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Der Bilderstreit.

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I.

In einem der verborgensten Gemächer ihres Palastes hatte die Kaiserin Irene einen Kreis vertrauter Freunde und Rathgeber um sich versammelt. Es waren größtentheils Mönche, Männer und Greise, der Rest von jenen Anhängern des Bilderdienstes, die unter den Kaisern Constantin und Leo, den Vorgängern der Irene, aufs furchtbarste waren bestraft worden, weil sie trotz der kaiserlichen Edikte, welche im ganzen Reiche die Verehrung der Heiligenbilder untersagten, dennoch dem verbotenen Dienste treu geblieben waren. Viele derselben trugen noch die Merkmale des Marterthums an sich in greulichen Verstümmlungen. Man sah da Gestalten mit abgeschnitt'nen Lippen und Ohren, Geblendete, Einäugige, Handlose, und Viele mit ausgerissenen Zungen, ein entsetzlicher Anblick.

Mitten unter diesen Unglücklichen stand die Kaiserin noch in vollem Glanze reicher Schönheit, und mit sanfter Würde redete sie die Versammlung an:

»Von Virgil heißt es, daß er vor seinem Hinscheiden den Auftrag gegeben habe, sein Hauptwerk, die Aeneide, zu vernichten. Auch bei Völkern und Regenten giebt 72 es Epochen, in welchen mit Eifer das zerstört wird, was Vorhergegangene aufgebaut oder für heilig hielten. Die ersten Christen vermieden jeden äußeren Schmuck bei ihrem Gottesdienste, später glaubte man, und mit Recht, daß die Kunst durch ihre Werke die Religion zu verherrlichen habe. Aber nicht lange, so wich man von dieser Wahrheit ab und verbot die Bilder und ihre Verehrung, in dem Wahn, dadurch die Herzen der Ungläubigen zu gewinnen, Juden und Mohamedaner zum Christenthum bekehren zu können! Eitles Unterfangen! – Allerdings lag ein weiterer Grund, daß es dahin kam, auch in der Beschaffenheit jener Bilder, in der unvollkommenen Art, wie die heilige Welt den Gläubigen vor Augen gebracht wurde. Wahrlich oft auf eine höchst unwürdige Weise, und es war vielleicht heilsam, daß die Katastrophe der Zerstörung hereinbrach. Ich nun habe während des Zeitraumes der Unterdrückung und Verbote meinen Eifer im Stillen dahin gerichtet, daß, sobald ich zur Regierung gelangte, bessere Bilder an die Stelle der früheren kämen, und daß sie in einer der Andacht und Anbetung würdigen Weise gesehen würden. So hoffe ich die Gemüther, auch die härtesten, wieder zurückzuführen zum freundlichen Glauben an die Gegenwart der Heiligen unter uns und ihre thätige Hülfe.« –

Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, so öffnete sich die Thür und herein trat ein Jüngling von ernstem und zartem Aussehen, ihr noch un 73mündiger Sohn, Constantius. Nach den herkömmlichen Begrüßungen sprach sie zu ihm:

»Ich habe Dich zu mir geboten in einer Frage, die vorerst nur an Deines Herzens Neigung gerichtet ist, aber Viel und Wichtiges wird von Deiner Entscheidung abhängen.«

Sie winkte und ihr gegenüber wurde der Vorhang von einem Altare weggezogen, auf welchem in prächtigem Einband die heilige Schrift lag. Constantius näherte sich, und der Ministrant schlug das Buch auf, um ihm die Stelle des Evangeliums zum Kusse darzureichen. Da fuhr dieser zurück, denn er erblickte zwischen dem Texte auf Goldgrund gemalt die Himmelskönigin, von Glorie und Engeln umgeben, und das Antlitz trug offenbar die Züge der Kaiserin. Der Ministrant erhob das Buch mit beiden Händen über sein Haupt, daß es Alle sehen sollten.

Ein ungestümer, an Raserei grenzender Jubel durchdrang die Versammlung. Mit funkelnden Augen blickte die fromme Gemeinde nach dem Bild. Andächtig warfen die Einen sich zur Erde, Andere bedeckten mit den Händen ihre Augen, als wären sie nicht würdig, das Erhabenste zu schauen, die Stummen brachen in dumpfes Lallen und Schluchzen aus, die Blinden krochen hinzu und berührten den Rand des Gemäldes mit ihren Fingerspitzen.

Die Freude dieser verstümmelten und fanatischen Schaar gewährte einen wilden und abstoßenden Anblick, und mit Abscheu wandte der Prinz sich ab, seine Mienen, die beim Eintritt heiter gewesen, verfinsterten 74 sich und als er die Aehnlichkeit mit seiner Mutter auf dem Bilde bemerkte, so sagte er in einem fast strafenden Ton:

»Es ist unrecht, daß hier verehrt wird, was mein Vater untersagt hat, und Du, o meine Mutter, würdest besser thun, seinem Beispiele zu folgen, anstatt dem gefährlichen Irrthum wieder Eingang zu verschaffen. Die Synoden haben sich gegen die Verehrung der Bilder erklärt.«

»Weil sie bedroht oder betrogen waren,« entgegnete die Kaiserin, und fügte mit einem gewinnenden Lächeln hinzu: »Mein Sohn ist nicht so gefühllos und von barbarischer Art, daß die eben ausgesprochenen Worte sein voller Ernst sein könnten; er glaubt nur, solchen Gehorsam dem Andenken seines Vaters schuldig zu sein, und indem wir seine Pietät hierin achten, hoffen wir dennoch, ihn zu überzeugen, daß er auf Irrwegen wandelt und wir des wahren Glaubens sind.«

»Nie wird das geschehen, Mutter, ich kenne die Lehren beider Bekenntnisse, und verdamme deshalb die natürliche und vergängliche Darstellung göttlicher Wesenheiten als Abgötterei. Sie sind Lüge und dienen zu Schlupfwinkeln den bösen und abgefallenen Geistern. Wie sehr erfüllt es mich mit Schauer, daß Du selbst Dir anmaßtest, als Mutter des Gottessohnes Dich darstellen zu lassen. Ich bete zu ihm, daß er den Frevel nicht an uns strafe.«

»Kind,« rief Irene, »liebst Du mich so wenig? und,« setzte sie flüsternd hinzu, »bedenkst Du nicht, wie es unsere Macht über das Volk befestigen muß, 75 wenn man unsere Persönlichkeit mit den Gegenständen der Anbetung so innig verwoben sieht?«

»Welch ein Wort, o Mutter!« versetzte Constantius, denn ihre letzte Rede war nicht mehr in dem Tone mütterlicher Zärtlichkeit gesprochen, sondern es lag etwas Kühles und Gesuchtes darin, und die Veränderung war ihm nicht entgangen. »Wahrlich,« fuhr er fort, »es scheint, daß es nichts so Thörichtes giebt, was Du mir nicht glaubhaft zu machen wähnst.«

Sie erschrak, und ein Blick auf die entschlossenen Züge ihres Sohnes machte sie erstarren, denn nichts in ihnen war von jener Schönheit, die zugleich Empfänglichkeit für das Schöne ausspricht; schroff und kalt, wenn auch nicht ohne Geist, waren die Linien dieses Antlitzes und das Feuer in diesen Blicken war mehr von Nachdenken beseelt, als daß es für die Reize der Sinnenwelt offen schien. Nie wie jetzt waren ihr die Gesichtszüge des jungen Mannes so fremd, so ganz ihren eigenen unähnlich vorgekommen. Wie peinlich war ihr der Anblick des Sohnes; aber ehe sie sich ihres Gefühls noch recht bewußt war oder sich dem Eindruck des eben Geschehenen zu entreißen vermocht hatte, war er von ihrer Seite hinweggeeilt.

Sie blickte umher, die Mönche waren zurückgetreten und eine tiefe Niedergeschlagenheit schien sich Aller bemächtigt zu haben. Sie winkte ihnen, sich zu entfernen, und behielt nur einen derselben zurück. Es war der mächtigste der Versammlung, ein noch nicht be 76jahrter Mann, sein Haupt, von unverhältnißmäßiger Größe, steckte tief zwischen den Schultern und war stets in einer verbeugenden Bewegung, während seine Blicke, beständig lauernd, sich da- und dorthin richteten. Es war ihr Geheimschreiber Tarasius.

»Du hast gesehen,« sagte sie, »wie er mir begegnet, nie werd' ich seine Zustimmung erringen, in ihm lebt einzig die Ehrfurcht vor seinem verstorbenen Vater.«

»Vor seinem Vater,« wiederholte Tarasius gedehnt – »vor seinem Vater, der ihn immer zurückgesetzt und geringschätzend behandelt hat. Er überließ seine Erziehung den untersten Dienern und Mägden, und unter dem Gesinde bildete sich bei dem Knaben jene knechtische Ehrfurcht aus, so daß er nach dem Tode des Vaters nichts anderes kennt und festhält, als den Vorsatz, in dessen Grundsätzen einst fortzuregieren. Das gilt ihm wie ein heiliges Gelübde.«

»Und wie werden wir ihn davon abbringen,« frug Irene, »durch Lehren?«

»Nimmermehr! nur durch eine Leidenschaft,« versetzte Tarasius. »Hätte das Gemälde statt Deines Antlitzes – verzeihe – das einer ihm fremden Schönheit vor Augen gebracht, es würde jene Flamme in ihm entzündet haben, deren wir bedürfen, eine Schönheit, die das Göttliche in dem Bild eines irdischen Weibes dargestellt hätte, das er mit allen erwachenden Sinnen lieben müßte.«

»Wie,« rief Irene auf, »Du wirst doch nicht 77 einer irdischen Liebe das Recht einräumen, für die himmlische zu entflammen?« –

»Je nachdem,« antwortete ihr Geheimschreiber, »denn eben dadurch, daß die Schönheit bildlich erscheint, ist sie schon eine höhere. Sogar die heidnischen Abbildungen üben eine erhebende Wirkung, eine läuternde Macht aus.«

»Um wie viel mehr,« unterbrach ihn Irene, »wenn die Bilder selbst etwas Heiliges vorstellen, so willst Du wohl sagen? Aber wird es eine Sterbliche geben, die den kaltsinnigen, nur zum Forschen und Grübeln geneigten Jüngling überwindet und die zugleich durch Frömmigkeit sich auszeichnet, so daß sie seiner und ihrer Mission würdig ist? Wird das Vorhaben ausgeführt werden können, ohne Gefahr für ihn, ohne Reue für mich? Ich will nicht, daß er sinke.«

»Fürchte nichts! Es wird immer in Deiner Hand liegen, ihn zu halten, zu lenken. Bedenke jedoch, daß Dir keine Wahl bleibt als zwischen dem Wohle des Staates und der Bekämpfung Deiner mütterlichen Gefühle, es muß etwas gewagt werden.«

Nachdenklich neigte die Kaiserin ihr Haupt: »Eine solche Schönheit ausfindig zu machen, sei Deines Scharfsinns Probe – aber – er darf sie nur als Bild sehen, nie sie selbst!«

»Nie sie selbst,« – wiederholte Tarasius ehrfurchtsvoll und schickte sich an, zu gehen.

»Wehe Dir,« rief ihm Irene zu, »wenn Du 78 Deine Vollmacht überschreiten, meine guten Absichten täuschen solltest. Gehe!«

Tarasius neigte und verabschiedete sich. Er verließ seine Gebieterin in einer Stimmung, die seinen Hoffnungen und Aussichten förderlicher war, als sie selbst hatte wahrnehmen lassen. Die Begegnung mit dem Sohne, sein Betragen gegen sie hatte den Wunsch, unumschränkt und so lange sie lebte zu herrschen, neuerdings befestigt. Sie sträubte sich gegen den Gedanken, ihm die Zügel der Regierung überlassen zu sollen, dem Sohne, der alles das zu nichte machen würde, was sie erstrebte, was ihr zum Heil der Welt, wie sie fest glaubte, als höchstes Ziel winkte.

Irene, die geborene Athenienserin, die Wittwe des bilderstürmenden Kaisers, wollte die Stadt ihrer Wiege aus dem Schutte der Verwüstung wieder erheben, sie wollte die noch lebenden Abkömmlinge der alten Griechen in die Güter und Ehren ihrer Väter einsetzen, und eine neue Aera der Kunstblüthe, einer christlichen Kunst in der Stadt des Perikles begründen. Aber noch lag dieses Athen, noch ganz Hellas in der Gewalt barbarischer Slaven, und sie hatte ihren Feldherrn Nicephorus dahin abgesandt, mit seinem Heere den Peloponnes dem Reiche wieder zurückzuerobern.

Die Erinnerung an den tapferen Mann trat plötzlich lebhaft vor ihre Seele, eine ihr selbst noch halbverborgene Neigung erwachte. Gewänne Nicephorus den Sieg, so konnte sie ihn mit ihrer Hand belohnen, ihn als Herrscher, 79 als Mitregenten zu sich auf den Thron erheben. Die Widersetzlichkeit des Sohnes kam ihr nun eher willkommen, bot sich doch ein Vorwand, ihn zu beseitigen, wenn er länger den großen und wohlgemeinten Absichten, die sie vorhatte, entgegenträte. Nur mußte seine Partei erst unterliegen, Heer und Volk, das ihn liebte, von ihm abtrünnig gemacht werden.

