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Nikisa.

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Noch lange Zeit nach Einführung des Christenthums als Staatsreligion im oströmischen Kaiserreiche blieben altgriechische Philosophie, Mathematik und Homers Götterwelt Gegenstände des Unterrichts, selbst der Frauen, in Byzanz. Den Vorrang hatten allerdings die Erlernung der Dogmen, die Auslegung von dunklen Bibelstellen und tiefsinnigen Aussprüchen der Kirchenväter, allein die Rhetorik und Dialektik der Alten leisteten gerade hiezu die besten Dienste.

In schönen Palästen verbrachten die Töchter angesehener Familien ihre Jugendtage mit Studien und mit Musik. Selten sahen sie etwas von der Außenwelt. Die Gärten jedoch, die gewöhnlich bei der Wohnung und von hohen Mauern umschlossen waren, boten Erholung genug und Anlaß zu Vergnügungen. Die zarte Hautfarbe, die den byzantinischen Frauen nachgerühmt wurde, hatte hierin ihren Grund, und die Beschäftigung mit Philosophie und schönen Künsten mußte das Feuer ihrer seelenvollen Augen nur noch vertiefter und anziehender erscheinen lassen.

Nikisa war die Tochter eines der ersten Beamten am Kaiserhofe. Sie zeichnete sich eben so 140 sehr durch ihre Schönheit als durch ihre Bildung, ihren Reichthum an Kenntnissen aus. Sie war stets schlagfertig in gelehrten Antworten, sie redete mehrere Sprachen, löste mit Leichtigkeit mathematische Probleme und nicht minder wußte sie die religiösen Geheimnisse befriedigend zu deuten. Sie war der Stolz ihrer Eltern, die nicht daran dachten, sie einem der vielen Bewerber als Gattin zu geben, wie sie denn auch selbst eher Abneigung gegen jedes Ehebündniß an den Tag legte. Sie wollte nur der Wissenschaft, ihren Büchern und Zeichnungen leben.

Eines Tages aber kam ein Befehl vom Palaste des Kaisers, eine Einladung an die edelsten Frauen der Hauptstadt, sich mit ihren Töchtern dort einzufinden. Die Mutter des jungen Herrschers hatte nämlich beschlossen, eine unter den Damen für ihren Sohn als Gattin auszuwählen, vielmehr ihn selbst wählen zu lassen. In aller Stille waren die Vorbereitungen getroffen worden, und das Geheimnißvolle der Einladung gab zu den verschiedensten Muthmaßungen Anlaß.

Als zur bestimmten Stunde die Schönen mit ihren Müttern sich eingefunden hatten, wurden sie aus dem Vorhofe, ihrem Versammlungsplatze in einen prächtig ausgeschmückten Saal, welcher die Perle hieß, eingeführt. Den Boden und die Wände, sowie die Decke schmückten Mosaikbilder. Marmor in allen Farben, Gold und Edelsteine waren überall angebracht und in so glücklicher Zusammenstellung, daß sie gegenseitig ihren Glanz erhöhten. 141 Die großen Augen der Byzantinerinnen, die doch von Hause aus an allen Prunk gewöhnt waren, blickten staunend auf all die Pracht und Herrlichkeit.

Bald erschien auch Theophilus, der Kaiser, einen Apfel als Preis der Schönheit in seiner Hand haltend. Beim Anblick so vieler Bewerberinnen, deren jede ihn zu verdienen schien, ließ sich bemerken, daß er einigermaßen betroffen war. Bald aber hatte er sich gefaßt, und er trat entschlossen auf Nikisa zu, die er offenbar als die des Preises Würdigste auszuzeichnen vorhatte.

Mit unverholenem Wohlgefallen betrachtete er die jungfräuliche, anmuthige Gestalt und sprach: »Ach, wenn doch nur die Schönheit der Frauen nicht schon so viel Böses über die Welt gebracht hätte!«

Es war, als ob er damit seine so rasch getroffene Wahl entschuldigen, das Geschick versöhnen wollte.

Nikisa keineswegs verlegen antwortete kühn: »Aber durch einer Einzigen Verdienst ist alles Unheil wieder gut gemacht worden.«

Dem jungen Kaiser gefiel diese Antwort nicht, sie schien ihm sowohl ungeeignet, als auch trotzig. Theologische Erörterungen waren ihm ohnehin zuwider und verletzten ihn geradezu von derjenigen, die ihn anfangs durch den Zauber ihrer Erscheinung eingenommen.

»Wie der geschwätzige Staar versteht sie zu plaudern was man ihr gelehrt hat,« sagte er zu sich und wandte sich von ihr ab. Er näherte sich einer anderen Schönen, der Tochter einer der Palastdamen, Theodora, die seine Frage 142 nur mit sittigem Erröthen beantwortete. Dies gefiel ihm, und seine Wahl war entschieden, er legte zierlich den Apfel in ihre Hand und führte sie zu seiner Mutter.

Nikisa bemerkte wohl, welches Mißfallen sie erregt hatte; Stolz und Scham kämpften in ihrer Brust, aber sie bezwang ihren Schmerz und hielt ihre Thränen zurück. Mit lächelnder Gleichgültigkeit, in einer Art von Betäubung ertrug sie den stolzen Blick der Siegerin und das höhnische Lächeln auf aller Lippen.

Erst als sie allein war, erkannte sie die ganze Größe der ihr angethanenen Schmach, fühlte sie die ganze Wucht ihres Schmerzes. Daß derjenige ihr nicht mehr gleichgültig war, der sie zuerst so bevorzugt, in solchen Taumel der Entzückung gerissen und dann so schwer gekränkt hatte, empfand sie nur allzu lebhaft, und obwohl sie glaubte, daß nun auch sie werde verschmähen können, und hoffte in ihrem Wissen und in ihren Talenten Ersatz zu finden, so gereichte ihr das doch nur zur vorübergehenden Beruhigung. Die Täuschung, der sie sich hingab, wich immer mehr und ließ nur eine größere Leere zurück. Alles was sie bisher gethan, wofür sie Neigung und Eifer gehabt hatte, alles erschien ihr nichtig und schaal.

