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Ich kritzele: »Einig es aus der deutschen Dichterei«:
»Dichtung« hätte besser geklungen in der Überschrift. Was tuts.
Früher schrieb jeder Deutsche Gedichte und las jeder Deutsche Gedichte. Auch heute noch schreibt jeder Deutsche Gedichte, aber kein Deutscher liest mehr Gedichte. Sehr verständlich: es ist einfach zur Unmöglichkeit geworden, den unglückseligen Pegasus (in Form von Gedichten, Gedichtsammlungen &c.) von fern herangaloppieren zu sehn, ohne Übelkeit zu verspüren. Werden einem Deutschen Gedichte (im einzelnen, als Buch &c.) gesandt, so hat der Absender eine Pistolenforderung zu gewärtigen, oder ladet sich womöglich den Staatsanwalt auf den Hals. Sehr erklärlich: wir halten es für eine Bosheit, für eine böswillige Absicht, wenn uns einer seine »Gedichte« überreicht.
Wenn ich eben übertrieben habe, so geschah es, um zu zeigen, in wie unerhörter Weise durch dieses Meer von Gedichten der Geschmack und die Freude an wahrer Poesie erstickt und verdorben wird und schon erstickt und verdorben ist.
Wer ist ein Dichter? Nun, vor allem ein solcher, der, durch sich gezwungen zu dichten, für sich allein und nur zu seiner Freude dichtet. Ist es nicht im Grunde ein empörender Gedanke, sich dem Urteil eines jeden preisgeben zu müssen? Zu mehrerer Reizung steht des Dichters Bild in den Fensterläden und in den Zeitschriften. Wie widerwärtig, von jedem Hansnarren bekrittelt zu werden, jedem Laffen die eigensten, tiefsten Herzensgeheimnisse offenbaren zu müssen: denn ein wirklicher Dichter macht sich – es ist bis zum Überdruß oft genug gesagt – frei von seinen Schmerzen und Freuden durch »Schreiben«. Aber statt den Erguß vornehm im stillen Kämmerlein zu verschließen – wen gehts denn an – kommt die Eitelkeit, der Ehrgeiz und wohl auch der Schachergedanke: und er wandert vor die Augen der Welt.
Wie? Dichten wir (ich spreche hier zunächst von der »gebundnen« Poesie) etwa, um andern eine »Freude« zu machen? Dann wären wir keine Dichter, sondern Seiltänzer.
Durch den Überschwall und Übelschwall von gebundner Dichtung sind wir heutzutage so weit, daß in Deutschland der Versschreiber für einen, ja wie soll ich sagen, für einen Eunuchen gilt, der unter Männern nicht mehr mitsprechen darf. Wer denn läuft nicht weg, wenn ihm einer mit Gedichten kommt. »Tun Sie mir den einzigen Gefallen, und lassen Sie mich mit dem Zeug zufrieden,« hören wir immer häufiger.
Dieses Dreikreuzemachen vor dem Poeten in unsern Tagen hat seinen höchst berechtigten Grund, denn es ist gradezu fürchterlich, was »zusammen«geschmiert wird an Gedichten.
Schon in technischer Beziehung hätten wir einen Fortschritt erwarten müssen. Aber wir reimen noch ebenso erbärmlich, wie es Goethe, Schiller, Heine, Mörike und viele andre Götter getan haben. Wie klingt denn, um ein Beispiel zu geben, das Gedichtchen Heines, so gelesen, daß wir richtig (rein) reimen müßten:
Leise zieht durch mein Gemüt Liebliches Geläute. Klinge, kleines Frühlingslüd, Kling hinaus ins Wäute. Kling hinaus bis an das Haus, |
Das »schaust« und »Haus« stört nicht, weil der Doppellauter »au« gleich klingt.
Mir wird hier das alte Wort: »Erst der Inhalt, dann der reine Reim« zugerufen werden. Natürlich! Aber lassen wir es ruhen, weil es selbstverständlich ist. Der unreine Reim ist einfach ein Zeichen der Trägheit.