»Er wird lieben,« sagte sie sich, »und dann steht es bei uns, ob er dieser Liebe oder dem Anspruch auf den Thron entsagt. Er wähle,« rief sie aus und richtete sich hoch empor, »er wähle« – da fiel ihr Blick auf das Muttergottesbild und die Demuth im Antlitz der Heiligen bewältigte sie so, daß sie die Augen niederschlug. Ein großer Gedanke ging durch ihre Seele. »Nein,« sagte sie zu sich – »kein Unrecht! Es ist Raum für uns beide, ich werde mit Nicephorus über Hellas und Athen, hier in Byzanz möge mein Sohn über den Osten die Herrschaft führen!« Mit diesem Vorsatz erhob sie sich, um Constantius rufen zu lassen, und ihm ihren Entschluß mitzutheilen.

Ihr Vorhaben wurde jedoch verzögert, da ihr die Nachricht kam, daß der Patriarch Paulus schwer erkrankt darniederliege. Zu ihm war auch Tarasius geeilt, nachdem er die kaiserliche Hofburg verlassen hatte. Paulus, der Patriarch von Constantinopel, hochbetagt und dem Tode nah, war stets ein eifriger Verfechter des Bilderdienstes gewesen, von Tarasius aber aus der Gunst der Kaiserin verdrängt worden.

80 »Was führt meinen Feind in dieser Stunde zu mir?« redete er den Eintretenden an.

»Der Wunsch, Deine Verzeihung zu erhalten,« erwiderte Tarasius.

»Ich verzeihe der Herrscherin die kränkende Zurücksetzung – Dein Kommen bestätigt mir, daß sie meines Rathes noch länger bedurft hätte. Aber welches ist der Fall, der Dich zu mir bringt.«

»Du kennst den eifrigsten Wunsch unsrer erhabenen Herrin, sie will ihre Vaterstadt Athen neugestalten, der Parthenon soll ein Tempel der heiligen Jungfrau, der Zeustempel soll den Aposteln geheiligt werden.«

»Ja, der Weihrauch auf den Altären soll wieder zur Ehre des Alleinigen entfacht werden, von den frommen Gesängen der Kirchenväter werden die Hallen und öffentlichen Plätze wiederertönen in dem neuen Jerusalem,« fiel ihm der Patriarch begeistert in die Rede. »Das ist ihr hoher Geist, ich erkenne sie wieder. Wer will sich ihr widersetzen?«

»Ihr eigener Sohn.«

»Ich weiß es, ach ich weiß es,« seufzte der Schwerkranke, und sank wie niedergeschmettert von diesem Gedanken auf die Polster zurück.

In diesem Momente ließen sich außen feierliche Töne vernehmen, die Thür wurde sorgfältig geöffnet und Irene trat herein, umgeben von einem glänzenden Gefolge ihres Hofstaates. Sie ließ sich vor dem Patriarchen auf ihre Kniee nieder, der, von ihrem 81 Anblick wie neubelebt, zum Segen seine zitternden und abgemagerten Hände über ihr Haupt hielt.

»Ich segne Dich,« sprach er mit einer Stimme, die allmälig ihre ganze Stärke wieder gewann, »meine Tochter, und zum Beweise der Versöhnung, will ich Dir einen Rath ertheilen, der, wenn Du ihn befolgst, zum gewünschten Ziele führen wird. Man muß eine Synode berufen, welche die Beschlüsse der früheren aufhebt und die Verehrung der Bilder nicht nur wieder gestattet, sondern zum Glaubenssatze macht. Die Hoffnung, daß die Synode zu Stande komme und in unserem Sinn entscheidend werde, das allein ist mein Trost beim Scheiden aus diesem Leben.«

Nach diesen Worten, die er mit letzter Anstrengung hervorgebracht, sank er völlig erschöpft auf sein Lager, und war nach wenigen Minuten verschieden.

Die Kaiserin lag noch auf ihren Knieen, es herrschte tiefe Stille. Nach und nach erst begannen die frommen Gesänge wieder, die sich bald mit dem betenden Gemurmel einer vor dem Hause drängenden Menge vermischten, und in feierlichem Ernst höher und höher schwellend das Gemach durchwogten. –

Sie empfand Reue, Reue darüber, daß sie den Mann, der nun todt war, einst zurückgesetzt hatte, weil er ihrem Unternehmen nicht so eifrig zu dienen schien, als es ihr Wunsch gewesen war. Es überkam sie eine Ahnung von Unheil, sie glaubte zu hören, wie das Verhängniß leisen Schrittes herannahe. Sie frug nach ihrem 82 Sohne, Niemand wußte von ihm. –

Sie bestieg ihren Wagen und ließ theilnahmlos ihre Blicke über die Menge hingleiten, die sie von allen Seiten huldigend begrüßte. Im Palast angekommen, stieg sie langsam, in sich gebogen, die Treppen hinan. An der obersten Stufe blieb sie vor der Bildsäule ihres Gatten stehen. Sie gedachte seiner Thaten, seiner Siege und betrachtete lang die eherne Gestalt, die ernsten Gesichtszüge. Die Aehnlichkeit mit Constantius fiel ihr auf, in einem Grade, wie sie es nie vorher beachtet hatte. –

»Wie sich die Vergangenheit an mich klammert!« sagte sie zu sich – »werde ich mich ihr nicht entreißen können? – Ich will es können, und Du? Ich werde so groß sein wie Du, größer, denn in meiner Bestimmung liegt es, auch Schönheit und Kunst zu pflegen! Du konntest zerstören, verbieten, ich werde auferwecken!« –

Mit welch andern Empfindungen hatte während dessen der Kaisersprosse, auch mit sich selbst im Kampfe, den Palast verlassen! Wunderbar war der Eindruck des Bildes auf seine Seele, das ihm die Aehnlichkeit mit seiner Mutter in solcher Verklärung vor Augen stellte, das Gefühl der reinen kindlichen Liebe in ihm trübte, ja, den Ehrgeiz in ihm weckte, sich vor ihr in einem anderen Lichte als bisher zu zeigen. Schien es nicht, als halte sie ihn für schwach, unmündig, vielleicht sogar für muthlos? Sie sollte nun erkennen, daß er ein Mann geworden.

Verschiedene Vorhaben bestürmten 83 ihn, am nachhaltigsten dies, daß er sich zu einer der auswärtigen Heeresabtheilungen begeben und gegen die Feinde des Reiches, die Araber, kämpfen wollte; würde er dann als Sieger zurückkehren, so müßte es ihm leicht sein, die Pläne zu vereiteln, mit welchen man seine Mutter umgarnt hielt und sie drängte, den Bilderdienst wieder einzuführen; denn dieser Neuerung sich zu widersetzen, stand bei ihm fest – und dennoch tauchte immer wieder das schöne Bild vor ihm auf, das so eigen das Ideal der Weiblichkeit in der Himmelskönigin mit der lebendigen Gestalt seiner Mutter vermählte.

Um sich von dieser quälenden Stimmung zu befreien, suchte er Trost in den Kirchen, Zerstreuung im Volksgewühl, er besuchte die Theater, die Hörsäle – alles vergeblich.

Nach schlaflos zugebrachter Nacht bestieg er des folgenden Tages sein persisches Roß, versah sich mit Gold und Waffen, und ritt ohne eines Dieners Begleitung vor die Thore der Stadt. Er ließ, in Nachsinnen verloren, dem Pferde die Zügel, oder gab ihm leidenschaftlich aufgeregt die Sporen, und jagte in vollem Laufe dahin.

Schon hatte er sich über eine Stunde weit von den Mauern Konstantinopels entfernt und lautlose Einsamkeit umgab ihn, schon war es Dämmerung und dunkel geworden, als plötzlich sein Pferd stehen blieb, und durch Unruhe die Annäherung eines Fremden verrieth. Der Reiter hielt soeben auf seinem Wege vor einer hochbe 84waldeten Schlucht, die zwischen Pinien und Cypressen nach einer der Anhöhen um Byzanz emporführte. Er rief den Entgegenkommenden an, und dieser gab sich als einer von den Soldaten zu erkennen, welche die kleine Besatzung des Castells auf der Höhe bildeten.

Von ihm erfuhr Constantius, daß der Befehlshaber der Veste, den er ihm nannte, ein ihm befreundeter Offizier sei, und so beschloß er sogleich, ihn zu besuchen. Da er von früher Jugend an mit ihm auferzogen und innig vertraut war, so glaubte er vieles von dem, was sein Inneres bestürmte, ihm gestehen zu dürfen. Zugleich erwartete er über die Stimmung des Heeres Einiges zu erfahren. Er vernahm denn auch, daß die Truppen ganz ihm ergeben wären, und daß er bei einer gewaltsamen Niederhaltung des gegnerischen Bekenntnisses unbedingt auf sie rechnen dürfe.

»Und Du wirst sehen,« betheuerte sein Freund, »es wird dazu kommen, wir werden die Waffen gebrauchen müssen. Unermüdlich geht das Bestreben der Mönche dahin, Deine Mutter zu bestimmen, daß sie die Anbetung der Bilder wieder einführe, den Götzendienst! Sie wird es erzwingen wollen, doch verlasse Dich auf uns! Nichts von dem, was Dein Vater angeordnet hat, soll geändert werden. Entferne Dich nicht von Byzanz, es ist nöthig, daß Du dort alles überwachst.«

»Nein«, rief Constantius aus, »ich werde nicht mehr dahin zurückkehren.«

»Wie?«

85 »Ich werde mich zu einer dem Feind gegenüberstehenden Heeresabtheilung begeben, mein Oheim Alexius befiehlt an der Grenze Syriens.«

»Ach,« erwiderte sein Freund Demetrius, »Dein Oheim ist nicht mehr, er starb vergiftet und seine Truppen haben Befehl erhalten, sich zurückzuziehen.«

»Auch das wurde mir verhehlt,« fuhr der Prinz auf – »es beweist genug. Wie gut, daß ich Dich gefunden, ja ich muß zurück in die Hauptstadt, meine Gegenwart ist nöthig – – aber ach mir schaudert, jene Straßen wieder zu betreten, in denen mich überall das Bild verfolgt.«

»Das Bild?« –

»Ja, das Bild – schon seh' ich es überall, das Bild, das Menschenhand von dem göttlichen Wesen zu schaffen sich erdreistet, das Heiligste an Mauer und Thor, an Schrein und Gefäß, herabgewürdigt auf gleiche Stufe mit den Gegenständen der sinnlichen Anziehung und Nutzbarkeit. Schon aus jedem Antlitz seh' ich das Göttliche mich vorwurfsvoll anblicken.«

»Wir werden solcher Erniedrigung begegnen. Laß es für jetzt vergessen sein und genieße, was ich Dir in dieser Einsamkeit an Unterhaltung bieten kann.«

Bei diesen Worten ergriff er die Hand seines hohen Gastes und führte ihn durch die Räume der Burg, die seiner Obhut anvertraut war.

»Du siehst,« sagte er, »es waren diese Mauern nicht immer kriegerisch wie jetzt. Sie bildeten einst 86 die Villa eines Senators, der unter dem Banner der Heiden focht, den Waffen Constantins des Großen erlag und hingerichtet wurde. Die Villa, seither kaiserliches Eigenthum, wurde unter Justinian in eine Veste verwandelt und ihr eine Besatzung gegeben.«

Die Freunde hatten während des Gespräches eine Terrasse erstiegen und blickten über die dunkelbewaldete Anhöhe, die im tiefsten Schweigen der Nacht ruhte, nach dem Meer hinab, wo zuweilen Lichter aufblitzten und die große Stadt verriethen, die sich an den Ufern ausbreitete.

Hernach wieder einige Stufen abwärts steigend, betraten sie einen Raum, wo der frühere Besitzer ein kleines Theater nach dem Vorbild der attischen Bühne eingerichtet hatte. Diener stellten Lichter auf, breiteten Polster aus, brachten Trinkgefäße und trugen eine Mahlzeit auf. Bald hernach betrat eine Reihe verhüllter Gestalten die Bühne, Musik erklang und es begann ein Reigentanz. Lächelnd blickte Constantius seinen Freund an, und seine Aufmerksamkeit schien nur wenig von den Erscheinungen der Tänzer gefesselt.

Es dauerte übrigens nicht lange, so wurde das Vergnügen unterbrochen, indem außen ein Tumult entstand, und ein Wachtposten eintrat, welcher meldete, daß ein Gefangener eingebracht sei, der sehr verdächtig scheine, da er sich dringend und heimlich nach dem Prinzen erkundigt habe. Das Mißverständniß klärte sich bald auf, und der muthmaßliche Kundschafter war ein Befehlshaber der 87 Leibwache und Kämmerer der Kaiserin, den sie ausgesandt hatte, ihren Sohn aufzusuchen und ihn zu ihr zu bringen. Sobald Heraklius seine Vermummung abgeworfen hatte, wurde er mit Freude als ein alter Bekannter begrüßt.

