eisernen Torflügel.

Vor der verschlossenen Pforte, die ihn aus Sparta verbannte, fiel der Flüchtling lang ausgestreckt zu Boden.

In dem Augenblick sank die Sonne, rasch brach die Nacht herein. Da stürzten sich die Raben über den Unglücklichen, man klatschte Beifall; aber die schwarzen Flügel der Raubvögel entzogen ihn den Schmähungen der Menschen.

Dann fiel der Tau und netzte den Staub um ihn.

Am andern Morgen waren nur ein paar zerstreute Knochen von dem Manne übrig geblieben. – –

So starb er! Erfüllt von einem Ehrgefühl und einer Tapferkeit, um die die Götter ihn beneideten, mit geschlossenem Auge, um sich nicht durch den Anblick der rauhen Wirklichkeit das schöne Bild zu trüben, das er von dem geliebten Sparta im Herzen trug, wortlos, ohne sich zu verteidigen, fest die Siegespalme an sich drückend und die Heimatserde mit seinem Blute netzend, sank der junge Krieger dahin. Er war der Tapfersten einer gewesen, die den Sieg der Dreihundert errungen. Mit Wunden bedeckt war er dem Befehle seines Führers gehorsam gewesen, hatte Schild und Schwert in den Engpaß geworfen und war mit Aufbietung seiner letzten Kraft gerannt, um Sparta den Ruhm seiner Söhne zu verkünden.

So ging der Bote des Leonidas in den Tod. –


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