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Große Festlichkeiten wurden zu Palermo am Hofe des Kaisers Friedrich II. begangen. Seine Tochter Anna Constanze war dem griechischen Kaiser von Nicäa Johannes Ducas, genannt Vatazes, verlobt worden und Bevollmächtigte von dort waren angekommen, um die Braut abzuholen und nach dem Gestade der Propontis zu geleiten. Die Prinzessin hatte noch kaum das kindliche Alter überschritten und der ihr als Gemahl bestimmte Fürst war ein durch Tapferkeit und Einsicht berühmter Mann, der nach dem Tode seiner ersten Frau mehr aus Staatsrücksichten, als aus Verlangen und Neigung um die Tochter des großen Kaisers gefreit hatte.
Kein Wunder also, daß die Jugend der Prinzessin und ihr schmerzlicher Abschied von den Ihrigen allgemein die größte Theilnahme fand, und daß die Volksmenge, die sich am Meeresufer eingefunden, vielfach zu Thränen und Ausrufen des Bedauern hingerissen wurde. Diese lauten Bezeugungen der 214 Liebe steigerten sich immer mehr, je näher der glänzende Zug von Fürsten und Rittern herankam, in deren Mitte die Königstochter auf einem milchweißen, arabischen Pferde saß und schwermüthig auf die Wellen hinaus blickte, wo bereits das griechische Segelschiff ihrer harrte.
An Anna Constanzens einer Seite ritt der König von Deutschland und Sicilien, auf der anderen ihr Bruder Manfred. Die Glocken läuteten und die Priester sangen fromme Kirchengesänge, um ihr gute Seefahrt und ein glückliches Ehebündniß zu erflehen. Es war ein erhebendes und doch so trauriges Schauspiel und alles weinte, als sie am Arm ihres Vaters den Bord der Galeere bestieg, welche sie wahrscheinlich für immer ihrer Heimat entführen sollte. –
Wie sie nun von ihm Abschied nahm, schien das stürmische Lebewohlrufen nur den Schmerz ersticken zu sollen, der in aller Herzen tobte. Viele Nachen und Bote, mit Blumenkränzen geschmückt, fuhren noch eine geraume Zeit neben dem Schiffe, und die Leute darin warfen Sträuße auf das Verdeck und winkten mit Tüchern und Fahnen der Scheidenden nach. Am längsten wurde sie von dem Boote Manfreds, ihres ritterlichen Bruders begleitet, doch auch dies blieb nach und nach zurück, bis es endlich mit den anderen am Horizont verschwand.
Anna Constanze, die in stummem Schmerze ihm nachgeblickt hatte, so lang ihr Auge noch das Boot erreichen konnte, wandte sich nun gegen ihr 215 Gefolge. Sie war nämlich von einem reichen Hofstaat umgeben, denn nicht nur die Gesandten des griechischen Kaisers waren ihr beigegeben; es hatten sich auch eine nicht unbedeutende Anzahl von Rittern und Frauen aus deutschen und italienischen Geschlechtern ihr als Dienst- und Ehrenwache angeschlossen. Unter allen diesen zeichnete sich ihre treuste Gefährtin und frühere Erzieherin, die Marquesa Jolanthe aus, eine durch Schönheit und Geist gleich hervorragende Dame. Sie bot jetzt alles auf, um ihrer Freundin und Herrin Zerstreuung zu gewähren.
Als man gegen Abend die Küste bereits aus den Augen verloren hatte, trat plötzlich Windstille ein. Nun nahten sich auf einen Wink der Marquise mehrere von der Begleitung mit Lauten und begannen eine liebliche Musik. Sie sangen auch dazu, Minnelieder der Provenzalen, wetteifernd und abwechselnd die Herren und die Frauen. Es währte nicht lange, so versammelten sich, wie das zu geschehen pflegt, eine Schaar Delphine rings um das Schiff und tummelte sich voll Lustbarkeit über die angenehmen Klänge, welchen diese Thiere bekanntlich so sehr zugethan sind.
Die Gesellschaft auf dem Verdeck sah ihnen bewundernd und mit Vergnügen zu, und feuerte die Musicirenden bald zu rascherem Tempo, bald zu fröhlichen Tönen an, selbst das Antlitz der Prinzessin heiterte sich auf. Da rief plötzlich Je 216mand, seht doch – mitten unter den Fischen ist eine Gestalt ähnlich einem menschlichen Wesen!
Ja, wahrlich, es ist so, riefen andere, seht nur das seltsamste Geschöpf von der Welt. Gewiß ist es ein Unglücklicher, meinte Jemand, den ein Zauber verwandelt hat, ein Nixenkönig vielleicht, meinte der Zweite, oder ein Verdammter, rief ein Dritter. Schließlich nahm ein Vierter das Wort, ich behaupte, daß es ein böser Geist ist, ein Dämon, ein Blendwerk des Teufels, ich will es tödten! Damit entriß er einem Knappen die Armbrust und legte einen Pfeil auf.
»Nein,« rief die Prinzessin aus, »ich will nicht, daß Blut vergossen werde, und wenn Ihr, mein Ritter, einen der Delphine träfet, so würde uns das großes Unglück bringen.«
Zu spät kam ihre Warnung, schon war der Pfeil hinausgeflogen und einer der Fische schoß blitzschnell in die Tiefe, die anderen zerstoben und verschwanden gleichfalls unter den Wellen, der Mann aber, dem es gegolten, blieb auf dem Wasser und erhob drohend seine Arme gegen das Fahrzeug. Die Prinzessin gebot, daß man ihn heranwinke und ihm durch Zeichen zu verstehen gebe, daß ihm nichts übles geschehen soll. Er schien aber sich wenig darum zu kümmern, sondern tauchte vielmehr unter, gleich als wolle er nach dem verwundeten Delphin sich umschauen.
Da trat Anna Constanze an den Bord des Schiffes und sah mit ihren schönen, verweinten Augen in die Tiefe, indem sie zugleich mit 217 ihrer lieblichen Stimme eines der Lieder, das man eben gesungen hatte, wiederholte und dann hinausrief:
»Wer Du auch sein magst, Du menschenähnliches Wesen, komm, es soll Dir kein Leid zugefügt werden.«
Nicht lange darnach reckte sich wirklich ein Haupt und ein Nacken aus dem Meer empor, und man sah die Gestalt eines Menschen auf die Oberfläche kommen, der ganz in Fischhäute gehüllt, von ihnen wie von einem Panzerhemd bedeckt war. Man warf ihm ein Tau zu mit vielen freundlichen und ermunternden Worten, worauf er nickte und mit Behendigkeit emporstieg. Erst rief er in zornigem Ton, warum habt Ihr eines meiner Thiere getödtet – als er aber die Prinzessin erblickte, ließ er sich sogleich nach ritterlicher Art vor ihr nieder und bat sie um Verzeihung, wenn seine Erscheinung ihr Schrecken sollte eingeflößt haben.
»Beruhige Dich darüber,« gab sie huldvoll zur Antwort, »Du Sohn der Welle, aber erzähle mir, wie Du zu solchem Leben kommst, das mehr dem eines Fisches als eines Menschen gleicht – hier lasse Dich auf diesen Teppich zu meinen Füßen nieder und berichte mir Deine Schicksale, die seltsam genug sein mögen.« –
Sie setzte sich und ordnete ihre Begleitung in einen Kreis um sich her; der Meermann aber begann seine Geschichte.
»Ich bin von der Südküste Siciliens gebürtig und nicht unedler Abkunft; aber mein Vater stand auf Seite der den Hohenstaufen feindlichen Nor 218mannenfürsten und wurde nach deren Besiegung verbannt und geächtet. Wir lebten nun auf einem einsamen Schlosse in fast unzugänglicher Felsengegend an der Küste. Ueberall ragten Klippen und Felsblöcke um unseren Wohnsitz und wehrten sowohl eine Landung als auch das Annahen von Reitern oder Schwerbewaffneten ab. Nur schmale und sehr steinigte Fußpfade führten nach dem Strande von der Burg.
Ich war ein Knabe von wenig Jahren, als meine Wärterin auf einem dieser Wege mit mir strauchelte und mich aus ihren Armen in die Fluth stürzen ließ. Ich wäre die sichere Beute des Todes gewesen, wenn nicht ein Delphin mich gerettet hätte. Ihr wisst, daß diese Thiere die Menschen und besonders Kinder lieben, der Fisch glitt so vorsichtig unter mich hin, daß er mich vor dem Untersinken bewahrte. Ich empfand keine Furcht vor ihm, sondern der Erhaltungstrieb lehrte mich mit meinen kleinen Armen kräftiger als man mir hätte zutrauen sollen an seinem Halse mich festzuhalten. Auf diese Weise brachte er mich glücklich ans Ufer, wo meine Wärterin über das Wunder staunend auf ihren Knieen lag und mich wie ein Geschenk der Vorsehung wieder mit ihren Armen empfing.
Das Ereigniß blieb verschwiegen aber von Stunde an erwuchs in mir eine Sehnsucht nach dem Meere oder vielmehr nach meinen Lebensrettern und dem Umgang mit ihnen. Ich lernte sehr frühe schwimmen und war bald die meiste Zeit des Tages im Wasser. Meine Freunde kannten 219 mich; ich brauchte nur meine Stimme ertönen zu lassen, so kamen sie zahlreich heran, sprangen um mich her, schnoben Wasser aus ihren Nüstern, hüpften über mich weg, schmeichelten mir, kurz sie trieben alle Belustigungen, die ich mir nur wünschen mochte. Kein Wunder, daß ich ihre Gesellschaft jeder anderen vorzog und ein so guter Schwimmer wurde, daß mir das Leben im Wasser anziehender ward als das auf dem Lande. Ich fertigte mir eine eigene Bekleidung, wohne im Meer und hole mir meine Nahrung aus demselben.
Im Uebrigen bin ich ein guter Christ, und wenn mich auch die Kirche selten sieht, so verehre ich doch den Schöpfer der Welt mit der gleichen Andacht, wie Ihr, ja vielleicht mehr, denn sicherlich stimmen die Glocken, wenn sie vom Land heraus zu mir erschallen, weit mächtiger zur Anbetung seiner Allmacht, als drinnen im Gewühl der Stadt und in den dumpfen Mauern. Nun, erlauchte Prinzessin, habt Ihr mein Schicksal vernommen, erlaubt, daß ich mich wieder in mein Element zurück begebe.«
Die Tochter Friedrichs II. blickte mit inniger Rührung auf den Jüngling zu ihren Füßen. Ein unendliches Mitleid überkam sie und sein Aeußeres erfüllte sie mit mehr als Wohlgefallen. Er war von äußerst schlankem, zartem und doch kräftigem Bau, seine rothbräunlichen Locken, die reich, wie Wellen, über seine Schultern fielen, glänzten in der Sonne wie goldenes Gespinnst und ein eigenes Leuchten war auch in seinen Augen, denn ihre 220 Farbe war keine bestimmte, sondern wechselte wie das Meer selbst, dessen Spiegel sie zu sein schienen, bald lichtblau, bald wie dunkelgrün.
Während die Prinzessin den Meerbewohner so theilnahmsvoll betrachtete, daß ihm dabei wunderbar hold zu Muthe ward, näherte sich ihr einer der Schiffsleute und bemerkte mit vorwurfsvollem Tone, daß man die Tödtung des Delphins bald zu büßen haben werde, denn es sei ein gewaltiger Sturm im Anzuge. Wirklich hatten sich drohend schwarze Wolken am Horizont erhoben und das Meer fing an unruhig zu werden. Die Prinzessin, ohne auf die Gefahr für sich zu achten, wandte sich zu dem Meermann und suchte ihn zu bewegen, auf dem Schiffe zu bleiben, anstatt sich den Schrecknissen des Orkans zu überlassen. Dabei legte sie die Hand auf seine Schulter und sah ihn mit bittenden Blicken an.