Die Vergnügungen begannen wieder, und der neue Gast wurde eingeladen, daran Theil zu nehmen. Die Sprache kam nun auch wieder auf den Bilderdienst, und Heraklius sagte, indem er auf die Tanzenden und ihre schönen Bewegungen hinwies: »ist solch ein Anblick nicht auch gottesdienstlich?« Gleichgültig versetzte Constantius: »meine Beobachtung war auf die Räume dieses Saales gerichtet, ich bemaß im Geiste die Höhe und Tiefe des Baues und berechnete, wieviel Zuschauer hier Platz hätten. Es mag wahr sein, was Du sagst, ich bekümmere mich aber nicht darum.«

»Mir jedoch,« erwiderte Heraklius, »drängt sich die Ueberzeugung auf, daß es sinnlich wahrnehmbare Ideale geben muß, damit die menschliche Gattung nicht verkümmere.«

»Erkläre mir das!«

»Nun – wodurch denn geschieht es, daß sich das menschliche Geschlecht immer wieder erneuert, daß trotz der Sünden der Aeltern in den Kindern wieder Unschuld und ein Keim der Schönheit und Stärke aufkommt? Nur weil ein Allgemeines, Göttliches lebt, das aus den Werken der Kunst zu den Menschenseelen gelangt und sie läutert.«

Constantius sah ihn groß an, er war erstaunt, 88 eine solche Bemerkung aus dem Munde eines Mannes zu vernehmen, in welchem er Alles eher, als einen betrachtenden Kopf vermuthete.

»Von dieser Seite genommen,« sprach er. »lass ich mir eine Verehrung der Bilder gefallen; aber darum ist es den Dienern ihrer Altäre nicht zu thun, sie beabsichtigen ganz und gar nur eine Verstärkung ihrer Macht über die Sinne der gläubigen Menge. Ach!« fügte er hinzu, »Tag und Nacht beklag' ich mein Loos, daß ich in einer Zeit leben muß, wo Barbarei den Sieg über Bildung und Freiheit davon trägt. Im Norden stehen die rohen Völkerschaften der Steppe gegen uns, hier im Innern des Reichs selbst breitet sich ein dumpfer Götzendienst aus, dem ich vergebens Widerstand biete.«

»Mit solchen Gesinnungen, mein Prinz,« rief hier Heraklius, »würde Deine Hoheit nicht daran denken, je das Scepter dieses Reiches ergreifen zu wollen.«

»Gerne wollt' ich dem Thron entsagen,« fuhr Constantius fort, »aber auch in der Abgeschiedenheit des Privatlebens würde mich die Fratze des Aberglaubens verfolgen, nein, ich werde den Kampf bis zu Ende führen, und erlieg' ich, so falle ich mit Ehren und als Mann.«

»Wenn diese Gesinnungen bekannt würden, welche Hoffnungen würden die Kaiserin und Tarasius daraus schöpfen« – warf Basilius dazwischen.

»Ach Tarasius,« bemerkte nun Constantius: »Ja ich glaube, daß in ihm ein gefährlicher Feind 89 steckt. War er bei ihr, als sie Dir den Befehl gab, mich zu ihr zu rufen?«

»Kurz vorher sah ich ihn im Vorsaal.«

»Dann will sie Dir nichts Gutes,« rief Basilius.

Der Prinz erhob sich. »Morgen ist mein Geburtsfest, der Tag meiner Volljährigkeit – kommt, lasset Eure Becher füllen und trinket auf mein Wohl!«

»Es wird ein Tag des Verderbens für Dich sein,« rief Heraklius, »wenn Du den feindlichen Tücken, die gegen Dich geschmiedet werden, nicht zuvorkommst. Erbe des Reiches, und – wenn Du willst, heute noch Herr und und Gebieter!«

»Für's Erste,« sprach Constantius, »will ich die Pflicht eines guten Sohnes erfüllen, meine Mutter liebt mich, sie ist um mich in Sorgen, ich kehre zu ihr zurück, aber glaubet nicht, daß sie mich zu ihren Grundsätzen bekehren wird.«

»Hoffe nichts von einer Unterredung mit ihr,« fiel jetzt Basilius ein, »es ist gar nicht ihre Absicht, Dich bekehren zu wollen, wenn sie nur freie Hand behält zu thun, was ihren Zwecken entspricht, die Mönche werden es benutzen. Von Tag zu Tag wird ihre Macht größer, ihr Ansehen wächst, wie das Deinige abnimmt, und wenn Du auch später zum Throne gelangst, so wirst Du doch nicht in Wirklichkeit Herr, sondern entweder von ihr und ihren Geschöpfen beherrscht sein, oder in einem beständigen Kriege mit Deinem Volke leben müssen.«

90 »Soll ich mich etwa gegen meine Mutter empören?«

»Ja, das sollst Du,« riefen Beide und erfaßten seine Hand, »das heischt die Lage der Dinge von Dir, und Dein ganzes Volk will es, ruft es Dir zu!«

»Wehe dem Sohn,« sprach Constantius, »der seine Hand gegen die Mutter erhebt!«

»So ist es nicht gemeint,« berichtigte Heraklius, »nicht Empörung ist es, was wir Dir rathen, aber wenn Du uns vertrauen willst, so wollen wir Deine Mutter vermögen, noch in dieser Nacht dem Throne zu Deinen Gunsten zu entsagen.«

»Ich will es selbst mit Bitten versuchen und eure Gegenwart möge sie überzeugen, daß Heer und Volk meine Bitten unterstützen.«

»Ich bin Dein,« wandte sich Heraklius an ihn, »und mein ist die Wache des Palastes, geschehe, was geschehen muß, sogleich!«

»Er hat Recht,« stimmte Basilius bei, »wir reiten ohne Verzug zur Stadt, ich nehme Mannschaft von meiner Besatzung mit, rasch überwältigen wir, was von der Palastwache sich etwa widersetzen sollte, und ehe nur Einer aus der Umgebung Deiner Mutter sich dessen versieht, wirst Du von ihr die Abdankung erreichen.«

Constantius athmete auf. Indem er Einen um den Andern scharf anblickte, sprach er: »Es geschehe! Meine Mutter selbst wird später einsehen, daß ich nur zu ihrem Besten handle, sie befreie und 91 ihr eigenes Herrscherrecht sichere, indem ich meines behaupte.«

Die Männer warfen ihre Schwerter auf den Tisch, und reichten sich die Hände zum Bund. Constantius gelobte jedem Belohnung und Beförderung.

Sie schickten sich nun an, ihren Entschluß unverweilt auszuführen. In jagender Eile sprengten sie nach der Hauptstadt, die Thore öffneten sich auf die Parole »dem Thronfolger und seiner Begleitung« ohne Widerstand, ebenso die Pforten des Palastes.

Es war bereits Mitternacht, als Constantius mit den Verschworenen die Corridore entlang nach dem Gemache seiner Mutter schritt. Er trat ein, er allein. Sie eilte ihm entgegen und umschlang seinen Hals mit besorgter Zärtlichkeit.

»Du kommst,« sagte sie, »ich weiß ja, daß mein Sohn mich liebt und mir gehorcht.«

»Gehorcht?« – fragte der Prinz in bedeutendem Tone – »gehorcht? Nein, mißkenne mich nicht, lasse mich nicht länger in einem unwahren Auftreten Dir gegenüber verharren, Mutter, in einer Stunde bricht der Tag meiner Volljährigkeit an.«

»Es ist wahr,« sagte sie lächelnd, »wir Eltern vergessen stets, daß unsere Kinder heranwachsen und was wir ihnen schuldig sind. Ich werde daran denken, Dir eine Deiner würdige Gattin zu wählen.«

»Nicht darum ist es jetzt zu thun, es ist Zeit, andere Rechte geltend zu machen.«

»Andere Rechte, welche mein Sohn? – Ach 92 ich vergaß, ich thörichte Frau, daß mein Sohn groß und selbstständig geworden ist.«

»Und daß es seine Pflicht heischt,« fiel ihr Constantius in die Rede, »das Volk vor der ungeheueren Gefahr zu bewahren, die unter Deinem Zusehen, unter Deinem Schutze sich ausbreitet, und die Sicherheit und die Wohlfahrt des Staates bedroht.«

Sie fuhr zurück: »Was verlangst Du?«

»Daß Du die Krone niederlegest,« erwiderte der Sohn.

»Jetzt und hier?« rief sie fast bebend.

»Wie Du willst, es steht bei Dir, noch ist Dein Wille Dein – nimmermehr aber darf es dahin kommen, daß die Unruhen sich wieder erneuern, nachdem seit so vielen Jahren der Bilderdienst beseitigt ist.«

»Also das ist es! Eher geb' ich die Krone als meinen Glauben dahin. – Wohlan, nimm die Gewalt, herrsche, wenn Du es vermagst – aber wo sind die Räthe meiner Krone, die Patrizier und Senatoren?«

»Sie werden ihre Zustimmung geben, sobald zwischen uns Alles geordnet ist.«

»Sie müssen gehört werden – und Tarasius?«

»Eben seiner bedürfen wir am wenigsten, zögre nicht länger, erhöre meine Bitte.«

»Deine Bitte heißt Gewaltthat. Ach, ich hatte zu sehr auf Deine Liebe vertraut!«

Sie sprach dies mit einer Aufwallung von Bitterkeit, die nur 93 wenig verhehlte, was in ihr vorging, wie ein glühender Haß immer mehr Raum gewann und jedes andere Gefühl verdrängte. Noch einmal, einen Augenblick lang, gedachte sie des Planes, den sie gehabt, das Reich mit ihm zu theilen, da drang Geräusch von Waffen an ihr Ohr und das rettende Wort erstarb auf ihren Lippen, ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen und verschloß es.

Das Geräusch der Waffen kam näher und bald trat eine Schaar Geharnischter ein, als deren Anführer Basilius und Heraklius vor Constantius sich niederließen und den Huldigungseid leisteten, worauf die Truppen ein Kyrie eleison anstimmten und ihre Unterwürfigkeit kundgaben.

»Elende Verräther,« murmelte die Kaiserin. Einen Moment lang schien es, als wolle sie ein Wort des Einspruches versuchen, wie zum Widerstand erhob sich ihre hohe Gestalt – aber das Unabänderliche ihrer Lage einsehend, wandte sie sich ab und schritt ihrem Schlafgemache zu. Gegen den Sohn, der ihr folgen wollte, winkte sie abwehrend und sah ihn mit einem Blick an, in dem jede mütterliche Liebe ausgelöscht war, und nur noch das Feuer eines unaussprechlichen Hasses loderte. Betrogen, verrathen, von ihm überlistet und gedemüthigt zu sein, schmerzte sie am meisten. Kaum hatte sie die Schwelle des Saales überschritten, so sank sie lautlos auf die Kissen nieder, die sie mit ihren Thränen überströmte.

94

II.

Geraume Zeit war seit jenem Auftritte verflossen, Constantius herrschte als Constantin VI. auf dem Throne zu Byzanz. Irene hatte sich gefaßt, und ihre kluge Weise, sich ihm gegenüber in Achtung und Ansehen zu erhalten, gab ihr noch immer und bei allen öffentlichen Gelegenheiten den Anschein einer Mitregentin. Eine kurze Verbannung nach Sicilien, die sie mehr sich selbst auferlegte als zu dulden hatte, war bald vorüber, und begünstigte den Ruf von ihrer Entsagung. Streng vermied sie es, durch irgend welche Einmischung dem Verdachte sich auszusetzen, als ob sie Einfluß auf ihren Sohn ausüben wolle; im Stillen aber arbeitete sie unablässig daran, alles wieder zurückzugewinnen, was sie verloren, und Tarasius unterstützte sie dabei durch kluge Rathschläge.

»Nun,« rief sie ihm eines Tages zu, als er bei ihr sich melden ließ, »nun, will nichts vorangehen, ist alles aus? Wisse, daß ich es satt habe, die Demüthige vor meinem Sohne zu spielen, es bäumt sich mein Stolz, noch länger zu den Befehlen des Knaben meine widerwillige Zustimmung zu geben.«

»Viel, wenn er sie noch einholt,« erwiderte Tarasius, »aber noch ist nicht Alles verloren, uns bleibt die Synode.«

»Ich erinnere mich, Du hattest einen Vorschlag gemacht, der günstig schien, was ist es damit?«

95 Tarasius verneigte sich: »Ich wagte nicht mehr davon zu sprechen, seit Du mir Deine Absicht kundgelegt, ihn mit Rotrudis, der Tochter Karl des Großen zu vermählen.«

»Die fränkische Prinzessin, wie sie mir geschildert wurde,« erklärte nun Irene, »ist eine außergewöhnliche Schönheit, ihre langen, röthlichblonden Locken, ihr durchsichtig helles Antlitz, wo Rosen im Schnee blühen, ihre lichtblauen Augen dürften wohl dem Ideal entsprechen, das die Phantasie des Jünglings entflammen muß.«

»Für den Augenblick ja, ich geb' es zu,« flüsterte Tarasius, indem er mit den Achseln zuckte, »aber die abendländischen Frauen sind kalt, leblos und einfältig, ohne Witz und Geist. Und bedachtest Du nicht, erhabene Monarchin, daß der mächtige Frankenkönig und seine Tochter bald größere Macht über Deinen Sohn haben werden, als Du selbst?«

»Gut, ich gebe sie auf, aber wo bleibt die von Dir versprochene Schönheit, jene zauberhafte, von der Du mir so viel verhießest?«

»Sie ist gefunden,« lächelte Tarasius.