Für den Verlust gab es für sie in diesem Leben keinen Ersatz mehr, das Einzige was sie thun konnte war, sich überhaupt von allen irdischen Dingen und Hoffnungen loszusagen und das vollführte sie. Sie offenbarte ihrer Mutter, daß sie entschlossen sei, sich in ein 143 Kloster zurückzuziehen, die Demüthigung, die sie erfahren, schließe sie von der Welt aus.

Dagegen war nichts einzuwenden, mit Betrübniß gaben ihre Eltern die Einwilligung. Ihren Eintritt in das Kloster begleiteten sie mit reichen Geschenken an die Kirche, und der Tag der Einkleidung wurde von der Familie wie ein großes Freudenfest gefeiert, gleichsam um anzudeuten, daß man den besseren Theil erwählt habe. Wenn auch das Herz verblutete, der Stolz verbot, etwas anderes als eine überlegene Miene zu zeigen; aber das reizte die Mißstimmung des Kaisers um so mehr und steigerte seinen Widerwillen.

Nachdem inzwischen die von Theophilus Auserkorene den Glückwünschen ihrer Freundinnen und den Umarmungen der Verwandten allmälig sich entzogen hatte, war sie wie im Triumph nach Hause begleitet worden. Auch hier war alles voll Glanz und Freude zu ihrem Empfang bereit. Noch am nämlichen Tage trafen Geschenke des kaiserlichen Bräutigams ein, und am folgenden Morgen wurde sie in feierlicher Prozession nach dem Palast abgeholt und dort von der Mutter ihres zukünftigen Gemahls begrüßt und aufgenommen. Es folgte Fest auf Fest, und mit kluger Bescheidenheit nahm Theodora die Huldigungen entgegen, die ihr allseits dargebracht wurden. Ihrem Gatten gegenüber bewies sie vor den Augen der Menge würdevolle Ehrerbietung, während sie an seiner Seite die zärtlichste und hingebendste Geliebte war.

144 So vergingen Wochen und Monate in ungetrübter Stimmung. Theodora besaß nicht in dem Maße gelehrte Bildung wie Nikisa, auch war ihr Geist nicht zu Betrachtung und Forschung geneigt, um so mehr aber verstand sie zu glänzen, zu gefallen und stets ein wachsames Auge auf sich selbst und auf alles zu haben, was ihr und ihren Absichten und Wünschen dienen konnte.

Im Wohlstand, aber nicht gerade im Reichthum erzogen, wußte sie aus ihrer hohen Stellung Vortheil zu ziehen und ihre Eltern und nächsten Verwandten daran theilnehmen zu lassen. Sie bedachte die Ihrigen mit Glücksgütern, verschaffte ihnen Stellen bei Hof und besaß die Kunst, es so einzurichten, daß nichts davon ihrem Gatten auffiel oder sein Mißfallen erregt hätte. Einem ihrer Vettern hatte sie die Stelle eines Schiffshauptmanns verschafft auf einer der kaiserlichen Galeeren, und dieser war eben von einer Seefahrt aus Asien zurückgekehrt, von wo er im Auftrag des Herrschers orientalische Stoffe für die Kaiserin zu bringen beschäftigt gewesen.

Er ließ sich zu einer Unterredung bei ihr melden und bat um die Erlaubniß, daß auch er ihr das nächste Mal ein Geschenk mitbringen dürfe, sie möchte im Voraus die Erlaubniß geben, verschiedene Güter, die er jetzt noch nicht näher bezeichnen wolle, unter ihrem Namen mitzubringen. So gab er vor; in Wahrheit aber handelte es sich bei ihm darum, auf dem kaiserlichen Schiffe, dessen 145 Befrachtung keinem Zoll unterworfen war, eine Menge Waaren unter dem Schutze dieses Vorrechts einzuschmuggeln und sie dann in Konstantinopel um hohen Preis zu verkaufen, was einen reichen Gewinn für ihn abwerfen mußte.

Theodora gab nach einigem Erstaunen ihre Einwilligung, deren Tragweite sie natürlich nicht ahnen konnte. So ging denn einige Monate vor der Wiederkehr ihres Namensfestes die Galeere abermals unter Segel zu gleichem Zwecke wie das erste Mal, erreichte glücklich Syrien und brachte außer den Geschenken des Kaisers auch noch Waaren mit an Bord, (die gleichfalls unter dem kaiserlichen Siegel), bestimmt waren, in der Hauptstadt mit großem Vortheil verkauft zu werden. Ein Schatzmeister, einer ihrer Verwandten, den sie zu diesem Amt befürwortet hatte, war in das Geheimniß gezogen worden und hatte die zum Ankauf der Waaren nöthige Summe vorgestreckt, natürlich unter Zusicherung eines bedeutenden Gewinnantheils. Weder Stürme noch andere Gefahren hielten die Unternehmung auf, und nach wenigen Wochen lief das Fahrzeug in den Hafen des goldenen Hornes ein.

Es traf sich, daß an dem gleichen Tage der Kaiser jene Kirche besuchte, in deren Kloster Nikisa sich zurückgezogen hatte. Hier erfuhr er zum ersten Mal wieder von ihr und hörte ihren Namen. Denn unter den Kirchengesängen, die er hier vernahm, war es eine Hymne, die durch ihre erhabene 146 Sprache, durch den kühnen Ausflug und die Innigkeit der religiösen Stimmung ihn besonders ergriff. Er erkundigte sich nach dem Dichter dieses Meisterwerkes und erfuhr zu seinem größten Erstaunen, daß es Nikisa sei, welche nicht nur diese, sondern schon mehrere Hymnen von gleicher Vortrefflichkeit gedichtet habe.

»Wie!« rief er voll Unmuth aus, »wißt Ihr nicht, daß es verboten ist von Frauen Gedichtetes unter die Kirchengesänge aufzunehmen? Dieses Mädchen erdreistet sich sogar, in die Gemeinschaft der Heiligen und Könige sich zu drängen, sich für eine christliche Sängerin auszugeben! Die vorlaute Thörin! Ich erneuere das Verbot, daß Worte in der Kirche gesungen werden, die von einem Weibe gedichtet sind. Ich verbiete die Verse der Minderjährigen und Unmündigen.«

Damit erhob er sich und verließ zornig den Tempel.