»Vielleicht kann ich hier nützlich sein,« sprach er, »laßt mich die Arbeit mit Eurer Schiffsmannschaft theilen; ich kenne das Element und empfinde keine Furcht davor.«
Kaum war dies Wort gesprochen, als schon ein furchtbarer Blitz über die Schiffsmaste dahinfuhr und ihm ein Donner folgte, der nunmehr das Signal zum Ausbruche des rasenden Sturmes gab. Die Prinzessin mit ihrer Begleitung eilte nach dem eigens für sie bereiteten Gemach, das mit aller Wohlbehaglichkeit und aller Ausstattung jener Zeit geschmückt war. Sie warf sich hier sogleich zum 221 Gebet nieder und ihrem Beispiele folgten die sie umringenden Frauen. Draußen arbeiteten im Takelwerk und am Steuer die Schiffsleute, indem sie sich gegenseitig Muth und Ausdauer zuriefen. Allen voran leuchtete der Fremde durch Unerschrockenheit und Umsicht.
So heftig indeß der Sturm begonnen hatte, so schnell war er auch vorüber und der ermüdeten Reisegenossenschaft waren nun einige Stunden ersehnter Ruhe gegönnt. Als man des Morgens früh sich erhob und gegenseitig frohen Muthes begrüßte, so zeigte sich, daß der räthselhafte Gast verschwunden war – spurlos verschwunden war. Niemand hatte ihn seit dem Sturme mehr gesehen, und wäre nicht allen seine Erzählung noch im Gehör nachgeklungen, so würde die ganze Erscheinung für einen Traum des gestrigen Tages gegolten haben.
Die Prinzessin war sehr traurig gestimmt über das Verschwinden des wunderbaren Menschen, dem sie mit so vieler Theilnahme zugethan war. Wohin mußte er gerathen sein? Hatte er sich freiwillig wegbegeben oder war er von den Wellen weggerissen worden? Letzteres wohl schwerlich, dazu schien er doch zu vertraut mit dem Meer und seinen Schrecken; also war er eigenmächtig fort und aus welchem Grunde? Er mußte vielleicht; es zog ihn 222 eine unwiderstehliche Macht in das Element, dem er zu eigen war. Niemand konnte über ihn Auskunft geben, und Stunde um Stunde, Tag um Tag verstrich, ohne daß nur die geringste Kunde von ihm gekommen wäre.
So waren ihre Gedanken denn stets mit dem Unbekannten mehr, als mit dem künftigen Gatten beschäftigt, und sie erschrack beinahe, als die Reisefrist abgelaufen und der Morgen ihrer Ankunft an den Ufern ihres neuen Reiches erschienen war. Der Empfang daselbst war ein nicht minder glänzender, als vordem der Abschied von ihrer Heimat, und nicht minder traurig. – Noch so jung und zart, sollte sie von nun an einem fremden Manne angehören, von dem sie nur wußte, daß er sehr gefürchtet war. –
Vor den Thoren Nicäas kam er ihr entgegen, ein mächtiger Herr, von stattlichem Wuchs, von schwarzem Haar und grau untermischtem Barte, der bis zur Mähne seines Pferdes herabreichte, mit einem Ausdruck des Gesichts, in dem sich eben so sehr sein Herrscherstolz als die ungezügeltste Leidenschaftlichkeit aussprach.
Als Vatazes seine Verlobte sah, brach er in ein rauhes Gelächter aus, und zu seiner Umgebung sich wendend, sprach er: »was fiel meinem kaiserlichen Bruder ein, mir ein Kind zur Neuvermählten zu geben.«
Anna Constanze mochte den Sinn der Worte geahnt haben, wenn sie auch nicht diese selbst verstand; sie erröthete und blickte umher, als suche sie 223 Jemand der für sie spreche. Da war es jene glänzende Erscheinung unter ihren Damen, jene Markesina, deren Pferd, sei es mit oder ohne Veranlassung der Reiterin, unruhig ward und dadurch die Aufmerksamkeit des morgenländischen Fürsten auf sich zog. Ihre volle gereifte Schönheit fesselte sogleich sein Augenmerk und es lag in seinen Blicken etwas wie die Frage: Sollte nicht diese die Herrscherin sein?
Das mochte die junge Kaiserin fühlen; sie richtete sich empor und sprach mit eben so viel Würde als Anmuth: »Ich bin Anna, die Tochter Friedrichs, des Königs von Sicilien.«
Vatazes, der sogleich bemüht war, seinen Fehler wieder gut zu machen, verwandelte sein ganzes Wesen in Sanftmuth und Unterwürfigkeit und sprach: »Also begrüß' ich in Euch meine Braut und dieses Landes Herrin.«
Damit sprang er behend aus dem Sattel und küßte zierlich ihre Hand, ergriff die Zügel ihres Pferdes und geleitete sie durch die Thore der Stadt. Alle Großen seines Reiches folgten dem Beispiel, so daß die Jungfrau und Herrscherin ganz allein zu Pferd, während die anderen nebenher schritten, ihren Einzug hielt, einem Heiligenbilde bei einer Procession ähnlich.
Vor allen erhöht und allen sichtbar gewann ihre kindliche Anmuth ein hoheitsvolles Aussehen, welches sie über ihre Jahre hinaus erscheinen und als die geborene Herrscherin erkennen ließ.
In Nicäa ward ihr und ihrem zahlreichen Gefolge ein eigener Flügel des Palastes eingeräumt 224 und Vatazes begab sich bald darauf in ihr Gemach, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen und den Tag der festlichen Vermählung mit ihr zu vereinbaren. Die Ceremonien, namentlich diejenigen, die in der Kirche stattzufinden hatten, waren ausgedehnte und wurden aufs Pünktlichste festgestellt. Die Zwischenzeit bis dahin sollten Schauspiele, Thierkämpfe und kriegerische Scenen ausfüllen.
Vatazes selbst bemühte sich in dieser Zeit, seiner Braut jede nur erdenkliche Aufmerksamkeit zu beweisen, in Wahrheit aber verehrte er die Markesina, wie sie im Orient genannt wurde, als die Gebieterin seines Herzens. Diese vermied ihn zwar, wie sie konnte, und entzog sich seinen Schmeichelkünsten, noch vom Gefühl ihrer Pflicht gehalten, sie rang mit aller Kraft gegen die Versuchung zur Untreue gegen ihre Gebieterin, allein eben diese schien in ihrer Unschuld sich eher darüber zu freuen, daß Annäherungen, vor denen sie zitterte, ihrer älteren Freundin zugewandt waren, anstatt ihr, und sie begünstigte so, was jene gerade um ihretwillen fliehen wollte. Die junge Herrscherin vermißte keine Zuvorkommenheit von Seiten ihres künftigen Gemahls, denn er und Jolanthe, beide, obwohl sich ihre Augen an einander weideten, wußten doch ihrer Leidenschaft Zügel anzulegen und verriethen durch nichts, was in ihnen vorging.
Der Hochzeitmorgen war angebrochen, die kaiserliche Braut in schweren, golddurchwirkten Gewändern und vom Scheitel bis zur Sohle in 225 Schleier gehüllt, betrat mit dem Herrscher die Kirche, Herolde mit silbernen Trompeten verkündigten den Act der Einsegnung und auf dem Heimweg begrüßte die Vermählten das Volk mit Hochrufen und streute Blumen auf ihren Weg.
Kaum jedoch hatte man sich zum Mahle niedergelassen, als Reiter in den Hof des Palastes sprengten und dringend verlangten, ihre Meldung dem Kaiser vortragen zu dürfen. Als sie in den Saal gelassen waren, brachten sie mit hastigen Worten die Nachricht, das räuberische Tartaren an der Grenze eingebrochen seien und die dort zur Hut aufgestellten Truppen überwältigt und beinahe vernichtet hätten.
Vatazes sprang auf: »So ist es mir denn beschieden,« rief er, »diesen Tag meiner Vermählung durch eine Waffenthat zu verherrlichen, ich werde sogleich mit auserlesenen Truppen euch nachfolgen und die Feinde zurückwerfen.«
Augenblicklich gab er Befehl zur Rüstung und Bereitschaft zum Aufbruche. Von seiner jungen Gattin verabschiedete er sich mit kühlem Anstand, sie möge um ihn ohne Sorge sein, und ihre liebenswürdige Freundin, die Markesina, fügte er mit einem dunklen Blick auf diese hinzu, werde sie bis zu seiner Rückkehr keinerlei Unterhaltung vermissen lassen.
Anna Constanze reichte ihm, einige Worte flüsternd, die Hand, zeigte jedoch mit keiner Miene weder Bestürzung noch Freude. Man sah, daß ihr die Trennung beinahe eine willkommene, keinesfalls eine schmerzliche war. Als sie Abends ihre Freundin 226 entließ, um sich zur Ruhe zu begeben, glaubte diese eine bisher nie geoffenbarte Heiterkeit an ihr zu bemerken.
Letztere war indeß kaum in ihrem, von dem der Kaiserin ziemlich entlegenen Gemache angelangt, als sie von einer eigenthümlich beängstigenden Empfindung ergriffen ward. Sie konnte sich nicht bestimmt sagen, daß sie etwas oder was sie befürchte, und dennoch verspürte sie ein bis ins Mark sie durchschauerndes Beben, ein ruheloses Bangen, das all ihr Sinnen und Denken einnahm.
Sie hatte wohl bemerkt, daß die Neigung für sie im Herzen des Vatazes von Tag zu Tag heftiger aufloderte, sie fühlte auch, daß diese Neigung in ihr nur Erwiderung fand, und sie zitterte davor. Sie sah eine, in Beiden bis zur verzehrenden Leidenschaft anwachsende Flamme und fand sich widerstandslos; ja Stolz und Befriedigung regten sich in ihr und der Blick, den Vatazes beim Abschiede noch auf sie gerichtet hatte, war wie eine glänzende Verheißung von ebenso verlockenden als kühnen Hoffnungen. Allmählich wich die Bangigkeit von ihr und ließ den ungezügeltsten Wünschen, Bildern voll Glück und Liebe, Raum.
Sie war auf ihr Lager niedergesunken und gab sich ganz ihren schwärmerischen Träumereien hin, als sie Schritte vernahm, die Vorhänge der Thür weggezogen wurden und Vatazes vor ihr stand.
Sie sprang auf, aber kein Schrei der Verwunderung oder des Schreckens kam über ihre 227 Lippen, es war ihr, als müßte alles so kommen, wie es geschah, als waren die Träume, mit denen sich ihre Phantasie beschäftigt hatte, verwirklicht worden und forderten nun ihren Muth heraus, der Erfüllung entgegenzukommen.
»Mein Herr und Gebieter kehrt zurück,« hauchte sie, »um seine Gattin noch einmal zu sehen; aber die zu rasche Sehnsucht leitete fehl, nicht hier ...«
»Nur zu Dir, Jolanthe,« unterbrach sie der liebende Fürst, »hat mich der himmlische Fackelträger geführt.«
»Zu mir, Herr, am Tage Deiner Vermählung, oder welchen Befehl giebst Du mir an Deine Gattin?«
»Am Tage der Vermählung mit einem Kinde,« unterbrach er sie abermals; »diesen Irrthum, kannst Du ihn leugnen? Zu Dir nur! …«
»Welche Schmach wird mir zugefügt,« rief sie aus, »gab denn ich Anlaß durch Blick oder Worte zu solch entehrendem Bedrängen?«
»Nein,« erwiderte er, »auch befürchte Du nichts, schon harrt unten meiner im Hofe das ungeduldige Roß, um mich sogleich wieder fortzutragen, dem bevorstehenden Schlachttag entgegen; nur Dich noch einmal sehen wollte ich und von Dir hören, daß Du meine Liebe kennst und sie nicht verwirfst. Sprich!«
»Werde ich nie wieder in eine solche Drohung versetzt sein,« frug sie.
228 »Nie wieder, wenn nichts in Deinem Herzen für mich redet.«
Sie schwieg, aber sie sträubte sich nicht mehr, als er sie leidenschaftlich in seine Arme schloß und küßte:
»Das ist meine Hochzeitsstunde,« flüsterte er ihr zu. »Mein bist Du, meine und des Reiches wahre Gebieterin, und nun fort!«
Damit riß er sich los und stürzte hinweg. Sie rang die Hände – »ich sein! und doch mußte es so kommen; ich wußt' es ja. Ich sein und doch nicht sein, so lange sie lebt, sie, die ich verrathe und die mich liebt, die lauter Güte gegen mich ist und der ich's mit Undank und Untreue vergelte.«
Sie eilte nach dem Fenster, unten blitzten die Waffen, Funken stoben auf den Steinen von den stampfenden Pferden, die Reiter sprengten davon; sie hörte sie noch lange, dann ward es stille, still um sie her und in ihr.
