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Die beiden Wagenlenker.

2 3

I.

Justinian und Theodora herrschten in Constantinopel und über die Länder des Orients. Es war eine Zeit der Knechtschaft und Genußsucht, eine Zeit der Gewalt und Heuchelei. Das junge Christenthum mit den Keimen alles Guten, um die Menschheit einem bessern Zustande entgegenzuführen, war in den Staatsdienst getreten, und ganz und gar veräußerlicht geworden. Spitzfindige Auslegungen, unterschobene Bücher auf der einen Seite, auf der anderen die niederträchtigste Habsucht, das rücksichtsloseste Vorgehen, in der Absicht die Güter der heidnischen Tempel zu plündern, Angeberei und Proselytenmacherei und das erbärmlichste Kriechen vor der weltlichen Gewalt, um sie als Deckmantel von Verbrechen zu benützen, das charakterisirt die Physiognomie jener Epoche.

Justinian war gern bemüht, wie er die Rechtswissenschaft in ein Buch der Dogmen gesammelt hatte, auch die Dogmen des Glaubens zu einer Staatssache zu machen und ihrem Vollzug den Arm der strafenden Gerechtigkeit zu leihen. Theodora betete und zog alle wallfahrenden Magdalenen in ihre Umgebung; die 4 Juden handelten mit christlichen Heiligenbildern, und diejenigen Christen, welche für heilig gelten wollten, handelten mit Glaubensartikeln.

Ein zweiter Faktor der Umgestaltung des alten Kulturzustandes und eines neueren und frischeren Lebens, die germanische Völkerkraft mit ihrer ungebändigten Freiheitslust und ihrem ursprünglichen Sinn für das Wackere und Rechte, auch dieses Element der Verjüngung war vergiftet und in den Todeskampf der absterbenden Welt hineingezogen. Viele der deutschen Stämme, welche auf der Wanderung neue Reiche gegründet hatten, waren durch Ueberlistung und wohl auch durch die noch immer überlegene Heereszucht der Oströmer erdrückt worden, viele der germanischen Edlen rechneten es sich zur höchsten Ehre, Kriegsdienste in Byzanz zu nehmen, oder sich um Hofstellen bei dem Kaiser Constantinopels zu bewerben. In Bälde waren sie nicht besser, als ihre Verderber.

In dieser traurigen Zeit hatte sich um die Ueberreste Olympias in dem Thal, durch welches der Alpheios noch immer seine bald klaren, bald aufgewühlten Bergwässer rollte, eine Kolonie alter Anhänger und heimlicher Bekenner des heidnischen Gottesdienstes vereinigt, meistens Kaufleute aus den Seestädten Griechenlands und der Inseln, welche, nachdem Handel und Kauffahrtei durch räuberische Barbaren vernichtet waren, sich hierher zurückgezogen und die geretteten Trümmer ihres früheren Reichthums darauf verwendet hatten, das alte Olympia wieder in würdiger Weise herzustellen. 5 Die langjährige Verheerung der Provinz kam ihnen hiebei zu statten, denn keine der ins nördliche Hellas eingedrungenen Horden vermuthete hinter den menschenöden Gegenden diese Oase der Geflüchteten, sondern die Feinde wandten sich, nachdem sie einige Tagmärsche gegen Olympia vorgerückt waren, anderen Theilen des Reiches zu, wo ihnen reichere Beute zu winken schien.

Die Ansiedler waren nun weniger darauf bedacht, sich Paläste oder prachtvolle Villen zu bauen, als vielmehr die heiligen Stätten wieder in den früheren Stand zu setzen, die Tempel, die Schatzhäuser, die Altäre und die übrigen für die Tage der Festlichkeiten bestimmten Gebäude wieder aufzurichten. Durch ein Erdbeben waren vor Kurzem Bildsäulen und Tempel eingestürzt, und vorher hatten hier die Gothen ihre Lagerfeuer angezündet. Aber gerade die Zerstörung verlieh den heiligen Orten ein eigenthümliches und wunderbares Aussehen. Es waren die Statuen der Götter und Heroen, die einen von ihren Piedestalen weggerückt und an die Mauern und Felsen angelehnt, die anderen, die ganz herabgestürzt, schienen in dem hochaufgeschossenen Grase zu lagern; der Epheu hatte sie mit lebendigen Kränzen umwunden, und einige sahen sogar aus, als ob sie sich aneinander schmiegten, kurz, es war, als hätte ein Strahl des Lebens die marmornen und ehernen Gestalten durchblitzt, und sie wollten ihre Befreiung aus den starren Banden des Steines und Erzes zu feiern beginnen.

Die gegenwärtigen Besitzer des 6 Bodens aber ließen es sich angelegen sein, die Statuen wieder aufzurichten, sie hatten daher Künstler und Kenner aus Alexandria kommen lassen, welche die Bruchstücke zusammensetzten und an ihre früheren Stellen brachten, dadurch hatte sich ein lebhafter Verkehr und ein rühriges Zusammenleben gebildet, und bald kam man auch auf den Gedanken, die olympischen Spiele zu feiern wie in der Vorzeit.

Der Versuch, schon der erste fiel glänzender aus als man erwartet hatte. Nach zwei Jahren wurde das Fest in bedeutenderer Weise wiederholt, und bei einer der nächstfolgenden Feier waren die Söhne des Aristodämon, des ältesten und angesehensten der Ansiedler, zum erstenmal Sieger geworden. Diese Brüder hießen Adrast und Admet und waren Jünglinge von besonderer Schönheit und Kraft, die recht an die Kämpfer der althelenischen Zeit erinnern konnten. Sie waren auch in den nächstfolgenden Jahren nicht weniger glücklich und errangen den Kranz, der ebenso einfach war und ihnen ebenso ruhmvoll dünkte, wie er es in den vergangenen Zeiten gewesen. Fand sich auch kein zweiter Pindar, der ihr Lob verherrlichte, so wurden doch bei dieser Gelegenheit die alten Gesänge wieder vorgetragen, und der Ruhm, den die neuen Sieger sich erwarben, drang über Olympia und die nächste Umgebung hinaus, bis in die benachbarten Städte und weiter und weiter.

Aber eben dadurch wurde das Unglück über sie hereingeführt und ihr Untergang vorbereitet. Mönche hatten sich seit einiger Zeit nicht unfern 7 von Olympia niedergelassen und ein Kloster gegründet. Sie beschwerten sich in Constantinopel über die Einführung heidnischer Gebräuche in ihrer Nachbarschaft, und die Folge davon war ein Edikt, durch welches bei Todesstrafe die fernere Feier der olympischen Spiele verboten wurde. Nun beschlossen die Ansiedler, eine Gesandtschaft nach Byzanz um Zurücknahme der harten Verordnung zu schicken, und die beiden Jünglinge wurden ausersehen, als Vertreter dieser Angelegenheit die Gerechtigkeit des Kaisers anzurufen. Was ihnen an Erfahrung und Weltklugheit fehlte, das sollten sie durch die Liebenswürdigkeit ihrer Erscheinung ersetzen, und man hoffte davon mehr als von jeder andern Weise die gewünschte Wirkung zu erzielen.

Vorher aber trat ein anderes schreckensvolles Ereigniß ein: die frommen Männer, nicht zufrieden mit dem bloßen Verbote und weil sie schon auf eine ergiebige Verfolgung sich gefaßt gemacht hatten, hetzten einen der slavischen Stämme, die ins nördliche Griechenland eingedrungen waren, zu einem Raubzug gegen Olympia auf. Die Horde, durch Schilderung des dortigen Reichthums lüstern gemacht, zögerte nicht, der Aufforderung nachzukommen. Sie brachen in das wenig befestigte Thal ein, zerstörten und mordeten mehrere Tage lang schonungslos in den ewig denkwürdigen Stätten einer so ruhmvollen Vorzeit.

Unter den Einzelnen, denen es gelang, sich zu retten, befanden sich auch die Brüder. Sie halfen sich gegenseitig, den greisen Vater in Sicherheit zu 8 bringen, indem abwechselnd der Eine ihn trug, der Andere mit Schwert und Schild die nachfolgenden Feinde über den Felspfaden zurückhielt. So kamen sie zur nächsten Seestadt. Hier starb ihr Vater, erschöpft von den Anstrengungen der Flucht. Die Jünglinge mietheten sich in ein Fahrzeug ein, das nach der Hauptstadt fuhr, und waren entschlossen, wenn schon sie ihren eigentlichen Zweck, den Auftrag der Bewohner von Olympia nicht mehr erfüllen konnten, doch ihr Fortkommen dort zu suchen. Vielleicht würde ihnen das Glück lächeln, dachten sie.

Es war Spätherbst und sie langten erst nach einer andauernd stürmischen Fahrt im Hafen von Constantinopel an. Eine der Herbergen in Nähe des Landungsplatzes nahm sie auf. Da es eben Festtag war, so folgten sie nach kurzem Ausruhen dem Menschenstrom in eine Kirche. Bald verharrten sie in Staunen vor vergoldeten Holzfiguren, welche in einer steifen, harten Manier gebildet, die Apostel Petrus und Paulus darstellen sollten.

»Glaubst Du nicht, daß es die Dioskuren, Castor und Polydeukes sind,« bemerkte Admet, der Jüngere.

»Wozu denn,« wendete sein Bruder ein, »tragen sie Schlüssel und Schwert? Ich glaube vielmehr, daß sie Todtenführer und Richter der Unterirdischen vorzustellen bestimmt sind, sieh' nur, wie ernst und furchtbar sie auf uns herabblicken.«

»Oder Flurgötter,« fügte der Jüngere hinzu, 9 »sieh' nur, wie sie bärtig sind; und außer hier die Wache zu halten, scheint ihnen alles gleichgültig.«

Die Brüder bemerkten nicht, daß, während sie so sprachen, eine ziemliche Anzahl Menschen sich um sie gesammelt hatte, daß mit Neugierde ihren Worten gelauscht wurde und daß ein Murmeln der erstaunten Menschen sie begleitete. Ein am Boden Knieender, der mit ausgebreiteten Armen Gebete hersagte, beobachtete sie besonders scharf. Endlich trat ein älterer Mann in einer dem Priesteranzug ähnlichen Kleidung auf sie zu und sprach: »Ihr Jünglinge, die Ihr unterrichtet sein wollt über diese heiligen Gestalten, macht Euch auf, folget mir! Ich werde Euch belehren.«

Sie sahen sich gegenseitig an und gingen dann, da keiner etwas dagegen hatte, hinter ihm drein. Er führte sie in einen spärlich erleuchteten Raum hinter dem Altare und versuchte die Thür zu schließen, allein die dicht nachdrängende Menge verhinderte ihn daran. Er öffnete aber rasch eine zweite Thür, die in der Mauer völlig unsichtbar gewesen war, und drängte den Jüngern mit sich hinein. Da ward ein Ruf, wie ein Warnruf gehört, und während Adrast sich umblickte, hatte sich die Pforte, durch welche der Alte seinen Bruder mit hineingezogen, wieder geschlossen. Im Begriffe nachzudringen, fühlte er sich von den Umstehenden ergriffen, und zurückgerissen. Eh' er wußte, wie ihm geschah, war Admet vor seinen Augen verschwunden, und selbst die Spur des Eingangs, in 10 den er ihn eben hatte treten sehen, war nicht mehr wahrnehmbar.

»O, Knabe,« riefen die Umstehenden ihm zu, »Dein Bruder ist verloren, danke Du Gott, daß wir Dich aus der Gewalt dieses Menschen errettet haben.«

»Wo ist er? – mein Bruder, helft ihn mir befreien!« schrie Adrast auf – »ich will nicht ohne ihn leben!«

Er blickte starr und flehend um sich, aber kein Mitleid begegnete seinen Augen, keine Hülfe. Nach einer Weile, indeß Thränen ihm entstürzten, trat ein Mann, etwas älter als er und von hoher athletischer Gestalt, auf ihn zu und sagte: »Du verlangst Unmögliches, in diesem Augenblick ist nichts zu thun, aber komm mit uns, und wir wollen auf Mittel und Wege denken, Deinen Bruder zu befreien. Kannst Du Etwas? Hast Du eine Kunst, eine Wissenschaft gelernt, bist Du eines Gewerbes kundig?«

Adrast blickte traurig zu Boden und schwieg, er hatte kaum gehört, was man ihn gefragt.

»Warum seid Ihr denn eigentlich hierher gekommen, Fremdlinge, denn das seid Ihr,« frug Jener wieder.

Jetzt blickte Adrast auf und erwiderte: »Wir wollten die Wagenrennen sehen und uns daran betheiligen – uns're eignen Pferde haben wir nicht mitgebracht, aber wir hatten vor, uns hier welche zu kaufen und sie für den Wettkampf einzuüben.«

11 »Ah,« rief der Byzantiner, »da bist Du, indem Du uns gefunden, zu den rechten Männern gekommen. Wir sind Wagenlenker von der grünen Genossenschaft, halte zu uns, erwähle Dir die Farbe der Meeresfluth und des Frühlings.«

»Ich verstehe Dich nicht,« sagte der Fremde.