Als Nikisa in ihrer Zelle das Geschehene zu hören bekam, lächelte sie wehmüthig und warf sich vor dem Bildnisse der Heiligen nieder, indem sie ausrief:

»Verzeihe, daß ich mich unterstanden habe, Dich zu preisen, verschließe die stammelnde Lippe und nimm Du allein aus dem überquellenden Herzen die Flammen auf, die Dir meine Begeisterung darbringt! Weil aber Einem alles verhaßt ist was von mir ihm kund wird, so will ich dieses Heiligthum und diese Stadt verlassen und fern meine Zuflucht in einem der Klöster am Saum der Wüste 147 oder im Gebirge suchen.«

Damit erhob sie sich und traf sogleich die nöthigen Vorkehrungen, um ihren Vorsatz auszuführen.

Indem ihre Augen auf die blauen Wellen der Propontis gerichtet waren, bemerkte sie ein Fahrzeug mit vollen Segeln sich dem Ufer nahen. Es war dasselbe, das die Geschenke nebst den einzuschmuggelnden Waaren für die Kaiserin brachte. Auch der Kaiser sah es. Er befand sich eben in einem der Gärten, die er zwischen den Stadtmauern und dem Meere hatte anlegen lassen, in einem Pavillon, von dem aus jedes ein- oder auslaufende Schiff beobachtet werden konnte.

Theophilus erkannte seinen Kauffahrer und eilte sogleich mit allem Gefolge an Bord. Als ihm hier die Menge der Waaren auffiel, die alle mit seinem Siegel bezeichnet waren, so erkundigte er sich, was sie denn enthielten und ob sie alle ihm gehörten. Da hieß es, sie seien für die Kaiserin bestimmt. Nicht möglich! rief er aus, öffnet! Nun kamen Dinge zum Vorschein, die sehr verdächtig schienen und unmöglich nur zu Geschenken bestimmt sein konnten. Leute aus seiner Umgebung, die den Zusammenhang merkten oder wußten, schürten seinen Argwohn, und der herbeigelaufene Schiffshauptmann gestand alles, indem er zugleich den größeren Antheil der Schuld auf Theodora wälzte.

»Hat man je gehört, daß ein römischer Kaiser oder seine Gattin Handel getrieben hätten!« rief 148 Theophilus voll Entrüstung aus und befahl, die ganze Ladung ans Land zu bringen und zu verbrennen, das Schiff selbst aber mit dem Befehlshaber und der Mannschaft gebot er nicht aus dem Hafen zu lassen, bis nicht die genaueste Untersuchung den Antheil ihrer Schuld ans Licht gebracht und ihre Strafe bestimmt hätte.

Im Palast angekommen, ließ er der Kaiserin, die kein Wort der Entschuldigung wagte, seine ganze Verachtung fühlen und verbannte sie von seinen Augen auf ein fernes Landgut. Theodora schwieg: sie sah ein, wie unklug und übereilt sie gehandelt hatte und war großmüthig genug, die ganze Schuld auf sich zu nehmen, um ihren Verwandten zu retten, der es unfehlbar mit einer grausamen Todesstrafe würde gebüßt haben. Sie begab sich also an den Ort der Verbannung, woselbst sie streng bewacht wurde und überhaupt die Ungnade ihres Herrn aufs schmerzlichste fühlen mußte.

Bei Verbrennung der Waaren ereignete sich der Unfall, daß durch die Habsucht der Leute, die damit beauftragt waren und manches für sich retten wollten, eine Feuersbrunst entstand, die sich äußerst rasch verbreitete und sogar einen Theil des Palastes ergriff und in Asche legte.

Mitten im Sturm dieser Ereignisse traf das Gesuch von Nikisa bei dem Kaiser ein, in welchem sie um die Erlaubniß bat, ihr Kloster und die Hauptstadt verlassen zu dürfen, um in einer entfernten Gegend ihre Tage zu beschließen.

149 »O die Unheilvolle!« rief der Herrscher aus, »sie trägt durch ihre thörichte Antwort an allem Uebel das mich betroffen die Schuld, ihre Rache verfolgt mich, möge sie ziehen so weit sie will, gern geb ich die Erlaubniß zu ihrer Entfernung und schleunigst verlasse sie uns, ich will es so!«

Als Nikisa das Blatt mit der Entscheidung seines Willens in Händen hielt, stürzten Thränen aus ihren Augen. Noch einmal überkam sie das ganze Gefühl der Verschmähung und ihrer Liebe, dann aber raffte sie sich auf, ohne Verzug eilte sie zu den Ihrigen, nahm Abschied und ging mit einigen anderen Frauen, die sich ihr angeschlossen hatten nach dem Abfahrtsplatze.

Weil sie früher schon gleich nach Ankunft des Schiffes sich hatte erkundigen lassen, ob er wieder nach dem Orient zurückkehre und der Schiffshauptmann das bejahte, indem er, schon damals nichts Gutes in seinem Gewissen ahnend, Konstantinopel baldigst wieder verlassen wollte, so betrat sie unbekümmert den Bord und überreichte ihren Erlaubnißschein dem Befehlshaber. Dieser erkannte sogleich, daß das kaiserliche Mandat, das einem Befehl an die Behörden gleichkam, das Verbot, ihn nicht aus dem Hafen zu lassen, aufhebe, und hocherfreut über den glücklichen Zufall gab er den Befehl, die Anker zu lichten, damit er bis um Mitternacht das hohe Meer gewänne.

Er erreichte vollständig seine Absicht und da sich gegen Morgen ein günstiger Wind erhob, so 150 war er bei Tagesanbruch schon weit von Konstantinopel entfernt.

