Rudolf Lindau
Der Gast
Rudolf Lindau

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X

Katharina befand sich um zehn Uhr abends auf ihrem Zimmer und erwartete den Besuch, den Harry ihr angekündigt hatte. Sie war ungeduldig; aber sie ließ ihre Aufregung nicht sichtbar werden, und wie sie so gerade und kalt unter dem grellen Lichte einer über dem Tisch brennenden Gaslampe auf einem harten Stuhle dasaß, während das Sofa und die bequemen Sessel, die zum behaglichen Ausruhen im Schatten oder am Fenster einluden, leerstanden, war sie ein Bild anspruchsloser und rücksichtsloser Gleichgültigkeit. – Es wurde leise angeklopft. Sie erhob sich und öffnete die Tür. Harry stand vor ihr. Er trat geräuschlos in das hell erleuchtete Gemach, warf einen Blick auf die geschlossenen Fenster und rings um sich und ließ sich sodann auf einen Sessel nieder. Er blieb geraume Weile stumm. Katharina, die ihm gegenüber Platz genommen hatte, beobachtete ihn ruhig, sprach aber ebenfalls nicht. Endlich erhob sie sich und trat dicht an den gebeugten Mann heran und sagte mit erwärmender Zärtlichkeit im Blick und in der Stimme:

»Ein tiefer Kummer lastet auf dir. Sage mir, was dein Herz drückt.«

Sie hatte sich dicht neben ihn gesetzt. Er beugte sich an ihr Ohr und flüsterte ihr leise etwas zu.

Sie lauschte, während er sprach, mit gefalteten Händen und niedergeschlagenen Augen, und sie war ebenso blaß geworden wie er. Als er schwieg, sagte sie leise:

»Ich hoffe, daß du dich irrst.«

»Das hoffe ich auch,« antwortete er; »zuversichtlicher sogar, als du nach meinem Bekenntnis annehmen magst. Aber die Befürchtung schon ist schrecklich. Sie nagt an mir wie ein tödliches Gift. Ich hätte dich vielleicht nicht rufen sollen: – ein Mann muß allein tragen, was ihm auferlegt wird –; aber ich bin in großen Nöten. Es frißt mir das Leben ab. – Ich konnte die Unruhe nicht mehr ertragen.«

»Du hast recht getan, mich zu rufen.«

Sie stand auf und nahm sein Haupt und legte es sanft an ihre Brust. Und er, der starke Mann, ungewohnt solch' inniger, edler Zärtlichkeit, begann leise zu weinen. Man hörte es nicht; aber aus den weitgeöffneten, starren Augen rannen die Tränen unaufhaltsam über seine abgehärmten Wangen. Sie fühlte, was mit ihm vorging, ohne sein Gesicht zu sehen; aber sie blieb unbeweglich stehen, auch ihre starren, bleichen Züge zeigten keine Veränderung. Endlich erholte er sich. Er trocknete die Tränen, was sie nicht zu bemerken schien, drückte sie sanft von sich, nötigte sie, wieder Platz an seiner Seite zu nehmen und sprach dann gefaßt und ruhig:

»Meine Verbindung mit Monja war ein großer Fehler. Ich bemerkte es bald nach unserer Verheiratung; aber das Geschehene konnte nicht wieder gut gemacht werden, und es blieb mir nichts zu tun übrig, als all' meine Kraft daran zu setzen, mein schweres Schicksal zu ertragen. Ich hatte mit dem Einsatz meines ganzen Glückes mein Los in der Lotterie des Lebens genommen und eine Niete gezogen. Ich erkannte ohne Mühe Monjas Hohlheit und Frivolität; aber ich konnte ihr nicht einmal einen Vorwurf deswegen machen. Jeder Versuch, sie zu ändern, wäre ein vergeblicher gewesen. Monja ist eben von Natur oberflächlich und herzlos, gerade wie sie schön ist. Sie könnte niemand lieben, auch wenn sie es wollte. Sie würde einen andern Mann, der ihr geistig näher stände, vielleicht glücklich gemacht, aber sie würde ihn nicht mehr geliebt haben, als sie mich liebt. Ich aber bin ihr nie etwas gewesen, und kann ihr nie etwas sein, und werde dereinst aus ihrem Leben verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen, wie ein Stein, der in das Meer geworfen ist. – Sie ist von schlechter Art. Sie hat keine Freude am Edlen. Sie hat kein Mitleiden. Ich wollte, sie wäre tot! Sie hat nie etwas Gutes im Leben getan, und wird nie etwas Gutes tun! Sie hat mein ganzes Glück zerstört!«

»Warum trennst du dich nicht von ihr?« fragte Katharina.