»Nicht? Nun, so höre denn! aber komm,« damit faßte er ihn unter den Arm und führte ihn mit sich fort. »Wir sind die Diener reicher und vornehmer Herren und an jenen Tagen, an welchen die Wettrennen gehalten werden, lenken wir ihre Wagen, wir sind in Grün gekleidet, in ihre Lieblingsfarbe, sie bedeutet das Element des Wassers und den neu erwachenden Frühling. Unsere Siege bringen fruchtbare Jahre und glückliche Seefahrt.«

»Wie?« fragte Adrast, »Ihr ringt und wettstreitet nicht für Euren eignen Ruhm und den Ruhm Eurer Vaterstadt?«

»Nein! Wir sind nichts als Knechte.«

»Und was ist der Preis Eures Sieges?«

»Gold und Beifall der Zuschauer.«

»Gold?« fragte der Hellene, »bei uns in Olympia waren wir glücklich genug, einen Oelzweig zu erringen, einen Kranz vom Fichtenbaum, freilich aber lohnte uns zugleich die Liebe der Mitbürger und ein unsterblicher Nachruhm.«

»Auf den Nachruhm verzichten wir,« lachte der Byzantiner, »und das Uebrige, Kränze, Huldigungen und so weiter, kaufen wir; hier in Byzanz ist alles Waare, der Beifall, das Verdienst, die 12 Liebe. Aber nun sollst Du auch die Anderen Deiner künftigen Genossen sehen und kennen lernen; wenn Du wirklich Pferde zu lenken verstehst und bei uns eintreten willst.«

»Davon sollst Du bald Beweise sehen,« rief Adrast.

»Schön!« gab ihm sein Begleiter zurück, »und sei überzeugt, daß wir nichts versäumen werden, um Deinen Bruder zu befreien. Doch siehe, wir sind am Ziele!«

Hiermit wies er auf ein hohes Gebäude, das von Mauern umschlossen, in Mitte eines freien Platzes am Ende der Straße lag und ein etwas düsteres Aussehen darbot. Wenigstens auf Adrast schien es diesen Eindruck zu machen, und er hemmte beinahe unwillkürlich seine Schritte, als er seiner ansichtig wurde. Auf ein von Lykortas, so hieß nämlich sein neuer Freund, gegebenes Zeichen, öffnete sich ein gewaltiges Erzthor, worauf in getriebener Arbeit Pferdebändiger abgebildet waren. Er trat hinein, mehr geführt als aus freiem Antrieb. Stumpf und halb bewußtlos ließ er sich auf eine Steinbank in dem Hofe nieder, drückte den Kopf in beide Hände und heftiges Schluchzen brach aus seinem Innersten. Was war nicht alles in den wenigen Stunden seit seiner Ankunft in ihm vorgegangen, welche Erlebnisse hatten ihn bestürmt! Kein Wunder, daß sein ganzes Selbst aus den Fugen zu gehen drohte. –

Schon dunkelte der Abend herein: sein Freund ließ ihn nicht warten, 13 er trat auf ihn zu und klopfte ihm sanft auf die Schulter.

»Es ist Zeit, daß ich Dich mit Deinem neuen Aufenthalt bekannt mache, Du wirst Dein Lager neben dem meinigen aufschlagen, wir wollen vorerst Dein Reisegeräth aus der Herberge holen und dann unsere Reise der Nachforschung antreten. Du darfst Dich nicht mehr allein in die Straße wagen, es muß Dich stets einer der Unsrigen begleiten, denn auch von uns geht keiner allein. Du sollst später hören, welche Gefahren Dir drohen.«

Adrast erhob sich, die Hoffnung, etwas von seinem Bruder erfahren zu können, schon die Aussicht, etwas dafür zu thun, belebte ihn aufs Neue. Nachdem sie die bevölkerten Stadttheile verlassen hatten, führte Lykortas seinen jungen Freund in ein Gebäude, dessen Inneres sich ihm beim Eintritt als eine tiefe Halle mit mächtigem Gewölbe zeigte, welch letzteres auf korinthischen Säulen ruhte. Ihr erster Blick fiel auf einen langen Zug von Männern und Frauen mit Körben auf dem Haupte, den Gestalten ähnlich, die zwischen den Säulen an den Wänden in erhabener Arbeit dargestellt waren. In Mitte des Zuges ging ein Mädchen von auffallender Erscheinung. Sie ragte an Größe über alle die neben ihr gingen und war in gleichem Maße von kräftiger und dabei graciös jugendlicher Gestalt. Aus dem vollen Oval des Gesichtes leuchteten dunkle Augen, lange schwarze Locken fielen über ihre Schultern, und von den blühenden Lippen kamen die Worte:

»Gepriesenes Jahr, 14 das uns die himmlischen Mächte schenkten, das sie mit solcher Fülle ihrer Gaben überschütteten! Alle diese Räume fassen kaum noch den Segen der heurigen Ernte.«

Während sie dieses sprach, ruhten ihre Blicke auf den Stellen und Lagen, welche ringsum an der Mauer angebracht und mit Getreide und Früchten aller Art belastet waren. Wie die beiden Eingetretenen ihr folgten und weiter in das Innere der Halle, die früher ein Dionysostempel gewesen zu sein schien, vorschritten, so gewahrten sie überall in Körben und auf Palmblättern aufgeschichtet lange Reihen von Datteln, Granaten, Mandeln und Feigen zum Theil noch mit den grünenden Zweigen, bald geschmackvoll geordnet, bald in reizender Verwirrung durcheinander geworfen. Von allen Seiten her strömte der Wohlgeruch köstlicher Früchte.

Das Mädchen hatte, nachdem es die halbe Länge der Halle durchschritten, in einer etwas erhöhten Nische, zu welcher einige Stufen emporführten, Platz genommen. Sie schien so ganz und gar in die Umgebung zu passen. Ueber und um sie hingen in Guirlanden die Trauben des Chersoneses, der alten Heimat des Weinstockes, und sie saß unter diesen üppigen Rebgewinden, wie die Schutzgöttin des Gartens, aus dem alle diese reichen Erträgnisse kamen.

Mit ihren großen, beherrschenden Augen sah sie auf die Fremdlinge, und um die vollen Lippen flog ein verwundertes Lächeln. Nachdem sie mit einem Kopfnicken Lykortas als Bekannten gegrüßt, 15 erhob sie sich und geleitete die jungen Männer in ein an das Gewölbe stoßendes Gemach, wo ringsherum an den Wänden mächtige Amphoren standen; hierauf entfernte sie sich.

»Mävo,« rief hier Lykortas, »Mävo erhebe Dich, wir bedürfen Deiner!« –

»Kommst Du immer,« gab eine Stimme hinter den Steinkrügen zur Antwort, »wenn ich mir das Vergnügen gönne, die alten Inschriften auf dieser oder jener Amphora zu entziffern? Ist es nicht wohlthuend zu sehen, daß auch in vergangenen Tagen hier Zecher saßen und die Einfälle ihrer Weinlaune in diese Wohnungen des edelsten Geistes eingruben!«

»Ich hatte gedacht,« erwiderte Lykortas, »ihr Inhalt beschäftige Dich mehr, als die Außenseite, aber komme hervor und ertheil' uns Rath und Bescheid.«

Auf dies richtete sich eine kleine rundlichte Gestalt hinter einem der Mischkrüge empor, und frug: »Was heischt Ihr von mir?«

»Höre,« versetzte Lykortas, »diesem Jüngling, der kaum in Byzanz eingetroffen ist, wurde sein Bruder auf unerklärliche Weise entrissen. Er war in die Kirche der Apostel getreten und einem der Kirchendiener gefolgt, als sich plötzlich eine Thür öffnete, um ihn einzulassen, zu verschlingen hätte ich sagen sollen, denn er ist nicht mehr zurückgekehrt. Du bist der Mann, dem in dem unermeßlichen Constantinopel nichts unbekannt bleibt, erkunde, 16 oder prophezeie uns meinetwegen, wohin der Unglückliche gekommen ist, denn ihm ist gewiß etwas Entsetzliches zugestoßen.«

»Nenne ihn vielmehr einen Glücklichen,« antwortete Mävo, und seine wulstigen Lippen verzogen sich zu einem hämischen Lachen, während seine tiefliegenden Augen stechende Blicke unter den buschigen Augenbrauen hervorblitzten. »Der ist aufgenommen in den Schoß der Bevorzugten.«

»Glaubst Du,« fiel ihm jetzt Adrast ins Wort, »glaubst Du, er lebt noch, wo vermuthest Du ihn?«

»Wo?« sprach Mävo gedehnt, »wo? – nun so wisset und es ist bald nirgends mehr ein Geheimniß, daß eine Verbindung von Bösewichtern besteht, deren einer Theil es sich zur Aufgabe macht, Fremdlinge in den Straßen zu überfallen und leicht zu verwunden. Die anderen eilen dann herbei und retten scheinbar die Getroffenen, die meist von Schrecken oder Schlägen betäubt daliegen, und bringen sie in eines der Hospitäler, welche unsre fromme Kaiserin Theodora gestiftet hat. Dafür erhalten sie reiche Belohnung und dies ist der gemeinschaftliche Lebensunterhalt dieser satanischen Bande, die schon so viel Kummer und Verwirrung über uns gebracht hat.«

»Und glaubst Du, daß mein Bruder in ihre Hände gerieth?«

»Ich vermuthe es,« erwiderte der Kleine.

»Aber an einem so heiligen Orte?«

»Sie haben überall ihre Mithelfer, unter allen 17 Ständen und an allen Orten. In wenigen Tagen hoffe ich Dir genügende Auskunft geben zu können.«

Das Mädchen trat ein, stellte einen Korb mit Früchten auf den Tisch und füllte die Becher. Adrast sah mit einer aus Verwunderung und Andacht gemischten Empfindung in ihr schönes Gesicht. Worte fand er keine, doch ihre Blicke begegneten sich neugierig und forschend, wie dies bei Menschen, besonders bei jugendlichen, die sich zum erstenmale sehen, der Fall ist.

»Du bist traurig,« redete sie ihn an, »darum will ich Dir kredenzen, trinke, damit Du Muth und Freude gewinnst aus dem Inhalt dieses Bechers. Und auch Du,« wandte sie sich an Lykortas, »auch Du ermuntere Deinen Freund; Euch Beiden möge sich Alles zum Guten wenden!«

Damit ließ sie die Freunde allein, die nun ihre Hoffnungen und Befürchtungen austauschten. Es währte nicht lange, so wurde heftig an die Thore gepocht, die, wie Adrast jetzt erst bemerkte, von innen mit gewaltigen Eichenkloben gesperrt waren. Dem Pochen folgte bald ein wildes Geschrei, dem von der Halle aus nur das Heulen der großen Hunde Antwort gab; dann folgte ein Hagel geschleuderter Steine, so daß das Thor davon erbebte. Man hatte es offenbar darauf abgesehen, gewaltsam einzudringen. Alle sahen sich bestürzt an, der Kleine war eiligst hinter eine Amphora gekrochen, nur das Mädchen blieb ruhig und sagte: »Sie werden bald abziehen, da sie die Hunde hörten.«

18 »Es sind die Blauen,« fügte Lykortas hinzu, »aber das Thor ist fest genug, um ihrem Angriff zu trotzen. Dir ist noch nicht bekannt,« wandte er sich an Adrast, während der Lärm draußen seltener wurde und bald ganz aufhörte, »daß unter den Blauen jene andere Genossenschaft von Wagenlenkern verstanden ist, welche unsere Wetteiferer, unsere Feinde, und da sie der besonderen Gunst Justinians und des Hofes genießen, auch unsere Bedränger und Peiniger sind. Ohne Zweifel steht auch die Bande, von der Du eben hörtest, mit diesen unsern Widersachern im Bündniß. Es giebt keine Beleidigung, die sie uns nicht zufügen, wo sie können, und Gerechtigkeit gegen sie zu finden, ist unmöglich; ja, wenn wir uns endlich selbst rächen und unsere Mißhandler verdientermaßen züchtigen, so haben wir vor den Gerichten die Strafe zu gewärtigen, während jene stets freigesprochen werden. Nun findet nächstens ein großes Wagenrennen im Hippodrom statt – ungeheure Wetten über unsere Leistungen sind schon gemacht, und es heißt, wir werden diesmal Sieger bleiben, deshalb sind sie uns doppelt aufsässig und besonders auf mich haben sie es abgesehen, einmal weil ich schon öfters Einen und den Andern überflügelt habe, und dann, weil jenes Mädchen mich als den Ersten unserer Genossenschaft ausgezeichnet und aus ihrer Vorliebe für uns keineswegs ein Geheimniß macht. Sie hat mir schon öfters bei den Wettrennen einen Kranz zugeworfen.«

19 »Wie glücklich Du bist!« rief Adrast aus.

Lykortas fuhr fort: »Sie schwebt deshalb auch stets in Gefahr von ihnen beleidigt zu werden; ja, ich fürchte sogar, man geht damit um, sie gefangen nehmen zu lassen, – denn –« hier hielt der Sprecher plötzlich inne, und Adrast warf einen Blick der Verwunderung auf Dione und dann auf ihren Geliebten, denn als der galt ihm Lykortas, und ein wunderbares Gefühl bewegte sein junges Herz. Der Kleine kam wieder hervor, und wußte ebenfalls von Unthaten der Blauen und ihrer Straflosigkeit zu erzählen.