Zuweilen geschehen Dinge, die so unglückselig sind, daß die durch sie Betroffenen weder recht betrauert werden können, noch einer Rache werth sind, die man nur ungeschehen wissen möchte, für die es nichts besseres giebt als todtgeschwiegen zu werden. Von dieser Art war das Vergehen Theodora's. Was auf ihr lastete, war so klein, so wenig, so lächerlich und doch so furchtbar entwürdigend. Es war so leicht zu verzeihen und blieb doch ein unauslöschlicher Makel.

Wochen vergingen, sie hörte von der fortwährenden Trauer ihres kaiserlichen Gemahls, und daß keiner von den Künstlern in seinem Reiche sich erkühne, die durch das Feuer zerstörten Räume des Palastes wieder herzustellen; da faßte sie den Entschluß an ihn zu schreiben, ihn um seine Gnade zu bitten. Sie enthüllte, welch geringe Schuld ihr beizumessen sei und bat in den rührendsten Worten um seine Liebe. Die Reue über ihren Fehler verzehre sie, die Entfernung von der Sonne ihres Lebens sei ihr Tod, aber sie ersehne ihn, wenn es keine andere Erlösung für sie aus ihrer Gefangenschaft gebe, nur möchte sie noch vor ihrem Sterben ein verzeihendes Wort ihres Gatten vernehmen.

Theophilus war aufs tiefste bewegt, er begab sich zu ihr, die ihm bei der ersten Begegnung nach so langer Trennung wieder so lieblich erschien, wie am Tage, da er sie zum ersten Mal gesehen und 151 ihr den Apfel als Preis der Schönheit überreicht hatte.

»Wahrlich, ich fühle wohl,« rief er aus, »Du hättest noch Schlimmeres thun dürfen, und ich würde Dir doch verziehen haben.«

»Betrachte mich als die Strafbarste, aber auch als die Reuigste!« gab sie zur Antwort. »O, welch ein Prachtbau ist durch meine große Thorheit zerstört worden, gern gäb' ich mein Leben dahin, wenn ich ihn damit wiederherstellen könnte!«

»Deine Reue ist vor Gott mehr werth als alle Prachtbauten, und mir sei ein Ersatz das Glück, von Dir geliebt zu sein!«

Er umfasste sie leidenschaftlich und sie, unter seinen Küssen schmeichelnd sagte: »Aber wer verwehrt es Dir Deinen Lieblingsbau wieder aufrichten zu lassen?«

»Die Einkünfte vieler Jahre,« entgegnete Theophilus, »reichen nicht aus, die Kosten zu decken.«

»O,« rief Theodora, »wenn es das nur ist, so nimm alle die Prachtgeschenke, mit denen Du mich je bedacht hast, allen Schmuck, alles was ich besitze, nimm es, und zugleich als Sühne meines Fehlers! Wie glücklich werde ich sein, durch unbegrenzte Hingebung Dir den Verlust zu ersetzen!«

»Deine Schönheit wiegt alle Schätze der Welt auf,« sprach Theophilus; »aber es giebt auch keinen Baumeister in meinem ganzen Reiche, der es verstünde, jene Mauern so wieder aufzurichten, wie sie waren, denn sie bildeten die vollendetste Nachahmung der Residenz des Chalifen; Grundriß und Aus 152führung sind ein Geheimniß der morgenländischen Künstler, und bei der feindlichen Lage, in der wir uns dem Hofe von Bagdad gegenüber befinden, wird keiner sich herbeilassen uns zu dienen.«

»Wohlan denn,« rief Theodora wie in Begeisterung aus, »so gehe den Sultan selbst darum an, und weigert er sich, Dir einen Baukundigen zu senden, so überzieh' ihn mit Krieg! Wenn Du, woran ich nicht zweifle, siegreich bist, so kannst Du ihm diese Bedingung stellen, oder Du dringst selbst in seine Hauptstadt und giebst dort Deinen Künstlern den Auftrag, das Wunderwerk nachzubilden.«

Theophilus, der jung und muthig war und es zugleich für ein verdienstvolles Werk ansah, die Ungläubigen zu bekriegen, fand ihren Vorschlag unübertrefflich und ordnete sogleich einen Boten in diesem Sinne ab.

Er schmeichelte sich, so das Ziel zu erreichen, das er auf andere Weise nie würde erringen können und brannte vor Ungeduld, den Prachtbau, der vor seiner Phantasie schon fertig stand, in Angriff zu nehmen.

So ließ sich denn alles vortrefflich an, und das Verhältniß der Gatten schien ungetrübter und inniger als je. Aber es schien nur so. Es gab Augenblicke, in denen sie empfanden, daß ein dunkles unantastbares Etwas zwischen ihnen lag, eine nicht geheilte Wunde, und es brauchte nicht viel, um sie fühlen zu lassen, daß sich dies dunkle Etwas bis zur Abneigung, zu geheimem Widerwillen 153 steigern könne. Was geschehen, es war überall bekannt geworden, und der Witz der Griechen erging sich in tausendfachen Anspielungen über die glückliche Kaufmannschaft der Kaiserin, Anspielungen, die oft nicht einmal gewollt waren, aber doch trafen. Es gab fast keinen Anlaß, wo nicht ein Wort fiel, das darauf hindeutete. Wenigstens nahm es Theophilus derart auf und fühlte sich verletzt.

Noch ein mißlicher Umstand kam hinzu, der Kaiser war ein Feind der Bilderverehrung und Theodora war deren heimliche Anhängerin. Man erzählte sich er habe öfters Verdacht geschöpft und einen Zwerg, der sein Lustigmacher und Ausspäher war, beauftragt, die Kaiserin zu belauern, ob er sie nicht bei Anbetung der Bilder beträfe. Der Zwerg dem erlaubt war, überall und zu jeder Stunde einzutreten, überraschte wirklich einmal die Kaiserin, als sie das Bild einer Heiligen vor sich hatte und davor niederkniete. Als er dies dem Kaiser hinterbrachte, fuhr dieser auf, ließ Theodora kommen und schalt sie eine Götzendienerin.

»Wer hat mich angeklagt?« fragte sie entrüstet.