Nach schlaflos zugebrachter Nacht betrat Jolanthe bleich und verstört das Zimmer der jungen Kaiserin. Anna Constanze sah blühend und heiter aus, eine selige Zufriedenheit war über sie gebreitet; sie schien der vollendetste Gegensatz ihrer von Reue im Herzen zerrissenen Freundin. Und dennoch, auch in ihr, dem schuldlosen Gemüthe regte sich ein leises Mißbehagen, ein dunkles Bewußtsein, daß sie nicht war, was sie durch den Segen der Kirche und in den Augen des Volkes sein sollte: die wirkliche Herrscherin von Nicäa.
Schmerzlich dachte sie zurück, nach den ihrigen, nach Sicilien, nach dem Meere, sie sehnte sich nach 229 dem Meere und sie sah es, sie sah es in Bälde von einem vor der Hauptstadt gelegenen Schlosse aus, einem düstern, mit asiatischer Pracht überladenen Bauwerk am Abhang des Gebirges, wohin sich nach Abreise des Kaisers der Hof begeben hatte, sie sah es fern im blauen Schimmer ausgebreitet und es schien ihr zu winken. Manchmal erblickte sie wohl auch ein Segel, ein kleines, weißes Segel, das über die Wogen hinglitt und verschwand. Wohin zog es, wer war darauf? Waren es Glückliche oder Unglückliche, die es dahintrug in unbekannte Fernen, waren es etwa Mannen ihres Vaters und ausgeschickt, um sie heimzuholen, nach dem schönen Palermo mit seinen Orangengärten, seinen hohen Palmen und den frohen Gesängen? Ach wie öde war es hier in dem steinigten Gebirge, über das von Norden her die Stürme fuhren und schwarze Wolken heranzogen!
Die Frauen hatten, um die Einförmigkeit der Tage zu kürzen, einen Märchenerzähler zu sich beschieden, und dieser, ein Syrier, unterhielt sie mit den wunderbaren Erzählungen des Morgenlandes. Er schilderte ihnen die Städte mit goldenen Kuppeln der Thürme, die Schlösser und Paläste, worin Edelsteine aus allen Wänden blitzten, wo Greife hausten, wo das Einhorn und der Phönix lebten.
Einmal, als er ihre Phantasie wieder aufs Höchste gespannt hatte, fügte er am Schlusse die Versicherung bei, daß ein solcher Wunderpalast, wie er ihn eben geschildert, sich im Gebiete des 230 byzantinischen Reiches selbst befinde, und zwar nicht einmal allzufern, an der Küste der Propontis. Nun war es sogleich beschlossene Sache bei der jungen Monarchin und ihrer Freundin, daß sie ehestens dahin aufbrechen und den Wunderpalast besuchen wollten.
Ein Bote von Vatazes kam mit Siegesnachrichten, Anna Constanze ertheilte ihm bei seiner Rückkehr ins Feldlager den Auftrag, ihren Gemahl zu bitten, daß sie auf einige Zeit jenen Palast an der Propontis beziehen und dort selbst ihren Wohnsitz nehmen dürfe. Sie habe von den Wundern gehört, welche jener Ort umschließe, und sei begierig, ihn mit eigenen Augen zu schauen, den Baum mit goldenen Blättern, die Schwäne von Silber, die sich bewegten, und die anderen merkwürdigen Dinge.
Als dem Vatazes diese Bitte überbracht wurde, war er sehr erfreut, er willigte nur zu gern in Wünsche, die den seinigen entgegen kamen. Nur mußte die Geliebte für ihn zurückbleiben, sie durfte nicht unter der Begleitung der Herrscherin sein; Jolanthe erhielt die Weisung, seine nächste Botschaft in Nicäa zu erwarten und den Inhalt derselben an Stelle der Kaiserin dem Senate mitzutheilen. Anna Constanze dagegen sollte, nur von einer Schaar ihrer Leibwache umgeben, die Reise antreten.
Als dieser Befehl in Nicäa, wohin man indeß zurückgekehrt war, eintraf, stand Jolanthe darüber betroffen vor ihrer kaiserlichen Freundin und gedrückt von der Schuld ihrer verbrecherischen 231 Neigung, der sich ihr Herz bereits schrankenlos ergeben hatte. Die Sündige beugte sich vor der heiligen Unschuld mit einer aus Ehrfurcht und Mitleid gemischten Empfindung, und diese nahm ihre Worte für wahr, ihre Ergebenheit für aufrichtig; mit Lächeln sagte sie: »ich fühle mich hier gefangen und doch in Anspruch genommen; ich sehne mich nach Einsamkeit und zugleich nach Freiheit. Dir gefällt es hier, Dir macht der Hauptstadt bewegtes Leben Freude, ich ergebe mich in den Gedanken Dich zurück zu lassen und würde es mir schwer anrechnen, wollte ich so selbstsüchtig sein und veranlassen, daß Du Deine Neigungen, die den meinigen so sehr entgegengesetzt sind, aufopfern müßtest.«
»Befiehl über mich,« bat, noch einmal einer besseren Regung Raum gebend, die Freundin.
»Bleibe,« war die Antwort, »bleibe, die Reise würde Dich ermüden, Du siehst blaß und leidend aus, ich befehle Dir zu bleiben.«
Der Tag der Abreise kam.
Wer war glücklicher als Anna Constanze, da sie nun ihren Wunsch in Erfüllung gehen sah, da sie mit einigen Dienerinnen und einer kleinen Schaar zu ihrer Sicherheit nöthigen Krieger, jenen aus englischen und dänischen, mit Streitäxten bewaffneten Männern, Nicäa verließ und nach wenigen Tagen in dem wunderbaren verfallenen Palaste an der Küste der Propontis ankam. Da waren dichtverschlungene Laubgänge, Pfade zwischen Felsen und 232 Grotten, die längst kein Fuß mehr betreten hatte, ganz von Reben umsponnene Steinbilder, von Epheu überwachsene Riesenbäume – keines Menschen Ruf unterbrach die zauberhafte Stille, nur auf dem Weiher bewegten sich die mechanischen Silberschwäne und aus einer der Hallen ertönte das Gezwitscher der künstlichen Singvögel. Wie freute sie sich, hier allein zu sein, in diesen schweigenden Gärten und Zimmern sich ergehen zu können.
Das mildere Klima, der durchaus südliche Pflanzenwuchs erinnerte sie an die Heimat, die unabsehbare Fläche des Oceans, die sich vor ihren Blicken ausdehnte, ließ sie an dessen fernstem Rande ihr liebes Inselland, ihr theures Sicilien im Geiste wahrnehmen. Sie war glücklich, sie glaubte wenigstens es zu sein. Was sie verloren hatte, um was sie betrogen worden war, das wußte, kannte sie nicht.
Eines mitfühlenden Herzens entbehrend, wandte sie ihre Neigung jenen künstlichen Gebilden zu, welche die Merkwürdigkeit ihres Palastes ausmachten. Außer dem Baum mit automatischen Singvögeln und den Schmetterlingen von Saphir und Rubin gab es noch andere Seltenheiten, die zu ihrer Erheiterung dienen sollten, denn Vatazes betrachtete seine Gemahlin nicht anders als ein Kind. Da war denn auch eine bewegliche Frauengestalt, die über und über mit prachtvollen Kleidern angethan, zu gewissen Stunden aus einer Nische hervortrat und zierlich sich auf und niederwiegend einen Tanz aufführte, ferner ein aus Erz gearbei 233teter Neger, der um Mittag aus einer Mauer heraussprang und so viel Pfeile abschoß, als Stunden seit Sonnenaufgang entflohen waren, und endlich lag vor dem Eingange zum Palast ein gegossener Löwe mit Flügeln, von dem man behauptete, daß er seine Tatzen erheben könne, und daß es dann aus seines Rachens metallener Tiefe wie ferner Donner schalle.
Alle diese Seltsamkeiten erregten ihre Aufmerksamkeit und Neugierde in hohem Grade, sie ließ sich mit Tatas, einem Byzantiner, der diese Gegenstände zu besorgen hatte und in Thätigkeit zu setzen pflegte, in lange Gespräche über deren Bau und Vorrichtung ein. Es fiel ihr auf, daß rings um den Palast kein lebendes Thier zu sehen war, gleich als hätten die mechanischen Singvögel alle andern vertrieben; nirgends war der Gesang einer Nachtigall oder eines anderen Sängers zu vernehmen. Kein Reh ließ sich zwischen den Bäumen des Gartens blicken, kein stolzer Hirsch richtete sich unter den Zweigen auf, nicht einmal ein vorübereilender Falter suchte hier nach einer Blume.
»Ich dulde keine,« klärte sie der Byzantiner auf »ich hasse alles Lebendige.«
»Wie?« frug Constanze tief erschüttert, »dann hassest Du Dich ja selbst auch.«
»Frage nicht, ob ich ein Recht dazu habe, siehe, alles was lebt, muß zu Grunde gehen, muß aufhören – wer könnte sich daran erfreuen? – Ich wenigstens nicht! Nur die Bestimmungen der Dinge sind dauernd, die Ideen, die Zahlen, Kreise, 234 Linien, jene reinen Wesenheiten, an die sich das Eklige, Widerwärtige, das Leben, angesetzt hat, nicht um wahrhaft zu sein, sondern um sich immer wieder selbst zu zerstören. Jene aber sind ewig, und sie nachahmend habe ich hier ein eigenes Reich mir erschaffen, worin die strengste Gesetzmäßigkeit herrscht. Das Leben in seiner spielenden Willkür hat hier ein Ende.«
»Dann ist ja diese Welt eine Welt des Todes,« entgegnete schaudernd Constanze.
»Nenn' es so, wenn Du willst,« antwortete der Byzantiner, »aber alle diese den Menschen und Thieren nachgebildeten Gestalten, an ihnen ist nichts von dem Thörichten und Mangelhaften der vergänglichen Existenz, sie sind die reinen Kräfte in unverbrüchlicher Ordnung, hier ist das Ideal verwirklicht, wonach die Kaiser Constantinopels strebten, das sie vergeblich zu verwirklichen sannen, hier ist das Bild der vollkommensten Staatseinrichtung, alles von Einem gelenkt und außer diesem Einen kein anderer Wille.«
»Das wollte ich nicht hören,« fiel ihm die Herrscherin ins Wort, »wenn ich in diesem Sinn all die hübschen Sachen betrachte, so graut mir davor. Sprich nicht weiter davon – sondern sage mir lieber – weshalb ließest Du mich noch nie den Donner des geflügelten Löwen vernehmen?«
»Ich darf nicht.«
»Du darfst nicht und willst hier unumschränkt gebieten?«
235 »Bei diesem steht über mir eine höhere Macht.«
»Welche?«
»Nenne sie wie Du willst – Geschick, Vorsehung, Notwendigkeit, sie ist da, sie steht über mir.«
»Ich will aber auch dieses Spielwerk hören, ich werde meinen Gemahl darum bitten.«
»O bitte ihn ja nicht darum, edle Herrin, zittere davor, jene furchtbare Stimme zu hören, die noch immer Unheil gebracht hat, denn nur dann erschallt sie, wenn geschah, was nicht geschehen sollte.«
»Und was ist dies?«
»Wenn Untreue meinem Herrn droht, und wehe dem Tag, an dem dies geschieht.«
»Untreue,« wiederholte sie sich und fügte hinzu: »wie aber kann ein Vergehen durch dieses leblose Gebild an den Tag kommen. Das ist räthselhaft.«
»Wisse,« erwiderte der Byzantiner, »von allen Kunstwerken in diesem Palast ist dieser Flügellöwe das Außerordentlichste, ein eigentliches Wunder. Eine Feder, eine einzige kleine Feder richtet die Tatze des ehernen Ungeheuers auf, und diese Feder wird durch die leiseste Berührung, durch einen leichten Druck der Hand oder des Fußes in Bewegung gesetzt, und zwar an einer Stelle, die kaum wahrnehmbar ist.«
»Wunderbar!« rief Constanze aus.