»Gefunden? Wirklich?«

»Ja, es bedarf nur Deiner Einwilligung, sie für unsere Zwecke zu benutzen. Höre mich gnädig an: Während meiner Verbannung unter dem vorigen Kaiser fand ich in den Gebirgen Armeniens Leute, welche Scenen aus den alten Fabeln vortrefflich darstellten. Ich wählte die geschicktesten und hübschesten aus, und brachte sie hierher. Ich 96 übte sie ein, anstatt der früheren Mysterien die Wunderthaten und Leiden der Heiligen und Märtyrer aufzuführen. Es gelang mir, und Du sollst Dich überzeugen, welch tiefen und erschütternden Eindruck diese Scenen hervorbringen.«

»Und nun, was weiter?«

»Unter diesen Armeniern befindet sich eine Jungfrau von so himmlischer Anmuth, daß sie das Herz Deines Sohnes, sobald er sie nur sieht, rühren und besiegen wird, Du merkst, wohin ich ziele.«

»Vergaßest Du,« fuhr Irene auf, »vergaßest Du meine Bedingung, daß er die Schönheit nur im Bilde, nie in Wirklichkeit sehen soll?«

»Er soll sie auch hier,« rief Tarasius aus, » nur als Bild sehen; sobald das Schauspiel vorüber ist, wird sie für immer seinen Augen entrückt werden. Gestatte, daß die Vorstellung hier in Deinem Palaste stattfinde, und lade ihn dazu ein.«

»Wird er zu bewegen sein?«

»Ich denke,« antwortete Tarasius.

»Und welche Aussichten knüpfst Du an diesen Versuch?«

»Wir werden seine Einwilligung in die Berufung einer Synode bekommen.«

»Wohlan,« rief Irene, »ich willige in Alles. Ach,« fügte sie seufzend bei, »in dieser verwilderten, streitenden Welt, wo die Heiligen selbst mit tödtlichen Worten sich bekriegen, da können nur List und Verstellung das Gute zu Stande bringen.«

97 So schieden sie.

Mit Erstaunen, ja mit geheimem Widerwillen empfing Constantius die Botschaft von seiner Mutter. Es war das erste Mal, daß von ihr eine Einladung an ihn erging. Sie hatten bisher jede Begegnung vermieden. Jetzt sollte er sie in dem Palast Eleutherium, wohin sie seit dem Tag ihrer Abdankung sich zurückgezogen hatte, besuchen, um einem Schauspiele beizuwohnen. Sie kannte seine Gleichgültigkeit, seine Abneigung gegen derartige Vergnügen, und dennoch lud sie ihn dazu ein! Was sollte das, was verbarg sich dahinter? So wenig sie auch scheinbar sich in seine und des Staates Angelegenheiten mengte, so waren ihm doch Anzeichen nicht entgangen, daß heimlich und besonders von Tarasius gegen ihn gearbeitet werde.

»Sie lädt mich zu sich ein, was hat das zu bedeuten?« sagte er zu Heraklius.

»Sie sehnt sich nach Dir,« gab ihm dieser zur Antwort, »sie fühlt sich einsam, verlassen, will sich aussöhnen, ist sie doch Deine Mutter!«

»Was soll ich bei ihr? Einem Schauspiele beiwohnen? Welch einem Schauspiele? Wahrscheinlich einer Disputation, die mich von der Richtigkeit des Bilderdienstes überzeugen soll.«

»Du gehst zu weit in Deinen Muthmaßungen.«

»O, ich durchschaue die Absicht dieser Einladung, meine Mutter und Tarasius wollen mich hinüberziehen zu ihrem Bekenntnisse.«

»Das glaubst Du – noch jetzt?«

98 »Ich werde doch die widerwärtige Grimasse nicht mißverstehen, die mir schon so oft gezeigt wurde, und mir nahelegte, gieb Deinen thörichten Widerstand auf, billige was Du verabscheust, und thue was Du mißbilligst – wo nicht, so wirst Du fortwährend mit tausend unsichtbaren Feinden, und in Allem was Du unternimmst, gegen unzählige Hindernisse zu kämpfen haben.«

»So gewähre scheinbar, gieb nach und Du wirst manchen Ränken auf die Spur kommen. Ueberliste die Listigen.«

»Ich kann nicht lügen, nicht mich verstellen. – Ach was soll ich thun? Die Zumuthung nicht beachten? – das geht eine Zeitlang; Einwilligen? Niemals! Zugeständnisse machen? Ebensowenig. Nun, diesmal will ich ihren Bitten nachgeben, dann nie wieder.«

»Du wirst es übrigens nicht bereuen,« erinnerte Heraklius, »das Schauspiel ist eine Pantomime, und eine schöne Armenierin wird Scenen aus dem Leben ihrer Schutzheiligen darstellen, sie soll vorzüglich sein.«

»Ich werde mich wenig um ihre Kunstfertigkeit bekümmern. Du kannst mir sogleich beim Beginn des Spieles die nöthigen Berichte reichen, die ich durchzulesen habe. Man soll es sehen, ich will es ausdrücklich an den Tag legen, wie wenig ich mich um dergleichen Dinge bekümmere; am Ende stehen auch diese Vorstellungen in irgend einem Zusammenhang mit der Bilderanbetung.«

»Du bleibst Dir treu mit einer beinahe ängstlichen Vorsicht.«

99 »Weil ich den Muth habe, der Lügenbrut zu trotzen. Leo und Constantius strebten dem Staatswesen eine kräftigere Stütze zu geben, als die der Hoffnung auf Heilige und Fürsprecherinnen im Himmel. Ich werde diese Tradition, die uns ein mächtiges, tapferes Heer geschaffen hat, nicht verläugnen, noch verlassen. Lasse Dir das genügen und erwarte mich.«

Der Abend, an dem das Schauspiel stattfinden sollte, war herangerückt. Tarasius unterrichtete die Armenierin, welche Wirkung durch ihre Mimik erreicht werden sollte. Sie sah ihn groß an, und weigerte sich. Ihr reines und andächtiges Gemüth sträubte sich gegen die Zumuthung, eine religiöse Handlung, und als solche betrachtete sie ihr Auftreten, dem Zwecke einer weltlichen Sache dienstbar zu machen. Sie bebte in der Voraussicht, durch ihr Spiel ein so großes Ereigniß, wie die Bekehrung des Herrschers war, hervorrufen zu sollen. Aber in dieser Zaghaftigkeit lag schon der Keim ihrer Einwilligung; die Hoffnung auf das mögliche Gelingen überwog endlich. Sie sagte zu, und bereitete sich durch Beten auf die verhängnißvolle Stunde vor. Sie beachtete nichts mehr um sich her, sie vertiefte sich mit ganzer Seele nur in die Aufgabe, die ihr gestellt war. So betrat sie den Palast, so die Bühne.

Constantius schien dem Schauspiel Anfangs nicht die geringste Beachtung zu schenken, er ließ sich von Heraklius die Tagesbefehle und Bittschriften vorlegen 100 und durchlas dieselben, ohne nur aufzusehen. –

Plötzlich rief ihn ein kaum hörbarer Schrei des Schmerzes aus seiner Beschäftigung wach, und unwillkürlich wandte er sein Augenmerk auf die Scene. Welch ein Anblick bot sich ihm dar! Eine zarte, jungfräuliche Gestalt wurde durch zwei Männer von rohestem Aussehen festgehalten und an den Armen emporgezogen, während zugleich schwere Last an ihre Füße befestigt schien. Das bleiche Antlitz der Dulderin verrieth inmitten des furchtbarsten Körperschmerzes einen Ausdruck himmlischer Seeligkeit.

Constantius konnte die Augen nicht abwenden und vergaß gänzlich, daß nur ein Schauspiel ihn täusche. Nunmehr wurde die Märtyrerin vom Foltergerüste herabgelassen, und vor den heidnischen Prätor geführt, aber weder Versprechen noch Drohung konnten sie von dem christlichen Bekenntniß abwendig machen. Mit würdiger Ruhe, obwohl noch erschöpft und fast leblos, weigerte sie sich dennoch fest, den Göttern zu opfern. Ebenso sanft als unbeugsam erschien sie vor den Richtern, und mit freudiger Entschlossenheit ging sie dem Tode, der Hinrichtung entgegen; die Herzen aller Zuschauer pochten voll Mitgefühls; als die Anstalten hierzu getroffen wurden, als sich die gewaltigen Henker an sie machten, die Oberkleider von dem schönen widerstandslosen Körper rissen, als die Umhüllung von Hals und Brust sank – man konnte an der athemlosen Stille wahrnehmen, welche Erregung diese Scene hervorrief, 101 als aber nun das Aeußerste geschehen sollte, als sie selbst hinknieend in lautloser Ergebenheit den entblößten Nacken darbot, um den Todesstoß zu empfangen, da konnte sich Niemand mehr halten und Constantius war der Erste, der mit wildem Aufstöhnen von seinem Sessel sprang, als wolle er nach der Bühne stürzen und die Heilige retten. Ebenso rasch aber war in dem Augenblick, als der Henker sein Schwert erhob, der Vorhang gefallen. Ein Murmeln der Befreiung und zugleich der Bewunderung durchlief die Reihen der Zuschauer.

Tarasius und Irene warfen sich Blicke des Einverständnisses und der Befriedigung zu. Constantius stand unbeweglich, er erröthete über sich, über seine Aufwallung, über den Eindruck, den das Spiel auf ihn hervorgebracht, und den er so augenfällig kund gegeben.

»Siehst Du, wie er getroffen ist,« flüsterte die Kaiserin ihrem Geheimschreiber zu; »sie muß sogleich entfernt werden!«

»Wie Du befiehlst,« sprach Tarasius mit einem etwas unsicheren Ton, der einer schärferen Beobachtung verrathen hätte, daß es ihm nicht Ernst war. In der That, er brachte Imagina – so wurde die Fremde in Byzanz genannt, nach seinem eigenen Palaste und behielt sie dort zurück in der Voraussicht, ihrer bezaubernden Erscheinung dereinst noch zu bedürfen.

Ihr selbst, dem schönen Bilde der Märtyrerin, war der Eindruck nicht entgangen, den ihr Spiel auf Constantius hervorgebracht hatte, 102 und sie fühlte sich eben so sehr zu ihm, ihrem Bewunderer hingezogen, als er von ihr gefesselt war. Ein unabwendbares Geschick hatte diese beiden Herzen verbunden.

Aber in ihm war eine vollständige Umwandlung vor sich gegangen. Er verbrachte die Nacht ohne Schlaf, seine Einbildungskraft war so bestürmt, daß er sich von dem Bilde nicht losmachen konnte, daß er den Wunsch immer wieder erwachen fühlte, sie, sowie er sie gesehen, immer vor Augen zu haben, daß er sich sehnte, der Empfindung, dem Feuer, das ihn dort durchströmt, sich ganz hingeben zu können, damit er von Zerstreuung und Kämpfen des Tages vor ihr, vor ihrem Blick sich sammeln, sich erheben und stärken könne. Er sah sie vor sich, das Mondlicht, das durch das Fenster auf die Teppiche seines Gemaches schimmerte, es schien ihre rührende Gestalt zwischen die Wandgemälde hineinzuflechten, und wie um ihm zu winken, erhob sich die geisterhafte kleine Hand aus den Geweben.

Er trat schon des nächsten Morgens vor Irene mit den Worten: »Ich bin zu der Anschauung gelangt, daß wir Sterbliche nur Bruchstücke der Einen göttlichen Wesenheit, daß wir nur Gefäße sind, um das Ewige in uns aufzunehmen, und zwar mit Willen und Einverständniß jener selbst. Ja, die Menschen sind Bilder Gottes, und haben Theil an dem höchsten Wesen.«

»So freudig ich Deine angenommene Anschauung begrüße, so fürchte ich doch, Du gehst zu weit,« 103 äußerte die Kaiserin anscheinend bedenklich, im Innern aber hocherfreut.