An die Häßlichkeit des Hiatus, an diese wenig anständige Mundaufsperrung möchte ich kaum erinnern. Wir haben längst jede Feinheit in dieser Beziehung verloren. Eine ängstliche Vermeidung würde auch vom Übel sein. Oft klingt der Hiatus ebenso schön bei uns wie im Griechischen. »Wie einst«, es liegt auf der Hand, klingt häßlich; »wie einst« (also mit dem Ton auf einst) herrlich. Zahlreich ließen sich ähnliche Beispiele anführen.
Die Alliteration feinfühlig angewandt, bringt entzückende Wirkung. Der Leser und Hörer darf nur unbewußt die Schönheit fühlen; er darf sie unter keinen Umständen merken als gewollte Absicht. Lange Stabreimdichtungen werden deshalb unerträglich.
Durchaus unmodern ist das »e«, besonders in der zweiten und dritten Person der Einzahl und in der zweiten Person der Mehrzahl. Wo dies »e« stehn muß, weiß jeder. Aber dies Dichter-»e« klingt veraltet in tanz»e«t, geh»e«t, steh»e«t und unendlich vielen andern Worten. Weg damit! Wir sprechen es nicht mehr, so soll es auch nicht mehr in den Vers. Der Dichter hat keinen Vorzug vor seinen Mitmenschen. An diesem »e« erkennt man in unsern Tagen den Dilettanten.
Bei den Dramatikern finden wir bis zur Stunde das Wort »Euch« statt »Dir« und »Ihnen« u. s. f. Karl der Große redet seine Grafen mit Euch (Ihr) an, wie Napoleon seine Marschälle. Ja, selbst im Salonstück hören wir das »Euch« (»Ihr«). Haben sich die Dramatiker klar gemacht, wie gevatterhaft, altväterisch und spießbürgerlich das klingt? Bis 1750 etwa »Du« usw., von dort bis zur Gegenwart »Sie«, möchte ich vorschlagen. Das »Er« und »Ihr« für die Zeit, wo es als Anrede gesagt wurde, und da nur, wo es hingehört.
* * *
Im menschlichen Leben ist mir eine der merkwürdigsten Erscheinungen: der Traum. Sicher bin ich, daß es nicht ein »Hineingreifen« aus einem »andern« Dasein ist. Träume entstehen z. B. so: Es fällt uns im Schlaf ein Wasser tropfen auf den nackten Fuß; sofort glauben wir mit allen Qualen des Ertrinkens im Ozean unterzugehn. Aber andrerseits, wie ist so vieles im Träumen unerklärlich. Ist da irgend in unsrer Seele ein tiefer, tiefster See, in den das Senkblei hineinzulassen uns der Tag nicht einmal ein Ahnen erlaubt, niemals auch nur ein Ahnen zuläßt? Im Traum ist unsre Seele zusammengedrängt, durch keine äußeren Eindrücke gestört.
Ich schreibe meine Gedanken über den Traum nieder, weil ich in den beiden letzten Nächten im Schlaf so wunderbare, lebhafteste Bilder und Darstellungen hatte. Überhaupt kommen mir im Traume Erscheinungen, die ich verwerten würde, wenn ich nur eine Spur zu einem Dichter in mir fühlte.
Nacheinander hatt ich in den beiden letzten Nächten ein Kriegsbild und ein Friedensbild aus der Soldatenzeit. Und ich bin doch nie Soldat gewesen. Mein innigster Wunsch, Kavallerieoffizier zu werden, ließen die beim Tode meines Vaters zerrütteten und verwirrten Geldverhältnisse nicht zu. Und als Alles geordnet war, als ich reich wurde, daß ich mir Tausende von Pferden aus eignem Beutel halten konnte, war es zu spät. Wie schwärm ich heut noch in dem Gedanken, als Reitergeneral, vor hundert Schwadronen, in den Feind einbrechen und für Kaiser und Vaterland siegen oder sterben zu dürfen.