»Aber für Dione,« rief er aus, »besorge ich nichts, sie hat einen überaus kühnen Muth und hält Sklaven und Hunde, welche sie vertheidigen werden.«

»Wenn aber eine geheime Anklage –« warf ihm Lykortas ein, »sie vor Gericht fordern sollte, Du weißt, daß man schon einmal daran war, sie des Hochverrats zu beschuldigen.«

»Und, wie damals,« sagte lachend der Kleine, »wird sie auch in Zukunft Vermögen genug besitzen, um einen günstigen Urtheilsspruch zu erkaufen.«

Lykortas hatte hierauf nichts einzuwenden, sondern saß vertieft in Gedanken und brütete vor sich hin.

»Dieses Mädchen und eines Hochverrats angeklagt,« sprach Adrast verwundert zu sich selbst, »wie ist das möglich?«

20 Nach einigem Schweigen erhob sich Lykortas zuerst und ermahnte seine Freunde zur Heimkehr, da sie nun die Straße wieder sicher finden würden. Er führte den Jüngling entlang dem Meeresufer ihrem beiderseitigen Standquartiere zu; daselbst angekommen, warf sich Adrast auf sein Lager und sank voll Ermüdung bald in tiefen Schlaf.

»Er schläft schon,« sagte Lykortas, der nochmals an das Lager seines jungen Genossen gekommen war, »er schläft schon – armer Knabe, Dein Erwachen wird nie wieder so süß sein, wie in Deiner Heimat, bald wirst Du entweder so hart und stumpf, wie wir Andern, oder Verzweiflung wird Dein Herz zerreißen. Du bist schön und jung, ich will, so lang' es geht, Dein Beschützer sein!«

Er ging und warf sich gleichfalls auf sein Lager. Tiefe Stille war. Kein Fenster in der dumpfen Zelle ließ auf die kräftigen Gestalten der beiden Schläfer einen Strahl des vollen Mondlichts ein, wie es draußen die Kuppeln und Zinnen der Hauptstadt Ostroms beleuchtete, keine Lampe warf ihren Schimmer auf sie, von allen den unzähligen, wie sie in den Kirchen die vergoldeten Gebeine der Märtyrer umschlossen, aber sie schliefen, und ihre Träume führten sie von da hinweg, den Einen an das Ufer des Alpheios, den Andern in die Rennbahn.

In aller Frühe des nächsten Morgens ward Adrast durch den Lärm vor seinem Gemach, das Stampfen und Wiehern der Pferde, 21 durch die Rufe der Diener und seiner neuen Freunde geweckt. Er trat hinaus und wurde allseitig begrüßt. Die Probe einer Umfahrt fiel glänzend aus. Man jauchzte ihm zu, man umarmte ihn, und Jedermann äußerte sich dahin, daß die Genossenschaft in ihm einen neuen Zuwachs, eine Errungenschaft erhalten habe, die ihr zum Sieg über die Gegenpartei verhelfen müsse. Bei dieser Gelegenheit vernahm er die Bestätigung all der Klagen, Verwünschungen und Drohworte gegen die verhaßten Gegner, wie sie ihm schon von Lykortas anvertraut worden waren. Auch ihres hohen Beschützers wurde dabei in nicht sehr geziemender Weise gedacht.

»Der meineidige Tyrann,« rief Theophanes aus, »hätte nie sein Vater gelebt, der ihn der Welt zum Unheil erzeugte!«

»Widerrufe!« schrie ihm ein Andrer zu, »er hat nie einen Vater gehabt!«

»Nein,« hohnlachte ein Dritter, »er ist von Anfang an, wie Theodora, seine Gattin, ohne Ende!«

Alle lachten, – dann rief ein Vierter: »Stille! Schweigt, wenn man uns verriethe, könnt es uns allen an den Hals gehen.«

»Ha,« rief Theophanes wieder, »das getraue ich mir dem Kaiser ins Gesicht zu sagen, Ihr sollt mich steinigen, wenn ich es nicht wage.«

»Das wird nicht nöthig sein,« ward ihm entgegnet, »man läßt Dich gar nicht zu Worte kommen.«

22 »Wir wetten, daß er es wagt,« riefen einige seiner Freunde und boten hohen Einsatz. Viele reckten ihre Arme empor und leisteten Schwüre bei Göttern und Heiligen. Es war ein wilder und aufregender Anblick, diese Gestalten zu sehen: hier die schlanken, gluthäugigen Araber, dort breitschulterige Thracier, alle von dem gleichen Hasse gegen ihre Verächter beseelt. In diesem Augenblicke trat eine Anzahl reichgekleideter Männer in den Hof. Es waren Senatoren, jene Vornehmen, auf deren Kosten die Partei der Grünen unterhalten wurde. Jeder derselben sammelte seine Wagenlenker um sich, fragte nach den Pferden, dem Gespannzeug, ihrem eigenen Befinden und welche Aussicht sie hätten, die Preise zu erringen und was sie etwa bedürften. Sie ließen es nicht an Geschenken und Versprechen fehlen, um die Leute anzufeuern.

Admet stand allein und etwas abseits und schaute mißvergnügt auf dieses, ihm nicht sehr ehrenvoll dünkende Schauspiel. Da näherte sich ihm Einer aus der Schaar der Vornehmen, ein junger Mann von höchst elegantem Aeußern. Er war ganz in die Tracht der Wagenlenker selbst gekleidet, das weite Uebergewand mit den enganliegenden Aermeln trug das barbarische Gepräge der Mode jener Zeit: über die gleichfalls nach hunnischer Art enganliegenden Beinkleider schlossen sich safranfarbene Stiefel und als Kopfbedeckung trug er eine der phrygischen ähnliche, oben abgestumpfte Mütze, 23 unter welcher das lange Haar auf die Schultern herabfiel.

»Wessen bist Du,« frug er den Griechen, »wem gehörst Du?«

»Ich gehöre Niemand,« antwortete Adrast, »ich bin ein freigeborner Hellene.«

»Wie kamst Du hierher?«

»Ein Fremdling, und von diesen Männern gastlich aufgenommen.«

»Verstehst Du Dich auf ihre Kunst?«

»Ja,« riefen mehrere der Nebenanstehenden, als Adrast zu sprechen zögerte, »er ist vortrefflich.«

»Nun –« sagte der junge Mann im freundlichsten Tone, »möchtest Du nicht mein Gespann lenken, Du könntest bei mir bleiben, ich würde Dich mehr wie einen Freund, als wie einen Diener halten.«

»Die Noth zwingt mich, und Deine Worte erleichtern es mir, auf Dein Anerbieten einzugehen.«

»Gut,« sagte der Patrizier, indem er seine Hand auf die Schulter des Angeredeten legte und in einem etwas weniger angenehmen Ton seiner Stimme, »ich werde Dir das schönste Gespann aussuchen, das in Konstantinopel aufzutreiben ist, übe Dich damit für den Tag des Wagenrennens, ich erwarte, daß Du mir und Dir Ehre machest. Hier meine Hand.«

Adrast schlug ein und sein neuer Herr umarmte und küßte ihn. Dann entfernte er sich rasch, indem er mit huldreicher Handbewegung einige Mal 24 zurückwinkte. Alles drängte sich um Adrast und beglückwünschte ihn, einen solchen Gönner gefunden zu haben.

»Es ist Hypathius, der Neffe des verstorbenen Kaisers,« sagten sie, »der mächtigste Mann im Reiche nach Justinian selbst.«

»Und sein Feind,« fügten Einige mit Hohn hinzu.

»Und vielleicht sein Nachfolger,« rief ein Dritter.

Lykortas kam ebenfalls auf seinen Freund zugeschritten und sagte, ohne seiner neuen Stellung zu erwähnen: »Erwarte mich heute Abend, wir werden die Nachforschungen nach Deinem Bruder fortsetzen.«

Adrast, der sich durch die vorhergegangenen Andeutungen unangenehm berührt gefühlt hatte, war froh, daß seine Gedanken wieder in eine Bahn gelenkt wurden, die seinen Erwartungen am nächsten lag, in der seine Aussichten und Wünsche sich wieder sammeln konnten. Um Mittag brachten ihm Diener des Hypathius die versprochenen Pferde, prachtvolle persische Renner und einen leichten, goldverzierten Wagen, mehrere Anzüge, Trinkbecher, wohlriechende Salben und eine namhafte Summe Goldes. Die Anderen unterhielten sich indeß über den neu gewonnenen Gefährten.

»Es ist etwas Heiliges, Göttliches um ihn,« rief Georgius aus.

»Ha,« lachte Philemon, »warte nur, bis er 25 erst einige Monate lang unter uns zugebracht und Dienste gethan hat, dann wirst Du sehen, daß nicht mehr Heiliges an ihm sein wird als an uns Allen.«

»Nun,« warf Timokrates dazwischen, »er ist gut genährt, wohl erzogen und kommt aus frischer Luft, das ist Alles.«

»Aber er ist unser,« begann Georgius hinwieder, »und damit Glück ihm und Heil!«

Alle riefen es nach und warfen ihre Mützen in die Höhe.

Am Abend schritten die Freunde dem Hause Dionens zu, in der Hoffnung, ihren Kundschafter zu treffen und günstige Nachrichten zu hören. Diese Hoffnung wurde getäuscht: Mävo war nicht erschienen.

Dagegen bemerkte Adrast, als sie das Gewölbe betraten, daß Dione, für die er so viel Bewunderung hegte, sich in vertrauter Weise mit einem Manne unterhielt, in welchem er den Verwandten Justinians zu erkennen glaubte, als dieser bei Ankunft der neuen Gäste, ohne sie zu grüßen, sich entfernte. Lykortas, dem er seine Beobachtung mittheilte, schien darüber weder erstaunt zu sein, noch sich in seinem Benehmen gegen Dione zu ändern; er sagte zu Adrast mit kalter Miene und einem eigenen, schneidenden Ton seiner Stimme:

»Wundere Dich nicht, daß ich dem Mädchen, das ich liebe, deshalb nicht zürne – hier in Byzanz ist es Sitte und es gilt sogar für ehrenvoll, sich in die 26 Gunst einer Schönheit wie Dione mit einem Vornehmen zu theilen. Wär' er ein Andrer, einer von unsern Gegnern, so säß ihm mein Dolch schon längst zwischen den Rippen, aber Hypathius ist der unsre, unser Gönner, und Du hast gehört, daß er vielleicht noch dereinst den Thron der Cäsaren einnehmen wird.«

Während er dies sprach, entging ihm ein Ausdruck mitleidiger Geringschätzung nicht, die Adrasts Züge überflog, er sagte daher rasch: »Dir erscheint Dione wohl bemitleidenswerth, sie dünkt Dir in ihrer Lage nicht so geehrt zu sein, wie sie es verdient. Das will Deine Miene sagen.«

»Allerdings,« antwortete Adrast, »gewiß ist sie nicht allzu glücklich, da sie mehr als Einem sich liebenswerth erzeigen muß, und in Gefahr ist, deshalb Schmach zu dulden, wie ich jüngst von Dir hörte.«

»Und doch ist es ihr eigener Wille so zu leben,« sagte der Byzantiner, »die Eltern dieses Mädchens haben in Asien die größten Besitzungen, ihnen gehören Weinberge, Olivenhaine, Getreidefelder von solcher Ausdehnung und Ertragfähigkeit, daß ihr Einkommen dem des Kaisers selbst gleichkommt oder es übertrifft, ja man sagt sogar, daß ihnen die Einkünfte des Staates auf Jahre hinaus verpfändet sind, daß sie überhaupt reicher sind, als irgend wer in diesem Reiche.«

»Und warum wählte sie dennoch dieses beinahe sklavische Dasein?«

27 Lykortas bog sich zu seinem Freunde und flüsterte ihm ins Ohr: »Weil sie nichts Geringeres hofft, als einst an der Seite des Hypathius den Thron zu besteigen.«

Adrast sah ihn erstaunt an und lächelte ungläubig. Lykortas fuhr fort: »Sie wird es auch werden, sie hat einen großen Theil ihres unermeßlichen Vermögens darauf verwendet, einen mächtigen Anhang im Heere und unter den Beamten für Hypathius zu gewinnen. Viele würden lieber ihn in der Burg des Cäsaren herrschen sehen, als den verhaßten Justinian und jene Theodora, deren Vergangenheit so dunkel ist, während jenes Mädchen rein und makellos dasteht und in Allem doch dem Volk angehört.«

Er schwieg; Adrast fragte nach Mävo, er war den Tag über nicht gesehen worden und es ließ sich nicht erwarten, daß er noch kommen und ihnen Nachricht bringen würde. Sie erhoben sich also und schlugen den gewohnten Weg nach Hause ein, Dione hatte sich bei ihrem Weggehen nicht mehr eingefunden.

Als sie wieder an das Meeresufer kamen, setzten sie sich auf eine Steintreppe nieder, die über den schmalen Pfad zwischen dem Meer und einer hohen Mauer zu einem großen eisernen Gitterthor in dieser Mauer emporführte, welches die Aussicht in einen prachtvollen Garten darbot. Riesige Pinien und Cypressen standen darin verstreut und darunter Lorbeer und Myrthengebüsche. Ganz in der Tiefe des Parkes schimmerte ein Lichtstrahl aus einem Fenster des Palastes. 28 Ein Springbrunnen unterbrach mit träumerischem Geplauder die melancholische Stille. Die Sterne funkelten in wunderbarer Helle durch die Zweige, und die tiefsten derselben senkten sich weit draußen am Horizont ins Meer und ihr Wiederschein glänzte bis nah heran als bewegter Streif.