»Zu weit?« rief Constantius, »spricht nicht der göttliche Plato selbst diese Idee aus?«

»Giebt Dir aber die heilige Schrift Belege dafür? Ich wüßte keine.«

»Wohlan, so will ich über dieses Thema den Ausspruch der Patriarchen und Bischöfe vernehmen, ich gebe den Auftrag zur Einberufung einer Synode und werde sogleich das Nöthige anordnen.«

»Und wo soll die Synode stattfinden?«

»Hier in Constantinopel. Verzeihe mir, Mutter, wenn ich gefehlt, ich lebte im Irrthum.«

Damit verließ er sie, und schloß sich auf mehrere Tage in die Zelle eines Klosters ein. Das Bild der Märtyrerin verließ ihn nicht im Wachen, nicht im Traum, nicht während strenger Betrachtung noch frommer Andachtsübungen. Aber er scheute vor dem Gedanken schon zurück, ihr selbst, dem Nachbilde der Heiligen, in der Wirklichkeit zu begegnen aus Furcht, es könnte das Ideale der Erscheinung zerstört werden, wenn er sie jemals in einer anderen Gestalt als in derjenigen erblicken würde, die allein ihr eigen schien, die sie ganz erfüllte, die sie vielleicht im Augenblicke der Darstellung selbst war. Er kam in seiner schwärmerischen Anschauungsweise so weit, daß er sich die Frage aufwarf, ob nicht die Heilige selbst aus überirdischen Reichen herabgekommen sei, um nochmals in irdischer Hülle die Erinnerung ihres Leidens und ihrer Verklärung 104 zu feiern, vielleicht gerade, um ihm die Augen zu öffnen, ihn zu besserer Einsicht zu führen.

Tarasius jubelte hochauf, als er die Umwandlung im Gemüth seines jungen Gebieters wahrnahm, und mit Eifer traf er alle Anstalten zur Abhaltung der Synode. –

Bald kamen sie denn auch, die Bekenner der Bilderverehrung, von weither über das Meer und aus den Gebirgen Syriens, längst todtgeglaubte, zu Mumien ausgedorrte Anachoreten, die seit Jahren verbannt und in Verborgenheit gewesen, alle kamen sie auf den Ruf der neuen Verheißung, um ihr Reich, das Reich des Bildercultus wieder aufleben zu sehen. Herrlich ward die Kirche der beiden Apostel zur Abhaltung der Synode geschmückt – alle Wege bereiteten sich, um die Gläubigen würdig zu empfangen.

Irene dagegen fühlte sich nicht in dem Maße glücklich und befriedigt, als sie gehofft hatte. Nun sie dem Ziel ihrer Wünsche sich näherte, wurde sie ängstlich und betrübt. Sie hatte zwar die Art nicht vergessen, wie ihr Sohn gegen sie aufgetreten war, sie hatte es nicht vergessen noch vergeben, ihre bisherigen Pläne zur Wiedereinführung der Heiligenbilder hatte sie unter der Maske privater Kunstgönnerschaft verborgen, und der Kaiser hinwieder war bemüht, diese Neigungen lächerlich zu machen; jetzt aber, da er sich ihrer Anschauung – ihren Absichten näherte, jetzt erfaßte sie ein eigenthümliches Gefühl der Unzufriedenheit, eine stärkere Abneigung gegen den Sohn als je vorher, trotz der Genugthuung, die es 105 ihr gewährte; es war ihr leid ihn sich beugen, ihn seinem Charakter untreu werden zu sehen, der mütterliche Stolz, mit dem sie sonst trotz alledem auf ihn geblickt hatte, verschwand und eine bittere Verachtung gewann in ihrem Herzen Raum.

Sie bereute nun, so weit in ihrem Hasse gegangen zu sein, sie bereute die Hand zu einem Unterfangen gereicht zu haben, welches seine Sinnesänderung herbeiführte. Dadurch schien ihr jeder Weg verschlossen, um aufrichtig wieder Friede mit ihm schließen zu können – »ach«, sagte sie sich selbst – »wie furchtbar ist Feindschaft zwischen Herzen, die durch Bande der Natur zusammengehören, denn gerade dies erschwert die Versöhnung, daß die Beschämung über das unnatürliche Verfeinden so mächtig ist, daß jedes Entgegenkommen dadurch fast unmöglich wird.«

Alles dies durchschaute Tarasius, und suchte Nutzen daraus zu ziehen. Mit gutem Grunde. Er hatte als Schatzmeister der Kaiserin die großen Summen, die ihm anvertraut waren, nicht alle auf die Wiederherstellung Athens verwendet, sondern das Meiste davon nach Asien hinübergeschafft, um dort Landhäuser und Gärten für sich herstellen zu lassen.

»Die Thörin«, konnte er ausrufen, »an eine Oede verschwendet sie ihr Gold. – Warum verließ ich meine Bücher, die Stunden der einsamen Beschäftigung mit Berechnung der himmlischen Bahnen und der menschlichen Geschicke, um mich in diese 106 selbst zu verwickeln! Ich werd' es die Welt büßen lassen, daß sie mich in ihre Kreise zog, in die Kreise der Thorheiten und Laster.«

Eines Tages traf Botschaft von Nicephorus ein, er meldete, daß er zurückkehre. Wie gefährlich war es, seine Zurückkunft abzuwarten, durch ihn, der Alles wußte, konnte Alles entdeckt werden. Zwar die gemeldeten Siege des Feldherrn waren ebenfalls nur Fälschungen, waren nichts als Streifzüge gewesen, durch die man wohl einige Beute zurückgebracht, aber keine dauernde Eroberung gewonnen hatte; allein Tarasius glaubte, auch der Mitschuldige könnte ihm gefährlich werden, und da es ihm unmöglich war, ihn zu verderben, so hoffte er, ihn wenigstens so lange aufzuhalten, bis Irene und ihr Sohn sich würden gegenseitig den Untergang bereitet haben. Dann mochte jener immerhin kommen, Verantwortung und Strafe würde dann wegfallen.

Irene durchschaute den Verräther, und da sie ihn fürchtete, so verbarg sie vor ihm ihre Absicht, den Nicephorus, sobald er käme, zu sich auf den Thron zu erheben. Sie ließ vielmehr das Gerücht verbreiten, daß der mächtige Kaiser des Abendlandes, Karl der Große, um ihre Hand sich bewerbe, und daß sie geneigt sei, zu gewähren. Von einer Vermählung ihres Sohnes mit Rotrudis war nicht mehr die Rede.

Als Tarasius die seltsame Nachricht aus ihrem eigenen Munde vernahm, so zeigte er sich Anfangs betroffen, dann schmeichelnd, und widerrieth mit Eifer. Irene lächelte darüber 107 im Stillen, sie wußte wohl, daß einem so klugen Manne, wie ihr Geheimschreiber war, die Verwirklichung ihres Planes zu chimärisch erschien, als daß er dagegen ernsthaft ankämpfen würde, und so gewann sie Zeit, und behielt freie Hand, um der Ausführung ihres wahren Vorsatzes näher zu rücken. Die Netze waren gelegt, und es war nur noch die Frage, wer darin sich verstricken und umkommen sollte. –

Während solcher Bedrängnisse und Verwirrungen kam ein weiterer Entschluß in ihrer Seele zur Reife, ein Entschluß, der ihrer aufrichtigen Reue sein Dasein verdankte. Sie sah wie die Leidenschaft zu der Armenierin ihren Sohn ergriff, und welch furchtbare, sein eigenstes Wesen zerstörende Wirkung die Folge war. Eines Tages erblickte sie eine Prinzessin ihres Hofes, eine nahe Verwandte, und mit höchstem Staunen entdeckte sie eine auffallende Aehnlichkeit in deren Gesichtszügen mit jener gefürchteten Schönheit. Nur waren die Züge der jungen Fürstin strenger, von einer stolzeren Ruhe beherrscht, die Gestalt größer und minder anmuthig. Nichtsdestoweniger baute die Kaiserin auf diese Aehnlichkeit die Hoffnung, ihrem Sohn in dieser Anverwandten eine angemessene und seiner Zuneigung gewisse Gattin zu geben.

Seitdem Constantius in das Zusammenkommen einer Synode eingewilligt hatte, kam es oftmals zu Unterredungen zwischen Mutter und Sohn, die zuweilen einen vertraulichen Charakter annahmen, wenn der natürliche Zug ihres Herzens hervorbrach, und die Getrennten 108 sich zu vereinigen antrieb. Leider zu weit schon war ihre Zwietracht gediehen; sie sahen ein, daß sie sich beide an den Rand eines Abgrundes gedrängt hatten, und hilflos waren eines das andere zu retten. Es war erschütternd, wie sie ihr inneres Elend einander mit verhüllten Worten eingestanden, um gleich darauf das Gesagte wieder zurückzunehmen aus Furcht sich zu verrathen, wie sie stolz sich zeigten und so gerne sich gedemüthigt hätten, um nur einen Tropfen von der Liebe zu gewinnen, die sie verleugneten und tödteten.

Endlich war sie entschlossen, einen entscheidenden Schritt zu thun

sie theilte ihm das Herannahen der fränkischen Gesandschaft mit, und machte ihn mit deren Antrag bekannt.

»Ach,« rief er aus, »einem Dir völlig unbekannten Herrscher, dem Gebieter eines fremden, eines barbarischen Volkes, willst Du Deine Hand reichen?«

»Einem christlichen Herrscher,« gab ihm Irene zur Antwort, »und um Deinetwillen geschieht es, daß ich mich vermählen will – so lang ich dem Thron nahe stehe, so lang kann es immer scheinen, als wollte ich die verlorne Gewalt wieder erringen – bin ich fort, so bist Du sicher.«

»Welch ein Argwohn!« fuhr Constantius auf. »In tiefster Seele bedaure ich Dich!« –

Sie weinte.

Kosend ergriff er ihre Hand, brach hierauf von den Früchten, die vor dem Fenster hingen, einige, und schüttete sie ihr in den Schooß: »Ge 109nieße das Gute furchtlos mit demjenigen, den Du der Welt gegeben hast.«

Sie nahm eine von den Früchten und sprach: »Siehst Du, hier wo sie von der Sonne beschienen war, ist sie reif und blinkt röthlich golden, da, wo sie gegen die Mauer gekehrt war, ist sie fleckig und hart: Du wendest Dich mir freundlich zu; aber kannst Du verbergen, daß ein sündiger Gedanke Dich verhärtet?«

»Ich habe nichts zu bereuen.«

»Wenn Du nichts zu bereuen hast, welche Pflicht gäb' es noch, über die Du Dich nicht hinwegsetzen könntest!«

»Mutter, erinnere mich nicht mehr an Geschehenes, ich kann es nicht bereuen, daß ich mein Recht mir nahm.«

»O,« rief sie, »ich habe Dir verziehen, Du bist wieder mein, darf ich sagen der Unsre, der rechtgläubige Sohn Deiner Kirche?«

Constantius stand auf und sagte kalt: »Wahrheit allein ist es, worauf ich dringe, Wahrheit und Erkenntniß.«

»Wahrheit allein?« frug ihn Irene weiter. »Wem wäre der Eindruck entgangen, den die Darstellerin der Heiligen auf Dich hervorgebracht hat. Man sagte mir, Du liebest!«

»Man hat Dich falsch berichtet,« entgegnete der Herrscher Constantinopels. »Wenn nicht schon Herkunft und die angeborne Höhe der Macht mich von ihr trennen würden, niemals könnte ich diejenige 110 lieben, die eine Märtyrerin schien, eine heilige Leidende nur spielte; die so hoch sich erhob, um dann wieder den gewöhnlichen Dingen des Lebens nachzugehen, die sollte ich lieben? Nimmermehr!«

Betroffen sah Irene vor sich nieder, das hatte sie nicht erwartet; aber ein Blick auf ihn überzeugte sie bald, daß er sich umsonst bemühe, seine heftige Liebe zu verbergen. Eine an ihm noch nie gesehene Röthe flog zart über seine Wangen, seine Augen blitzten, und mächtig wogte seine Brust und kämpfte mit den Flammen in ihr.

Jetzt glaubte sie den Augenblick gekommen, um etwas Unerhörtes zu wagen, sie nahm seine Hand und bat ihn – »Komm mit mir!«

»Wohin?«

»Frage nicht.«

Er sah sie zweifelnd an, ein finstrer Argwohn verdüsterte seine Stirn; aber sie bat ihn wiederholt mit dem zärtlichsten Ton ihrer Stimme, und streichelte seinen Arm: »Komm mit mir.« –

Fast willenlos folgte Constantius.

Sie führte ihn durch eine Reihe von Gemächern in einen Portikus, und hier trat ihnen die Fürstin Theodosia entgegen, von ihren Frauen umringt, und in weiße, weitwallende Schleier gehüllt.

Betroffen wich Constantius einen Schritt zurück – »es ist sie« – kam es unhörbar über seine Lippen.

»Sieh hier Deine Verwandte, die Fürstin Theodosia, Deine Dir von Gott bestimmte Braut.«

111 Die Fürstin sprach diese Worte mit einer Bestimmtheit aus, als wisse sie, daß die Gewalt des Momentes jeden Widerspruch vereiteln werde.

Und so war es auch. Ihr Sohn betrachtete die Erscheinung wie Einer, der, aus dem Schlaf geweckt, plötzlich von einem unerwarteten Anblick überrascht wird – »ja,« sprach er endlich, »sie ist es und ist es nicht – wie die Dämmerung dem Tage, wie die Farbe dem Licht, so gleicht sie ihr – für den Stolz und die Macht ist sie geschaffen, nicht für Leid und Himmelreich. Ich biete ihr meine Hand, sie soll meine Gattin sein.«

Schweigend und erröthend gab Theodosia ihre Einwilligung; man kam überein, sobald die kirchlichen Angelegenheiten geordnet wären und die Synode stattgefunden habe, sollte dem Volke die Botschaft von der Vermählung seines Herrschers verkündet, und die Hochzeitfeier begangen werden.