Wie selten haben wir große Reitergenerale. Caesar und sein Unterfeldherr Labienus, der Treulose, waren es. Warum, Labienus, verließest du Caesar? Wie ist es schäbig, ein Genie zu verlassen. Pfui, welche kleinliche Gedanken müssen da die Oberhand gewinnen. Dann haben wir eigentlich nur noch Cromwell (auf seiner langen hellbraunen Worcester Stute), Seidlitz, Zielen, Murat, Jackson Stonewall, den alten Wrangel (ja! und wie!), den Prinzen Friedrich Karl.
Ich habe oft über die Blutmischung nachgedacht, die einen Reitergeneral durchströmen muß. Nachdenklich und kaltblütig soll er sein wie Sokrates, heißblütig und flott wie ein echter, rechter Husarenoffizier, geduldig im Warten wie eine Pyramide, und schneller als sein Angriffsblitzgedanke: ist der Augenblick zum Einhauen gekommen; vorsichtig, ruhig überlegend, zögernd, sogar langweilig scheinend, und wieder jung und leichtsinnig bis zur Tollheit, ein Tänzer, Trinker, und »Feuer« bis in sein Greisenalter. Bei keinem der von mir Erwähnten stimmt diese Zusammenstellung völlig; und da ist ein letztes, wie bei jedem Genius, ein Unaufklärbares, das ihm im Blute sitzen muß.
Klare Stirn und tobendes Blut, Sanft wie ein Lamm, wie der Wolf in Wut; Das Herz dem Kaiser, den Frauen ein Gott, Im Sattel dem Feinde der Teufel im Trott. |
Ich entsinne mich nicht, wer diese Strophe geschrieben hat.
In der vorletzten Nacht hatt ich einen Traum vom Kriege: lebhaft kämpfte ich in einem Gefecht. Der Junitag war »bruttheiß«. Ich lag mit meinem Schützenzuge in einem Waldrand. Wir gaben ein rasendes Feuer. Über uns in die Bäume schlugen, wie geworfne Erbsen, die feindlichen Schüsse ein. Ab und zu trafen sie in den Sand, ins Gras; dann stäubten ganz kleine Erdwolken auf. Nun prasselte mit großem Getöse die erste Granate in unser Holz. Sie riß, dicht hinter mir, Blätter und Zweige von einer Buche. Ich wurde von ihnen überschüttet. Es war ein fortwährendes Zischen und Heulen und Krachen und Ästebrechen um uns. Mein Hornist, der neben mir stand, sank als erster Verwundeter. Der Schuß hatte ihn in den linken. Oberschenkel getroffen. Er fiel zu Boden, sich mit beiden Händen die Wunde zupressend. Das Blut lief ihm wie ein vielverzweigtes Rinnlein durch die Finger. Er ächzte nicht, sagte ganz trocken und mehrere Male hintereinander: »Gott verdor ich« (verdamm mich), »se hebt mi schoten«. Der Lazarettgehilfe stand gleich bei ihm. Die Sonnenhitze stieg bis zur Unerträglichkeit. Wir hatten nichts mehr in unsern Flaschen, deshalb stopften wir uns Moos und Blätter in den Mund. Einmal wollte uns der Feind im Sturmschritt zu Leibe; aber wir warfen ihn durch unser Schnellfeuer. Als er zurückging, riß ich einem verwundet liegenden Musketier das Gewehr weg. Ich versuchte vergeblich, auch seine Patronen zu nehmen, aber er lag stöhnend auf dem Leibe ausgestreckt. Da rief ich dem Nächsten zu: »Behling, Patronen.« Und nun »pfefferte« ich selbst hinterher, ganz ruhig zielend, wie auf der Jagd. Ich nahm mir einmal einen wie wild gewordnen feindlichen Hauptmann, der sein Pferd gegen die Fliehenden zur Umkehr wie außer sich drängte, aufs Korn. Ich setzte wartend, bis sein Gaul die Breitseite zeigte, den Sattel auf. Er stürzte, sich ans Herz greifend, auf den Rasen. Bald warf ich das Gewehr weg und nahm wieder meinen Säbel. Und so stand ich und zog mir, ich Tor, frische Handschuhe wie zum Tanzen an. Ein junger Leutnant war mir zu Hilfe gesandt und hatte seinen Zug in den meinen geschoben. Dieser Leutnant, ein freches, hübsches Kerlchen, stützte sich eben so kaltblütig wie ich auf den Säbel. Er lachte mir zu: »Wie denkst Du über Spanien?