Indem die beiden Männer so da saßen und ein Jeder, dem Gemurmel der Woge lauschend, seinen Gedanken nachhing, brach zuerst Lykortas das Schweigen und sagte: »Erinnerst Du Dich der schönen Verse im Homer, wo Achilles am Meeresufer sitzt und seiner Mutter Thetis klagt, daß ihm zwar ein kurzes, dafür aber ein ruhmvolles Dasein bestimmt worden und daß er nun durch Agamemnon auch um dieses gebracht werde?«

»Du kennst den Homer?« fragte staunend Adrast.

»Ganze Gesänge konnte ich einst – das Meiste habe ich vergessen, nur noch wenige Stellen blieben mir im Gedächtniß. Ja, auch mir schien ein glückliches und ehrenvolles Leben bestimmt zu sein, blick' hinter Dich, in jenem Palast stand meine Wiege. Mein Vater war ein reicher Wechsler und Goldmakler aus Antiochia, ich erhielt eine glänzende Erziehung: Lehrer in Rhetorik, Musik, Philosophie bemühten sich um meine Ausbildung, ich ritt, jagte und übte mit Neigung und Eifer auch diejenige Beschäftigung, durch die ich mir jetzt mein elendes Leben friste. Ich lernte auf den im rasenden Schwung der Räder dahineilenden Wagen zu springen, die Pferde mitten im Lauf anzuhalten, die schwierigsten Bogen 29 mit ihnen zu beschreiben, kurz Alles, was für einen Wagenlenker, der zu den besten gehört, nöthig ist. Ich hatte kaum das fünfzehnte Jahr überschritten, da starb mein Vater. Er hatte sich als reichgewordener Asiate manche Feinde und Neider zugezogen. Einer derselben, der sein ganzes Vertrauen besessen, trat nach seinem Tode mit Forderungen gegen uns auf und wußte sich zugleich bei meiner Mutter einzuschleichen, sich ihr angenehm, zuletzt unentbehrlich zu machen. Ich wurde um einen großen Theil des mir zukommenden Vermögens betrogen, so zu sagen – enterbt. Du würdest an meiner Stelle gehandelt haben wie ich: als ich bei den Gerichten umsonst Hülfe gesucht, denn das Gold meines Vaters half dem Todfeind seines Sohnes durch alle Instanzen sein Unrecht zu behaupten, da lauerte ich ihm eines Nachts an diesem Platze hier auf und als er aus seiner Barke stieg, streckte ich ihn leblos zu Boden. Es blieb mir nichts Anderes übrig, als mich zu flüchten. Mein erstes Versteck war bei den Grünen, da wo Du mich noch jetzt siehst, sie beherrschten, von Anastasius begünstigt, damals die Hauptstadt, wer unter ihnen lebte, war straflos. Ich wurde aufgenommen, legte meinen Namen ab und blieb. Da gerade damals ein Aufruhr losbrach, so wurde ich nicht verfolgt. Der Patrizier Hypathius nahm mich unter seine Wagenlenker auf und ich war gesichert. Nun ist Dir auch das Geheimniß offenbar, warum Du mich ihm gegenüber heute so sahest wie Du mich sahst 30 – glaube nur,« fügte er mit halberstickter Stimme hinzu, indem er Adrast am Arm faßte und heftig drückte, »ein Andrer hätte es büßen müssen.«

»Und Dione,« fragte dieser, »liebt sie Dich oder Jenen?«

»Sie liebt mich,« stöhnte Lykortas, »mich, aber auf ihn zählt sie, auf ihn rechnet sie, die Thörin, sie will ein Diadem tragen, und er soll es ihr darreichen, darum glaubt sie, ihn zu lieben; ihn den Weichling, den selbstsüchtigen, kaltherzigen, glaubt sie zu lieben, sie macht es sich glauben, aber wo Liebe sein soll, muß Achtung sein, und mich achtet sie, ich bin ihr Mann. Sie weiß es nicht, daß ihr Herz mir gehört, sie übertäubt das heimliche Geständniß ihres Innersten mit stolzen Hoffnungen, aber es kommt noch ein Tag, ganz gewiß, an dem allein die wahre Stimme ihres Herzens von ihr wird gehört werden, an einem blutigen Tage wird es sein und ich werde mit meinem Gespann zerschellt und zerrissen vor ihren Füßen liegen, da wird sie in mein todtbleiches Gesicht starren und auffahren und einen Schrei ausstoßen und wissen, daß sie mich geliebt hat, mich und nur mich, den schweigenden, stolzen Lykortas, der sie nur einmal geküßt hat in seinem Leben, und der vor ihren Füßen liegt zuckend und sterbend, wie ein getödteter Löwe des Circus.« – Er sprach das mit wildem Hohnlachen, das nach und nach in ein dumpfes Stöhnen überging. »Heute hat sie mir aber den genannt und sein Aussehen beschrieben, 31 der von den Blauen es ist, der ihr nachstellt und dessen Verfolgung sie schon einmal kaum entging; nun weiß ich ihn – und sobald es mir glückt ihn zu treffen, so werd' ich eine doppelte Rache in seinem Blute kühlen.«

»Bedenke die Folgen, Rasender,« sagte Adrast.

»Folgen?« – höhnte Lykortas – »der Tod ist mir gewiß und das Leben ist Nichts, aber den Todfeind erwürgen, das ist Etwas. O, das ist etwas unaussprechlich Süßes!«

Er sprang auf, seine herkulische Gestalt stand hoch emporgerichtet und beide Anne gegen das Meer ausstreckend, rief er die Verse der Ilias:

»Mutter, die du mich für kurze Zeit nur gebarest,
Ehre sollte mir doch der Herrscher des Himmels gewähre.« –

Nachdem er dies mit weithinreichender Stimme gerufen, sank er wie leblos auf die Treppe nieder. Nach einigen Minuten erhob er sich und zog seinen Freund mit sich fort. »Komm,« flüsterte er ihm zu, »komm, es ist Zeit, wir müssen uns rüsten.«

II.

Am Neujahrsfeste 532 n. Ch. schien die Wintersonne mit lieblicher Wärme über die Stadt des Constantin; sanft und heiter lachte das Meer, das ihre Mauern bespülte, blau wie der Himmel, der wolkenlos darüber lag – nur die fernen Berge Asiens zeigten durch ihre beschneiten Gipfel, daß der Winter seine Herrschaft näher an die Gestade 32 des Hellespont herangerückt habe. Es war diesmal ein Grund mehr vorhanden, warum man mit größter Erwartung den Spielen entgegensah, die Partei der Grünen hatte schon einige Tage vorher im Circus über die Bedrückungen der vom Hof begünstigten Partei der Blauen sich beschwert und war abgewiesen worden. »Wir erdulden Unrecht,« hatten sie dem Kaiser zugerufen, »wir ertragen es so nicht länger mehr.« Justinian ließ ihnen entgegnen: ›Durch Niemand widerfährt Euch Unrecht.‹

Hierauf beklagten sie sich über seine Beamten und bekamen Schimpfworte und Androhungen zu hören, anstatt daß ihre Klagen wären angenommen worden. Sie beschuldigten nun weiteres die Blauen mehrerer Morde, und wurden von diesen hinwieder »Mörder« und Empörer gescholten. Voll Ingrimms waren sie aus dem Hippodrom gestürmt. Justinian wollte sich den Anschein eines gerechten Richters geben und ließ nach kurzer Untersuchung von den jüngsten Ruhestörungen her, sieben der Hauptschuldigen zum Tode verurtheilen. Die Hinrichtung sollte in einer Vorstadt geschehen, aber es traf sich, daß bei Zweien, einem Grünen und einem Blauen der Strick abriß. Das Volk befreite die Gefangenen und brachte sie in ein Asyl der Kirche, wo sie vorläufig unverletzlich waren.

Am Tage der großen Wettrennen sollte jedoch der Kaiser selbst um Gnade für sie angerufen werden. In den Stadttheilen, die dem Hippodrom nahe lagen, war nur Jubel und Festgedränge. Durch die langen Portikus, 33 welche zu den Eingängen führten, strömte das Volk. In den entfernten Straßen war Alles wie ausgestorben, dennoch drang auch bis dahin das Geschrei und die Zurufe vom Schauplatz der Belustigung. Wettrennen zu Pferde und mit Wagen waren von jeher die große Leidenschaft der Griechen gewesen und sie äußerte sich auch im neuen Rom und unter den despotischen Kaisern nur um so wilder und rückhaltloser, als jede andere Theilnahme am staatlichen Leben dem Volke entfremdet war.

Wochenlang vorher waren schon Aeußerungen über die muthmaßlichen Sieger ausgesprochen und große Wetten gemacht worden; jetzt gab sich die langzurückgehaltene Erwartung, erst noch in einem, wie fernes Sturmgebraus anwachsenden Gemurmel kund, dann in einem die Luft erschütternden Lärm, sobald man einen oder den andern Wagenlenker oder die herangeführten Pferde wahrnahm.

Ruhig, unbeweglich saßen der Kaiser und die Kaiserin in ihrer, über der Mitte der Rennbahn gelegenen Loge. Auf der einen Seite war das Thor mit dem goldenen Gitter und ihm entgegen der Obelisk, bei welchem umgewendet wurde; über dem Gitterthor befand sich ein Thurm, auf welchem eherne Pferde standen. Justinian und Theodora, ganz in Gold und Purpur gehüllt, saßen, umgeben von einem nicht minder glänzenden Hofstaat, unter ihnen die Preisrichter. Links und rechts waren die Geschenke ausgestellt.

Zu beiden Seiten des kaiserlichen Thrones und an verschiedenen Stellen der Ein- und Ausgänge war 34 die herulische Leibwache sichtbar, riesige Gestalten, unter deren, mit Bären- und Wolfsfell überzogenen Helmen die blauäugigen, blondumlockten Gesichter finster und überlegen auf die zahllose Volksmenge herabsahen.

Auf der Rennbahn selbst waren in einem stumpfen Winkel die bespannten Wagen derart aufgestellt, daß die hintersten zuerst, die vordersten zuletzt losgelassen wurden und so ohne Aufenthalt in gleicher Linie zu stehen kamen, und ohne daß weder die zu äußerst rechts, noch die zu äußerst links stehenden einen zu weiten oder zu kurzen Bogen beim Umwenden zu machen hatten. –

Fünfzig Wagen zählte die jauchzende Zuschauermenge und kaum waren die schnaubenden und stampfenden Pferde zurückzuhalten. Es war Sitte, daß vor dem Ort des Auslaufens auf einer Stange anfangs ein Delphin sichtbar war, der in dem Augenblick, als losgelassen wurde, verschwand und einem Adler mit ausgebreiteten Flügeln Platz machte.

Jetzt erschienen die Lenker, die Einen in blaue, die Andern in grüne Tuniken gekleidet, rasch sprangen sie in den Wagen, ergriffen die Zügel und schwangen die Geißel über ihre Schultern. Die Trompeten erklangen, der Delphin tauchte unter, der Adler erschien, die Taue wurden weggezogen, und brausend hinaus in die Rennbahn stürmten die Gespanne. Endloser, wüthender Jubel begleitete sie. Tausende hoben die Arme, schwangen Bänder und Kränze; Zahlen, Namen wurden gerufen, Verwünschungen und Lobpreisungen ertönten, je nachdem der eine 35 oder der andere der Wagen von beiden Parteien voran war.

Ueber dem zu erreichenden Ziele erblickte man mehrere Stufen entlang ein Zelt ausgebreitet, darunter saß Dione. Diener und Dienerinnen gingen von hier aus und boten Erfrischungen in die Reihen der Zuschauer. Sie selbst blickte unverwandt auf die Wagen, welche jetzt allmälig von der entgegengesetzten Seite der Bahn gegen sie heranstürmten und mehr und mehr konnte sie die Farben der Parteien unterscheiden. Sie selbst trug die der Grünen. Ein meergrünes Oberkleid umschloß ihre hohe, volle Gestalt, ein Epheukranz schmückte ihre Locken, ihren Hals ein von Brillanten blitzender Schmuck, ein Geschenk des kaiserlichen Neffen Hypathius. Halbmaske und Schleier verbargen fast ganz ihr Gesicht.

Schon konnte man unterscheiden, wer von den Wettkämpfenden voraus war, die Vordersten kamen sich so nahe, daß sie hart hinter sich das Schnauben der nachstürmenden Pferde spürten, die ihre Köpfe auf und nieder warfen, bald den Boden mit den Mähnen streiften, bald sie hoch in den Lüften wehen ließen. Die Lenker aber schwangen unter fortwährenden Ermunterungen ihrer Pferde die Geißeln und gönnten sich kaum hie und da einen Blick auf die Zuschauer.

Nach dem ersten Umwenden erreichten sie einen Durchgang, der in Form eines Triumphbogens gebaut war, denn wer glücklich gewendet hatte, ohne anzufahren, wer den richtigen Punkt getroffen hatte, der konnte schon auf einen Sieg hoffen. Beim 36 zweiten Umwenden waren bereits weniger Wagen, und die Pferde kannten den Weg und die Stelle, wo sie am besten umwendeten und eilten darauf los. Waren sie durch den Triumphbogen hindurch, so empfing sie ein Trompetenstoß, der ihren Muth aufs Neue in Flammen setzte, so daß die Lenker nur Mühe hatten, sie zu zügeln und ihre Kräfte zu sparen.