»Es ist meine eigene Erfindung,« brüstete sich Tatas, »und früher stand es zu Constantinopel in 236 einem Hofe des Palastes, unter ihm hauchten die Hochverräter ihr Leben aus, der Verurtheilte wurde unter die Tatze des Löwen geschleudert, die ihn zertrat. Das eherne Brüllen verkündete dann der Hauptstadt, daß ein Verbrecher geendet habe. Noch vor Eroberung der Stadt durch die Abendländer ließ ich das Bild hierher bringen, ich selbst habe es hier aufgestellt.«
»Und was soll es hier?« frug die Kaiserin ängstlich.
»Es wird als ein Orakel angesehen, wer es durch einen Fehltritt in Bewegung bringt, spricht sich selbst das Todesurtheil.«
»Entsetzlich, Lebloses, Zufälliges richtet über Leben und Tod der Menschen.«
»Manches Opfer,« entgegnete Tatas mit einem finstern, erstarrenden Blick, »ist ihm schon gefallen, aber noch keins ungerechterweise. Stets trägt den Schuldigen sein Fuß an die verhängnißvolle Stelle.«
Nachdenklich verließ Anna Constanze den Saal, sie ging fort, um das Werk zu betrachten und sie konnte sich nicht verhehlen, daß eine eigenthümliche Furcht vor der ehernen Gestalt sie befiel, daß etwas sie abhielt, ihr nahe zu kommen – obwohl sie sich nicht entfernt einer Schuld anklagen konnte.
»Wie könnte ich,« sagte sie zu sich selbst, »einem Manne untreu werden, den ich nicht kenne noch liebe, und der auch mich nicht liebt und kennt.«
Seit dieser Unterredung mit Tatas aber hatten die künstlichen Gebilde viel von ihrem Reiz für sie 237 verloren, ja es graute ihr heimlich davor. Und jetzt mußte sie sich auch sagen, daß das Aeußere des Byzantiners, des Schöpfers dieser Wunderwerke etwas Unheimliches, Erschreckendes für sie hatte. Seine mächtige Gestalt, die bronzene Gesichtsfarbe, die hohe, eisige Stirn, unter welcher tiefliegende Augen ihre dunklen Blitze hervorschossen, erfüllten sie mit Furcht, sowohl vor ihm, als vor seinen Anschauungen und vor seinem Thun.
Uni so lebhafter sehnte sie sich nach dem beweglichen Elemente, dem Meer, das sie liebte.
Sie eilte nach dem Gestade. –
Auf dem äußersten Endpunkt einer Landzunge waren steinerne Sitze in einem Halbkreis angebracht und es führten von da Stufen zum Gestade hinab. Hier verweilte sie bis zum Eintritt der Dunkelheit, sie sah das Gewell die Spitzen ihrer Schuhe benetzen, und es war ihr, als sollte sie das Geplauder verstehen, sie fand Trost und Beruhigung dabei. Des nächsten Morgens wiederholte sie den Besuch an dem ihr liebgewordenen Orte und so die folgenden Tage.
Einstmals als sie von Bewunderung der erhabenen Schönheit des Meeres hingerissen, zu singen begann, bemerkte sie eine außergewöhnliche Bewegung in den Wogen, und plötzlich tauchte vor ihr eine Schaar von Delphinen auf. Der Anblick bestürzte sie zwar anfangs – denn sie gedachte jenes Ereignisses auf dem Schiffe, da mit ihnen der geheimnißvolle Meermann gekommen war, und sie erinnerte sich der Begegnung mit ihm wie eines ver 238lorenen, unwiederbringlichen Glückes.
Aber die munteren Thiere näherten sich so zutraulich dem Ufer, daß sie ihr Lied zu singen fortsetzte und am Schlusse ihnen zurief:
»Freundliche Geschöpfe bringet meinen Gruß demjenigen, den Ihr kennt, der Euer Genosse war und Euer Freund, saget ihm – ach nein, ich habe ihm nichts mehr zu sagen, aber ein Angedenken bringet ihm von mir.«
Damit nahm sie ihr Gürtelband und warf es nach dem Meere hin, der frische Morgenwind, der sich eben erhoben hatte, fing es auf und trug es zu den Delphinen, und es war, als ob sie es haschten und damit hinwegeilten.
Nicäa war die Hauptstadt jenes Kaiserthums. welches nach Eroberung Constantinopels durch die Kreuzfahrer als das in Asien fortgesetzte byzantinische Reich gelten konnte. Es versteht sich, daß die Herrscher dieses Reiches die Hoffnung nicht aufgaben, Constantinopel wieder zu gewinnen und den Sitz der Macht nach der alten Metropole zurück zu verlegen. Auch Vatazes trug sich mit dieser Idee und war für deren Verwirklichung thätig. Er bewarb sich zu diesem Zwecke um Bundesgenossen bei den asiatischen Fürsten und bei den slavischen Stammen im Norden.
Vor allem zog er einen seiner Verwandten, den Paläologen Michael in sein Vertrauen und verabredete mit ihm die Mittel zu 239 einer Unternehmung gegen die Lateiner, deren Ansehen und Macht bereits im Niedergange war. Nach seinem Siege über die Tataren hatte Vatazes eine Zusammenkunft mit dem Paläologen, den er dabei zugleich für den Fall seines Todes als den Vormünder seines Sohnes und Reichsverweser einsetzte.
In seiner Hauptstadt Nicäa, wo er den Siegeseinzug hielt, eilte er zu Jolanthe, und ließ sie an seiner Seite, mit den kaiserlichen Insignien bekleidet, an allen Ehren des Triumphes theilnehmen. Er rühmte vor dem Volke, sie habe, während seiner und der Kaiserin Abwesenheit als Statthalterin mit Klugheit und Muth gewaltet und empfange nun den Lohn so großer Verdienste.
So stolz nun auch die Marquisana auf alle Auszeichnungen war, die ihr zu Theil wurden, im Stillen erregten sie in ihrer Brust neuerdings die Qualen der Selbstanklage und das Gefühl ihrer zweifelhaften Stellung.
»Ach,« sagte sie, als sie nach dem prunkvollen Festmahl im Palaste sich mit dem Geliebten allein sah, »nach all den Huldigungen, die mir zu Theil geworden, nach all dem Glück, das mir Deine Liebe gewährt, könnte ich doch die Stimme in mir verleugnen, die bitteren Vorwürfe des Gewissens, wenn ich an Anna Constanze denke, deren reine Seele keine Reue trübt.«
»Vergiß das,« rief Vatazes aus, »auch für mich ist der Gedanke, Dich nicht als rechtmäßige Gattin besitzen zu können, eine Hölle. Aber mitten in den Flammen dieser Hölle sind es Deine zärtlichen Blicke, Deine Liebkosungen, Deine Schwüre, 240 die als ein Thau des Paradieses meine Seele wieder kühlen. Frage Dich selbst, begehen wir ein Unrecht gegen sie, die, einer Knospe gleich, in ihrem unentwickelten Leben nicht entbehrt, was uns beseligt, uns, welche die Natur, deren Macht eine göttliche genannt werden darf, vom ersten Augenblick an, da wir uns sahen, unauflöslich für einander auserkoren hat.«
»O,« rief die Marquisana, »das eben ist es, daß sie als ein Engel mir gegenüber steht und ich vor ihr mich als eine Verworfene betrachten muß! Das ist die Qual in mir, die ruhelose, wäre sie, auch sie nicht schuldlos – dann – und ja,« fügte sie plötzlich hinzu, »auch sie ist nicht ohne Schuld.«
»Wie?« frug Vatazes erstaunt, »wohin zielen Deine Worte?«
»Weshalb verlangte sie nach jenem einsamen Palaste? Weshalb suchte sie die Nähe des Meeres auf, o es ist gewiß, sie liebt.«
»Liebt?« lachte Vatazes auf.
»Liebt und hofft,« wiederholte Manche und erzählte die Begegnung mit dem seltsamen Gefährten der Delphine.
»Einen Fisch also liebt sie, nun den möge sie immerhin im Netze gefangen halten,« spottete Vatazes weiter, »siehe uns blühen weniger kaltblütige Freuden!«
Damit zog er die Geliebte an sich und brachte einen mit Wein gefüllten goldenen Becher an ihre Lippen.
241 So leicht aber auch Vatazes die Anklage gegen seine junge und verschmähte Gattin aus dem Munde der angebeteten Marquisana nahm, so höhnend und überlegen er sich auch äußerte, in seinem Innersten war doch ein Argwohn wach geworden; es war nicht Eifersucht, denn ihre Liebe galt ihm ja nichts, aber der beleidigte Herrscher, das verletzte Gefühl der Selbstherrlichkeit regte sich – daß sein Weib, seine Sklavin, ein unmündiges Kind, es wagen konnte, einen anderen Mann ihm vorzuziehen, zu lieben, einen anderen zu lieben, das war es, was ihn stachelte und in Wuth versetzte. So schwach ihn jene Flamme auch dünken mochte, sie auszulöschen und den Gegenstand seines Argwohns die ganze Wucht der Strenge fühlen zu lassen, das war es, was ihn jetzt beschäftigte und was den Entschluß in ihm reifte, sich selbst zu überzeugen ob es möglich, daß dieses Kind, seine kleine blonde Constanze ihm abtrünnig werden konnte.
Ihr selbst war indeß nicht verborgen geblieben, was sich in Nicäa zugetragen hatte. Eine neue Schaar der Waräger, jener ihr beigegebenen Leibwache, war von der Hauptstadt angekommen, um die bisherige Truppe abzulösen, und durch sie war es kund geworden, daß die Marquisana, mit Schmuck und Diadem der Kaiserin, an des Vatazes Seite, den Siegeseinzug gefeiert hatte, und daß man sie überall bereits als die eigentliche Herrscherin ansehe. Jetzt zum erstenmale empfand Anna Constanze klar 242 und ganz die ihr widerfahrene Kränkung, den Undank ihrer Freundin, die Untreue ihres Gemahls.
»O, wie verlassen bin ich, wie sehr verschmäht und zurückgesetzt, und ich selbst mußte durch meinen Wunsch hierher zu kommen, ihnen die Wege bahnen! Ich dürfte nun wohl ganz weggehen, vom Leben weggehen, sie würden nur froh sein, sie würden es nur als eine Pflichterfüllung von mir ansehen! Warum zag' ich, warum stürz' ich mich nicht in die Tiefe des Meeres, wo die Wogen über mir zusammenschlügen, dort würden vielleicht doch jene treuen Thiere, die Delphine, Mitleid mit mir haben und mich betrauern.«
Wahrend sie diesen schmerzlichen Betrachtungen nachhing, schwang sich vom Meer her ein Falke gegen das Haus und ließ sich vor ihr nieder. In freudigem Erschrecken nahm sie das schöne Thier auf ihre Hand, das sogleich den Kopf an sie schmiegte und sich von ihr streicheln ließ. Wie eigen war es ihr, die Lebenswärme eines freundlichen Geschöpfes so nahe zu haben, wie viel höher stand es ihr, wie verwandter, als alle jene schönen, künstlich geformten Nachbildungen lebendiger Wesen, die nur deren Schein an sich trugen, nicht durch eigenen Impuls bewegt wurden!
Sie liebkoste den Falken mit Zärtlichkeit; ihre Freude wurde aber bald durch den Byzantiner unterbrochen, der ihr anzeigte, die neuangekommene Schaar der Leibwache bitte ihr vorgestellt zu 243 werden. Auf den Falken sah er dabei mit gehässigen Blicken: »das gefräßige Thier da,« sprach er, »wird Alles in Unordnung bringen und beschmutzen, gieb es weg, Herrin, oder laß es mich tödten.«
»Wag es nicht, ich müßte Dich bestrafen, hier bist Du nur mein Diener,« erwiderte sie.