« Aber kaum hatte er die Worte ausgesprochen, als ihn eine Granate förmlich verschlang. Wie aus einem Krater steigend, zog, nachdem der erste mächtige Sandspritzer in die Höhe gegangen war, der Rauch schwer von uns weg in der Windrichtung. Ich stand regungslos. Jetzt nur erwägend, was zu tun sei gegen größere Massen, die zum abermaligen Sturme gegen mich ansetzen wollten. Die Gewehrläufe glühten, die Patronen gingen auf die Neige. Meinen Helm in den Nacken geschoben, starr in den Feind blickend, überlegte ich, vollständig über meine Lage geklärt . . . Aushalten, hier den Tod . . . In diesem Augenblicke knickten die Äste und Zweige neben mir: der Hauptmann, der seit gestern mit zwei Zügen abkommandiert gewesen war, erschien plötzlich mit dem Rest der Kompagnie . . . Er und ich fielen uns in die Arme; wir, Offiziere und Mannschaften, drückten uns die Hände wie nach jahrelangem Wiedersehen. Aber keine Zeit, denn näher und näher . . . und ich erwachte.
In der vergangenen Nacht hatte ich noch einen viel absonderlicheren Traum: In einem Jagdschlößchen, das mitten im Walde lag, an einem Wege, stand ich auf einem Balkon. Hinter mir, rechts und links, hielten mich an leichten Ketten, die mir, je eine, um die Arme geschlossen waren, zwei übergroße Mohren: diese hatten mich als Wächter zu bewahren, denn ich war wahnsinnig. Während ich auf die Waldstraße hinuntersah, hörte ich Musik, eine lustige Hörnerweise. In der Ferne zeigte sich die Spitze eines marschierenden Bataillons. Es rückte näher und näher. Als sie bei mir vorüberzogen, nahmen Offiziere und Soldaten ihre Helme ab und jauchzten zu mir hinauf. Ich aber weinte bitterlich. Und als das Bataillon verschwunden war, bog ich meine Augen in die hohle Hand und schluchzte und – befand mich mit einemmal im Offizierkasino. Die beiden Mohren, meine Wärter, wurden hart zurückgewiesen. Viele Offiziere drängten sich stürmisch mir entgegen, breiteten mir ihre Arme zum Empfang aus, und ein alter General mit einem auffallend häßlichen Gesicht, aber den gütigsten, liebevollsten Augen, nahm mich und führte mich an die blumenüberschwemmte Tafel. Und ich setzte mich neben ihn. »So, Gadendorp,« sagte er, »nun sind Sie wieder mitten unter uns und werden uns nicht mehr verlassen.« Als der erste Toast, wie die schöne Sitte ist, wo Deutsche versammelt sind, auf den Kaiser ausgebracht war, kamen mir die Gesichter alle bekannt vor, und ich trank ihnen allen zu und rief ihre Namen: »Busse, Brandt, Seydlitz, Schröder, Winterfeldt, Ledebur, Hans Ledebur, alter Kerl, lebst Du noch?« Und sie alle tranken mir wieder zu. Die Musik spielte in einem Nebensaal den Hohenfriedberger. Als sie geendet hatte, hob ich mein Glas: »Nun bin ich wieder unter Euch und bleibe für immer. Von meinen alten treuen Kameraden trenne ich mich nicht wieder. Ich war auf einem andern wüsten Sterne, wo noch größere Qualen die Geschöpfe zu erleiden haben, als wir Menschen auf unsrer Erde. Aber meine Sehnsucht zu Euch ließ nicht nach, und Gott in seiner Güte gab es zu, daß ich wieder in Eure Reihen eintreten durfte.« Alles umringte mich, und es waren wieder die alten lieben Kameradenaugen, die ich früher, auf einem schönern Stern gekannt hatte, wo . . . und ich erwachte.