Als der Kaiser ihr den Zwerg nannte, rief sie: »O, der Abscheuliche! in aller Morgenfrühe, als ich eben vor meinem Spiegel mich ankleidete, trat er ein, frech wie er ist, um mich zu belästigen. Ich wies ihn weg, und daher seine Anklage.«

»Und doch will er Dich vor einem solchen Bilde gesehen haben?«

154 »Was er sah war nur mein eigenes Bild im Spiegel.«

»Das eines Engels,« fügte der Kaiser lächelnd hinzu, und er züchtigte den Zwerg aufs empfindlichste für seine Angeberei.

Theodora wußte nicht, sollte sie seine Worte und sein Lächeln für Hohn oder für Liebenswürdigkeit nehmen, sie verschloß ihren Zweifel in sich und schwieg, doch konnte sie nicht verhüten, daß auch dieser Unfall bei Hofe mit vielen Ausschmückungen erzählt und herumgetragen wurde.

Inzwischen traf die Antwort des Chalifen ein, welcher das Ansinnen des griechischen Kaisers rund abschlug und mit trotzigen Worten erwiderte.

Die Folge davon war, daß man sich beiderseits ernstlich zum Krieg rüstete.

Schon war ein Theil des byzantinischen Heeres ausgerückt, und der Kaiser selbst mit Theodora, seinen obersten Feldherrn, Elitruppen, Räthen und Hofdienern sollte nachfolgen, als ein Umstand eintrat, der beinahe den Krieg vereitelt, wenigstens die Ursache desselben aufgehoben hätte.

Es meldete sich eines Tages ein Grieche aus Kleinasien, der seiner Aussage nach, aus türkischer langjähriger Gefangenschaft entronnen war und Entwürfe zu dem maurischen Palaste vorzulegen sich erbot. Er versprach, den Bau mit weniger Kosten als beanschlagt waren und in kürzester Frist herzustellen. Theophilus und noch mehr seine Gattin waren geneigt, auf den Plan einzugehen, versäumten 155 aber dabei nicht, die Kriegsrüstungen fortzubetreiben.

Theodora besonders erzeigte sich dem jungen Griechen huldvoll und konnte nicht satt werden, seine Zeichnungen, die er in erstaunlich kurzer Zeit vollendet hatte, einzusehen, und sich die Entwürfe des Baues erklären zu lassen. Die Erzählungen von seinen Gefahren und Leiden rührten sie aufs innigste, und ihre mit Thränen erfüllten Blicke hefteten sich verstohlen an die schönen Züge des Fremdlings, um gewissermaßen das Erlittene aus ihnen herauszulesen. Dann waren es wieder seine Schilderungen morgenländischer Sitten und Prachtscenen, denen sie aufmerksam zuhörte.

Die Gelegenheit, seinen Worten lauschen zu können wiederholte sich; aber er selbst, der Gegenstand so vielfacher Theilnahme verhielt sich stets zurückhaltend in strenger Ehrerbietung, und es war augenscheinlich, daß dadurch die im Herzen der Kaiserin erwachte Neigung immer mehr Nahrung gewann.

Da lief plötzlich die Nachricht eines verlorenen Treffens ein, und zugleich wurde der Grieche als Späher des Feindes dem Kaiser verdächtigt. Theodora widersprach mit Eifer und auch mit Erfolg. Es gelang ihr, die Beschuldigungen der Ankläger zu entkräften, die falschen Berichte aufzudecken und die Räthe des des Kaisers die zum Zwecke eines Urtheils versammelt waren, von der Unschuld ihres Schützlings zu überzeugen. Es wurde keine Untersuchung gegen den Angeklagten eingeleitet und ihm jede Freiheit 156 auch ferner gestattet. Ein leiser Argwohn blieb aber doch gegen ihn haften, besonders bei Theophilus; die lebhafte Vertheidigung von Seite der Kaiserin trug nicht bei, sein Mißtrauen zu verringern.

Eines Abends als sie allein noch den Garten durchwandelte, sah sie sich plötzlich vor den Ruinen jenes Palasttheiles, der durch Feuer war zerstört worden. Ein Schauer überlief sie vor den öden verkohlten Mauern, und mit beklommenem Herzen gedachte sie der Ursache, die allgemein ihr zur Last gelegt wurde. Aber sie konnte nicht umhin, den Antheil ihrer Schuld als gering zu betrachten, dagegen mit Bitterkeit der Ungnade zu gedenken, der Härte, mit welcher ihr Gemahl sie bestraft hatte. Es kam ihr vor, als sei ein großes Unrecht an ihr verübt worden, als habe Theophilus alles Recht an ihre Liebe damit verloren.

Während dieser Gedanke sie beunruhigte, gewahrte sie zu ihrem größten Erstaunen den Fremden vor sich. Er stand in sinnender Betrachtung auf seinen Maßstab sich stützend über den Ruinen. Auch er hatte nun die Kaiserin bemerkt und näherte sich ihr in einer Weise, die sie bisher noch nicht an ihm beobachtet hatte. Mit einer freien, beinahe gebieterischen Haltung kam er ihr entgegen und bot seine Begleitung an. Sie fühlte sich befangen und hatte nicht den Muth, sein Anerbieten abzuweisen, um so weniger, da die düstere Umgebung und das schnell einbrechende Dunkel sie beängstigten. Er führte sie durch die Reste des ehemaligen Baues, 157 erklärte ihr aus den Trümmern die frühere Pracht und ließ vor ihren Augen die künftige schöner noch und glänzender emporsteigen.

Wie sie von Stufe zu Stufe über die Brandstätte hinanklommen, gewann sie an Ueberblick, und ihre Vorstellung belebte sich mit dem Bilde des Werdenden. In gleichem Maße wuchs ihre Bewunderung für den Werkmeister, den Urheber all des Herrlichen und Großen, was da entstehen sollte.