»Ich habe kein gesetzliches Recht dazu, kaum einen Vorwand. Monja ist nicht nachweisbar schlecht; sie ist einfach nicht gut. Eine Scheidung würde vor Gericht gar nicht zu begründen sein. Eine freiwillige Trennung aber, die ihr unter gewissen Bedingungen möglicherweise ganz lieb wäre, könnte die Lage verschlimmern.«

»Und doch hast du nie geklagt, wenn du nach Schottland kamst, ja, du schienst uns allen ganz glücklich.«

»Ich habe mich nicht zu verstellen brauchen, um euch ruhig zu erscheinen. Ob ich glücklich war oder nicht, das konntet ihr nicht bemerken, solange ich darüber schwieg. Und bis vor kurzem fühlte ich nicht das Bedürfnis, über meine Lage zu sprechen. Unerträglich ist sie erst geworden, seitdem ich das Schlimmste: Schande für sie, für mich, für meine Kinder, befürchten muß. – Wie soll ich dir erklären, was bis dahin in mir vorgegangen ist? – Ich habe Monjas Mangel an Güte erst nach und nach entdeckt, ihre Häßlichkeit hat sich mir langsam enthüllt. Und es gab eine Zeit, als ich dafür nachsichtig war. Denn ich liebte sie. Ich hoffte lange, sie würde sich verändern, bessern, sie würde durch den Verkehr mit mir treu und gut werden. Als ich zu der Erkenntnis kam, daß dies unmöglich sei, da war sie mir gleichgültig geworden. Deshalb konnte ich auch gewöhnlich ruhig sein – und ohne Anstrengung oder Heuchelei. Und wem hätte ich auch klagen können? – Aber oftmals bin ich in der Nacht aufgewacht mit dem schweren Schmerz über mein Unglück. Es lag mir wie ein Stein auf der Brust; es war mir, als müßte ich ersticken. Und ich hörte ihre regelmäßigen Atemzüge neben mir. Ich bin dann leise aufgestanden und in ein anderes Zimmer gegangen, ich habe mich an das Fenster gestellt und hinausgeschaut in den dunkeln Park, und ich habe mich tief unglücklich gefühlt, weil mein Leben so freudenleer und hoffnungslos geworden ist. Ich hörte ein leises Geräusch hinter mir, und als ich mich umwandte, stand sie vor mir, eine weiße Erscheinung, mit aufgelöstem Haar und schlaftrunkenen Augen. Ich schrie auf, als sähe ich ein Gespenst. Sie legte ihre warmen Arme um meinen Nacken und sagte mit ihrer weichen Stimme: ›Komm, es ist kalt.‹ Daß mich mein Unglück nicht ruhen ließ, das ahnte sie nicht, das kümmerte sie nicht. Am nächsten Morgen hatte ich den Vorfall so gut wie vergessen. Ich war in der City und brauchte keine besondere Anstrengung zu machen, um meinen Geschäften in der üblichen Weise nachzugehen.«

»So hast du seit Jahren keine Freude am Leben gehabt?«

»Ich bin nicht immer unglücklich gewesen. Ich habe manchmal mein Unglück auf längere Zeit vergessen, mich noch über vieles freuen können: über die Kinder, über Johns Heimkehr und manches andere. Ich bin in Beziehung auf Monja nicht anspruchsvoll, ja, ich bin in dieser Beziehung so bescheiden geworden, daß ich mich sogar noch über sie freuen kann: über ihre Liebe zu den Kindern, ihre Schönheit, über kleine Aufmerksamkeiten, die sie mir von Zeit zu Zeit erweist. Manchmal, wenn sie lange nichts getan hatte, was mich verletzte, konnte ich mir sogar noch einbilden, ich habe mich in ihr getäuscht, sie sei nicht weniger gut als viele andere Frauen. – Jetzt begreifst du, weshalb ich euch nicht unglücklich erschien.«

»Ich verstehe dich. – Aber ich verstehe nicht, weshalb das, was du jetzt fürchtest, dich gleichsam zu Boden wirft. Mußtest du nicht darauf vorbereitet sein?«

»Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll. Frauen denken in dieser Beziehung vielleicht anders und gerechter als Männer. – Unsere Ehe hat seit Jahren aufgehört eine glückliche zu sein; aber die Welt weiß davon nichts, Monja gilt für eine tadellos anständige Frau, und sie war es auch, ist es vielleicht noch, in dem Sinne, den man in dieser Beziehung mit dem Worte ›anständig‹ verbindet. – Wie schlecht und böse eine anständige Frau sein kann, das habe ich erfahren! Doch konnte ich mit ihr leben, so lange mir eine Befürchtung erspart blieb. Die Gefahr aber, die mir jetzt droht, hat mich ganz verwirrt. Es ist mir, als wäre ich bis dahin noch nicht unglücklich gewesen und als wäre das, was dann über mich hereinbrechen würde, unerträglich. – Ich bin ein unglücklicher Mensch, an Monja gefesselt zu sein. Doch dies Elend wurde ich tragen mein Leben lang, ohne darunter zusammenzubrechen; – aber mit der offenkundigen Schande – da könnte ich nicht leben.«

»Was kann ich für dich tun?«

»Ich weiß es nicht.«

»Weshalb hast du mich gerufen?«

»Weil ich mich von Lug und Trug umringt fühlte und einen treuen Menschen in meiner Nähe haben wollte. Mit John kann ich nicht sprechen, obgleich er mir näher steht als du: er ist ein Mann, und er ist sein Freund.«

»Du hast recht getan. Ich werde sorgen. – Und Harry, eines verspreche ich dir: so lange ich in ihrer Nähe bin, ist deine Ehre sicher! Nun beruhige dich! – Wirst du schlafen können?«

Er saß noch eine Weile nachdenklich da, die Hände zusammengeschlagen, den Blick starr auf einen Fleck gerichtet. Endlich stand er auf und sagte zerstreut:

»Ich bin wie zerschlagen. Gute Nacht, Katharina!«


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