Indessen aber hatte sich mit dem Herannahen der zur Synode Berufenen auch das Gerücht von der Sinnesänderung des Kaisers verbreitet, und die Beschuldigung, daß er von nun an auf die Seite der Feinde seines Vaters getreten sei, wurde vergrößert umhergetragen. Das erhöhte wesentlich die Spannung, womit man den bevorstehenden Ereignissen in der Hauptstadt entgegensah.

III.

In festlichem Aufzuge pilgerten am bestimmten Tage die Männer der Synode nach der Apostel 112kirche, und das Volk, das größtentheils auf Seite der Bilderverehrer war, kam den Bischöfen, Mönchen und Eremiten mit Palmzweigen und Hosianna singend entgegen, und streute Blumen auf ihren Weg. In prachtvollen Sänften wurden der Kaiser und seine Mutter in die Kirche getragen. Baldachine, Fahnen, Reiter in glänzenden Rüstungen, und eine große Zahl von geistlichen Orden in allen möglichen Trachten des Morgenlandes erhöhten das Prunkvolle der Eröffnungs-Feier. In der Kirche selbst nahmen Irene und ihr Sohn auf den Stühlen der Katechumenen Platz, und nach den gehörigen Ritualen begannen die Berathungen.

Schon erhebt sich der Abt Plato und spricht für die Bilder, indem er die Ideen des großen Philosophen, dessen Namen er trägt, in Beziehung zu dem Bilderdienste bringt, schon werden Rufe der Zustimmung und des Wiederspruches laut, da auf einmal entsteht ein furchtbarer Tumult, erst vor den Thoren der Kirche, dann um den Eingang und im Innern. Schaaren Volkes dringen herein, ihnen folgen wüthende Cohorten der Soldateska, unter Anführung des Heraclius und Basilius. Beide hatten beschlossen, an der Spitze ihrer Truppen die Versammlung zu sprengen, und den Herrscher von dem Einfluß seiner Mutter und der Mönche zu befreien.

»Fort mit den Unheilstiftern,« hört man rufen, »nieder mit den Feinden der Verfassung,« ist das Feldgeschrei der zornigen Krieger. Die furchtsame Versammlung und ihre Zuhörerschaft drängt sich 113 aneinander, und sucht nach einem Auswege zur Flucht.

Irene, einen Blick des Zorns und der Verachtung auf ihren Sohn richtend, den sie für den Veranlasser des Ueberfalls ansieht, da sie seine Freunde an der Spitze der Truppen erblickt, ruft ihm zu:

»Das also war Deine Versöhnung, das Deine Bekehrung – abscheulicher Verräther!« und augenblicklich verläßt sie den Sitz, und eilt zu der Gruppe der zitternden Bischöfe, die sie ermuthigt, auszuharren. Die jedoch, da sie die Herrscherin in ihrer Mitte sehen, beeilen sich, mit ihr und unter ihrem Schutze die Kirche zu verlassen.

Constantius, der über den unerwarteten Auftritt und die ungerechten Vorwürfe seiner Mutter empört ist, eilt zu den Befehlshabern seiner Leibwache, indem er ihnen befiehlt, unverzüglich die Soldaten von den Altären zu entfernen. Heraclius antwortet mit einem Lächeln, das ihm sagen soll: Befiehl doch nicht gegen Deinen eigenen Vortheil; aber Constantius, der dies Lächeln für Hohn nimmt, zückt in höchster Entrüstung das Schwert gegen ihn.

»Was willst Du thun,« ruft Heraclius. »für Dich haben wir gesiegt!«

»Ueber mich und über das Gesetz, das Euch gehorchen heißt,« schilt ihn Constantius. »Um Streitfragen der Kirche habt Ihr Euch nichts zu kümmern, Gewaltthat werd' ich strafen.«

Noch einmal erhebt sich seine Hand zum Befehl, und murrend wird gehorcht.

114 Die Synode war aufgelöst, Alles zerstreute sich, der Kaiser sah sich allein, von beiden Seiten mit Mißtrauen angesehen. Allein kehrte er zu Pferde, nur von seiner nächsten Begleitung umgeben, in den Palast zurück. Sein Erstes war, Irene über das Mißverständniß aufzuklären und zu begütigen. Zum Beweise seiner aufrichtigen Gesinnung ließ er die beiden Befehlshaber, die gekommen waren, um sich zu rechtfertigen, sogleich verhaften und vor ein Kriegsgericht stellen.

Den Truppen wurde angekündigt, daß der Kaiser selbst sie in einen Krieg gegen die Araber, welche im Süden des Reiches eingebrochen, führen werde. Es werde vorerst ein Lager an der asiatischen Küste bezogen, und ihnen erlaubt sein, ihre Weiber dahin mitzunehmen. Als sie aufgestellt waren und die Schiffe zur Ueberfahrt anlangten, hieß es, sie sollten die Waffen ablegen, man werde sie ihnen auf einem eigenen Schiffe nachfahren. Allein am andern Ufer angekommen, wurden sie umringt, aufgelöst, entlassen und jeder Einzelne in seine Heimat geschickt. Durch solche Kriegslist über sein eigenes Heer verlor Constantius die allgemeine Sympathie, und schmälerte seine eigene Macht.

Von Nicephorus aber traf die Meldung ein, daß er mit frischen und ergebenen Truppen heranrücke, und Irene sah mit Ungeduld dem Tage seines Einzuges entgegen. Unterwegs war der Feldherr auf die fränkische Gesandtschaft gestoßen, und die mächtigen Recken des abendländischen Kaisers schlossen 115 sich ihm an. –

Dies Alles spornte Tarasius, die Gelegenheit zu nützen und der drohenden Gefahr zu begegnen. Es hatte Augenblicke gegeben, da er sich selbst mit der Hoffnung auf Irenens Hand und den Thron geschmeichelt hatte, jetzt wurde ihm klarer und immer klarer, daß er in diesem Falle sehr falsch würde gerechnet haben. Er drückte die Hand zu bei dieser Entdeckung, als hätte ihm Jemand etwas geschenkt, und fest beschloß er, die Wege seines Ehrgeizes allein und unerbittlich zu verfolgen. –

Constantius hatte aus Wahrheitsliebe der Partei seiner Mutter Gehör gegeben und in die Synode gewilligt, aber es wurde ihm als persönliche Hinneigung zu ihren verhaßten Anhängern, mindestens als Schwäche ausgelegt, und es ist erklärlich, welche Verachtung er auf sich lud, als er den Grundsätzen seines Vaters abtrünnig geworden schien. Nichts ist gefährlicher für ein stolzes Gemüth, als die ungerechte Verurtheilung der Welt erfahren zu müssen und nur eine halbe Vertheidigung dagegen zu haben.

Als er sah, welch falsche Beweggründe man ihm unterschob, empfand er die tiefste Unzufriedenheit erst mit sich, dann mit Allem, was ihn umgab, voraus mit der Welt, die ihn so oberflächlich verdammte. In solchen Gemüthslagen hat jede Versuchung leichteren Zutritt, und nie erscheint die Wildheit und der Taumel sinnlicher Verirrung anziehender.

Dazu kam noch, daß seine Verbindung mit Theodosia keine glückliche war, denn diese glich wirklich nur 116 einem Bilde, einem schönen, leblosen Bilde, ach wie sehr, derjenigen, die er nicht vergessen konnte, an die jeder Zug der Anvermählten ihn erinnerte, um ihn doppelt die Unähnlichkeit fühlen zu lassen.

Und dabei mußte er sich wieder sagen, daß doch nur eine Täuschung, ein Spiel so tiefleidenschaftliche Neigung in ihm entzündet habe. Wo war da ein Halt, eine Rettung? Bald zweifelte er an jeder Wahrheit, an jedem Menschenglück, und die finsterste Skepsis bemächtigte sich seiner.

»Es giebt nichts,« sagte er, »nichts, was nicht Täuschung wäre! Wünschenswerth und erreichbar ist allein der greifbarste, augenblickliche Genuß. Ihm laßt uns leben,« redete er seinen Freunden zu, und stürzte sich in die betäubendsten Zerstreuungen.

Heraclius, der seine Strafe abgebüßt, das heißt begnadigt worden war, trug Alles bei, um seinen Herrscher in dieser Stimmung zu erhalten, und ihn nicht mehr aus dem Wirbel thörichter Vergnügen auftauchen zu lassen. Er verschloß unversöhnlichen Haß in sich, und nach geheimen Vorschriften des Tarasius verlockte er Constantius zu Bacchanalien, bei welchen er alle schlimmen Leidenschaften seines Opfers zu wecken und zu stacheln wußte. Er veranlaßte Trinkgelage, welche nicht mehr den heiteren Symposien der alten Griechen und Römer glichen, sondern Gelage waren nach der rohen Sitte der Hunnen und gewürzt, statt mit Gesang und Scherz, mit Streitigkeiten über 117 theologische Lehrsätze und verwickelte Rechtsfragen. Es wurde beim Becher disputirt bis zur äußersten Erhitzung, und die Folge waren nicht selten gezückte Dolche und nachhaltige Feindschaften. An manchen Abenden kam noch das hohe Glücksspiel dazu.

Bei jeder Gelegenheit wußte Heraclius durch Unnachgiebigkeit oder höhnische Reden seinen einstigen Freund zum Zorne zu reizen, und dieser setzte ihn Demüthigungen aus, die sich als Folgen jener Beleidigungen am Tage der Synode herausstellten. Heraclius nahm Alles mit einer Unterwürfigkeit hin, die den Uebermuth des Beleidigten noch mehr stachelte, und stets wußte er es so einzurichten, daß Zeugen zugegen waren, welche die entwürdigenden Scenen schilderten, und vergrößert unter die Leute brachten. Dem jungen Kaiser wurde hier und da etwas von derlei Nachreden zugetragen, seine feindselige Stimmung wuchs und steigerte sich bis zu Thaten willkürlicher Härte und Grausamkeit.

Selbst seine so reine und hohe Liebe nahm nach und nach die Farbe dieser Umwandlung an, ja soweit war er schon von ihr entfernt, daß ihn die Lust ankam, die ganze Entzweiung seines Innern bis zum grellsten Gegensatze durchzuleben, und er bildete sich ein, ihn verlange, Diejenige, die ihn einst als Heilige fesseln konnte, nun selbst entfesselt und liebetrunken in seine Arme sinken zu sehen.

Diesen Zeitpunkt hatte Tarasius abgewartet. Er trat zu Imagina, die er noch immer wie eine Gefangene in seinem Palast hielt, und redete sie an: »Vergieb, daß ich 118 Dich so streng bewacht hielt, es galt Deine Sicherheit, das Volk mißt Dir die Schuld an der Sinnesänderung des Herrschers bei, man beschuldigt Dich eines zaubermächtigen Einflusses auf ihn, und bedroht Dich mit dem Tode.«

»Und Constantius? glaubt auch er daran?«

»Er ist selbst von einem Zauber bestrickt, der ihn ins Verderben führt; ein Dämon, der deine Gestalt angenommen, ist ihm anvermählt.«

»Durch den Segen der Kirche?«

Muthlos ließ sie die Hände in den Schooß sinken, nur ein Ach, ein leises, hauchte sie vor sich hin.

»Du liebst ihn,« fuhr Tarasius fort, »gehe mit mir, befreie seine Seele von dem Trugbild, Constantius liebt auch Dich.«

Das zündete – sie raffte sich empor: »Ja, ich liebe ihn und keine Zaubermacht der Hölle soll ihn verderben. Im Namen der Heiligen, der ich diene, Herr des Himmels, stehe mir bei. Laß' uns gehen!«

Noch immer dauerten im Palaste seit dem Tage der Vermählung die Festlichkeiten fort, bald zu Ehren neu angekommener Gäste, bald zum Gedächtniß eines berühmten Vorgängers. Seit Wochen waren die fürstlichen Hallen belebt bei Tag und Nacht von Musik und Festmahlen. Von einer Art Loge aus sah die junge Kaiserin den Belustigungen zu, den Aufzügen der Chöre, den Sprüngen der 119 Gaukler und Zwerge. Stündlich wurden ihr frische Kränze gereicht, und Huldigungen mit erhobenen Trinkbechern dargebracht.

Da geschah es einstmals, daß sie auf dem Wege von den Sälen nach ihrem Schlafgemache einer Gestalt begegnete, in deren Antlitz sie mit Entsetzen wie in einem Spiegel ihre eigenen Gesichtszüge wahrnahm. Und diese Gestalt erhob die Arme gegen sie und beschwor sie mit Anrufung der Heiligen, zu weichen von dem unrechtmäßigen Besitz eines Herzens, das sie beherrsche, aber nur mit Hülfe des Satans.

