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Es war ein heißer Sommertag. Im großen Park von Lower Norwood herrschte tiefe Stille. Die Bäume und die Vögel schienen, von der Mittagshitze überwältigt, zu ruhen. In der Villa, deren weiße Mauern im hellen Sonnenschein glänzten, waren Türen und Fenster, alles, was der heißen Luft und dem grellen Licht Eingang gewähren konnte, sorgfältig geschlossen. Auch im Hause war es still; doch schlief dort nicht alles. In dem großen Salon befanden sich zwei Personen, die an den Schlaf nicht dachten: Monja und Nikolaus. – Sie lag, in weißem, leichtem Gewande auf einem niedrigen Sofa, den rechten gekrümmten Arm unter dem Haupte, die linke Hand herabhängend und den Fußboden berührend. Ein stilles, rätselhaftes Lächeln: eine Frage, eine Herausforderung, lagen auf dem schönen, weißen Gesichte. – Die großen, blauen Augen waren unverwandt auf Ohlsen gerichtet, der, den Blick zu Boden geschlagen, auf einem kleinen Sessel neben ihr saß.
»Woran denken Sie?« fragte Monja. Es war etwas Leichtfertiges, Spöttisches in dem Ton ihrer Stimme.
Er warf ihr einen scheuen Blick zu, erhob sich schwerfällig und trat an das Fenster. Die Vorhänge waren heruntergelassen, aber durch die schmalen Ritzen konnte er ein kleines Stück des Rasenplatzes vor dem Hause und einen großen, schattengebenden Baum erblicken. Am Fuße dieses Baumes, auf dem Rasen, saß eine ältliche Frau und neben dieser ein Kind von fünf bis sechs Jahren, das sanft schlummerte und dessen Gesichtchen auf dem Schoße der Alten ruhte.
»Die kleine Johanna ist draußen,« sagte Ohlsen. »Es ist vielleicht zu heiß . . . Soll ich sie hereinrufen?«
»Die englische Sonne ist nicht böse,« antwortete Monja. »Lassen Sie das Kind: es ist wohl aufgehoben, wo es ist.«
Eine Pause trat ein. Ohlsen hatte die heiße Stirn gegen eine Fensterscheibe gedrückt; aber sie gewährte ihm keine Kühlung.
»Woran denken Sie?« fragte Monja wieder.
Er atmete tief auf, es klang beinahe wie ein Seufzer, und er wandte sich langsam nach ihr um. – Der lebensfrische, offene, mutige Ausdruck, der sein Gesicht vor wenigen Wochen noch so schön und liebenswürdig gemacht hatte, war verschwunden: die freundlichen, lachenden Augen, deren gerader Blick so treuherzig gewesen war, schauten unstet.
»Woran ich denke?« antwortete er endlich. Seine Stimme, obgleich er leise, gleichsam zu sich selbst sprach, war heiser. – »Ich denke . . . ich denke, daß ich nach der City fahren will, um Harry abzuholen.«
»Das ist ein sehr erbaulicher Gedanke – bei fünfunddreißig Grad Hitze . . . Waren Sie als Goldgräber auch so phantastisch?«
»Als Goldgräber wußte ich, was ich wollte und was ich tat.«
»Und hier gibt es keine Schätze zu heben und Sie wissen nicht, was Sie wollen und was Sie tun. – Ist das richtig?«
»Ja,« antwortete er kurz und ungeduldig.
»Und die seltene Perle, die Sie finden, nach der Sie suchen – suchen wollten, bis Sie sie gefunden hätten? – Schon müde, Sie starker Mann? . . .«
Er blickte mit einem Ausdruck ratloser Hilflosigkeit um sich. Sie lachte leise.
». . . Oder liegt sie auf tiefem Meeresgrunde, so daß Sie verzweifeln, das Tageslicht wieder zu erblicken, wenn Sie nach ihr tauchen?«
Er antwortete nicht, und nur flüchtig streifte sein unsteter Blick die liegende Gestalt.
»Setzen Sie sich,« fuhr sie harmlos freundlich fort. »Seien Sie nicht so unruhig. Bei diesem Wetter muß man hübsch am selben Platze bleiben. Kommen Sie hierher. Ich muß mich nach Ihnen umwenden, um Sie zu sehen. Es macht mich müde.«
Er näherte sich ihr zögernd und ließ sich auf dem Sessel an ihrer Seite nieder.
»Nun sehen Sie mich an,« sagte sie sanft.
Er wandte sein Gesicht dem ihrigen zu. Ihre heißen, großen Augen ruhten unverwandt auf ihm. Er ergriff ihre schlaff herabhängende Hand und führte sie an seine Lippen. Sie ließ ihn gewähren, und wieder lagerte sich auf ihrem Antlitz das stille, rätselhafte Lächeln.
Er erhob sich plötzlich, ließ ihre Hand fallen und trat an das Fenster. Sie sah ihm, ohne Verwunderung, ohne Bewegung, immer noch lächelnd, nach. Er blickte in den Garten. Die Alte und das Kind saßen unbeweglich an demselben Platze, an dem er sie vor einigen Minuten gesehen hatte. – Auf einmal, als habe er einen Entschluß gefaßt, ging er schnell auf Monja zu. – Aber einen Schritt vor ihr blieb er wie festgebannt stehen; dann nach kurzem Zaudern wandte er sich der Tür zu, überschritt die Schwelle und, ohne ein Wort des Abschiedes gesagt zu haben, war er verschwunden – Monja erhob sich darauf ebenfalls. Sie trat vor den Spiegel, und leise singend, mit demselben stillen Lächeln auf dem Gesicht, ordnete sie ihre Haare. Dann nahm sie den alten Platz auf dem Sofa wieder ein und, die schlanken weißen Arme unter dem Kopfe gekreuzt, die großen Augen weit geöffnet, blieb sie lange Zeit unbeweglich liegen: ein schönes Bild der Ruhe und des Friedens. Endlich seufzte sie müde, wandte das Antlitz vom Fenster ab und war nach wenigen Minuten sanft und friedlich eingeschlafen.