Bei der letzten Umfahrt zeigte es sich deutlich, daß zwei Wagen alle andern überholt hatten, einer gehörte den Blauen, der andere den Grünen. Sie kamen je näher dem Ziele, auch sich immer näher, die Lenker derselben unterschieden sich wesentlich von den Andern. In der Art ihrer Führung, in der Haltung und Geberde zeigte sich nichts von jener wilden Hast und rohen Begierde nach dem Siegesgewinn, sondern ruhig und lächelnd wie Götter standen sie auf ihren Wagen. Auf dem einen zügelte sein Gespann Adrast. Sein Gegner von der blauen Partei kam ihm so nahe, daß sich beider Stimmen trotz des Lärmes erreichen konnten.

Adrast blickte hinüber und wie erschrak er, wen erblickte er in seiner nächsten Nähe als seinen gleich siegreichen Gegner? Seinen Bruder. Ein Taumel von Freude durchschauerte ihn, ein jubelnder Aufschrei entrang sich seiner Brust. Auch Admet hatte seinen Bruder erkannt, auch ihn bestürmte die Wonne des Wiedersehens, auch er mußte laut aufschreien. Keiner jedoch vergaß darüber seine Pflicht, dem Andern voranzueilen, ja es schien vielmehr, als sporne die Sehnsucht, sich einander wieder zu umarmen, beide 37 noch mehr an, das Ziel aufs schnellste zu erreichen, als verdopple es ihren Eifer und beflügle ihre Pferde.

Da geschah es, daß Admet mit einem flüchtigen Seitenblick bemerkte, daß seines Bruders Pferde etwas zurückgeblieben, und sei es nun, daß er nichts vor ihm voraus haben wollte, oder weil er wußte, daß die Partei der Grünen, bei der er seinen Bruder sah, ohnehin die weniger begünstigte war, kurz er verstand es durch eine Bewegung seiner Hand seinen Pferden einen momentanen Aufenthalt und seinem Bruder damit einen Vorsprung zu geben. Dieser hatte die Absicht wohl bemerkt und lächelte jenem zu. Einen Augenblick lang blieben sie in gleicher Linie hart nebeneinander, triumphirend erhob Adrast seinen Blick und ihn traf aus Dionens Augen ein solch ermuthigender Blitz, daß er einen wilden Ruf des Sieges ausstieß und in der nächsten Sekunde am Ziel angekommen war. Zugleich kam auch Admet an.

Beide nun, alles vergessend, sprangen von den Wagen und lagen sich in den Armen. Erst schaute Alles verwundert auf dies unerwartete Schauspiel, bald aber brachen die Grünen in Jubel aus, die Blauen dagegen in Verwünschungen gegen Admet, auf dessen Sieg sie schon gezählt hatten. Die Brüder bemerkten nichts davon, sprachlos und weinend vor Freude hielten sie sich umfaßt und nur stumme Blicke fragten sich: wie ist es möglich, daß wir uns wiederfinden und wie konntest du hierher kommen?

Jetzt aber stürzten zuerst von den Blauen 38 die nächsten auf Admet los, ergriffen ihn bei den Schultern und rissen ihn zurück.

»Schurke,« riefen sie, »Du hast uns um den Sieg gebracht, Du Verräther, wir haben Deine Hand gesehen!«

»Nieder mit ihm,« rief der Anführer, »werft ihn zu Boden!« und hundert Stimmen riefen es mit.

»Zertretet ihn, den bezahlten Schurken,« heulten, hundert andere Stimmen nach.

Sie umringten den Unglücklichen und schlugen nach ihm. Adrast eilte sogleich seinem Bruder zu Hülfe und hielt die Feinde von ihm ab. Nun aber richtete sich alle Wuth gegen ihn.

»Er ist ein Grüner,« hieß es, »seht, ein Manichäer, ein Heide! Werft ihn nieder, viertheilt ihn!«

Adrast, der sich so bedrängt sah, rief nach seinen Freunden, denn schon waren auch sie ans Ziel gekommen, Lykortas voran, der es beinahe zugleich erreicht hatte und der nicht sobald seinen Freund im Kampfe sah, als er ihm eilends beisprang und ausrief: »Laßt ihn, lasset sie beide, er ist sein Bruder!«

»Sein Bruder, vielleicht auch Deiner Du Hund!« scholl es ihm hohnlachend entgegen. »Nieder mit ihnen!«

Grimmig blickte Lykortas in den tobenden Haufen, da Angriff und Wuth jetzt gegen ihn allein sich zu wenden schienen. Er sah seinen rohesten Feind, den Anführer der Blauen, sich vordrängen 39 und rufen: »Wo ist der Verräther und sein Helfer? Greift Beide im Namen des Kaisers!«

Als sie eben sich an ihn drängen wollten, um ihn zu binden, fiel ein Dolch von der Tribüne herab vor seine Füße nieder. Er sah auf und ihm begegnete ein dämonisches Lächeln Dionens, das ihm sagte: »Der ist mein Verfolger, der mir nachstellt, befreie mich für immer von ihm!«

Er hatte sie verstanden, bückte sich, stürzte auf den Gegner los und war im nächsten Augenblick von Blut überspritzt, indeß jener leblos zu Boden sank. Alles wich zurück.

»Mögen sie nun kommen und mich fesseln und tödten,« rief Lykortas, »Dione hat es gewollt.«

»Wir werden Dich nicht verlassen,« riefen die tapfern Brüder und mit ihnen die ganze Partei der Grünen, die nun mit allen Gönnern und Freunden über die Schranken hereindrang. Einige eilten vor den Kaiser, um ihm den Hergang zu berichten.

Justinian sah sie mit finstern Blicken an.

»Führt den Mörder zum Tode und alle diejenigen, welche sich an diesem Tumult betheiligten, – in die Kerker, sogleich!«

»Sie haben nichts verbrochen,« schrie das Volk, und die Nächststehenden baten für die Verurtheilten, indem sie sagten: »Es ist ein Unglück geschehen, kein Verbrechen.«

»Blut ist geflossen, hier vor meinen Augen,« rief Justinian entrüstet, »der Mörder sterbe! Ueber die Anderen aber soll später das Urtheil gefällt werden.«

40 Damit erhob er sich und wollte mit Theodora den Hippodrom verlassen. Aber überall stellte sich die Menge bittend entgegen, ja bald auch drohend und verwehrte die Ausgänge.

Die Leibwache war nicht im Stande durchzubrechen, Viele sanken im Gedränge zu Boden und man sagte, sie hätten vergifteten Wein bekommen. Justinian befahl, durch seinen Herold zu verkünden, das Fest sei beendet und ließ den Befehl ergehen, daß Alles den Hippodrom verlasse. Vergeblich, – Niemand hörte ihn und nur Verwünschungen und Schimpfreden waren die Antwort; man fand es unerträglich, daß ein Vergnügen mit Strafen und mit Hinrichtungen enden sollte. Einigen seiner Diener gelang es endlich und mit genauer Noth, ihn und die Kaiserin durch einen verdeckten Gang nach dem Palast zu bringen.

Im Uebrigen aber wuchs der Aufruhr mit jeder Minute. Das Volk, dem der Bericht von dem Wiederfinden der Brüder wie ein Lauffeuer mitgetheilt wurde und dem es wie ein Wunder erschien, brach in immer drohendere Ausrufungen aus, besonders, als es hieß, Lykortas sei zum Tode verurtheilt.

Es ist unglaublich, wie rasch sich bei großen Volksbewegungen Sympathien entwickeln, gleich rasend wie der Haß, ist auch die Liebe. Ein kühnes Wort, eine großmüthige That erwirbt in einem Augenblick tausende von Herzen und verschafft Macht und Ruhm für ewige Zeiten.

Auf die Nachricht, daß Lykortas verhaftet werden solle, entstand ein fort und fort anschwellendes 41 Murren der Unzufriedenheit, das sich bald noch weiter in zornigen Aeußerungen kundgab; die Wachen, die sich seiner bemächtigen wollten, wurden zurückgedrängt, man hob ihn und die Brüder im Triumph empor und trug sie auf den Schultern nach der nächsten Kirche, und Gnade für sie rufend, wälzte sich die Menge vor den Palast des Präfecten von Constantinopel, woselbst sie mit einem Pfeilregen begrüßt wurde. Die Antwort war ein Wuthgeschrei, und bald stand der Palast in Flammen.

Lykortas, dem von dem Geschehenen Kunde geworden, hatte sich, die Kirche verlassend, die Rüstung eines der gefallenen Herulers angelegt und besetzte mit einem Haufen der Seinigen den Hippodrom. Auf sein Zureden vereinigte sich ein Theil der Gegenpartei mit ihm und machte mit den Grünen gemeinschaftliche Sache. Man erkannte bald, daß es sich nunmehr um Größeres handle, als nur um einen Parteistreit. Die Auflehnung gegen die Grausamkeit des Herrschers, gegen Theodora und den ohnehin schon verhaßten Präfecten gewann eine immer furchtbarere Ausdehnung.

Admet und Adrast hatten in dieser entscheidenden Stunde gleichfalls den Schutz der Kirche verlassen und waren im Begriff, sich zu Lykortas zu schlagen, als ihnen Hypathius begegnete.

»Kommt mit mir,« rief er ihnen entgegen, »ich hoffe, Euch zu retten. Ihr seid schuldlos und sollt nicht in dieses frevelhafte Thun mit hineingerissen werden.«

»Wie?« frug ihn Adrast, »Du fällst von dieser 42 Sache ab, die zum Theil für Dich unternommen wird, Du willst nicht die Gelegenheit nützen, Justinian abzusetzen und Dich auf den Thron zu schwingen?«

Hypathius deutete auf die Röthe am Himmel und die aufsteigenden Feuer und Rauchsäulen. »Kennt Ihr diese Zeichen, wißt Ihr, welche Furien entfesselt sind, wißt Ihr, daß das Verbrechen frei einherschreitet und dazu soll ich die Hand bieten? Nein, kommt, ich führe Euch zum Kaiser, und hoffe ihn gütig für Euch zu stimmen, dann werden wir rasch die Ruhe herstellen und für Alle Verzeihung erwirken.«

Adrast schüttelte das Haupt und sah auf seinen Bruder. Dieser sagte: »Ich kenne Hypathius, er hat es stets gut mit mir gemeint, ich folge ihm.«

»Dann auch ich,« rief Adrast aus, »wir haben uns wieder gefunden, und nichts soll uns fortan trennen.«

Hypathius, dem es indeß weniger um die Brüder, als um sich thun war, hatte vor Allem die Absicht, Justinian sorglos zu machen und über seinen Plan zu täuschen. Da der Palast gegen den Hippodrom abgesperrt war, so mußten sie auf Umwegen den gegen das Meer zu gelegenen Theil des Gebäudes zu erreichen suchen. Ueberall sahen sie über sich am Himmel den Wiederschein der nahen und fernen Brände und vernahmen das Getöse des Aufruhrs.

Als es ihnen endlich gelungen war, in den Palast zu kommen, fanden sie rings ein hastiges Hin- und Herrennen von Ankommenden und Ab 43gehenden; Beamte eilten herbei um ihre Bereitwilligkeit an den Tag zu legen, einzelne Truppentheile trafen ein, Boten kamen an und wurden entsendet, die Palastdiener schlossen und verrammten die Thore nach der Stadt und setzten die Mauern des Hofes und der Gärten in Vertheidigungszustand.

Hypathius führte seine Schützlinge durch mehrere Gänge, bis sie nach vielen Fragen endlich in die Kapelle des heiligen Theodor und durch sie in den goldenen Saal geleitet wurden, wo Justinian mit Theodora und den Räthen über die zunächst zu nehmenden Maßregeln sich besprach. Alles war in großer Bestürzung; Justinian hatte dem Volke verkünden lassen, seine Klagen würden abgestellt, der verhaßte Präfect abgesetzt werden, man möge sich beruhigen.

Zu spät. Der Aufruhr wüthete fort und Hiobspost auf Hiobspost traf ein. Man hatte die Reliquien aus der Kapelle geholt, Theodora lag in andächtigem Gebet vor ihnen; Hypathius trat auf den Kaiser zu, jeden der beiden Jünglinge an einer Hand führend und warf sich nieder.