Mit einem wilden Angstschrei entfloh die junge Fürstin vor der furchtbaren Erscheinung, und ihre Frauen folgten ihr, von gleicher Furcht getrieben. Die Lichter, mit welchen sie ihrer Gebieterin vorangeleuchtet hatten, waren ihren Händen entfallen, und alle glaubten, die Zaubermächtige, von der sie gehört, nun wirklich gesehen zu haben.

Constantius. durch den Angstruf aufgeschreckt, verließ die Runde seiner Tischgenossen. Er verbat, daß ihm Jemand folge. Noch flackerten einige der weggeworfenen Lichter am Boden, als er von der Ballustrade in die Vorhalle trat, während im Osten der Morgen sich ankündigte und seine ersten Streiflichter in die offenen Säulengänge warf.

Da erblickte er Imagina. Er sah sie jetzt zum erstenmale in ihrer wahren Gestalt, sie erschien nur noch rührend schöner als damals, die Angst um ihn, die Freude des Wiedersehens, die Verwirrung erhöhte die natürliche Anmuth und machte sie wirklich zu einer Dulderin, aber umflossen 120 von allen Reizen der Jugend. Er drang auf sie zu und hob sie an seine Brust, er umschloß sie mit beiden Armen und drückte sie an sich, als fühle er, daß diese einzige Secunde nur ihnen gegönnt bleibe, und dann ewige Trennung bevorstehe. Ihre Lippen, keines Wortes mächtig, erbleichten unter seinen Küssen, und die erste fahle Tageshelle warf einen matten Schimmer um ihr Gesicht, das vom ersten Freudenstrahle des Sieges in die Todtenblässe der Furcht überging.

»Unglückselige«, rief er aus, »zu spät kommst Du, fliehe, fliehe mich, Alles ist aus. Aus meinen Armen! sie werden Dich tödten! Wenn sie Dich finden, bist Du des Todes!«

»Herr, bin ich nicht Dein?« frug Imagina.

»Nein, nein,« stöhnte der Unglückliche, und drängte sie sanft von sich, »Du Heilige, die ich angebetet, nie hätte ich Dich anders schauen sollen, als ich dort Dich sah.«

»Hab' ich Dich nicht befreit von dem Zauberbann der Magierin«?« fragte sie stolz und vorwurfsvoll.

»Du? nein, Du bist die Sündige, fliehe mich, eh' alle Gnade Dich verläßt!«

Sie schlug verzweiflungsvoll die Hände vors Gesicht.

»Oh, ich Elende,« rief sie aus, und stürzte fort. Er sah ihr schmerzlich nach und kämpfte noch mit sich, ob er nicht Alles wagen und ihr folgen sollte, als man ihm meldete, seine Gattin sei von 121 Schrecken gelähmt zusammengebrochen, und dem Tode nahe. Er eilte zu ihr.

Imagina, ohne zu wissen, was sie beginnen sollte, wankte wie betäubt durch die Straße hin. Die Furcht, verfolgt und mißhandelt zu werden, jagte sie weiter und weiter; scheu um sich blickend, raste sie fort, wohin sollte sie sich wenden? Tarasius hatte sie betrogen, das ahnte sie; ihre Liebe, das sah sie ein, war ihm nur Mittel eines Zweckes gewesen. Welchen Zweckes? offenbar eines, der darauf zielte, den zu verderben, den sie liebte. Frühere Aeußerungen des Tarasius, die dahin deuteten, fielen ihr wieder ein.

Indessen hatte sie sich weniger bevölkerten Stadttheilen genähert, die Sonne stieg höher und brannte in versengender Gluth herab. Erschöpft sank sie an den Stufen eines Brunnens nieder. Da erblickte sie gegenüber ein klosterähnliches Gebäude, dessen Thüre offen stand. Mit letzten Kräften schritt sie darauf zu, sank aber, sobald sie die Schwellen überschritten hatte, ohnmächtig nieder.

Als sie nach einiger Zeit die Augen wieder aufschlug, war unwillkürlich ihre erste Bewegung nach einem mit Wasser gefüllten Becher gerichtet, den ihr ein Mann entgegenhielt, in welchem sie einen Mönch zu sehen glaubte. Die hohe, etwas gebeugte Gestalt war in ein Kleid gehüllt, wie es die Mönche trugen, um sein bleiches, schmerzdurchfurchtes Gesicht wallte das Haar in langen Locken, ein schwermüthiges Feuer blitzte aus seinen Augen.

Er hob sie auf, und trug sie nach einem tieferen Raume des Gebäudes, einer Rotunde, 122 in die das Licht von oben durch die Wölbung der Decke drang. Er entfernte sich und kehrte nach Stunden, die ihrer Erholung und Ruhe vergönnt waren, zurück. Aus den Wänden leuchteten auf Goldgrund Bilder der christlichen Legende. Ihrem Lager gegenüber erblickte sie jene Heilige, welche sie sonst auf der Bühne dargestellt hatte. Fragend richtete sich ihr Blick nach dem Manne.

»Welch ein Wesen ist das dort,« fragte sie, »es ist schöner als ich je was sah, aber warum bewegt es sich nicht? Es scheint doch so lebendig.«

»Es ist ein Bild,« sagte der Künstler, »Hast Du noch nie ein Bild gesehen?«

»Niemals – das also ist es, was man uns so streng verbot, zu schauen und anzubeten?«

»Allerdings, es ist ein Werk der Kunst.«

»Und Du hast es geschaffen. Woraus doch nur?«

»Aus dem innern Bild, das in meiner Seele lebt.«

»Aus Deiner Seele schufst Du es – ach, und ich konnte nur mein äußeres, mein leibliches Sein geben, und nur zum Schein, für kurze Zeit, dieses aber scheint zu dauern und sich nicht zu verändern. Deine Kunst muß eine höhere sein. Ich bitte, lehre sie mich.«

Er schwieg.

»Wer bist Du?« frug sie hastig.

»Du kennst mich nicht? wohl Dir!« Um seine Lippen spielte ein bitteres Lächeln, als sie ausrief:

123 »Erkläre Dich, soll ich nicht erfahren dürfen, wer mich aufnahm, mir Labung und Trost gab?«

»Du sollst es erfahren. Wisse, daß ich frühe schon berühmt war in dieser Kunst, und mich dem Verbot des Bilderdienstes nicht unterwarf, sondern fortfuhr, die theuern Gestalten zu schaffen. Ich ward deshalb in den Kerker geworfen, da traten sie mir erst recht leibhaft in nächtlichen Erscheinungen vor Augen. Ja, ich sah sie, sie kamen zu mir in schlaflosen Stunden, sie standen an meinem Lager, redeten mit mir, reichten meiner verschmachtenden Seele das Abendmahl. Als Irene, die Siegreiche, zur Regierung kam, wurde auch ich befreit, und malte nun mit dankbarem Sinn die Erscheinungen für Aller Augen, für die fromme Verehrung der Altäre und Grabstätten. Constantius theilte nicht den Glauben seiner Mutter und hatte oft meine Werke verspotten lassen, als es aber hieß, daß er sich ihr zu Lieb' bekehrt hatte, da gewann – ich weiß nicht, welcher Dämon über mich Gewalt, daß ich eine Kreuzabnahme zeichnete, und dem todten Haupte des Sohnes im Schooße der Mutter die auffallendste Aehnlichkeit mit dem Antlitz des jungen Herrschers gab. Er gerieth, als er es erfuhr, darüber in heftigen Zorn, ließ das Bild zerstören, mich gefangen nehmen und geißeln. Vor seinen Augen wurde ich geschlagen, daß das Blut von mir troff, während um ihn rauschende Tafelmusik ertönte, dann wurde ich auf die Straße gestoßen 124 und seither leb' ich hier, die Menschen fliehend und mich bergend vor ihren Blicken.«

Er schwieg.

Imagina sah den Erzähler mit thränenfeuchten Blicken an, und als er geendet hatte, rief sie schmerzlich: »Constantius konnte das thun – o, es ist schrecklich!« Sie brach in heftiges Weinen aus.

Athanasius näherte sich ihr und tröstete: »Beruhige Dich, die heilige Kunst, der Du gehören willst, wird auch Dich über alles Leid erheben, wie sie mich erhob, kein Tag Deines Lebens wird Dir mehr verloren gehen, Jenen aber wird die Strafe des Himmels erreichen, sicher und bald.«

»Die Strafe des Himmels? Wen? ihn? Constantius?«

»Ihn, und durch die Hand des verruchten Tarasius, denn Böses schlägt Böses.«

»Tarasius? Was weißt Du von ihm?«

»Daß er Empörung gegen den Machthaber schürt, daß in wenigen Tagen der Aufruhr losbricht und Constantius, von Allen verlassen, von Mutter und Gattin preisgegeben, dem unfehlbaren Verhängniß erliegen muß.«

»Wenn nicht eines schwachen Armes Hülfe ihn zu retten im Stande sein wird,« erhob Imagina ihre Stimme. Sie warf einen Blick nach oben und gewahrte, daß das Licht von der Kuppel gewichen, der Tag zu Ende gegangen sei. »Habe Dank,« sprach sie, »ich muß nun fort, Du sollst mich wiedersehen, wo nicht, so bitt' ich Eines nur, 125 schreib' unter jenes Bild, daß Imagina für die Heilige sich geopfert hat.«

Athanasius wagte nicht, ihrem Willen entgegen zu sein; in kühner, entschlossener Haltung schritt sie zur Pforte des Hauses und war verschwunden. Sie war entschlossen, nochmals zurückzueilen, den Bedrohten zu warnen, ihm die Anschläge zu entdecken, und wär' es mit Gefahr ihres Lebens, seine Rettung zu versuchen. Sie kam nicht bis an die Thore des Palastes, als sie schon von den Wogen einer Volksmenge, die dahin vorgedrungen und von den Wachen zurückgedrängt worden war, mit hinweggerissen wurde. Nun eilte sie zum Hause des Tarasius, eine tiefsinnige List fiel ihr ein, wie sie dennoch ihren Zweck erreichen, und zu Constantius durchdringen wollte. Denn in der That hatte sich um ihn die Gefahr enger und enger zusammengezogen. –

Theodosia war in Folge des plötzlichen Schreckens noch in derselben Nacht gestorben, und ihm schrieb man die Ursache ihres Todes zu, um so mehr, da er ein stolzes Schweigen bewahrte und nicht die geringste Mühe sich gab, den Verdacht von sich abzuwälzen. Finster stand er vor ihrer Leiche, ein verächtlicher Blick auf seine Umgebung sagte genug, welche Gesinnung ihn beseelte. Und wirklich waren seine Gedanken weit von der Todtenbahre weg nur um Imagina, ihr allein gehörte sein Herz, das fühlte er mehr als je, und sie – mußte sie nicht bedroht sein? Er beschloß, sie auf 126zusuchen, in seinen Schutz zu nehmen.

Kaum waren die Ceremonieen der Beisetzung vorüber, so verließ er die Gruft, in welcher er allein zurückgeblieben war. Er gedachte des Castells, in welchem Basilius wieder als Befehlshaber gebot, und ihm zu Diensten sein mußte. Ihm allein hoffte er noch vertrauen zu können, mit ihm an der Spitze seiner bewaffneten Macht wollte er ein blutiges Beispiel der Rache geben.

Wie sehr hatte er sich getäuscht! Es war bereits Mitternacht, als er vor den Mauern der Befestigung ankam. Seine Stimme verhallte ungehört, Niemand öffnete die Thore, um ihn einzulassen. Er mußte einsehen, daß die Verschwörung gegen ihn vorsichtig geplant, und die weiteste Verbreitung gewonnen hatte. Nun stieg in ihm der Entschluß auf, nach der asiatischen Küste zu flüchten, wo er gewiß noch ihm Ergebene finden würde.

Es war eine wilde, sturmdrohende Nacht, als er ein Schiff bestieg, um an das jenseitige Ufer zu gelangen. Tief herabhängende Wolken lagerten auf dem Wasser, und höher und höher rollten die Wogen, vom Nordostwind gepeitscht, heran. Er mochte kaum eine Viertelmeile weit hinausgedrungen sein, als ihn und die Schiffer der anwachsende Sturm zur Umkehr zwang.

Schon war indeß die Kunde von seiner Entfernung als dunkles Gerücht in der Hauptstadt ruchbar geworden, und Tarasius brachte die bestimmte Nachricht hiervon zu der Kaiserin. Er 127 schilderte zugleich die letzten Vorgänge mit den gehässigsten Farben und sprach sogar von Drohungen, die der Sohn gegen die Mutter ausgestoßen habe.

»Er hat die Gattin gemordet, die engelgleiche Theodosia, wie lange, so strebt er auch nach Deinem geheiligten Leben!«

»Anstifter des Bösen,« unterbrach ihn Irene, »weg von mir, Versucher!«

Tarasius gehorchte – sie rief ihn zurück. Ihr alter Haß gegen Constantius war aufs Neue rege geworden, dazu die nie ganz bezwungene Herrschsucht. Nie wie jetzt war der Augenblick ihr günstig, die Gewalt wieder an sich zu reißen, die Schuld des Sohnes war offenkundig, seine Beliebtheit beim Volke dahin, sein Anhang abtrünnig – es kostete sie nur einen Wink, und sein Schicksal war entschieden.

