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Nur aus den dunkelsten Fernen der Geschichte, und nur selten treten uns die Bilder eines so ungeheuren Verhängnisses entgegen wie die Eroberung Constantinopels durch die Türken. Der Fall dieser Hauptstadt eines großen Reiches und dessen Untergang durch einen grausamen und barbarischen Feind geschah, während bereits die Morgenröthe der neuen Zeit, der Aera der Civilisation und Humanität emporstieg und in die Flammen jener Zerstörung hereinleuchtete. Welch eine Fülle von Jammer und Verzweiflung sah der neunundzwanzigste Mai des Jahres 1453! Was man auch Schlimmes über die Zeiten des byzantinischen Reiches, einer an Gräueln und Schandthaten so reichen Epoche sagen mag, in seinen letzten Tagen offenbarte sich schöner Heldenmuth und Tapferkeit.
Griechische Seeleute erneuerten den Ruhm von Salamis und die wenigen aber auserlesenen Verteidiger der Mauern leisteten einen spartanischen 298 Widerstand gegen die unzähligen Schaaren Mahomets II. Erst der äußerste Mangel an Munition und die völlige Erdrückung der ermüdeten Kämpfer durch die Uebermacht verschaffte den Osmanen den Sieg. Und wieviel ging in diesem Siege zu Grunde!
Wahrlich, eine gerechte Wehmuth ergreift uns, wenn wir des Falles jener Capitale der Christenheit und des Schicksals ihrer unglücklichen Bewohner gedenken! In der langen Reihe von Jahren seit ihrer Gründung standen Künste und Wissenschaften, wenn auch nicht in Blüthe, doch in hohem Ansehen und waren der Stolz und die Erinnerung einer geistreichen Nation an ihre ruhmvolle Vergangenheit geblieben. Es lebten Generationen im schönen und ruhigen Genuß der irdischen Güter, ein glückliches Klima, die reizende Lage der Stadt, ihre fruchtbare und liebliche Umgebung verschönerten das Dasein. Große öffentliche Bauten, Paläste und Gärten schmückten die Rivalin des alten Roms; außerhalb der Mauern lagen schattige Haine und Weinberge, in welchen die Besitzer mit ihren Familien frohe Feste feierten.
Und das Alles ward mit einem Schlage vernichtet, war an einem blutigen Tage mit dem Leben und dem Glücke von Tausenden dahin! Sitte, Recht, Religion, Freiheit, Alles war verloren. Mit fanatischer Grausamkeit wurde von den Türken gewüthet. Knaben und Mädchen aus den besten Familien in den milden Lehren des Christenthums und in allen Angewöh 299nungen edlerer Sitten erzogen, wurden aus ihren Gemächern herausgerissen, an ihren Gürteln und Bändern gebunden und in die Sklaverei fortgeschleppt, Gatten von Gatten, Kinder von ihren Eltern getrennt, und der Brutalität des Siegers preisgegeben.
Kurze Zeit vor dem Beginn der Belagerung war im fernen Osten eine Karawane aufgebrochen, um ein kostbares Kleinod dem Herrscher des byzantinischen Reiches zu überbringen. Es war dies die Tochter eines christlichen Fürsten, dessen Gebiet an den Grenzen Persiens lag und die Königstochter war die Verlobte des unglücklichen letzten Kaisers der Griechen. Lange schon hatte man sich von der märchenhaften Schönheit der Prinzessin erzählt, von ihrem unermeßlichen Reichthum und der echt morgenländischen Weise wie die Verlobung zu Stande gekommen war. Pilger und Kaufleute hatten zuerst die Nachricht von der wunderbaren Blume des Ostens nach Constantinopel gebracht, Kundschafter hatten Alles bestätigt, gegenseitige Geschenke und Uebersendung der Bildnisse hatten die Liebe in den beiden Erwählten angefacht, und nicht minder schien eine Verbindung zweier christlicher Herrscherhäuser erwünscht und erfreulich.
Ohne Ahnung von dem Unglücke, das seit Beginn ihrer Reise über das Reich ihres Verlobten hereingebrochen war, gelangte Helianthe an die Ufer des schwarzen Meeres und bestieg ein Schiff, das sie nach dem schönen Ziele ihrer Brautfahrt 300 bringen sollte. Aber hier erfuhr sie die Belagerung; nichts destoweniger setzte sie ihre Reise fort, ohne den leisesten Zweifel an dem Siege des christlichen Herrschers über die Ungläubigen. Trüber und immer trüber wurden die Botschaften, die ihr entgegenkamen, je mehr sie sich dem Schauplatze des Krieges näherte. Heldenmüthig faßte sie den Entschluß, allen Gefahren zum Trotz nach Constantinopel zu segeln und jedes Geschick mit ihrem Bräutigam zu theilen.
Ruhig unter dem herrlichen Himmel ging das Schiff seine glänzenden Pfade an jenem verhängnißvollen Maitage. In einem seidenen Zelte, das einer Rosenlaube glich, schlummerte die Prinzessin und tiefe Mittagsstille war umher, leichte Lüftchen nur umspielten ihre Stirn und anmuthig hüpften die Wellen um das Fahrzeug. Ringsum war hohe Feier und Friedensstille. Es war die furchtbare Stunde, in welcher Constantin im dichtesten Gewühl der Kämpfenden stand und todesmuthig die letzten Schwertstreiche gegen die andringenden Janitscharen führte. Er hatte den Purpur um seine Schultern geworfen, seine einzige Sorge war, nicht lebend in die Hände des bestialischen Feindes zu kommen.
Er fiel durch den Keulenschlag eines Arnauten.