Tatas entfernte sich mit höhnischem Lächeln; sie folgte, nachdem sie ihren Falken noch geschmeichelt und mit ihm geredet hatte:
»Lasse Dich nicht fangen,« sagte sie zu ihm, »werde mir nicht ungetreu, willst Du mein bleiben?«
Er stieß ein wildes Geschrei aus und schlug wie drohend mit den Flügeln.
»Nein, ich kette Dich nicht an, habe Deine Freiheit! Willst Du? Nein? Nun so bleibe!«
Ganz in sich versunken, still vor sich hinträumend, schritt sie nun die Schaar der Waräger entlang, ohne einen der Kriegsleute zu beachten, während sie doch sonst einen und den anderen nach Namen und Heimat gefragt hatte. Mit einemmal hörte sie hinter ihr flüstern.
»Herrin, Ihr habt sehr abgenommen an Farbe des Gesichts und Freudigkeit.«
Sie sah auf und blickte in das Gesicht des Mannes, der ihr wohlbekannt war, an den sie so oft gedacht hatte.
»O wehe, daß Du hier bist,« sagte sie ebenso leise und wie für sich.
244 »Das sollt Ihr nicht beklagen, holde Frau,« ward ihr in provenzalischer Sprache zur Antwort, »Ihr habt einer Treue nöthig und die findet Ihr an mir, wie sonst wohl an keinem Anderen in Eurem Reiche. Gehabt Euch wohl und laßt nicht merken, daß wir uns kennen.«
Sie nickte ihm lächelnd zu und ging eilend vorüber. Wie bedrängte sie jetzt Freude und Sorge zugleich! Nicht mehr entbehrte sie nun einer beschützenden Nähe, einer wahren Theilnahme an ihrem unglücklichen Geschick. Nein, sie war nicht mehr unglücklich, und auch der Falke konnte nur von ihm sein, der ward ihr nun doppelt lieb. Wenn er fortflog und wenn er wieder kam, war es ihr immer, als bringe er Grüße von dem tapfern treuen Mann mit, der gewiß nur um ihretwillen hierhergekommen war.
Sie sah ihn von nun an öfter. Wie mancher Blick bekräftigte das gegenseitige Verständniß, wie freudig wurde sie jedesmal durch seine, wenn auch nur stumme Gegenwart überrascht, wie mancher Dienst war ihr von ihm erwiesen, woran vorher sonst Niemand gedacht hatte!
Die strenge Zurückhaltung, in welcher er sich ihr gegenüber verhielt, wurde nur selten durch ein kurzes Gespräch unterbrochen. So fragte sie ihn einst: »wie kommt es, daß Ihr hier seid?«
»Erinnert Euch, daß ich ein Normanne bin, und daß meine nächsten Stammesverwandten und Waffenbrüder die Leibwache des griechischen Kaisers 245 bilden. Als ich dies bedachte, fuhr ich nach Nicäa und ließ mich unter die Reihe seiner Streitaxtmänner aufnehmen.«
»Nun, dann wünsch' ich, daß es Euch bei uns gefallen möge.«
»Würde ich immer Euch hier beschirmen dürfen, aber nach kurzer Zeit werden wir abgelöst und dann seid Ihr wieder schutzlos.«
»Wen sollte ich zu fürchten haben?«
»Fürchtet Eure Dame, die Marquisana.«
»Ich hab' Euch gehört und will Euren Rath befolgen, denn Ihr habt all' mein Vertrauen; aber geht, schon zu lange sprechen wir zusammen.«
Der Normanne zog sich zurück.
Wenige Tage nach dieser Unterredung fand Anna Constanze, als sie das Zimmer betrat, ihren Falken todt am Boden. Sie ahnte, wer ihr diesen Schmerz bereitet habe und auf ihre harten Vorwürfe antwortete der Byzantiner nur mit einem schadenfrohen Blick, indem er sagte:
»Ich werde ihn Euch ausbälgen und als ob er lebe herstellen lassen mit ausgebreiteten Fittigen und die Krallen zum Fang bereit, dann könnt Ihr Euch seiner freuen, so lang Ihr wollt, ohne befürchten zu müssen, daß er Euch entweiche.«
Sie schwieg zu diesem Hohn und sagte nur kurz: »Auch ich werde nicht länger mehr bleiben, rüste die Abreise!«
»Ich habe keinen Befehl dazu,« antwortete Tatas.
246 »Bin ich verbannt, bin ich gefangen hier?« frug ihn die Kaiserin.
Er zuckte die Achseln und entfernte sich ohne Antwort; sie lehnte in bitterem Schmerz an die Fensterbrüstung; als sie aber am Meeresufer ihren treuen Normannen wiedertraf, erschloß sich ihr Herz gegen ihn in lauten Klagen.
»Ich werde den Elenden züchtigen!« rief Redgar aus, »er soll es büßen.«
»Nein,« erwiderte sie, »er ist es nicht werth, daß Du ihn strafst und wir würden nur Verdacht erregen. Ach, ich bin so sehr mißachtet und gedemüthigt hier, das Joch, unter dem ich schmachte, ist unerträglich geworden. O, wer mich heimbrächte zu König Friedrich, meinem Vater, wer mein Befreier würde, denn bald wird auch mein Leben bedroht sein!«
»Meines für Deine Rettung geb' ich, holde Herrin,« versetzte der Normanne und ergriff ihre Hand.
»Ich weiß wohl,« antwortete sie, »daß ich Unmögliches verlange, denn wie solltest Du mich von diesem öden Meerstrand hinwegbringen, wo nie ein Fahrzeug landet und Alles von Wachen umstellt ist. Aber schon, daß Du Dich bereit dazu zeigtest, gewährt mir Trost.«
»Ich werde es dennoch können,« versetzte Redgar, »seit einigen Tagen bemerke ich ein Schiff nicht allzuferne von hier und ich erkenne an seinem 247 Bau, daß es ein normännisches ist. Allerdings liegt es so weit vom Ufer vor Anker, daß kein Zeichen, kein Ruf im Stande ist, eine Mittheilung dahin gelangen zu lassen; aber ich werde hinaus schwimmen und verlangen, daß ein Boot ausgesetzt werde, Dich hier abzuholen.«
»Und wann wolltest Du das vollbringen?«
»Heute noch, denn wir haben keine Zeit zu verlieren, es darf sich nur die Windrichtung ändern, so entfernt sich das Schiff, auch hört man, daß der Kaiser von Nicäa in nächster Zeit hier eintreffen wird.« –
»Er, Vatazes,« rief Anna in höchster Bestürzung aus, »o, dann ist Alles verloren!«
»Ohne Zögern also, gegen Anbruch des nächsten Morgens kann ich mit einigen meiner Landsleute hier in der Nähe wo unbemerkt landen, dann kommen wir, ehe noch die Sonne sich erhoben hat, hierher, um Dich zu befreien.«
»Und fürchtest Du nicht, es könnte mißlingen?«
»Möge von dem festen Muth, der mich beseelt, ein Funke nur in Dich übergehen und Deine Zuversicht erhalten! Lebe wohl und vertraue mir!«
Mit bangem Herzen betrat die Gemahlin des Vatazes ihr Gemach, sie strengte sich vergeblich an, auf dem Meere die Anwesenheit eines Schiffes zu entdecken; oder sollte es jener kleine helle Punkt sein, den eben jetzt die untergehende Sonne für einen Augenblick beschien und dadurch erkennbar 248 machte? Ja, dies mußten die Segel der Normannen sein – und mit einbrechender Dunkelheit wollte der Schwimmer daß außerordentliche Wagniß unternehmen. Sie zitterte für ihn, sie bereute ihre Aufforderung, obwohl sie seine Gewandtheit, seinen Muth kannte; es galt sein Leben, und es war ihr Alles – mehr als ihr eigenes geworden. Die Nacht brach an und mit ihr kam vom Gebirg ein Wind, der heftig nach der See zu wehte. Wenn er das Schiff weiter vom Ufer hinaustriebe, wenn es dem Schwimmer unmöglich würde, es zu erreichen? –
Ihre Befürchtungen waren nicht unbegründet. Der kühne Normanne empfand in Bälde die vom Land herwehende Luftströmung, die stärker und stärker wurde und das Fahrzeug mehr und mehr von seinen Anstrengungen entfernte. Jedenfalls konnte er es kaum noch vor Anbruch des Morgens erreichen. Es dunkelte immer mehr; der Richtung, die er zu verfolgen hatte, war er gewiß, die immer höher gehenden Wogen bekümmerten ihn wenig, aber daß ihm Stunde auf Stunde verloren ging, das beunruhigte ihn, und vollends schwer warf sich der Gedanke auf ihn an diejenige, die seiner mit gleicher Angst gedachte und mit welcher Sehnsucht seiner Wiederkehr entgegensah! Er durfte diesen Gedanken nicht aufkommen lassen, seinen Armen würde bald die Kraft gefehlt haben, um den furchtbar um ihn her rollenden Wogen zu widerstehen.
Nach Mitternacht ließ die Heftigkeit des 249 Windes nach. Anna Constanze bemerkte die Veränderung an dem geringeren Wehen in den Bäumen des Gartens vor ihrem Fenster. Sie schöpfte neue Hoffnungen, jetzt konnte Rettung noch möglich sein, einem so ausdauernden, mit dem Meere so vertrauten Schwimmer mußte es möglich werden, sein Ziel zu erreichen. Und sollte nicht auch der gütige Himmel ihrer Sache hülfreich sein? war es nicht ein der Engel würdiges Werk, sie ihrer Schmach, ihrem Elend zu entreißen? Zuweilen warf sie sich auf die Polster ihres Ruhebettes, um einige Minuten Erholung zu finden, aber das leiseste Geräusch erweckte sie wieder.
Hundertmal wohl sprang sie auf und horchte, – mit brennenden Augen blickte sie nach der Richtung des Meeres, ob noch kein Streiflicht der Frühe sich zeige, und hundertmal durchmaß sie mit leisen, zagenden Schritten das Gemach, bald in Furcht vor Entdeckung, bald in Sorge, daß sie die Retter, wenn sie nahe wären, nicht früh genug höre. Endlich schien es zu tagen – aber wenn es nun wirklich Tag wurde und er nicht erschien, dann war für Stunden, vielleicht für immer ihre Hoffnung dahin.
Es war jedoch nicht das Licht des Morgens, sondern nur ein mächtiger Stern, der durch Wolken brach und eine ungewöhnliche Helle ergoß – jetzt – ja jetzt hörte sie Geräusch, sie hörte das Klirren von Waffen, schwere Tritte kamen durch den Garten her – ein Schimmer von Fackellicht schwankte zwischen den Baumstämmen und erhellte die Gipfel 250 der zunächst vor ihrem Fenster ragenden Cypressen. Sie athmete auf, er mußte es sein, sie wandte sich dem Ausgang ihres Gemaches zu, sie erreichte die Treppe, öffnete das Thor und trat ins Freie. Da war es zuerst die Gestalt des geflügelten Löwen, der vor ihr stand und in der halben Dunkelheit noch größer als sonst erschien, und auf sie niedersah.
Was hatte sie vor? zu fliehen? Allerdings aus harter Gefangenschaft, aber war es nicht doch ein Unrecht was sie jetzt zu thun gewillt war? Sie gedachte der Warnung des Byzantiners, sie schwankte und zögerte, ja sie schauderte noch einen Schritt weiter zu wagen, aber die Lichter kamen näher, da faßte sie sich Muth, es mußte sein, zwei Schritte noch und sie war an dem Ungeheuer vorüber.
Jetzt kamen auch die Bewaffneten heran, einer in heller Rüstung voraus, er eilte auf sie zu, – welches Entsetzen! es war nicht der, den sie erwartete – es war Vatazes. Sie glaubte zu erstarren, mit dem Boden unter ihr eins zu werden, und auch er blieb stehen, auch ihn fesselte mächtiges Erstaunen, sie, die Betrogene, Verrathene flog ihm entgegen, und wie? war das noch jenes Kind, jene Constanze, die er vor einigen Monaten als ein armes blasses Mädchen verlassen hatte, die jetzt in voller Schönheit aufgeblüht, vollendet in ihrer ganzen Erscheinung vor ihm stand?