Wie wunderbar sind unsre Träume.
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Ich las in den letzten Tagen zwei vorzügliche Romane von M. G. Conrad und Wilhelm Walloth. In Conrads Roman: »Was die Isar rauscht« fand ich unter vielen ursprünglichen Gedanken und »Stellen« eine, die mich wegen ihrer so natürlichen wie graziösen Darstellung außerordentlich fesselte: Ein junger, schüchterner, liebenswürdiger Kandidat, der in einem Hause mit einer töchtergesegneten Schneiderfamilie wohnt, wird, aus Mutwillen, während die Eltern nicht daheim sind, von den Mädchen auf der Treppe belauert und, wollend oder nicht, in die Werkstatt gezogen. Die nun folgende Szene zwischen dem allmählich feuerfangenden Kandidaten und den ausgelassenen Mädchen ist das Reizendste, was je geschrieben ist in dieser Art. Ich kann nur Goethe anführen, dem jene Anmut, Leichtigkeit, dem jene Frische und Natürlichkeit aus innerstem Herzen quoll, wie sie hier Conrad zeigt.
Das Beste an Anschaulichkeit las ich in Walloths Roman: »Der Gladiator«.
»Die kaiserlichen Fechter, zu denen auch Markus und Valerius gehörten, hatten die auf dem cälischen Berge gelegene Fechtschule schon vor Sonnenaufgang verlassen und waren in die Zellen des circus maximus geführt worden, um daselbst zu verbleiben, bis das Kampfspiel beginne. Auf Befehl des Spiculus hatte jeder Mitkämpfer einige Stunden geschlafen; jetzt waren alle erwacht und man reichte ihnen, um sie für das bevorstehende Spiel zu stärken, Wein und kräftige Nahrung, während üppige Tänzerinnen ihre Lebenslust zu wecken suchten.
Während die Genossen in der größten Zelle um den Tisch herumlagen, zechten und den Flötenspielerinnen lauschten, saß Markus abseits. Er lehnte den Kopf an die unbeworfne Mauer und sah durch das weitgeöffnete Tor auf die Arena hinaus. Der gelbe Sand der Arena dehnte sich so glatt und blendend im Sonnenglanz aus, daß man glaubte, man müsse die sich in der Ferne verlierenden Sitzreihen in seiner schimmernden Fläche sich spiegeln sehen. Ganz fern erhoben sich einige Erzstatuen in den weißlichblauen Morgenhimmel, die man schließlich, als die Sonne höher stieg, wie Flammen blitzen sah; rechts und links krönten Hallen den Zirkus, die ihre Säulenschäfte wie ein Manipel Soldaten starr und feierlich bis zu den vordersten Sitzreihen aufmarschieren ließen. Markus sah, wie sich allmählich kleine bunte Punkte zwischen die weitgeschweiften Linien der grauen Sitzreihen schoben; diese Punkte verlängerten sich zu Linien, die zu bunten Flächen anwuchsen. Es waren die erwartungsvollen Zuschauer, die allmählich das eintönige Grau der Steinsitze mit wimmelndem Farbengemisch überzogen. Ihre Stimmen hallten wie das Gesumme der Sumpfvögel, das aus dem Schilf zu hallen pflegt, herüber in die düstere Zelle, die nur durch vergitterte Fenster ihr Licht empfing.«
Ich habe nie den römischen Zirkus so klar, so deutlich vor mir liegen sehen. »Markus sah, wie sich allmählich kleine bunte Punkte zwischen die weitgeschweiften Linien der grauen Sitzreihen schoben; diese Punkte verlängerten sich zu Linien, die zu bunten Flächen anwuchsen. Es waren die erwartungsvollen Zuschauer, die allmählich das eintönige Grau der Steinsitze mit wimmelndem Farbengemisch überzogen.«
Das ist einzig. Das mache einer Walloth nach. Und wie, mit welchem Malerauge, kennt er Lichter und Schatten und ihre tausend Untertöne. Was macht Walloth Alles aus einer einzigen Fackel!