»Ich beneide Dich,« sprach sie, »um die göttliche Kunst, die Dir die Macht verleiht, Dinge ins Leben zu rufen, die man mit den Werken der Schöpfung vergleichen darf, die mit dem Erhabensten wetteifern, was die Natur hervorbringt.«

»Mit Recht,« antwortete der Baumeister, »stellen sich unsere Werke denen der Natur an die Seite, die Kunst lehrt uns, die unendliche Kraft und Ordnung jener ahnen, sie gewährt uns in der Nachahmung des ewigen Urmaßes die höchste Befriedigung des menschlichen Geistes. Jene Kreise und Linien, in welchen sich die Bahnen der Gestirne über uns bewegen, sie sind Richtschnur und Gesetz der Werke, die wir aufrichten.«

»Und gewiß,« versetzte sie, »empfinden wir deshalb soviel Vergnügen beim Anblick eines schönen Gebäudes, weil es uns an die Harmonie der Allmacht gemahnt, ähnlich wie auch die Schönheit der menschlichen Gestalt uns zu Bewunderung hinreißt und die Liebe in uns erregt.«

Sie sah empor, beider Blicke trafen sich. Ein 158 sanftes Lächeln flog über sein Antlitz, aber wie er sich zu ihr niederbeugte und ihre Stirn mit einem Kuß berühren wollte, in demselben Augenblick fuhr sie mit einem bangen Schrei zurück und klammerte sich voll Entsetzen an seinen Arm. Beinahe wäre sie ausgeglitten und die Treppe hinabgestürzt, allein er hielt sie fest umfaßt. Ein tückisches Lachen störte ihn auf, und nun bemerkte auch er den Grund ihres Schreckens. Aus dem Strauchwerk vor ihnen erhob sich eine häßliche Ungestalt und deutete mit dämonischem Grinsen auf den Torso einer Gruppe, Amor und Psyche darstellend, die halb von Schutt überdeckt neben ihnen lag.

»Es ist Denderim, der Zwerg des Kaisers, sein Ausspäher und Hinterbringer,« flüsterte Theodora, »da der uns gesehen, sind wir verloren, schuldig vor den Augen meines Gatten, schuldig und gerichtet, denn was könnte ich zu meiner Verteidigung sagen?«

»Fürchte nichts,« antwortete der Jüngling, »Deine Neigung trifft kein Vorwurf, ich werde unsere Vertheidigung führen.«

»Ach,« erwiderte sie, »schon bist auch Du verdächtigt, man hat Dich dem Kaiser als einen Kundschafter des Chalifen angegeben, schon war es nahe daran, daß man Dich verhaftet hätte!«

»Und warum geschah es nicht?«

»Weil ich für Dich sprach, ich, die man jetzt in Deinen Armen sah. Ich Unglückselige! Sie 159 kommen – hörst Du – sie kommen! man sucht uns!«

Wirklich bewegte sich eine Schaar der Palasttruppen von dem Zwerge geführt gegen die Stelle, wo sie sich befanden.

Die Verfolgten hatten das nicht sobald wahrgenommen, als sie die Treppe hinabeilten, gleich als wollten sie jenen entgegenkommen, dann aber verschwanden sie, unwahrnehmbar, wie, in dem Dickicht. Sie hatten den Sprung in eine beträchtliche Tiefe von der Treppe gewagt und waren dann in eine Grotte geschlüpft, die ganz von Schlinggewächsen überwuchert, keinen Eingang gewahren ließ und ihnen so den besten Zufluchtsort bot. Von der Grotte aus erstreckte sich nach vier Seiten ein Labyrinth von Gängen, deren einer bis an das Gestade des Meeres führte. Dem Baumeister allein war dieser Weg bekannt, den er bei Aufnahme und Durchforschung der Ruinen entdeckt und bis zu seinem Ausgang verfolgt hatte.

»Hier sind wir gerettet,« sprach er zu Theodora, »wir gelangen von da bis an das Meer, dort werden wir ein Fahrzeug finden, das uns zur Verfügung steht. In Einem nämlich hatten meine Ankläger nicht unrecht, ich unterhielt stets ein Einverständniß mit Orientalen und hatte stets mir ergebene Leute hier in Bereitschaft, denn ich ahnte wohl, daß eintrete was nun auch geschehen ist, daß ich zur Flucht genöthigt sein würde. Folge mir unbesorgt!«

160 »Wie soll ich es verantworten vor Gott, vor meinem Gewissen?«

»Nun,« sprach ihr Erretter, »Hast Du mir nicht erzählt, daß Zufall und Laune nur Dich ihm verbunden, daß er Deine Liebe mit rücksichtsloser Härte gelohnt hat? Einer knabenhaften Willkür dankst Du Deine Erhebung, und ein leichter Fehler wurde Dir mit unerbittlicher Strenge geahndet. Was willst Du da noch hoffen, wie kannst Du von ihm Gerechtigkeit, Versöhnung erwarten? Nein, theure Herrin, Dir bleibt keine Wahl als zu fliehen, oder einem gewissen, schmählichen und martervollen Tod entgegenzugehen!«

»Was Du sagst ist wahr, ach, nur allzu wahr! Wisse denn, daß ich liebe und entschlossen bin, mit Dir zu fliehen!«

Thränen begleiteten ihre Worte, aber der Freund ergriff ihre Hand und zog sie mit beschleunigten Schritten nach dem Ausgang des Gewölbes, den ihnen bald ein schwacher Lichtschimmer entdeckte. Als sie heraustraten, war es noch früh, die Morgenröthe leuchtete in purpurnem Wiederschein über das Meer. Sie mietheten wie zur Lustfahrt eine Barke, die sie bald an Bord eines größeren Fahrzeugs brachte.

Ihre Flucht gelang vollständig und war durch den Umstand begünstigt, daß der Kaiser an diesem und an dem folgenden Tage zu einer Heerschau vor den Mauern Constantinopels abwesend war. Als er zurückkehrte und das Unerhörte vernahm, schwieg er mit staunens 161werther Fassung. Keine Klage, kein Vorwurf über die erlittene Kränkung, kein Befehl, die Strafbaren zu verfolgen, kam über seine Lippen, es blieb Alles, als ob Nichts vorgefallen wäre.