Mit dem Ausdruck freudiger Bewunderung näherte er sich, seine Blicke, seine gegen sie erhobenen Arme, gaben seine leidenschaftliche Bewegung kund, 251 und Constanze empfand es mit noch größerem Erschrecken als zuvor die Enttäuschung; sie wich voller Angst vor ihm zurück, da berührte es sie kalt und hart; sie sah sich um, sie war an das Erzbild gestoßen – das eherne Thier über ihr schien sie noch wilder als vorher anzusehen, und da war's als ob eine unsichtbare Hand die ihre fasse und sie zurückzöge immer näher an die Tatze des Löwen hin, und sieh, er erhob sich, tief aus seinem Rachen löste sich's wie ferner Donner – die Erinnerung an das Wort des Byzantiners durchschauerte sie: »Ha!« rief es in ihr, »er hatte Recht, Du bist schuldig, das ist Dein Todesurtheil.«
Sie fühlte ihre Besinnung schwinden; ihre Hand erhob sich noch als wollte sie sich festhalten, aber es war nur die eherne Tatze, nach der sie griff und ohnmächtig sank sie unter sie nieder. Ein Moment noch und das Erz schlug herab und zerschmetterte die Brust der Unglücklichen. Schon war die verhängnißvolle Sekunde da, wo das Brüllen in ein Röcheln überging und schwächer wurde – jetzt mußte das Erz sie zermalmen, da sprang Vatazes hinzu und entriß sie dem Tode. Betroffen von dem unverhofften Anblick, hätte er beinahe zu lange gezögert, so unglaublich war Alles, was hier vor seinen Augen vorging – aber schon im nächsten Augenblick fiel der dröhnende Schlag und traf den Boden, daß er bebte.
Als Anna Constanze aus ihrer Ohnmacht erwachte, fand sie sich in den Armen ihres Gatten.
252 Der Morgen brach an und sah auf dem Meere den Normannen noch mit der Woge kämpfen. Die See ging nicht mehr hoch, seine Kräfte jedoch waren erschöpft, es gelang ihm, nach dem Fahrzeug ein Zeichen zu geben so nahe war er bereits gekommen. Man bemerkte ihn und ein Boot wurde herabgelassen, um ihn, den man für einen Verunglückten hielt, aufzunehmen. Man brachte ihn halbtodt an Bord, einige Zeit lag er regungslos vor den Männern, die ihn mitleidig betrachteten, dann schlug er die Augen auf, holte tief Athem, und seiner Pflicht sich erinnernd und was er hier wolle, erhob er sich und öffnete den Mund, um seine Aufforderung an sie zu richten.
Vergeblich – die ungeheure Anstrengung hatte ihn der Sprache beraubt, es war ihm nicht möglich, auch nur ein Wort zu sagen, er war stumm geworden. Seine Geberdensprache blieb unverständlich. Mit einem schmerzlichen Blick nach dem Lande, mußte er gewahr werden, wie es mehr und mehr in der Ferne verschwand.
Garten und Palast am Meeresufer waren wieder still und einsam geworden, wie sie es vor dem Besuche der unglücklichen Prinzessin gewesen. Tatas, der Byzantiner mit Bogen und Pfeilen bewaffnet durchstrich die Gänge und Bauten und tödtete was er am Leben fand.
Mein Princip ist 253 richtig, sprach er zu sich selbst; es ist alles so eingetroffen, wie ich es angelegt hatte. Ja der Mechanismus ist mächtiger als das Leben, er beherrscht das Denken und Wollen des Menschen. Die Schuldige mußte dahin den Fuß setzen, wo die verborgene Feder lag, das Gesetz der Kräfte zog sie dahin, an den Ort der ihre Schuld offenbarte. Gesetze des Weltalls, was ist vor euch des Menschen Wille! Meine vollkommene Nachahmung der ewigen Ordnung ist der sicherste Beweis für die Wahrheit meines Systems, es hat sich durch sich selbst bewiesen.
Wie sehr würde er erst triumphirt haben, wenn er die Bestätigung seiner Theorie, das Opfer seines grausamen Versuches gesehen hätte, wenn er es gesehen hätte, an der Seite des Gemahls, so unendlich elend, wie es von Schrecken, Furcht und Gram gefoltert zum willenlosen Geschöpfe geworden war! Mild und liebreich, aber unnahbar erschien die Kaiserin wieder in Nicäa; ihre Reden waren klug und verständig, doch jedes Gedächtniß an Vergangenes schien ausgelöscht zu sein. Plötzlich und mitten im Gespräch erstarb ihr das Wort, es senkten sich ihre Wimpern und sie saß da, theilnahmlos und ohne Regung. Ihr Gang war vorsichtig und doch unsicher, wie eines Menschen, der schwindelnd an einem Abgrunde geht. Die Bewegungen ihrer Arme, ihrer Hände, hatten etwas Hartes und Zuckendes angenommen, als waren sie 254 nicht mehr selbstständig, nicht mehr von einem eigenen Willen geleitet.
Vatazes aber liebte sie, jetzt mehr als er je die Marquisana geliebt hatte; er liebte sie mit einer Milde, die seinem herrischen Charakter bisher fremd geblieben war, und Anna Constanze erzeigte sich ihm gegenüber demüthig und ergeben. Nur dann war sie von dämonischem Trotze, wenn das Feuer seiner sinnlichen Natur gegen sie aufloderte. An Jolanthe klammerte sich ihre kranke Seele mit rührender Liebe, und diese, welcher nicht entging, daß sie selbst von nun an für Vatazes nur noch Vergangenheit war, hielt die zärtlich sich an sie schmiegende in eisigen Armen und an einem racheglühenden Herzen.
Seit sie sich verschmäht sah, war ihr Stolz nur um so anmaßender geworden, nicht gegen ihre einstige Freundin, die von ihr stets noch als ein Kind betrachtet wurde, sondern gegen die Umgebung des Vatazes, seine Vasallen und die Priester, denn diese waren die Ersten, die wider die einst Gefürchtete, nun Gefallene, und stets Verhaßte das Haupt erhoben. Als sie einst in das Innere eines Heiligthums eintreten wollte, wehrten sie ihr als einer Unwürdigen die Thüre.
Heftig beklagte sie sich darüber bei Vatazes, er aber nahm die Sache leicht und gleichgiltig hin; sie bat dringend um Genugthuung, sie versuchte, als in ihrer Ehre auch seine zugleich beleidigt darzustellen – sie warf sich ihm zu Füßen – umsonst – er blieb ruhig. Sie sah wohl, daß sie 255 um seine Liebe gebracht war, aber so wollte sie nicht zurücktreten, so schwer beleidigt und ohne Rache–nimmermehr!
»Herr!« sprach sie, »da Du mich nicht mehr kennst, so schicke mich auch fort von Deinem Angesicht, verbanne mich, das ist mir heilsam, gestatte nun auch mir jenen abgeschiedenen Aufenthalt in dem Palast am Meere, wo Constanze so glücklich war, Deine Liebe wiederzufinden: Dort ist mein Platz, dort ist ein Wohnort für mich und meinen Schmerz.«
Bereitwillig entsprach Vatazes ihrer Bitte, aber der Anblick ihrer heftigen Erregung, ihre schöne Gestalt, die er nun für immer sollte von sich scheiden sehen, entflammte noch einmal seine Neigung, und sie, den Sieg ihrer Schönheit rasch benützend, ließ sich diese letzte Gunst des Geschickes nicht entgehen.
Um Mitternacht gewahrten die Bewohner Nicäas einen Zug von Bewaffneten und Fackelträgern, wie in eiliger Flucht, die Mauern ihrer Stadt verlassen; es war die Marquisana Jolanthe, die sich mit einer ihr ergebenen Begleitung nach dem Lustschlosse an der Propontis begab. Als in später Stunde des Morgens die Diener des Fürsten von Nicäa sein Schlafgemach betraten, fanden sie ihn todt auf seinem Lager ausgestreckt.
Kaum hatte sich seine Umgebung von dem Schrecken des so jähen Todesfalls gesammelt und nach den muthmaßlichen Ursachen gefragt, als der nächste Verwandte des Verstorbenen, Michael Paläologus, an 256 der Spitze zahlreicher Truppen in Nicäa einrückte, um den Sohn des Vatazes, der bisher in seinem Heere gestanden hatte und den er mitbrachte, als Thronerben einzusetzen. Thränen benetzten seine Augen, als er den Palast betrat, und ihm die Wittwe entgegenkam, ohne Klage, und ohne zu weinen, aber er nahm den tiefen Schmerzensausdruck in ihren Zügen für Trauer um den Verstorbenen und redete sie voll Ehrerbietung an:
»Welche Stadt des Reiches Dir als Wittwensitz genehm ist – wähle, oder welchen Palast Du zu bewohnen gedenkst, es ist alles Dein und Deinem Wunsch anheimgegeben.«
Sie schien ihn nicht gehört zu haben. Unbeweglich stand sie da, ihre Augen sahen zur Erde, ein anmuthiges Lächeln schwebte um ihren Mund. Alles blickte nach ihr, und horchte, was sie wohl sagen werde, aber sie sprach nicht, nur ihre Finger zuckten; und erst als der Schall der Trompeten, als die Fanfaren ertönten, welche den neuen Herrn verkündigten, erwachte sie aus ihrer todesähnlichen Ruhe. Sie fuhr mit der Hand langsam über ihre Stirn, als ob sie sich besänne, was vorgegangen war und sprach ruhig:
»Ich will nicht in einem Eurer Klöster, denn sie sind nicht von meinem Bekenntniß, den Gatten betrauern, ich bitte Dich aber, Herr, sende Botschaft nach Sicilien an meinen Vater, daß er seine Tochter zu sich nehme und hier abholen lasse.«
257 Der Paläologe trat ihr näher, mitleidig ergriff er ihre Hand und sprach:
»Beim heiligen Kreuze des Erlösers, ich werde Deinem Wunsch willfahren, und mein eigener Neffe Theodor, der hier steht, soll Dich von Constantinopel aus geleiten, denn bis dahin wirst Du noch mit uns die Siegeslaufbahn theilen. Wisse, Constantinopel ist in unserer Gewalt, und morgen werden wir uns aufmachen, um nächstens unseren frohen Einzug in der alten Hauptstadt unseres oströmischen Reiches zu feiern.«
Die junge Wittwe neigte sich tief und begab sich, von Zurufen begleitet und umgeben von ihrer Leibwache, nach dem Ausgange des Saales. Ueber der Schwelle blieb sie stehen und erhob ihre Blicke zu dem goldenen Kreuzbild über der Pforte, als hätte sie ihm was zu sagen und anzuvertrauen.
Der Herr sprach zu Mose, mache Dir eine eherne Schlange und richte sie auf zum Zeichen; wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. –
Ueber diesen Worten der heiligen Schrift saß nachdenklich der Byzantiner. Wie könnte denn möglich sein, daß der Anblick einer ehernen Schlange Heilung von dem Bisse der lebendigen brächte, wenn nicht dem Werke der reinen Form eine Macht über das Leben selbst gegeben wäre? Es ist das, 258 was es ist, vollkommen, und nicht dem Tod unterworfen, es steht höher, als das, was es vorstellt.
Da Tatas diese Worte bei sich sprach, wandte er seinen Blick auf die Bruchstücke seiner Arbeit, die vor ihm auf dem Tische lagen, es waren die ehernen Glieder eines Schlangenleibes, den er zusammenzusetzen und derart zu verbinden suchte, daß sie beweglich wurden. So künstlich sollte das Gebilde werden, daß auf eine kaum merkliche Berührung die Schlange sich völlig aufrichten müßte, er wollte es so weit bringen, daß sie um seine Arme sich winden, züngeln, verwunden und ein in ihrem Schlunde verborgenes Gift ausspritzen sollte, Ja, er dachte daran, ob er sie nicht ganz unabhängig von Einwirkung der Menschenhand, durch den elementaren Einfluß, durch Trockenheit und Feuchtigkeit der Luft sollte dehnbar und beweglich machen können. Ueber ihre Verwendung war er noch nicht mit sich einig, doch daß auch sie auf menschliche Geschicke Einfluß haben müsse, stand bei ihm fest.