»Der Eine dieser,« sprach er, »ist Dir bekannt, den Anderen, seinen Bruder, nenne ich mehr einen Freund, als einen Diener, beide sind sie schuldlos an dem Verbrechen, welches verübt wurde; um sie zu bewahren, weiter in den Aufruhr hineingerissen zu werden, stelle ich sie, wie mich selbst zu Deiner Verfügung. Jeder Verdacht, als sänne ich auf Umsturz, als stünde ich mit den Empörern in Ver 44bindung, wird durch meine Anwesenheit entkräftet, bestimme über mich.«

»Das werde ich,« entgegnete Justinian mit fester Stimme, »entferne Dich sogleich, Heuchler und Verräther Du! Siehe hier die Säcke Gold, welche in voriger Woche von Dir, oder in Deinem Namen ausgegeben wurden, um meine Palastwache zum Abfall zu bringen. Ich könnte Dich sogleich tödten lassen, aber ich schone Deiner, gehe hin zu den Aufrührern, stelle Dich an ihre Spitze, zeige Dein wahres Antlitz, und lasse Dich zum Kaiser ausrufen, ich hindere Dich nicht, mein Vertrauen ist allein Gott und seine Gerechtigkeit. Die Unruhstifter, die Du mitbrachtest, sollen augenblicklich ins Gefängniß geworfen werden, da sie aber Brüder sind, wie Du sagst, so will ich es erlauben, daß beiden der Aufenthalt in einem und demselben Kerker gestattet sei. Und nun, Hypathius, hebe Dich hinweg aus meinen Augen, glaubtest Du, ich würde mich Meuchelmördern anvertrauen und mit Spähern umgeben? Hinweg von mir!«

Damit erhob sich Justinian. Adrast und Admet wurden fortgeführt, Hypathius stürzte bleich und entsetzt durch die Thür des Saales fort. Als hierauf der Kaiser allein war, gab er Befehl, ein Boot am Ufer vor dem Palastthore bereit zu halten, um ihn, die Kaiserin nebst dem Werthvollsten der Schatzgewölbe nach der asiatischen Küste in Sicherheit zu bringen.

»Wenn es der Wille des Himmels ist, daß dieser Tag meine Herrschaft über Rom 45 endigen soll, so will ich wenigstens nicht Schuld an weiterm Blutvergießen auf mich laden, mag jener an meine Stelle treten und das Diadem um seine Schläfe winden.«

»Nie geschehe das,« rief Theodora und sprang von ihrem Betschemel auf, »flüchten sollen wir uns? Nein, und wenn auch Flucht das einzige Rettungsmittel wäre, dennoch würde ich lieber hier auf dieser Stelle sterben, als den Verlust der Majestät und unseres Reiches überleben. Jenem das Diadem, Jenem den Purpur? und wir? Nein, nimmer will ich den Tag erblicken, an dem man mich nicht als Kaiserin begrüßt. Aber als ob Flucht etwas helfen könnte! Glaube nur, auch in der Verbannung würde Dich der Tod erreichen, und zwar ein schimpflicher. Ich bleibe.«

»Nun meine Gattin, was willst Du, daß geschehe?«

»Vorerst,« rief Theodora, »gilt es den Feind zu fassen, und zwar mitten in seiner Verschanzung, an dem Hauptplatze seiner Macht, im Hippodrom. Belisar hat noch dreitausend Tapfre, laß sie, wenn es dunkelt, auf dem Wege, den Hypathius kam, den Hippodrom erreichen, umstellen, erstürmen! Die überraschten Volkshaufen werden leicht niederzuwerfen sein, die Blauen sich mit uns verbinden, das ist mein Vorschlag.«

»Der Plan ist gut,« sprach Belisar, der indeß herzugekommen, »möge sich immerhin das Gerücht Deiner Flucht verbreiten, es wird die Thörichten 46 nur um so sicherer in unsere Hände liefern. Vertraue mir, o Herr, sie zu vernichten.«

»Geh,« sprach Justinian, »und der Himmel sei mit Dir!«

Während dieser Vorgänge im Palast, hatte diesen Hypathius verlassen und war alsbald vom Volk erkannt, sogleich zum Kaiser ausgerufen worden. Dione kam ihm entgegen, sie glich einer Mänade. Beide wurden in Sänften emporgehoben und zum Hippodrom getragen.

»Weigere Dich nicht mehr Kaiser zu werden,« rief ihm Lykortas zu, »alles ist Dein – was zögerst Du?«

Hypathius überschaute mit einem prüfenden, fast ängstlichen Blick die Menge unter ihm und nahm an der kaum von Justinian verlassenen Stelle mit leisem Schauder Platz.

»Das Diadem!« brüllte die Menge, »er nehme das Diadem!«

Hypathius sah sich verlegen um, es war Niemand da, der ihm dieses Zeichen der höchsten Macht gebracht hätte, denn bis jetzt trug es noch Justinian.

»Das Diadem,« schrie das Volk, »das Diadem!«

Da stürzte Dione zu seinen Füßen nieder, band den kostbaren Schmuck von ihrem Halse los und reichte ihn ihm demüthig dar. Er erhob sie zärtlich, und während sie das Band um seine Stirn befestigte, brach das Volk in unbändigen Jubel aus.

»Die Spiele mögen wieder beginnen,« rief Hypathius, »der Tyrann und sein Dämon, jene 47 Theodora, sind nach Asien geflüchtet. Soeben brachte uns ein Bote die Nachricht.«

Ohne eine Ahnung von dieser Wendung der Dinge hatten indeß die Brüder über der Freude des Wiederfindens vergessen, daß sie sich in einem Kerker befanden. Nachdem sie sich oftmal mit den zärtlichsten Worten genannt und mit Thränen aus tiefgepreßtem Herzen aufgeathmet hatten, erzählte Adrast dem Jüngeren, wie schrecklich es ihm gewesen, als er ihn vermißt habe, wie er von den Grünen aufgenommen wurde, wie er nachgeforscht und welch' trübe Tage er erlebt habe. Auch von Lykortas berichtete er.

»Nun erzähle mir aber auch Du Dein Leiden,« fügte er bei, »denn ohne Zweifel war Dein Geschick noch härter als meines.«

Admet begann sogleich: »Als sich in jenem verhängnißvollen Augenblicke, der noch so lebendig vor Deiner Seele steht, die Thür hinter mir geschlossen, als ich umblickte, Dich zu suchen, und mein Auge nur in eine tiefe Nacht hineinsah, da faßte der Mönch mich, der ich mich sträubte, bei der Hand und zog mich vorwärts, indem er sanfte begütigende Worte zu mir sprach. Bald traten wir vor eine matterhellte Nische, in welcher ein großes Kreuz hing, der Mönch setzte sich auf eine Steinbank nieder, ich lehnte mich halb sinnlos an die Mauer. Es war ein langer dunkler Gang, in dem wir uns befanden. Ich blickte auf meinen Führer, unschlüssig, was ich thun, was ich sagen 48 sollte. Er beobachtete mich unablässig, sein durchdringender Blick schien ins Innerste meiner Seele zu dringen.

Da empfand ich eine mir unbekannte Bangigkeit und plötzlich durchfuhr meine Brust ein so unaussprechliches Weh, als würde mir das Herz mit tausend Messern zerschnitten, eine unsichtbare Gewalt riß mir die Arme auseinander und wie leblos stürzte ich zu Boden, mit einem Ausruf, dessen ich mich nur noch dunkel erinnere.

Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich auf einem prachtvollen Ruhebett, in einem mit Teppichen belegten und verhängten Gemach. Ich schlug den Vorhang zurück und genoß den Anblick des herrlichen Meeres, das vor meinem Fenster in seiner ganzen azurnen Reinheit ausgebreitet lag. Eine angenehme Musik erklang aus den anstoßenden Räumen, die Thür öffnete sich und ein Knabe brachte mir einen Becher Wein. Ich trank und ein rasches Feuer durchströmte mich, aber ich schauderte zurück, als ich den Becher ein zweites Mal an meine Lippen setzen wollte, es hauchte deutlicher Blutgeruch aus ihm mir entgegen. Ich warf den Becher weg und sogleich spürte ich wieder jenen Schmerz in der Brust, diesmal jedoch nicht so heftig, und statt in Bewußtlosigkeit versank ich nur in einen angenehmen Halbschlaf, und gern ergaben sich meine Sinne den Träumen, die mich einwiegten.

In diesem Wechsel von dämmerndem Erwachen und wachem Träumen vergingen, wie mir schien, mehrere Tage. Einmal kam es mir vor, als ob ein grimmiger Vogel mit 49 goldenem Gefieder sich auf mich niederließe und seine Flügel über mich zusammenpresse, so daß ich schier zu ersticken glaubte. Ich erwachte und sah ein lächelndes Frauenantlitz hinter dem Vorhang verschwinden. Bald darauf erhielt ich ein glänzendes Gewand, und es wurde mir befohlen, mich damit zu bekleiden, da ich vor dem Kaiser Justinian erscheinen müßte. Ich erschrak und gehorchte; der Knabe führte mich in einen Saal, wo mehrere gleich mir Gekleidete aufgestellt waren, deren jeder etwas zu tragen oder zu bringen hatte.

Der Kaiser erschien und nahm an einer kleinen Tafel in der Mitte des Saales Platz, ringsum an längeren Tischen saßen Feldherren und Würdenträger des Reichs. Ich sollte, wie Du wohl merken wirst, zu einem Mundschenk erzogen werden. Auch die Kaiserin Theodora bekam ich zu Gesicht und ihr Antlitz schien mir dasselbe zu sein, das kurz vorher mir erschienen war. Für diesmal hatte ich nur zuzusehen, später wurde mir das Amt, Justinian und seiner Gattin den Trinkbecher zu überreichen.

Es waren Gesandte des persischen Königs angekommen, und eines Tages als sie zur Tafel geladen waren und ich meines Dienstes warten sollte, begab es sich, daß wir durch einen Hof in die Empfangszimmer gehen mußten. Da nahm ich wahr, daß einer der Diener in diesem Hofe sehr ungeschickt ein Zweigespann tummelte. Meine alte Lust, die Pferde zu lenken, erwachte plötzlich in mir, ich konnte der Neigung nicht widerstehen, meine Fertigkeit zu zeigen. Ich 50 sprang auf den Wagen, riß jenem, der erschrocken vor mir entwich, die Zügel aus der Hand und begann nun die Pferde anzufeuern. Willig gehorchten sie mir; sie schienen zu fühlen, daß eines Kundigen Hand die Zügel führe.

Aber zugleich mit ihrem Muth ergriff auch mich ein unwiderstehlicher Drang nach Freiheit, die Sehnsucht hinaus zu eilen, Dich wiederzufinden beherrschte mich ganz und gar, jetzt – sagte ich mir – jetzt ist der Augenblick gekommen, offen steht vor Dir das Thor dort, jage mit deinen brausenden Rennern dahin und fort in die winkende Freiheit! Lockrer die Zügel fassend und die Peitsche schwingend, trieb ich die Pferde dem Thore zu, sie schienen mich zu verstehen und schon war ich meinem Ziele nah, schon erblickte ich vor mir die Straße draußen, da plötzlich gab ein Trompetensignal den Pferden das Zeichen innezuhalten und sie gehorchten, sie standen wie angefesselt. Sie hörten nicht mehr auf meine Worte, sie blieben unbewegt.

Unwillig warf ich ihnen die Zügel über den Hals und sprang vom Wagen. Elende rief ich ihnen zu, obwohl ihr Thiere seid, denen Zeus Muth in die Nüstern gab, so seid ihr doch schon so schlecht wie die Menschen! Da war es wieder, als hätten sie mich verstanden, sie wandten ihre Köpfe nach mir um, wie voll Mitleid sahen sie mich an, und ich hätte damals darauf geschworen, daß in den Augen der armen Thiere Thränen geglänzt haben. Weinten doch auch dereinst die Pferde des Achill.

Ich hatte nicht lange Zeit darüber nachzudenken, denn schon ward ich 51 ergriffen und unter Faustschlägen nach jenem Theil des Gebäudes geführt, in dem die Gefängnisse lagen.

›Man wird Dich gehorchen lehren,‹ riefen sie, ›hast Du nicht die Pferde noch angetrieben, als schon das Zeichen zum Halten gegeben war?‹

Ich sollte meine Lust nach Freiheit schwer büßen.

Als sie mich aber eben durch einen Bogengang schleppten, erschien auf einer Ballustrade Theodora. Ihr Gesicht, das einem steinernen Bildniß der Cybele glich, war von einem wohlwollenden Lächeln umspielt.

›Laßt diesen Jüngling,‹ rief sie, ›laßt ihn los, ich wünsche nach den Proben, die ich eben von ihm gesehen, daß er ein Wagenlenker bei unsern Blauen werde. Wenn Dir aber noch einmal gelüstet,‹ wandte sie sich zu mir, ›auszureißen, so kostet es Dich Dein Leben. Morgen im Hippodrom sollst Du weitere Beweise deiner Geschicklichkeit geben – vor uns und vor Justinians Majestät.‹

So war ich also nicht nur einer Strafe entgangen, die mir härter als der Tod schien, der Entziehung der Freiheit, es sollte auch mein heißester Wunsch in Erfüllung gehen, ich sollte Wagen im Wettkampf lenken! Alle Erinnerungen an die Heimat traten wieder hervor, und ich sah mich schon als Sieger vor dem gesammten Volke und hohen unsterblichen Ruhm ernten. Wie sollte ich enttäuscht werden!«

»Ach,« unterbrach ihn Adrast, »da ging es Dir wie mir.«

»Ich hatte keine Ahnung«, fuhr Admet fort, »daß ich selbst nichts galt, daß meine Kunst nur dem Herrn zur Ehre gereichte, der mich 52 bezahlte, daß mein Name nicht weiter dringen würde, als etwas über das Bereich der Garküchen und Schenken, in welchem die Wirthe und Besitzer der Wagen ihre Einkehr halten.