Tarasius rückte näher

»Wohlan,« begann sie mit Ernst und einer angenommenen Traurigkeit: »Ich sehe, er ist unfähig zu herrschen, ein Aufruhr droht, wir müssen ihn vor der Volkswuth schützen. Besorge, daß man ihn wohlverwahrt in ein Kloster bringt, dort mög' er jene Gottergebenheit wieder lernen, die dem Herrscher eines so großen und heiligen Reiches geziemt. Widersetzt er sich, so mögt Ihr ihn gefangen nehmen, doch soll ihm kein Leid zugefügt werden.«

Die Palastrevolution war beschlossen und besiegelt. Tarasius machte sich an die Ausführung des Befehls, Diener der Kaiserin erhielten den 128 Auftrag, sich ihres Sohnes zu bemächtigen, im Nothfall vor dem Aeußersten nicht zurückzuscheuen.

Am einsamen Meeresstrand, gegen den die Wogen heranbrausten, saß der unglückliche Herrscher des Morgenlandes, gestützt auf einen Haufen neubehauener Steine, Marmorblöcke, die nach Asien für die Landhäuser des Tarasius bestimmt waren. Aufs Neue tauchte Imagina's Gestalt vor seine Seele; sie schien ihm zu winken, in höchster Bedrängniß ihn um seine Hülfe zu bitten. Er bereute den thörichten Plan seiner Flucht und raffte sich empor. In den Straßen fiel ihm überall eine außergewöhnliche Bewegung auf, als gält' es die Vorbereitung zu einem großen Festtage.

Plötzlich sieht er sich von Verlarvten umringt, und eh' er sich noch zur Wehre setzen kann, gefangen genommen. Die Diener der Kaiserin sind es, sie eilen mit ihm nach dem Palast und in das Porphyrgemach, bis eine Sänfte bereit ist, in der sie ihn nach dem Kloster zu verbringen haben. Einer der Diener hat Mitleid und löst seine Bande. Todtmüde und erschöpft wirft sich Constantius auf das Lager. Da hört er seinen Namen rufen, es ist ihre Stimme, es ist Imagina, die ihn ruft, er erkennt die Stimme wieder, die ihm einst so süß erklang, und es folgt ein Angstschrei, ein aus tiefster Seele dringender Aufschrei. Rasch erhebt er sich von seinem Lager, stößt seine Wächter von sich, sprengt die Thüre und eilt nach der Treppe.

Da bietet sich ihm ein Anblick, wie er ihn schon einmal gesehen. An den 129 ersten Stufen des Aufgangs kniet die Märtyrerin, von Fäusten der Männer zurückgehalten, und er sieht sie die Hände emporringen nach ihm.

Sie hatte für den Entschluß, ihn zu warnen, sich wieder wie damals bekleidet, als sie die Heilige vorgestellt, und mit einem Kranz von weißen Rosen geschmückt, war sie dem Palastthor genaht. Man ließ sie, von dem seltsamen, geisterhaften Anblick überrascht, unbehelligt hindurchgehen, selbst die Wachen hielten sie nicht zurück. So gelangte sie zur Treppe, hier jedoch waren es die Diener des Tarasius, die sich ihr entgegenstellten.

Und so erblickt sie jetzt Constantius; aber ist sie nicht nur ein Bild, das ihn täuscht, eine Erscheinung, ein Wahngebild, wie es ihm schon oft vorgeschwebt?

»O rette Dich!« ruft sie ihm zu – da sinkt sie zu Boden, er sieht es, er will ihr entgegeneilen, aber da ist es ihm, als schaue er wieder wie damals das blitzende Schwert sich in ihre Brust bohren, das Blut erstarrt in seinen Adern, er fühlt, daß sein Herz aufhört zu schlagen, und keiner Bewegung, keines Wortes fähig, steht er regungslos und starrt ins Leere.

Erst da er bemerkt, daß man auch auf ihn wieder eindringt, kehrt das Leben in ihm zurück, jedoch Imagina ist seinem Blick entschwunden, er ist umringt. Als er seine Verfolger wieder erkennt und ihre Absicht, ihn zu fesseln, so springt er zurück und erreicht nochmals den Porphyrsaal. Hier entdeckt er auch Waffen – ein schweres Kreuz, und 130 vertheidigt sich mit Löwenmuth.

Immer weiter von der Ueberzahl zurückgedrängt, verwickelt er sich in eine Decke, die er als Schild um seinen Arm schlingen gewollt, und stürzt auf das Purpurbett, während die Dolche der erbitterten Angreifer ihn an Schulter und Haupt verwunden. In dem nämlichen Saal, in dem er das Licht der Welt erblickt hatte, wurde er des Augenlichtes beraubt, und da, wo ihn die Mutter geboren, verlor sie ihn für immer.

Kaum war diese furchtbare Scene geschehen, so erhellte sich, wie auf ein gegebenes Zeichen, plötzlich die ganze Hauptstadt. Von allen Anhöhen begannen Lichter aufzublitzen, dann verbreitete sich eine glänzende Bewegung in den Dörfern umher, und endlich erfüllte sich die Stadt mit den Strahlen eines großen Festes. Ueberall, wie auf das Wort einer Beschwörung, tauchten die Bilder der Heiligen auf, an den Ecken der Straßen, über den Thoren der Kirchen, an den vornehmsten Häusern, überall wurden sie sichtbar, und vor den Nischen, welche sie umgaben, flammten tausende von Lichtern und farbigen Lampen. Schaaren von Andächtigen sammelten sich darunter, zum Gebet hinknieend und Lobgesänge anstimmend. Aus dem Gewittersturm war eine herrliche Sommernacht hervorgegangen voll blinkender Sterne und durchweht von den mildesten Lüften des Morgenlandes.

Indeß durch die Reihe der festlichen und jubelnden Menge der gebundene und geblendete Kaiser in 131 schwarz umhangener, verschlossener Sänfte nach dem Kloster getragen wurde, fuhr Irene, die neue Alleinherrscherin, durch die Straßen ihrer Hauptstadt. Vier milchweiße Rosse zogen den mit Gold überreich geschmückten Wagen, die vornehmsten Senatoren schritten nebenher und hielten die Zügel. Alles kniete vor ihr und vor dem Scepter, das sie in ihrer Rechten hielt.

Von der Verwundung ihres Sohnes, auf welche bald völlige Erblindung folgen sollte, war ihr nichts bekannt geworden. Tarasius hatte ihr nur berichtet, Constantius, die Vergeblichkeit eines Widerstandes einsehend und von Reue über sein Benehmen gebeugt, habe freiwillig zugestimmt, sich in ein Kloster zurückzuziehen. Ihre Freude über die Botschaft eines solchen Sieges war eine tief gedemüthigte und von unendlicher Trauer erfüllt, aber sie überwand sich, und ihr Stolz gewann die Oberhand.

Ihr Geheimschreiber kirrte und unterhielt sie mit Schmeicheleien von der Liebe ihres Volkes zu ihr, und übertäubte ihren Schmerz mit geschäftlichen Sorgen. An Nicephorus schrieb er in gleichem Doppelsinn Briefe, die ihn theils gegen die Kaiserin einnehmen, theils ihm hochfliegende Pläne einflößen mußten. Nicephorus kümmerte sich wenig darum; er ging unerschüttert seinen Weg vorwärts, ihn kümmerte es auch nicht, daß ihm gesagt wurde, die Kaiserin habe erfahren, wie wenig er in Griechenland ausgerichtet, und sie zürne ihm.

In 132 der That, sie zürnte auf ihren Feldherrn, hatte er doch ihre Lieblingsidee so wenig befolgt, der Feldzug, auf den sie so große Hoffnungen gesetzt hatte, war nichts als ein Raub- und Beutezug gewesen. Nicephorus hatte sie betrogen. Sie zürnte, aber sie liebte auch, und ihre zärtlichen Gefühle wurden durch den Verdruß, den er ihr bereitet hatte, eher erhöht als geschwächt.

»Wird er sich verantworten können?« fragte sie sich. »Und wie werde ich meine Empfindung unter angenommenem Stolz verbergen können?« –

So kam der Tag des feierlichen Einzuges. Noch vor den Thoren vernahm Nicephorus von der Blendung des entthronten Kaisers, und ohne Weiteres befahl er, ihn aus dem Kloster zu befreien. Ein Theil seiner Truppen vollzog diesen Auftrag, indem er selbst mit den Andern und der fränkischen Gesandtschaft den Palast betrat. Irene empfing ihn im höchsten Glanze, mit strafenden Worten auf ihrer Lippe, während ihr Herz zu den Füßen des stattlichen Heerführers lag, dem sie lieber sogleich den Kuß der Versöhnung geboten hätte, ehe sie, wie es der Herrscherin geziemte, ihm ihre Ungnade fühlen ließ.

Indem sie zuerst die Gesandten Karls des Großen empfing, und es laut verkündet ward, daß der mächtige Kaiser des Abendlandes um ihre Hand werbe, hoffte sie in den Augen des Nicephorus den Werth seiner Erhebung zu erhöhen – ihm ihren Besitz erst recht begehrenswerth erscheinen zu lassen.

Dieser achtete nicht darauf. Er grüßte äußerlich ehrerbietig, aber 133 mit Strenge, und sprach: »Ehre Allen, denen Ehre gebührt!« »Was soll das?« fragte sie sich. Und ein vielfacher, stürmischer Zuruf, untermischt mit Ausbrüchen des Zornes und lauten Verwünschungen, drang näher und näher an den Empfangsaal heran und machte sie beben.

»Wen haben wir noch zu erwarten?« rief sie, und Nicephorus: »Einer wird kommen, dem allein die Krone des Sieges gebührt.«

Auf seinen Wink öffnete sich die Reihe seiner Krieger, und vor Irene erhob sich aus einem Tragbette todtbleich und abgezehrt, vom weißen Unterkleid schmächtig umflossen – mit verbundenen Augen, die Gestalt ihres Sohnes. Sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus und wankte zurück.

Nicephorus aber wendete sich gegen die Franken, welche staunend dieses unerhörte Schauspiel mit ansahen und sprach: »Seht die Sünderin, die so ihren Sohn mißhandeln ließ! Ziehet heim zu Eurem Herrn und meldet ihm, daß Ihr das größte Ungeheuer, das je den Namen Mutter trug, gesehen habt, und jetzt sprecht, was Ihr glaubt nach den Gesetzen Eures Landes, welche Strafe solch ein Weib verdiene.«

»Wir,« sagten die Franken, »wissen nichts Gleiches, aber ihr Sohn selbst soll sie richten.«

Jetzt faßte sie sich wieder – sie trat einen Schritt vor, bekreuzigte sich und sprach: »Ich bin unschuldig an dessen Wunden. Richte denn – mein Sohn, im Namen des Allgerechten über mich.« Sie trat näher und schob das Tuch von 134 seinen Augen an der Sinne hinauf. »O mein Himmel – er ist blind,« schrie sie laut jammernd hinaus.

»Ja, er ist blind,« sprach Constantius, und tastete nach ihrer Hand, »blind wie Alles, blind ist das Glück, blind die Gerechtigkeit, aber blind ist auch die Liebe, sie spricht Dich los – arme, betrogene Mutter – ich verzeihe Dir.«

Dabei sank er entseelt zu ihren Füßen nieder, er war todt. Nicephorus nahm das Wort und sagte: »Das Leben ist Dir geschenkt – ich aber verbanne Dich auf immer aus diesen Mauern in Armuth und Elend.«

Dann schritt er hinweg. Die Franken sahen durch's Fenster nach ihren Pferden – ob Alles in Ordnung wäre; denn sie gedachten unverweilt sich wieder zur Heimat aufzumachen. – Nicephorus ließ sich wenige Tage darauf feierlich krönen.

Tarasius, den er wider dessen Wunsch und Willen zum Cleriker und Patriarchen gemacht hatte, und der froh sein durfte, so durchgekommen zu sein – er salbte nun Denjenigen und band ihm das Diadem um, dem er lieber die stärkste Dosis Gift gereicht hätte.

Irene lebte noch mehrere Jahre auf der Insel Lesbos in Verbannung, und gewann ihren kargen Lebensunterhalt am Webstuhl. Doch erlebte sie die Genugthuung, daß im byzantinischen Reiche die Bilderverehrung wieder gestattet wurde und Aufschwung gewann. Ja, eines Tages landete von 135 Konstantinopel eine schöne, aber todtbleiche Frau, deren kunstgeübte Hand zuerst die Altäre der Kirchen auf der Insel, bald auch die Wohnungen der Gläubigen schmückte. Es kam zu einer reuevollen Erkennung zwischen ihr und Irene, worauf Imagina sich entschloß, mit der Mutter des Mannes, den sie so geliebt hatte, das Brod zu theilen und die armselige Hütte, die bisher von Niemandem besucht war, als nur von den düsteren und schmerzlichen Erinnerungen einer glänzenden und unglücklichen Herrscherzeit.


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