Ganz in die Berechnungen und Proben vertieft, hatte er nicht gehört, daß Besuch angekommen, daß Jolanthe mit Begleitung in die Halle getreten war. Von dieser Halle, in deren Mitte riesige Säulen das Deckengewölbe trugen, zog sich eine Wendeltreppe nach dem Gemach des kunstfertigen Mannes. Ueberall sahen fabelhafte Thiergestalten hernieder.
Die einbrechende Dämmerung hatte dem Eifer des Arbeitenden noch kein Ziel gesetzt. Eben 259 war er daran, in dem schön gearbeiteten Schlangenkopf die letzten Wirbel anzufügen und er ließ sie über seine Hand gleiten, als durch ein Geräusch fein Augenmerk nach der Thüre gelenkt wurde. Er sah empor und fuhr zurück wie vor einer wirklichen Schlange, als er die Gestalt des schönen Weibes erblickte, das seine dunklen Augen auf ihn heftete. So plötzlich, so unerwartet war ihm diese Erscheinung, daß er, der an Einsamkeit und Ungestörtheit bei seinen Arbeiten gewöhnt war, wirklich erschrak. Er starrte lautlos die Fremde an, die den Eindruck wohl bemerkte und zögernd auf ihn zutrat.
»Verzeihe, daß ich Dich unterbreche,« sagte sie sanft, »von dem Ruf Deiner seltenen Kunst angezogen, kam ich hierher. Gewähre mir wie vordem meiner Herrin, der Kaiserin Anna, für einige Tage Raum in diesem Schlosse, vergönne mir, wenn es Dir genehm, einen Einblick in diese Wunderwelt, die, wie es heißt, zum größten Theil Deine eigene Schöpfung ist.«
Durch die letzten Worte geschmeichelt, überwand Tatas seine Furcht und war sogleich bereit, der Marquise zu willfahren. Er führte sie durch die Labyrinthe des Palastes, zeigte und erklärte ihr Alles.
»Was ich gesehen habe, ist bewundernswerth,« sagte sie, »und beurkundet Deinen Scharfsinn. Aber weißt Du auch, daß unsere Herrscherin durch 260 solche Dinge in einen an Wahnsinn grenzenden Zustand versetzt wurde? Wenn Dich die Priester der Magie beschuldigen, so dürftest Du kaum dem Feuertode entgehen.«
Tatas antwortete fest: »Hier ist keine Magie, hier ist alles Berechnung und natürliche Wahrheit.« –
»Ich wünsche nicht,« bemerkte sie, »daß Du in den Fall kommst, Dich verantworten zu müssen.«
»Furcht kenne ich nicht,« versetzte Tatas. »Doch davon laß uns später reden, für jetzt genieße das Mahl, das Dir bereitet ist.«
»Willst Du nicht theilnehmen.« bat sie.
Er konnte es nicht weigern und mußte sich's gefallen lassen von dem Weine zu trinken, den ihre Diener ihm vorsetzten. Bald war er in ein lebhaftes Gespräch mit ihr verflochten, wobei er nicht nur die Macht ihres Geistes, den Zauber ihrer Rede empfinden sollte, sondern mehr noch die unwiderstehliche Macht ihrer Reize. Er wagte es nicht, seine lebensfeindlichen Anschauungen an den Tag zu legen, wie hätte er sie behaupten oder vertheidigen können vor der siegreichen Widerlegung eines einzigen dieser Blicke, die sein Herz in ungestüme Wallung brachte – und als nun der von der Decke herabhängende Armleuchter seine magischen Strahlen über ihr schönes Gesicht ergoß, als einmal ihre Fingerspitzen seine Hand berührten, die lebendige Wärme ihres Pulses ihn mit den süßesten Schauern durchströmte, wie ward ihm, wie raste 261 sein Blut!
Er eilte auf sein Arbeitszimmer, doch nichts wollte ihm glücken, nichts fesselte mehr seine sonst so rastlose Thätigkeit. Der nächstfolgende Tag brachte ihn nur noch tiefer in die Fesseln der Versucherin, die so mächtig seine Theorie an ihm selbst Lügen zu strafen wußte.
Sie wurde nicht müde seine Werke zu bewundern und zog ihn nur umsomehr von diesen ab und an sich.
»Welche Thatkraft,« konnte sie sagen, »welche Ausdauer gehört dazu, dies Alles zu ersinnen, zu erschaffen;« aber das Lächeln ihrer Lippe zeugte dagegen, denn es ging darauf aus, diese Thatkraft zu lähmen, dieser Strenge und Ausdauer ein Ende zu machen. Und wirklich es kam so, der finstere Ernst von seiner Stirne wich, die Anfertigung der künstlichen Schlange wurde zurückgelegt, die tödtlichen Pfeile ruhten.
Allmälig bevölkerte sich auch die Umgebung des Palastes wieder mit lebenden Geschöpfen, die Nachtigall sang, Rehe schlüpften durch die Gebüsche, und wo vorher grauenhaftes Schweigen geherrscht hatte, hörte man frohe Menschenstimmen. Aber je lauter und freudiger sich die Umgebung gestaltete, um so ernster und finsterer wurde Jolanthe. Je mehr Tatas zu neuem Leben verjüngt erschien, um so düsterer, unseliger ward die Marquisana.
Tatas ahnte, daß eine schwere Schuld auf ihr laste.
»Wie,« sagte er sich, »wenn ihr Verhängniß sie hierher geführt hätte, wenn es ihr bestimmt 262 wäre, hier den Tod zu erleiden, wenn ich selbst dazu den Befehl erhielte!«
Der Gedanke verfolgte ihn Tag und Nacht, die Ruhe wich von ihm, in seinen Träumen war es bald die künstliche Frauengestalt, welche die Züge Jolanthe's annahm und ihm winkte, ihr zu folgen, bald sah er den Löwen seine Tatze gegen sie erheben, um sie zu erdrücken, wehrlos, von Angst gefesselt, lag das schöne Weib dem Tode preisgegeben. Tödte das Unthier, wenn Du mich liebst, rief sie. Er stürzte auf sie zu, sie entwand sich seinen Armen und entschwand.
Er erwachte, sprang auf und eilte in den Garten. Todtenstille war um ihn her; er fühlte zum ersten Male schmerzlich, daß alles Lebende vor ihm fliehe, diese gräßliche Einsamkeit beklemmte sein Herz; eine Eule, das erste Thier, das sich wieder hervorgewagt hatte, schien seiner mit unheilverkündendem Aechzen zu spotten; er getraute sich nicht, sie zu verscheuchen.
Wie von Fieberschauern gerüttelt, eilte er in seine Arbeitsstätte zurück, ergriff seine Werkzeuge und schritt nach dem Thor hinab. Dort, auf dem Boden kauernd, wie ein Jäger auf seine Beute, wie ein Räuber auf sein Opfer spähend, schlich er an dem geflügelten Löwen hin. Er wühlte die Erde auf, noch einmal hielt er inne, als besänne er sich, als schien es ihm ein Verbrechen, was er vor habe, dann aber legte er unerschüttert Hand an, um seine eigene Erfindung, sein ruhmvollstes Werk zu vernichten. In kurzer Frist gelang es seinen Anstrengungen, die geheimnißvolle Feder 263 aufzudecken und zu zersprengen; sie zerriß und ein schwirrender Ton durchdrang die Luft. Das Erzbild schien noch einmal seine Tatze erheben zu wollen, aber wie gelähmt sank sie nieder; aus seinem Rachen drang ein dumpfes Stöhnen, dann war Alles still.
Dem Byzantiner sagte eine innere Stimme, es sei nun das Band gelöst, das ihn mit der Geisterwelt verband; sein Stolz, seine Meisterschaft, der Triumph menschlicher Erfindungsgabe war zerstört, die Geschicke, die er beinahe schon zu beherrschen geglaubt hatte, lagen nicht mehr in seiner Hand. Furchtbar öde und ausgestorben war es in seiner Seele, dann aber trat wieder das liebreizende Bild Jolanthe's vor ihn, er hatte ihr sein Höchstes, was er besaß, geopfert. – Er gestand es ihr, er bekannte seine That und gestand ihr seine Liebe.
»Wohlan,« sagte sie »es giebt einen Weg zu meinem Herzen, werde Gebieter von Nicäa und ich will die Deine sein.«
»Wie,« rief er aus, »Du verlangst, daß ich den Kaiser, meinen Herrn, vom Throne stürzen soll?«
»Nein, denn er ist bereits todt,« erwiderte sie und fügte, da sie seine Bestürzung wahrnahm, ruhig hinzu: »Ich habe ihn getödtet, ich selbst, höre, ehe Du mich verurtheilst, höre mein Bekenntniß. Ich kam mit Anna Constanze nach Nicäa als ihre Erzieherin und Freundin; das Herz ihres Gatten wandte sich mir zu, meine Schuld war es 264 nicht, meine Schuld war nur, daß ich nicht standhafter seinen Bewerbungen mich widersetzte. Ich verrieth meine Herrin und hier fand Vatazes sie wieder. Er verließ mich, er warf mich weg, er gab mich nicht nur dem schmerzlichsten Verluste preis, auch der Schmach, der Beschimpfung, und ich rächte mich … Ich habe in der letzten Nacht vor meiner Abreise, als ich noch einmal seine Gunst gewann, ihn getödtet.«
Tatas sprang auf und betrachtete sie mit zweifelhaften Blicken.
»Ja,« rief er endlich, »es ist wahr, was Du sagst und Du hattest Recht, mit seinem Blute tilgtest Du den Schimpf und den Verrath Deiner Liebe zu ihm.«
Sie wandte sich ab und sprach: »Und nun liebe mich noch, wenn Du kannst.«
Er stürzte ihr zu Füßen.
»Und wärest Du tausend Mal schuldiger und würde Dich alle Welt verfluchen, ich würde Dich dennoch lieben und wüßte ich, daß Du auch mir den Dolch ins Herz stoßen würdest, ich könnte Dich dennoch nicht lassen, ich bin bei Dir, was auch komme.«
»So waffne Dich mit Muth und folge mir nach Nicäa; es gilt Alles zu gewinnen oder Alles zu verlieren.«
»Du verlangst Unmögliches.«
»Erfahre, daß man von Nicäa aus mich bereits verfolgt, sie werden in Bälde hier sein, um mich zum Tode zu führen.«
265 »Laß uns entfliehen,« drang er in sie. »In dem nahen Gebirge finden wir fürs Erste Zuflucht, dann bei den freien Stämmen der Wüste Sicherheit.«
Sie trat einen Schritt zurück.
»Armseliger, Du dünkst Dich höher, als andere, weil Du einige elende Puppen zu lenken verstandest, und jetzt, da Du vor Menschen, vor freiem Willen stehen sollst, jetzt verzagst Du?«
»Dich zu vertheidigen, wird es mir nicht an Muth fehlen,« versetzte Tatas, »und soll es sein auch mit Dir zu sterben. Fürs erste gilt es, dem drohenden Geschick zuvor zu kommen; ich werde Vorkehrungen treffen, Gewalt von uns abzuwehren.«
Er verließ sie und kam gegen Mittag mit der Nachricht zurück, daß ein schweres Gewitter heranziehe.
»Ein glücklicher Zufall für uns! Ich ließ die Speere, welche über den Thürmen rings um den Park aufgestellt sind, um die Blitze von diesem Palast abzuwehren, herunternehmen. So gab ich diesen Wohnsitz dem Gewitter preis, wenn die Verfolger hereindringen, so werden sie von dem entfesselten Feuer entweder zurückgeschreckt, entfliehen müssen, oder sie werden von den Blitzen erschlagen, da die Gewalt der Metalle jene anziehen und hierher lenken wird.«
»Und wir?« fragte Jolanthe.