Mit um so größerer Thatkraft aber betrieb er die Fortsetzung des Krieges. Die kürzlich erlittene Niederlage eines seiner Unterbefehlshaber zu rächen, war sein einziges Bestreben. Er fühlte sich im vollen Muthe seiner Jugend, er entdeckte den ungeheuern Reichthum an Fähigkeiten und Kräften in seinem Reich, die bisher nur einer tüchtigen Leitung ermangelt hatten; ganz erfüllt von seiner Herrscherpflicht und ihr hingegeben, war er wirklich groß.

So vergingen Wochen und Monde, der Flüchtigen ward nicht mehr gedacht. Der Krieg war Alles. Bereits standen die Heere sich schlagfertig gegenüber, da traf eine Botschaft des Chalifen ein, der dem Kaiser der Römer Frieden anbot, und als ersten Beweis einer freundschaftlichen Gesinnung die Auslieferung eines Verbrechers versprach, jenes Griechen, der sein Vertrauen so frevelhaft gemißbraucht hatte. Theophilus war zu sehr verwundert über dies Anerbieten, als daß er nicht vor Begierde gebrannt hätte, sich von dessen Wahrheit zu überzeugen und eine furchtbare Rache zu nehmen.

Er gewährte demnach einen Waffenstillstand und erwartete mit Ungeduld den Gefangenen. Welche Geständnisse würde er hören, welche Strafe sollte der Verräther erleiden müssen! Die verein 162barte Stunde rückte heran. Eines Morgens, als er am Zelte mit dem Kriegsobersten über die Vortheilhaftigkeit und die Bedingungen eines Friedensschlusses berieth, nahte sich ein Zug mahomedanischer Reiter, die in ihrer Mitte den Gefangenen hatten. Er befahl, ihn sogleich hereinzuführen. In der ersten Aufregung seines Zornes hatte er schon sein Schwert gezogen, um ihn mit eigener Hand zu tödten, sein Antlitz war bleich vor Zorn, und seine Lippen bebten. Aber statt eines Mannes trat eine weibliche verhüllte Gestalt heran und zeigte, indem sie den Schleier zurückschlug, ein Antlitz, das er kannte, dessen stille und ernste Schönheit ihn überwältigte – Nikisa's Antlitz.

Er ließ von Ueberraschung und einer unwiderstehlichen Anwandlung von Reue ergriffen, das Schwert aus seiner Hand gleiten und trat einen Schritt zurück.

»Nikisa Du? Dich zu sehen hatte ich nicht erwartet! Was willst Du?«

»Deine Verzeihung.«

»Ach, Nikisa, ich habe Dir viel zu vergüten und glaube kaum, daß Du meiner Verzeihung noch bedarfst.«

»Dies eine Mal doch,« sagte sie lächelnd, bog das Haupt zur Seite, indem sie zugleich den Schleier halb über ihr Gesicht zog. »Erkennst Du mich?«

Das Erstaunen des Kaisers erreichte den höchsten Grad, er glaubte den Betrüger, den Entführer 163 seiner Gattin vor sich zu sehen und starrte sie sprachlos an.

»Ja, ich bin es,« sprach sie, »erlaube, daß ich Dir Alles offenbare, dann richte, dann strafe!«

Der Kaiser nickte; er konnte den Blick nicht von ihr abwenden und flüsterte vor sich hin: »Sie ist es wirklich! Ja, erzähle!«

Nikisa hob an: »Als das Verbot gegen meine unwürdigen Gesänge von Deinem Thron aus erging, mein erhabener Gebieter, da fühlte ich wohl, daß trotz der klösterlichen Abgeschiedenheit mein Herz noch allzusehr unter dem Einfluß irdischer Eitelkeit leide, ich raffte mich daher auf, um eine von der Welt möglichst abgeschiedene Stätte zu suchen.«

»Es ist mir wohl in der Erinnerung,« unterbrach sie Theophilus, »furchtbare Schicksale haben uns seither betroffen.«

»Wüßtest Du, mein hoher Herr,« erwiderte Nikisa, »welchen Unfällen und Gefahren auch ich zu begegnen, welche Leiden auch ich zu erdulden hatte, Dein Mitleid würde das Gedächtniß meiner Fehler auslöschen.«

»Sprich nicht von Fehlern – ich war zu streng gegen Dich, vielleicht sogar verblendet. Doch nun rede von den Unfällen, die Du zu bestehen hattest, die Erzählung Deiner Leiden werde ich wie selbst erlittne fühlen und so mich selbst strafend, für meine Härte büßen.«

Nikisa erzählte: »Das Schiff also, dem ich mich zu meinem Zwecke nebst mehreren anderen 164 frommen Frauen und Pilgern anvertraute, hatte kaum den Hafen von Constantinopel verlassen, als der Befehlshaber einen verderblichen Entschluß in sich ausbrütete. Mein Mißtrauen gegen ihn nahm Tag für Tag zu, und seine höhnischen Mienen, seine widersprechenden Reden überzeugten mich, daß er mit den schlimmsten Absichten umgehe. Ich hielt mich gefaßt, einer großen Gefahr entgegentreten zu müssen. Es dauerte nicht lange, so hielt es der Verräther nicht einmal mehr der Mühe werth, die Maske der Verstellung beizubehalten, er zauderte nicht, sein ruchloses Vorhaben, uns Alle in türkische Sklaverei zu verkaufen, laut werden zu lassen. Die Rückkehr in die Heimat sah er sich versperrt, was lag ihm an uns, wenn er sich dadurch den Ungläubigen gefällig erweisen konnte. Ich stellte mich ihm entgegen und sprach:

›Wenn die Furcht vor Entdeckung eines früheren Vergehens Dich zu einem noch größeren antreibt, so kann vielleicht der Himmel Deine Schuld verzeihlich finden, aber wenn Dir dabei Gelegenheit wird, durch ein gutes Werk volle Vergebung zu erlangen, so erblicke darin die Gnade einer ewigen Gerechtigkeit!‹

›Welches gute Werk?‹ frug er und sah mich finster an.