In diesem Moment fuhr die Prinzessin von ihrem Lager auf, qualvolle Angst sprach aus ihren Zügen und ihre perlengeschmückten Arme zum Himmel hebend rief sie: »O sende, Gütiger, sende uns rasche Lüfte, die mich zu ihm bringen, daß ich 301 an seiner Seite stehe, mit ihm siege, oder wenn es so Dein Wille ist, mit ihm sterbe.« –
Ihre Bitten sollten nicht unerhört bleiben. Mit dem Abend erhob sich wirklich ein leichter Wind, der das Fahrzeug in schnellem Laufe nach der ersehnten Küste zu trieb. Plötzlich gewahrte man ein türkisches Schiff. Helianthe befahl, die Waffen anzulegen und darauf loszusteuern, sie selbst legte sich eine Rüstung um, ihre Augen blitzten vor Freude, gegen die Feinde ihres Verlobten streiten zu können.
»Lasset uns,« rief sie den ihrigen zu, »mit einer kühnen That, mit einem Siege dem Freund entgegenkommen; das sei die Morgengabe, das sei mein hochzeitlicher Gruß an den Bräutigam!«
Bald hatte man das feindliche Fahrzeug erreicht. Die Türken, die keinen Feind vermutheten, waren überrascht, sich so plötzlich angegriffen zu sehen und waren überfallen, ehe sie sich recht zum Kampfe bereitet hatten. Man schlug Brücken von Bord zu Bord, und ein mörderischer Kampf begann, in welchem die Osmanen, auf einen so raschen und heftigen Angriff nicht gefaßt, gänzlich unterlagen. Helianthe mit dem Säbel in der Faust stritt wie eine rasende Penthesilea, schön und furchtbar zugleich, und es lähmte ihr Anblick schon die Gegner. Der Letzte aber, den sie vor sich niederstürzen sah, rief ihr zu, als er das goldene Kreuz auf ihrer Brust erblickte:
»Christin, für die Wunde, die Du mir schlugst, nimm eine tödtliche in Deine Seele – wisse – Constantin, Euer Herr, ist gefallen, Soliman 302 ließ ihm das Haupt abschlagen und Constantinopel ist in unseren Händen. Blicke dorthin, jenes Segel dort, nicht das unsere ist es, welches das Haupt des erschlagenen Kaisers nach Asien überbringt, damit es die Vasallen Mahomets, seine Emire zu schauen bekommen und den Sieg ihres Gebieters erkennen. Gott sei gepriesen, bei Gott allein ist Barmherzigkeit.«
Damit sank er auf die Leichen seiner Mitkämpfer nieder und hauchte sein Leben aus.
Helianthe befahl, unverzüglich das Schiff, das man noch erblicken konnte, zu verfolgen. Noch war ihre Seele zu voll und gehoben von Muth und Kampflust, zu groß gestimmt, um den ganzen Schmerz ihres Verlustes zu fühlen oder zu äußern.
»Ich will es sehen das theure Haupt, das mir im Leben bestimmt war, ich will es küssen, obwohl es todt ist, ich will es erkämpfen und dann bestatten. Eilt, eilt! Setzet alle Segel bei, damit wir es erreichen!«
Ihre Befehle wurden sogleich vollzogen, aber die türkische Galeere hatte einen zu großen Vorsprung und war nicht einzuholen.
Helianthe begab sich an die Spitze des Deckes, wo die Wogen zu ihr emporschlugen, da kniete sie nieder, ihre Augen strengten sich an, den Gegenstand ihrer Verfolgung zu erreichen. Vergeblich!
»O theures Haupt,« seufzte sie, »und ihr Locken, die ihr es umwallt, ihr seid von Blut und Staub bedeckt, wenn ich euch erringe, will ich euch scheiteln 303 und mit den köstlichsten Oelen salben;« aber aus den Wellen klang es zu ihr empor, »wir sind hier, um uns weht der Aether, und des Morgens Hauch duftet um uns.«
Als die Sonne emporstieg, sah man, daß das Schiff mit dem Halbmond in seiner Flagge gelandet war. Helianthe ließ nun ebenfalls nach dem Ufer steuern und dort angekommen, hörte sie, daß eine berittene Schaar landeinwärts sich begeben, und daß ihr Anführer das Haupt des griechischen Kaisers in einer silbernen Kugel am Sattelknopf mit sich führe. In jagender Eile folgte sie – »wehe.« rief sie aus, »die Sonnengluth wird Deine Lippen ausdörren, ehe ich sie erreiche und mit meinen Lippen netze. O süßer Kuß der Vermählung sollst Du uns nicht werden!«
Siehe, da war sie in ein Thal gelangt, ringsum blühten Rosengebüsche und die Zweige hingen voll über sie herein und von den Düften wehte es ihr zu: »Wir sind seine Lippen, suche nicht die des Todten! Sein tapferes Blut ist in uns, siehe nur, wie wir glühen!«
Sie schlug mit dem Säbel eine der Rosen vom Zweige und steckte sie an ihre Brust, aber von der Verfolgung ließ sie nicht ab.
Es wurde Nacht, ihre Begleitung war weit hinter ihr zurückgeblieben – Felsen und Wüstenei umgab sie: »Wehe,« rief sie, »seine Augen sind geschlossen und werden sich nicht mehr öffnen, um meinen liebenden Blicken zu begegnen.«
304 Da schien es ihr von den Sternen herabzuwinken – »wir sind hier. Komm! Wir sind in der Gottheit ewigem Wesen und eins mit ihr. Komm!« –
Da sank sie todt vom Pferde und ihre Seele vermählte sich in Gott mit dem Erkorenen.
Berliner Buchdruckerei-Actien-Gesellschaft
Setzerinnenschule des Lette-Vereins.