»Was Jenen zum Verderben gereicht, deckt unsere Flucht; laß uns eilen, bei den Bewohnern der Wüste finden wir nicht nur Zuflucht, sondern 266 auch bereitwillige Anhänger und willfährige Mitstreiter, um, wenn es Du so willst, Nicäa zu überfallen und zu erobern.«
Sie verließen den Palast, von Niemand gesehen, von Niemand geführt; kaum aber hatten sie die Begrenzung des Parkes verlassen und der ersten Ansteigung des Gebirges sich genähert, als das heftige Gewitter losbrach. Muthig schritten sie vorwärts, aber ihre Gefahr wurde immer größer, Blitz auf Blitz hüllten den Himmel in ein unaufhörliches Feuer, der Sturm entwurzelte die mächtigsten Bäume, und von dem ungeheuren Regengusse schwollen in kurzer Zeit die Waldbäche zu reißenden Flüssen an.
Sie mussten zurück, die Natur schien sich ihrem Eintritt in ihr freies Gebiet zu widersetzen; sie eilten nach dem Garten und dem eben von ihnen verlassenen Gebäude zurück; doch kaum hatten sie die Räume wieder betreten, als eine Reiterschaar eintraf, um die Marquisana gefangen zu nehmen.
Tatas verweigerte, und stellte sich den Bewaffneten entgegen. Der Kampf schien ein zu ungleicher, als daß er hätte lang dauern können, wäre nicht das Element selbst auf Seite der Verfolgten gewesen, es war als stünden sie unter dem Schutz der Blitze, die bald wie ein Feuerstrom zwischen ihnen und den Angreifern niederschossen, bald wie Pfeile über sie hinweg gegen jene zielten.
»Das ist doch ein Triumph,« sagte Tatas, »meine Diener erweisen mir ihre letzten Dienste.«
267 »Sie gehorchen, obwohl sie entfesselt sind,« antwortete Jolanthe, »aber nun reiche mir den Bogen des Negers, daß auch ich eine Waffe, mich zu vertheidigen, habe.«
Sie erstiegen die kleine Balustrade bis zu der Nische, worin die Erzfigur stand, Tatas faßte die Hand derselben, drehte und nahm den Bogen nebst dem Köcher mit Pfeilen, die er seiner Gefährtin gab. Sie spannte sogleich, schoß und traf. Geschoß auf Geschoß, von ihrer Hand gelenkt flog in die Andringenden. Einer um den Anderen wurde getroffen, sobald er sich an die Beiden wagte, die wie von einer unsichtbaren Macht vertheidigt, sich unter den Baum mit den goldenen Blättern zurückzogen; aber hier wurde nun die Gefahr für sie nicht geringer als für ihre Feinde.
Diese wichen allmälig aus dem Kampfe zurück, schon brannten Balken und Dielen des Hauses und jetzt streckte ein Feuerstrahl auch Tatas und Jolanthe zu Boden. Derselbe Blitz schlug über ihnen in den Baum, den er zersplitterte. Die Singvögel in den Zweigen ließen noch einmal ihre Stimme erschallen, ehe sie herniederfielen. Auch der Stamm und die Zweige des metallnen Baumes zerschmolzen in der ungeheuren Gluth und der Strom des Erzes, über die Getödteten fließend, umgab die verkohlten Leichen wie mit einem Sarg und bedeckte ihre Gesichter mit goldener Maske.
Mittelst eines Handstreiches entrissen die Griechen Constantinopel den Lateinern wieder, deren kurze Herrschaft unter Balduin II. gänzlich in Verfall gerathen war. Eine geringe Anzahl regulärer Truppen, welchen sich umherschweifende Banden angeschlossen hatten, erstieg eines Nachts die Mauern, sprengte ein seit langer Zeit nicht mehr gangbares und daher unbewachtes Thor und machte sich fast ohne Widerstand zum Herrn der Staat. Balduin, mit den Angesehensten der Seinigen, dem Ueberrest jener Abendländer, welche einst die Eroberung der Hauptstadt des oströmischen Reiches so kühn unternommen und vollführt hatten, war noch vor der letzten Entscheidung auf venetianischen Schiffen entflohen.
Zwanzig Tage später hielt Michael Paläologus seinen Einzug, man öffnete ihm das goldene Thor, er stieg vom Pferd und betrat die Stadt unter Vorantragung der heiligen Fahne mit dem Bildniß Maria's. Durch die theilweise verödeten Straßen, in welchen noch überall Spuren der Zerstörung und Drangsal sichtbar waren, schritt er nach der Sophienkirche, wo ihm zum zweiten Male die Krone der oströmischen Herrscher aufs Haupt gesetzt wurde.
In seiner nächsten Umgebung befand sich die Wittwe des Vatazes. Für sie war dieser Tag noch ein besonderer Festtag. Es war Botschaft von Sicilien 269 gekommen; Kaiser Friedrich schrieb, daß er seine Tochter erwarte, daß ein Schiff von Palermo unter Segel gehe mit der Bestimmung, demjenigen Schiffe der Griechen, welches sie an Bord habe und bringen werde, entgegen zu eilen. Es galt dabei, einen Verwandten des Paläologen, den Cäsar Johannes gegen Anna Constanze auszuwechseln, und diese Auswechselung sollte in Corfu und, wenn sich die Schiffe unterwegs trafen, auf dem Meere stattfinden, was jedoch in Wirklichkeit nicht zu Stande kam.
Theodor, der Neffe des Kaisers, war mit diesem Auftrage betraut, und lichtete die Anker, sobald die Festlichkeiten in Constantinopel ein Ende erreicht hatten.
Ein vorübergehender Strahl der Freude erhellte die trauervolle Stirn Constanze's, als sie das Ufer Constantinopels verließ. Wie sehr war dieser Abschied von demjenigen verschieden, den sie von ihrer Heimat genommen hatte, um wie vieles glückverheißender! Ach, sie schien es kaum zu empfinden. Mit immer gleicher Miene, kalt und freudlos blickte sie umher, als wollte sie fragen, was geschieht mit mir? Welch neue Leiden stehen mir bevor?
Und wirklich neuen Leiden, neuen Gefahren sollte sie entgegen gehen; der byzantinische Fürst, der sie hätte zu den Ihrigen bringen sollen, faßte unterwegs eine heftige Liebe zu der jungen Wittwe, welche in ihrer Trauerkleidung und durch ihr schwermüthiges Wesen ihm nur um so anziehender er 270schien. Da sie seine Bewerbung zurückwies, so gerieth er auf den Entschluß, anstatt sie nach Sicilien zu bringen mit ihr nach Venedig, wohin er gleichfalls Aufträge besaß, zu fahren, indem er hoffte dort, wenn sie keinen anderen Ausweg mehr sähe, ihren Widerstand zu besiegen und ihre Einwilligung zu einer Heirath mit ihm zu erlangen.
Ehe jedoch das Fahrzeug von seiner ersten Richtung abwich und sich dem adriatischen Meere zuwenden konnte, begegnete ihm ein mächtiges Kriegsschiff, das in seiner Flagge den hohenstaufischen Löwen trug, und bald als dasjenige erkannt wurde, welches die Tochter Friedrichs II. abzuholen bestimmt war.
Rasch faßte nun der schlaue Grieche einen anderen Plan; er schloß die Unglückliche in ihr Gemach ein, ehe sie noch eine Ahnung hatte, daß diejenigen so nahe waren, welche kamen, um sie heimzuführen, und ferner veranlaßte er unter Drohungen ein Mädchen, welches sich an Bord befand und das zufällig an Größe und Gestalt der Wittwe des Vatazes glich, sich für diese ausgeben zu lassen; sie sollte sich nicht entschleiern und kein Wort sprechen. Anna Constanze dagegen wurde benachrichtigt, es habe sich ein Korsarenschiff gezeigt, es könne zum Kampfe kommen, und sie möge bei allem was sie vernehmen sollte, ihre Anwesenheit nicht verrathen.
So näherte sich die Galeere des Königs von Sicilien, eine Brücke wurde von dem einen Schiff aufs andere gelassen, und eine Menge deutscher und italienischer Ritter kam herüber, um die Tochter 271 ihres Königs in Empfang zu nehmen. Es hieß, daß sie erkrankt sei und keine Begrüßung empfangen könne, sondern getragen werden müsse, und da überdies keiner von den Angekommenen die Prinzessin kannte, indem die älteren und ersten der Vasallen mit Manfred auf einem Kriegszug begriffen waren, so schien der listige Anschlag des Griechen vollkommen gelungen.
Seltsam aber war es, daß während die Schiffe still hielten und die vermeintliche Ueberbringung stattfand, eine Schaar Delphine sich gesammelt hatte, auffallender noch mußte es scheinen, daß sie, als sich die Schiffe trennten und jedes seiner Wege fuhr, bei demjenigen blieb, welches die wirkliche Anna Constanze an Bord hatte.
Und jetzt erst bemerkte man, daß auch einer der Sicilianer auf dem Schiffe des Griechen zurückgeblieben war. Zogen ihn die begleitenden Fische so sehr an, daß er darüber die Abfahrt versäumt hatte, denn er schenkte ihren Bewegungen ungetheilte Aufmerksamkeit; oder war es der Streit über Segel und Takelwerk des Byzantiners, den er mit einigen der Mannschaft und mit so lebhaftem Geberdenspiel geführt hatte? Er stand von ihnen umringt, wie leicht konnte er in seinem Eifer das Zeichen überhört haben, das ihn auf sein Schiff zurückrief!
Als man ihn darüber aufmerksam machte und frug, was er zu thun gesonnen sei, schien er die Frage gar nicht zu beachten, als wolle er sie keiner Antwort würdigen, oder sinne etwas ganz Anderem nach. Da mußte es geschehen, daß Anna 272 Constanze, welche wegen der Ruhe, die nun eintrat, und da sie nur mehr die Stimme der griechischen Bemannung hörte und die Gefahr für beseitigt hielt, ihr Schiffsgemach zu verlassen wünschte. Sie betrat das Verdeck, noch immer einem wandelnden Bilde mehr, als einem lebenden Wesen ähnlich, ihr Gang und ihre Gesichtszüge hatten noch immer den Ausdruck vollkommener Willenlosigkeit, auf einmal aber veränderte sich das alles, als sie den Sicilianer sah, der in drohender Haltung den Griechen gegenüber stand.
Schon waren höhnische und herausfordernde Reden gegen ihn ausgestoßen worden, den stummen Mann, bereits wurden Angriffe gegen ihn versucht – er stand noch immer ruhig, aber Zorn schwellte seine Stirnader, seine Augen rollten von Kampflust. Da sah und erkannte ihn Anna Constanze, mit einem Aufschrei der Freude rief sie seinen Namen.
In einem Augenblick war alles an ihr verwandelt, ein neues Leben, wie wenn die Eisdecke von Zweigen fällt – durchströmte sie – und lenkte ihre Bewegung. Frei von den Fesseln des schmerzlichen Zaubers, drang sie zu ihm – sie hielten sich umfaßt, sie wußten, daß sie nun einander gehörten und für immer.
Maid, meine Sonne, rief er aus. Auch ihm hatte die so plötzliche Ueberfülle von Glück die Sprache wieder gegeben, erst mühsam und in gebrochenen Lauten, dann in vollen Tönen gaben Worte sein Entzücken kund.
Der Grieche sah diese Scene mit Erstaunen und machtloser Entrüstung, was sollte er thun – er besann 273 sich nicht lange und schleuderte einen Dolch mit solcher Geschicklichkeit nach der Brust des Normannen, daß er zwischen den Fugen des Panzers eindrang und diesen unfehlbar getödtet hätte, wenn nicht die unter dem Panzer liegende Bedeckung aus Fischhäuten die Spitze des Dolches aufgehalten hätte. Kaum hatte der Getroffene die tückische Absicht bemerkt, als er blitzschnell die Streitaxt erhob, auf den Gegner lossprang und ihn tödtlich zu Boden schlug.
Nun wagte sich Niemand mehr gegen den furchtbaren Kämpfer und als er den Uebrigen in raschen Worten alles erklärte, da unterwarfen sie sich ihm; er aber führte seine wiedergewonnene Herrin nach Palermo vor den Thron Kaiser Friedrichs, welcher ihn gütig aufnahm, mit Ehren auszeichnete und ihm die Wittwe des Vatazes zur Gattin gab.