Doch für diesen Abend sollte ich noch mein Mundschenkamt versehen und zwar in jenem Gemache des Palastes, welches Daphne hieß und worin der Kaiser mit den Vertrautesten seiner Umgebung zusammenkam. Alle für diesen Abend Geladenen hatten Gottheiten vorzustellen, jene Götter, an die sie selbst zwar nicht mehr glaubten, nicht mehr glauben durften, als die sie aber unter sich gerne erscheinen mochten. Selbstverständlich war Justinian Jupiter, sein erster Feldherr Mars, Apollo war der Vorstand einer jener Synoden, welche sich ganz besonders durch loyale Verfolgungswuth auszeichnete, und Hunderte von Opfern dem Henkertod überliefert hatte. Hypathius, den wir ja beide kennen und dessen angenehmes Betragen mir besonders auffiel, war Pluto und mußte als Herrscher der Unterwelt, bei dem sich die abgesetzten Götter befanden, für heute die Aufgabe lösen, den alten Götterdienst gegen die neue Religion in Schutz zu nehmen und ihre Wiederaufnahme in den Olymp zu beantragen.

Da mein Amt als Mundschenk mir gestattete, ein wenig zuzuhören, so behielt ich manches von dem, was gesprochen wurde, im Gedächtniß. Hypathius sagte:

Es scheint mir vernünftiger, an mehrere Götter zu glauben, als nur an einen, weil es mehrere Kräfte giebt, durch deren Zusammen- und Entgegenwirken 53 die Vollständigkeit und die Ordnung der Welt bestimmt wird. Ebenso ist es auch unter den Menschen, hier walten das Recht und die Gesetze, auf der andern Seite stürmt der mächtige, alles zerstörende Krieg, hier werden die letzten Gründe der Wahrheit erforscht, dort gelten List und betrügerisches Wesen, Einiges wird durch das System der Zahlen, Anderes durch die Bedeutung der Worte ausgedrückt. Durch das Ineinanderleben und Entgegenweben dieser Mächte entsteht der Zufall und die Notwendigkeit, letztere als dasjenige, in welchem sich alles vereinigt, denn auch in der Natur streiten die Elemente miteinander, Wasser gegen Feuer, Luft von beiden durchdrungen, nimmt Theil am Sieg des Einen oder des Andern, und so entsteht Ernährung, Wachsthum, Leben, Sterben und Wiederwerden alles Erschaffenen. Wäre nur Ein Gott so würde Alles in einer gleichmäßigen Harmonie beharren, ja, wäre dieser Gott eine Persönlichkeit, so könnte außer seinem Selbst nichts bestehen.

Justinian erhob sich nun sehr ernst und sprach, es ist ein anderes Licht in die Welt gekommen, wir haben höhere Begriffe von der Gottheit, als daß wir ihr zumutheten, sich in ewigen Verwandlungen zu äußern.

Damit heftete der Kaiser seinen Blick auf den Bischof, welcher den Lichtgott vorstellte und darüber in einige Verlegenheiten gerieth, weil er selbst zuweilen verkleidet die Feste eines Tempels der Venus in der Nähe von Konstantinopel besuchte.

Nun stand aber ein Senator auf und sprach: Wie? sehen wir 54 nicht die höchste Majestät selbst hier in seiner ihm zukommenden Gestalt? Er, vor dessen Augenwink Himmel und Erde beben, er ist in unserer Mitte und es wäre daher schwer zu entscheiden, welche von beiden Ansichten die richtige ist.

Auf diese Schmeichelei antwortete der Herrscher Roms mit einem eigenthümlichen Lächeln, indem er zugleich einen zornigen Blick auf den verwegenen Sprecher warf.

Ja – Justinian ist ein Gott, rief einstimmig die ganze Versammlung.

Höre sie nicht, Herr! die Lügner und Schmeichler, rief ich, meiner nicht mehr mächtig.

Alles sah auf mich, da ich bisher unbeachtet dagestanden, und ich glaubte schon, eine harte Strafe würde mich treffen, allein der Kaiser sah mich gütig an und sprach: Sieh', das Kind hat uns gehört, sogleich gehe und fülle den Pokal unserem Sonnenlenker Phöbus, denn er ist durstig von vielem Erleuchten.

Mein Amt rief mich ab, und so vernahm ich nichts weiter mehr. Nachdem alles zu Ende war und die Gäste sich entfernt hatten, suchte ich mein Lager auf und verbrachte die Nacht schlaflos mit den ehrgeizigen Hoffnungen für den kommenden Morgen beschäftigt.

Der Palast war durch eine Treppe, die sich schneckenförmig bis zum Eingang des Hippodroms wand, mit demselben verbunden. Ich fand mich sehr früh ein. Man vertraute mir ein Viergespann und ich lenkte mit solcher Vorsicht und Festigkeit meinen Wagen, daß ich die schwierige Wendung um die Meta gerade an der richtigen Stelle vollbrachte. Ich konnte 55 mich überzeugen, daß die Einrichtungen des Hippodroms genau dem Vorbild der Rennbahn zu Olympia nachgebildet sind.

Staunen mußte ich aber, daß dem nach mir folgenden Lenker, jenem Eusebius, der heute ermordet wurde, allein alles Lob, das mir zukam, gespendet ward, obwohl er nicht eben geschickt sich gezeigt hatte. Aber Justinian überreichte ihm selbst einen silbernen Kranz, als gute Vorbedeutung, wie er sagte, für die künftigen Siege. Als ich hierüber eine satyrische Bemerkung nicht zurückhielt, wurde mir zugeflüstert, ich möge doch mein bisher errungenes Glück nicht verscherzen; jener Eusebius wäre der besondere Günstling des Kaisers und ihm würden alle Ehren zu Theil, auch diejenigen, die er nicht verdiene. Ich wußte nichts darauf zu erwidern und zuckte die Achseln, dem Eusebius aber war nichts entgangen. Voll Zornes über meine Bemerkung nahm er eine Geißel und schlug damit eines der Pferde.

Schon wollt' ich ihn fassen, da trat Hypathius, der mit dem Kaiser gekommen war, dazwischen und sprach: Wie? du kannst ein Geschöpf Gottes, das dir nichts zu Leide gethan hat, schlagen?

Eusebius schwieg beschämt, mich aber ließ er seitdem nicht mehr aus den Augen, wie er es auch war, der heut' entdeckte, daß ich meine Zügel etwas anhielt, um Dir den Sieg zu lassen. Es hatte sich das Gerücht verbreitet, man wolle die Grünen, wenn sie unterlägen, mit jedem ausgesuchten Schimpf behandeln, um sie zum Aufruhr anzureizen. Die Blauen hätten dann volles 56 Recht gewonnen, über sie herzufallen und ein Blutbad unter ihnen anzurichten.

Statt dessen hat sich Alles anders gewendet. Es war aber nicht Eusebius allein, der an diesem Morgen mit meinem Verdienst belohnt wurde, ich bemerkte bald, daß jeder unter meinen Genossen seinen Gönner hatte. Ich lachte über das Unverständige ihrer Lobsprüche und nahm mir vor, einst noch meine Geringschätzung dreister an den Tag zu legen.«

»Nicht viel besser erging es mir,« rief Adrast aus, »doch die Leute, unter welche ich gerieth, waren wenigstens von einem Gemeinsinn beseelt, sie freuten sich, einen wackeren und geschickten Genossen an mir gefunden zu haben, während dort, wo Du warst, der Neid es nicht einmal der Mühe werth hielt, sich zu verbergen.«

»Wahrlich, so ist es,« rief Admet.

Während dieses Gesprächs der Brüder war in der Mauer ihres Kerkers ein Gitter geöffnet worden, und es rief ihnen eine Stimme zu: »Bereitet Euch zum Tod, Ihr Urheber des Aufruhrs, der Kaiser hat vernommen, daß Ihr aus Olympia gekommen seid, wo Ihr, trotz dem Verbote, dem Dienst des Heidenthums anhingt. Er wird deshalb keine Gnade walten lassen, und Ihr müßt sterben.« –

Die Jünglinge sahen sich bestürzt an, dann aber brachen sie in Thränen aus, und beklagten ihr unglückliches Loos.

»Welches Verbrechen,« rief Admet, »haben wir begangen, daß uns so früh ein so schmähliches 57 Ende bestimmt sein soll? Ach, mehr um Dich trauere ich, Adrast, Dich nur bedaure ich, Du bist der Jüngere: der Du bisher Reichthum und Wohlbehagen um Dich gesehen, Dir hätte vielleicht noch eine glänzende Laufbahn sich eröffnet, ich hingegen habe bereits so viel von der Welt erkannt und erlebt, daß ich sie ohne großen Schmerz verlassen kann.«

»Aber wir beide,« rief der Jüngere wieder, »wir beide haben die Heimat verloren, ach und das Ideal von Ruhm und Ehre sahen wir vor unsern Augen hinschwinden, was sollen wir noch hier, was könnte uns noch erfreuen? Auch mich hält nichts mehr. Nur einen Freund, weiß ich, den ich gerne noch einmal sehen möchte: Lykortas, den Wackeren, Unbeugsamen, was wird wohl sein Schicksal sein, wenn er uns überlebt? Ha, wenn er uns zu Hülfe käme! – er würde es gewiß, wenn er es kann, wenn er Nachricht über uns erhält. Ach – vielleicht ist er selbst verloren – unrettbar verloren.«

Indem sie noch so sprachen, stützten sie traurig das Haupt in die Hände und versanken in ein dumpfes trostloses Schweigen. Aber der, um den sie mit ihren Gedanken beschäftigt waren, Lykortas, dachte mit gleichen Sorgen an sie, er suchte sie, und da er keine Spur von ihnen entdecken konnte, befürchtete er, sie könnten in die Gewalt der Feinde gefallen sein und beschloß daher sich vorsichtig dem Palast zu nähern, ob er nicht dort Nachricht von 58 ihnen erhalten würde.

Tag und Nacht hindurch hatten der Kampf in den Straßen und die Feuersbrünste gewüthet, ein beträchtlicher Theil der Stadt, öffentliche und Privatgebäude waren ein Raub der Flammen geworden. Indem Lykortas sich durch Brandstätten und Aschenregen dem Labyrinth von Gebäuden, Höfen, Säulengängen und Gärten nahte, welche zusammen die Burg Justinians bildeten, so vernahm er plötzlich Waffengeräusch und bemerkte, daß auf einem freien Platze, der gerade vor ihm lag, Truppen aufgestellt wurden und erkannte alsbald, daß hier eine energische Maßregel gegen die Aufständischen vorbereitet werde.

Seine Vermuthung wurde durch Mävo bestätigt, der im Schatten der Häuser an ihn herangeschlichen kam und ihm zuflüsterte: »Es ist Belisar, er hat Befehl, gegen den Hippodrom zu marschiren, eile, wenn Du sie retten willst – Dione, mein' ich – bist Du betäubt? zögere nicht!« –

Damit verschwand er. Lykortas säumte nicht, seinem Rathe zu folgen. Nach wenigen Minuten war er im Hippodrom. Hier fand er alles in siegestrunkener Sorglosigkeit. Die Wenigen, die noch Waffen trugen, hatten sich auf die Stufen der Arena zu Trinkgelagen niedergesetzt, die meisten sich auf der Rennbahn selbst dem Vergnügen hingegeben, sie tanzten oder sangen in Chören – Einige führten Scenen aus Komödien auf, andere ließen einfach in Sprüngen und Geberden ihrer Fröhlichkeit freien Lauf. Man sah, daß das freiheitsliebende 59 Griechenvolk nach der langen Zurückhaltung vom Joche des Despotismus nun auf einmal sich erlöst fühlte und ganz seinem Hange bacchantischer Ausgelassenheit sich hingab.

Mit dem Rufe: »Zu den Waffen!« sprang Lykortas mitten unter die Sorglosen. »Freunde die Gefahr ist nahe! Rüstet Euch, rafft Euch zusammen, folget meinen Befehlen!«

Hierauf sprang er in raschen Sätzen die Stufen zu der kaiserlichen Tribüne hinan, wo Hypathius in nachlässiger Haltung und mit lächelnder Miene auf die Belustigungen seines Volkes herabsah. Dione hatte sich an ihn geschmiegt und betrachtete gleichfalls die Scene vor ihr mit Augen, die vor Stolz und Freude leuchteten. Sie schien vollkommen glücklich, sie sah sich am Ziel ihrer Wünsche, sie sah den Mann, den sie liebte, zu lieben glaubte, mit dem Purpur bekleidet, sie sah sich an seiner Seite zur erklärten Gemahlin erkoren.

»Wollen wir nicht,« sprach sie, »unter diese Glücklichen gehen, man wird uns begrüßen und uns'rer Gegenwart wird das Volk sich freuen.«

»Ich aber,« erwiderte Hypathius finster, »ich könnte mich nur wenig darob erfreuen. Daß Du mir das Diadem umgebunden, war schön und herrlich, doch nicht dieser Menge will ich es verdanken, nicht einen Tag nur will ich es ihr zu danken scheinen.«

»Wie?« rief Dione staunend, »war ich voreilig, oder auf was sollten wir denn noch warten?«

Hypathius sprach: »Ich hätte an einem andern 60 Tage Justinian zur Abdankung gezwungen – ich ganz allein an der Spitze seiner Palastwache hätte ihn abgesetzt und Niemand sollte das erfahren haben. Niemand, und am wenigsten dieser zügellose Pöbel, der es mich über kurz oder lang wird fühlen lassen, daß ich in seiner Schuld stehe, dieser blinde, blutige Pöbel, den ich hasse, verachte und verabscheue!«

Dione sprang auf und sah ihn an, als hätte sie etwas Unglaubliches, Ungeahntes vernommen. Da trat Lykortas ein.