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Künstler nennt der Deutsche Maler, Bildhauer und Musiker. Daß von ihm ein Dichter Künstler genannt wird und wurde, ist mir nicht bekannt. In den deutschen Romanen spielen, abgesehen von den ewig wiederkehrenden Typen, stets Maler und Musiker die Hauptrollen. Diesen werden fast immer die beliebten Namen Werner und Walter gegeben. Rittmeister, Barone und Gutsbesitzer werden sehr gerne von Felsen, von Felden, von Feldern getauft.
Dem deutschen Dichter rat ich, sich ein Nilpferdfell überzuziehen, sonst hält ers nimmer aus in seinem Vaterlande.
Vor nicht langer Zeit verblich der als Mensch so liebenswürdige und vortreffliche, wie als Romanschreiber fleißige, tüchtige, wackere Schriftsteller Ewald August König. Er war bei den Deutschen sehr beliebt. Zeitschriften und Zeitungen rissen sich um seine Arbeiten. Fürstinnen und Nähmamsells lasen ihn »unbeschreiblich« gern. Er soll Vermögen hinterlassen haben. In demselben Jahre, fast an einem Tage, starb der Dichter Albert Lindner, der aus Nahrungssorgen wahnsinnig geworden war, im Irrenhause. Acht Leidtragende nur folgten dem Sarge. Deutschland – – –
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Mein Buchhändler sandte mir eine kleine, allerdings ein wenig boshafte, aber sonst höchst ergötzliche Broschüre: »Shakespeare und Goethe treten im Jahre des Heils 1890 zuerst in die ›literarische Welt‹ ein und erscheinen auf dem deutschen ›Büchermarkt‹.«
Freilich, die Überschrift ist lang, aber sie zeigt von vorn herein den richtigen Weg.
Shakespeare (ist er doch aus angelsächsischem, niederdeutschem Stamme) wird in der Schrift als Deutscher angenommen. Er reicht den Theatern Hamlet ein. Die kleinern antworten ihm, wie sich das von selbst versteht, überhaupt nicht; von einigen größern erhält er die gewöhnlichen Abschlagephrasen. Erscheint er selbst bei den Intendanten und Direktoren, wird er, als wahnsinnig, die Treppe hinuntergeschmissen. Nur ein Vorstadttheater in Hamburg hat den Mut, das Trauerspiel darzustellen, läßt aber den Titel drucken:
»Hamlet, oder der verrückte Dänenprinz. Theater im Theater. Ballett. Große Geistererscheinungen.«
Das Stück wird von Matrosen, Lehrlingen, Dienstmädchen wütend beklatscht.
Am andern Morgen wird es von der Polizei aus »Sittlichkeitsgründen« verboten.
Zur selben Zeit hatte ein Herr Wolfgang Goethe den Theatern sein dramatisches Gedicht »Faust« angeboten. Es erging ihm wie seinem Freunde Wilhelm Shakespeare, nur mit dem Unterschiede, daß sein Stück in einem Kasperletheater auf der Hasenheide bei Berlin zur Aufführung kam.
Am andern Morgen wird auch »Faust« von der Polizei aus »Sittlichkeitsgründen« verboten.