›Ich will nicht Deine Großmuth, nicht Deine Barmherzigkeit anrufen,‹ antwortete ich, ›auch nicht Deinen Dank erheischen, sondern gebe Dir nur eines zu bedenken, daß Du mich um einen höheren 165 Preis verkaufen kannst, wenn Du mir männliche Kleider verschaffst und mich für einen Jüngling, der viele nützliche Kenntnisse besitzt, ausgiebst, dann hast Du das gottgefällige Werk und zeitlichen Gewinn zugleich. Auch erkläre ich Dir, daß ich mir eher den Tod gebe, als den heiligen Gelübden untreu werde. Du aber wirst, wenn auch hienieden straflos, doch gewiß jenseits der verdienten, furchtbaren Vergeltung nicht entgehen.‹

So sprach ich, und er, weniger durch meine Bitte gerührt, als durch die Aussicht auf höheren Gewinn bestochen, vielleicht auch aus Furcht vor der ewigen Strafe – willigte ein und verschaffte mir das Nöthige. Als ich mich so verwandelt sah und im Besitz einer Waffe mich auch für sicher genug hielt, beseelte mich nur der eine Wunsch, mir durch meine Kenntnisse die Mittel zu verschaffen, wie ich wieder frei würde.

Kaum daß wir gelandet waren und die Straßen einer Stadt in Syrien betraten, so näherte sich uns ein Hochbetagter, von höchst würdevollem Aeußern, den das Ansehen, das ihm von allen Seiten zutheil wurde, als einen Vielvermögenden kennzeichnete. Er bot mir an, da er mich der Landessprache kundig fand, mich in sein Haus und in seine Dienste zu nehmen.

›Ich hoffe,‹ sagte er zu mir, ›junger Grieche, eine geziemende Beschäftigung für Dich zu finden, da mir die Sorge für den Palast und die Güter des Sultans übertragen ist.‹

Ich sprach ihm meinen Dank aus und fand bald Gelegenheit, Proben 166 meines Eifers zu geben. So erwarb ich in Kurzem sein Vertrauen und erhielt die selbstständige Leitung mehrerer Arbeiten. Ich lernte nun in Wirklichkeit das anwenden, was ich bisher nur aus Büchern gelernt hatte, und eine neue Freude am Leben ging mir damit auf.

Es schien, als wäre mit der äußerlichen Verwandlung auch eine innere mit mir vorgegangen, ich fühlte mich so frei, so sicher in Allem was ich begann, und so erwachte denn auch der Muth in mir, dem Aufruf an alle Baumeister Deines Reiches Folge zu leisten und vor Dein Antlitz zu treten, denn bereits hatte ich am Hofe des Chalifen einige Berühmtheit erlangt und war zur Stelle eines seiner ersten Architekten erhoben worden. Es gelang mir, einen Plan jenes großartigen Bauwerks, das einzige Vorbild Deines zerstörten Palastes Dir zu Füßen zu legen.«

Ein mildes Lächeln glitt bei diesen Worten über das schwermüthige Gesicht des Kaisers und Nikisa fuhr in ihrer Erzählung fort:

»Ich kam also, ich trat vor Dich und Theodora, Ihr erkanntet mich nicht. Die fremde Tracht, die Veränderung, welche der lange Aufenthalt in einem andern Land und Klima hervorgebracht hatten, war so mächtig, daß Niemand diejenige, die ich war, in mir vermuthete. Da mußte durch einen Zug der Theilnahme veranlaßt, die schwesterliche Neigung Deiner Gattin zu mir in ein seltsames Irrsal von Liebe verwandelt werden, denn gleich als wäre ich was ich schien, wandte sich ihr Herz 167 mir zu. Wer möchte sie darum schuldig sprechen? Mir trug sie durch diese Liebe eine Schuld ab, weil sie mir einst Deine Liebe geraubt hatte, obwohl nicht mit Willen, und nicht kannst Du jetzt ihren Willen verurtheilen, denn obwohl sie mit mir Deinem Zorne sich entzog, so geschah das doch nicht in der Absicht, Dich für immer zu verlassen. Alles in Allem vollbrachte sie nur ein Werk der Sühne, ohne daß sie es wußte und wollte, und ohne daß sie an meiner Seite eine Untreue gegen Dich begehen konnte. Verzeihe also ihr und mir!«

Theophilus blickte sie finster an.

»Dir,« sprach er, »sagte ich im voraus meine Vergebung zu, aber wo ist jene? Ich will auch sie hören.«

In diesem Augenblick öffnete sich der Vorhang des Zeltes und Theodora trat ein. Sie blieb stehen, nachdem sie kaum ein paar Schritte gegangen war, und es schien, als ob sie zittre und ihre Kräfte sie verlassen wollten.

Da sprach er: »Weil ich nun dem Schlimmeren, dem Verführer« – indem er auf Nikisa deutete – »verzieh, so muß ich es wohl auch der Verführten!«

Hochaufathmend blickte sie empor, und als sie in seinen Augen die Bestätigung der milden Worte las, eilte sie auf ihren Gatten zu und sank an seine Brust. Er zog sie liebreich an sich, Nikisa aber sprach: »Nun lebt wohl – mein Werk ist gethan – Ihr seid versöhnt, ich bin es auch.«

168 »Willst Du nicht mit uns in Deine Heimat zurück?« fragte sie der Kaiser.

»Allerdings,« erwiderte sie, »nehmt mich mit Euch. Ich kehre mit Euch nach Constantinopel zurück, nicht aber, um dort bei Hof zu leben, oder die Mauern des Klosters wieder aufzusuchen, sondern um das nun nach dem Tod meiner Eltern verwaiste Haus meiner Kinderjahre wieder zu bewohnen und dort wie einst meinen Büchern und meiner Musik zu leben. Eines aber noch erbitte ich mir von Dir, hoher Herr, versage mir nicht die Anerkennung, daß ich das wahrgesprochen, was ich als ein junges und unerfahrenes Mädchen gesagt habe: ›Wenn auch viel Uebles durch weibliche Schönheit in die Welt gekommen, durch das Verdienst Einer, die höchste Liebe, ist Alles wieder vergütet und ausgeglichen worden.‹«


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