»Thörichter oder Feiger, wie soll ich Dich nennen?« rief er Hypathius an, »wisse, daß wir alle verloren sind, wenn Du Dich nicht aufraffst. Belisar rückt heran mit einer Truppenmacht, die stark genug ist, Deinen wehrlosen und taumelnden Pöbel in Stücke zu hauen und Dich mit.«

Hypathius starrte ihn an.

»So ist Justinian nicht geflüchtet? Wahrscheinlich nicht – gleichviel, Belisar wird ihn entweder zurückbringen, oder rächen. Auf!«

Hypathius antwortete nicht. Rascher als er, hatte Dione die Lage begriffen. Ihr erster Blick auf Hypathius hatte ihr Herz auf immer von ihm gewendet. Als er bleich und gelähmt vor Schrecken dastand, empfand sie erst Mitleid, dann Verachtung, und mit einem Male wich alles, was sie je für ihn gefühlt hatte, aus ihrem Herzen und ließ einer traurigen, unendlich traurigen, aus Reue und Spott gemischten Empfindung Raum.

Aber sie begriff auch zugleich die Gefahr und die Nothwendigkeit, 61 keinen Augenblick zu versäumen. Einige Minuten vorher wäre sie vielleicht lächelnd gestorben, jetzt war in ihr ein starkes Lebensbedürfniß, eine muthige Kraft der Selbsterhaltung erwacht. Sie bat sogleich die Umstehenden, die Eingänge zu besetzen und forderte zur Verkeilung von Waffen auf; sie selbst eilte voran; Lykortas folgte ihr. Sie sprachen nicht miteinander, aber Alles was sie thaten, schien der Vollzug eines Befehls, den unausgesprochen Eines dem Andren gab. Er suchte durch die Ergebenheit, womit er ihre Anordnungen vollzog, durch seine Unerschrockenheit der Enttäuschung, welche einzureißen drohte, vorzubeugen, sie aber schien nur anzuordnen, was sie aus seinen Mienen, seinen Bewegungen gewissermaßen herauslas.

Hypathius sah sich allein. »Das Verhängniß!« – murmelte er dumpf vor sich hin, »das Verhängniß erreicht uns Alle!«

Seine Augen suchten Dione, sie war verschwunden. Das Weib, das ihn erhoben, das sich glauben gemacht hatte, daß es ihn liebe, war von ihm weggegangen, ohne sich nur nach ihm umzusehen, und umerzog sich nun den Anforderungen, welche die Gefahr an sie stellte, gemeinschaftlich mit dem, den sie bisher als tief unter ihr stehend betrachtet hatte und dessen Liebe sie wie einen selbstverständlichen Tribut nahm, da sie sich ihrer innersten Hingabe an ihn gar nicht bewußt war.

Jetzt war es Tag in ihr geworden. Lykortas bemerkte die Verwandlung, die in ihr vorging, und 62 ein unbegrenztes Wonnegefühl, ein trunkener Muth beseelte sein ganzes Wesen und hob ihn über sich selbst, über den, der er bisher gewesen. Alles, was er von sich gehofft und erwartet, und was er nie erreicht hatte, das erschien er sich jetzt: ein Held, ein geliebter Mann, ein Begünstigter des Glücks, ein Liebling der Götter. Beide verstanden sich und theilten sich in die Aufgabe zu handeln mit einer Umsicht und Raschheit, die beinahe übermenschlich war.

Leider zu spät. Belisar erschien vor den Thoren und ließ die Blauen auffordern, sich zu unterwerfen, indem er ihnen vollkommene Verzeihung zusagte. Viele benützten es und verließen die Sache des Hypathius. Nun kam die Reihe an die Grünen. Auch sie wurden aufgefordert, sich zu ergeben, aber ohne jede Bedingung. Da schleuderte Lykortas einen Stein auf den ausrufenden Befehlshaber, der zu Boden stürzte und dies war das Signal zum Angriff.

Die Tuba klang, und die Truppen stürmten gegen den Eingang. Zwei- und dreimal wurden sie zurückgeschlagen; endlich erklommen Einige trotz der tapfersten Gegenwehr eine Stufenreihe und sandten von da herab einen Hagel von Pfeilen. So gelangten auch die Schwerbewaffneten durch das Thor in den innern Raum. Nun hielt sich nur noch Verzweiflung. Hypathius hatte sich so weit aufgerafft, daß er den Seinigen wenigstens zurief: »Sieget, sieget!«

63 Aber im nächsten Augenblick schon traf ihn der Pfeil eines Herulers, der ihn, schwer verwundet, niederstreckte. Lykortas hatte sich mit Dione und den wenigen ihm Treugebliebenen, noch Kampffähigen, immer höher gegen die obersten Stufenreihen des Hippodrom zurückgezogen. Hier erwartete er den Feind und seinen Tod. Mit der Verwundung und Gefangennahme des Hypathius ruhte der Kampf ein wenig. Der Feldherr Justinians gönnte seinen erschöpften Truppen einige Rast, und die Vertheidiger, zum größten Theil verwundet, waren ohnehin kaum noch eines Widerstandes fähig.

»Der Kampf ist vorbei, nun beginnt die Strafe,« rief Belisar den Seinen zu, und diese stürzten sich auf die fast wehrlose Menge Volks und hieben Alles nieder. Lykortas, einem sterbenden Fechter gleich, hatte, auf seinen Schild gestützt, sich niedergelassen, und Dione war beschäftigt, seine Wunde zu verbinden. Sie riß den kostbaren Purpurmantel, den man ihr umgeworfen hatte, in Fetzen und stillte damit das Blut, sie trocknete seine Stirn mit ihren Locken und den Blumen darin. Seine Hand ruhte auf ihrer Schulter, beider Blicke versenkten sich in einander, wie um die verlorenen, unausgesprochenen Geständnisse nachzuholen, um in den letzten Augenblicken noch, so kurz vor dem Sterben sich einander ganz und für immer zu gehören.

»Lebe wohl, Dione!« sagte Lykortas, »ich mußte und ich hab' es immer geglaubt, daß Du noch einst 64 einsehen würdest, wie Du mich geliebt hast und nicht ihn!«

»Nun sterb' ich gern, aber was soll aus Dir werden? Tödte mich nur sogleich!« rief sie, »lebend will ich nicht in ihre Hände fallen, leben will ich nicht ohne Dich! Wie glücklich, ich ward es noch inne, daß ich Dir gehöre, nur Dir! Siehe, sie kommen!«

Lykortas sprang auf. Mehrere Heruler drangen die Stufen heran.

»Den,« riefen sie, »müssen wir lebend einbringen, er soll unter Martern sterben! Ergieb Dich!« –

»Ihr könnt nachkommen, Barbaren«, rief Lykortas und stieß sein Schwert dem ersten, der herankam, in die Brust, daß dieser über die Treppen hinabtaumelte, dann umschlang er die Geliebte mit beiden Armen, und, sie fest an sich pressend stürzte er sich mit ihr zwischen den Säulen der Umfassungsmauer auf die Marmorplatten in die Tiefe nieder. Ein Aufschrei derer, die es sahen, – dann war eine Todtenstille.

Der Aufruhr war beendet, Tausende von Leichen bedeckten die Räume, welche kurz vorher von dem Eifer der Wettkämpfer, vom Jubel der siegreichen Aufständischen erfüllt gewesen.

In gleicher Stunde öffnete sich der Kerker des Adrast und Admet. Eine ganz in weiße Schleier verhüllte Gestalt erschien auf der Schwelle und winkte ihnen zu folgen. Gleich darauf, als sie den 65 Hof betraten, wurden sie von Bewaffneten umringt und von ihnen durch die Gärten nach dem Meeresufer und an Bord eines Schiffes gebracht, das bestimmt war, an demselben Tage noch die Anker zu lichten und nach Egypten zu steuern.

Es war kaum ein Jahr nach diesen Ereignissen verflossen, als der Beherrscher des oströmischen Reiches heftige Reue über die Niedermetzlungen jenes Tages empfand. Er genoß weder Zerstreuung in den Beschäftigungen mit Staatsangelegenheiten, noch den ersehnten Schlaf. Immer wieder standen die gräßlich zerfleischten Opfer des Neujahrstages von 532 vor seiner geängstigten Seele.

In der Roth seiner Gewissensbisse hörte er von einem Heiligen, der in der Wüste der Thebais seit Jahren ein weltabgeschiedenes Leben führe und einer besonderen Gnade von Gott theilhaft scheine. Ihm sich anzuvertrauen, von ihm Trost und Hülfe zu erbitten, war seine einzige Hoffnung. Einige seiner Vertrauten machten sich auf den Weg, den Heiligen aufzusuchen.

Sie fanden ihn und brachten ihn glücklich nach Constantinopel. Justinian umarmte ihn, und eröffnete ihm seine Seelenqual:

»Giebt es für mich noch Vergebung, kann ich des Himmels, der Genossenschaft der Seligen und Reinen theilhaft werden?«

Der Heilige schwieg.

»Giebt es keine Fürbitte, fallen meine guten Thaten nicht in die Waagschale? Hörtest Du nicht davon, daß ich alle früheren Gesetze, die ältesten wie die neueren ge 66sammelt, und in ein Buch vereinigt habe, damit für alle Zeiten gewußt werde, was Rechtens ist, und immerdar Gerechtigkeit auf Erden walte?«

Der Eremit blickte ihn strafend an: »Und wann«, rief er, »ward jemals mehr Unrecht begangen, als unter Deiner Regierung, Unseliger! Wucher, Erbschleicherei, Betrug, Sklavenhandel, Ehebruch und betrügerische Fälschung stehen in üppiger Blüthe seit Deiner Herrschaft.«

»Ach«, seufzte Justinian, »und kann es mir auch nichts nützen, daß ich aus Asien die Seidenzucht eingeführt und damit eine große Wohlthat unter den Menschen verbreitet habe, einen Nahrungszweig für den Fleiß und die Arbeit von Tausend und aber Tausenden?«

»Der Ueppigkeit und dem Laster nur gabst Du Mittel und Ausdehnung«, sprach mit fast tonloser Stimme der Einsiedler, »sieh' mich an, genügt mir nicht ein härenes Gewand, und willst Du, daß Deine Krieger bald in Seide, statt in Eisen und Thierfelle sich kleiden?« –

»Waren es denn nicht Rebellen«, fuhr hier der Kaiser ungeduldig auf, »Empörer, die ich niederhauen ließ – und –« setzte er sich selbst entschuldigend hinzu, »forderte es nicht meine Regentenpflicht, sie zu vertilgen?«

»Du könntest Recht haben, wenn es nur lauter Schuldige gewesen wären«, seufzte der Heilige.

»Ach, ich weiß«, rief Justinian, »es waren auch zwei Knaben darunter, deren Unschuld sich 67 später erwies, ich aber ließ sie ins Gefängniß werfen und wahrscheinlich wurden sie dort getödtet, denn man vernahm nichts mehr von ihnen«.

»Wie?« rief der Eremit, »Adrast und Admet?«

»Ja, so hießen sie!«

»Wurden sie nicht auf Deinen Befehl zu mir in die Wüste geschickt, damit ich sie dort zur Glückseligkeit der wahren Erkenntniß leiten sollte?«

»Nein, nein«, rief der Kaiser, »aber sie kamen zu Dir?«

»Sie kamen, und sie leben noch – sie leben als die Weisesten der Sterblichen, sie sind, nachdem ich sie gelehrt hatte, die Güter der Welt, Reichthum, Macht und Ansehn für nichts zu achten und in der Unabhängigkeit des Geistes allein das wünschenswertheste Gut zu sehen, nach Elis in Griechenland zurückgekehrt, um dort in ihrer Heimat unter den Ruinen des einst weltberühmten Olympia das heilige Leben fortzusetzen, das sie unter meiner Anleitung in der Thebais begonnen haben.«

»Dann war es ein Engel Gottes, der sie zu Dir geführt hat«, sagte Justinian, »und mir ist verziehen!« –

Freudig erzählte er die glückliche Nachricht seiner Gattin Theodora, die ihn mit einem eigenen Lächeln anhörte, gleichsam als hätte sie diesmal den wahren Thatbestand besser gewußt, als der große Rechtsgelehrte auf dem Throne.

Ob nun Adrast und Admet wirklich das Leben der Ascese fortgesetzt oder dem Andenken einer 68 theuren Vergangenheit gelebt und ihre Tage in Beschäftigung mit Landarbeit und Studien getheilt haben, darüber ist nichts bekannt geworden. –

In Constantinopel aber ging noch lange die Sage von jenen Wagenlenkern aus Olympia. Die Einen behaupteten, wirklich ein Engel habe sie gerettet, die Andern wollten wissen, sie seien das göttliche Brüderpaar der Dioskuren selbst gewesen, das sich noch einmal zur Erde herabgelassen, um dann für immer zurückzukehren von dem unseligen Geschlecht der Menschen zu jenen Höh'n des Himmels, von wo sie noch als verbundene Sterne herniederleuchten.


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