Nun wird die Staatsanwaltschaft aufmerksam, und beide Dichter, namentlich Wolfgang Goethe wegen Herausgabe eines Bandes »Gedichte«, werden in Anklagezustand versetzt wegen Verbrechen gegen die Sittlichkeit, verurteilt und erhalten Gefängnisstrafen. Als sie diese abgesessen hatten, wandern Wilhelm Shakespeare und Wolfgang Goethe, »stark satt von ihrem Vaterlande«, wie Graf Platen sagt, Arm in Arm in die Negerrepublik Liberia aus. Dort ist der lustige, harmlose, entzückende Boccaccio nicht verboten; und beide fühlen sich bald unter den Dalla-Dallas und Orangutangs außerordentlich wohl.
Von den Verlegern der beiden Dichter waren »Hamlet« und »Faust« und die »Gedichte« mit den gewöhnlichen Waschzetteln allen Zeitschriften und hervorragenden Zeitungen eingereicht. Diese »Waschzettel« sind für die Dichter im höchsten Grade peinlich; um so peinlicher, je feinfühliger der Poet ist. Aber sie sind für den Verleger, der vor allen Dingen Kaufmann ist und sein muß, eine Notwendigkeit geworden.
Diesmal aber kehrten sich die Herren Kritiker nicht an diese Zettel. Wilhelm Shakespeare und Wolfgang Goethe waren Neulinge auf dem berühmten Dichterberg: es sind also in keiner Weise Rücksichten zu nehmen. Zudem war allen der Theaterlärm bekannt geworden. Armer Wilhelm, armer Wolfgang, wenn ihr die Beurteilungen hättet lesen müssen. Eine Wochenschrift erklärte in ihrem »Briefkasten«: Herrn Dr. M. P. in P.: »Sie haben vollkommen Recht, hochgeehrter Herr. Was je an Roheiten und Widerwärtigkeiten von den jüngsten Naturalisten erzielt ist (möchten wir sagen), wird in den Schatten gestellt von den beiden ›allerjüngsten‹ Naturalisten, den Herren Wilhelm Shakespeare und Wolfgang Goethe, oder heißt er Gothe, ich weiß es in diesem Augenblicke nicht mehr.
So schamlos aller Sitte und Sittlichkeit ins Gesicht zu schlagen wie in ihren Dramen ›Hamlet‹ und ›Faust‹, ist nur diesen beiden vorbehalten gewesen. Und wenn diese ›Dichter‹ (Pseudodichter, Schmierer, Sudler müßten sie genannt werden) nur wenigstens etwas Geist gezeigt hätten, aber alles ist hohl, elend, albern, erbärmlich, widerlich, ohne auch nur einen Funken von Geist. Der ›Faust‹ ist sogar, man staune! in Knittelversen, natürlich den denkbar schlechtesten geschrieben. Das Ekelhafteste liefert Herr Goethe (oder Gothe) in seinen ›Gedichten‹. Lieder wie ›Christel‹, ›Brautnacht‹, ›Neue Liebe, neues Leben‹, ›Wahrer Genuß‹, ›Morgenklagen‹, ›Mahomed‹, ›Prometheus‹ sind ganz einfach ein Skandal auf die Menschheit . . . Aber es ist den Dichtern schön heimgeleuchtet. Wohl bekomms ihnen.«
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Der Mensch hat nichts so eigen, So wohl steht ihm nichts an, Als daß er Treu erzeigen Und Freundschaft halten kann. |
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Simon Dach. |
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Serbisches Sprichwort: Ein schlechter Wolf, dem die Hunde nicht nachbellen.
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Allen deutschen Zeitschriften, Ausnahmen überall, mit Bildern und ohne Bilder (aber eigentlich sind sie alle Bilderbücher), empfehle ich als stete Kopfleiste den »Brief eines Malers an seinen Sohn« des unsterblichen Heinrichs von Kleist. Da würden die Leser merken, welch elender, scheußlicher Kohl ihnen unaufhörlich als Kunst vorgesetzt wird; wie Alles auszuarten scheint in der deutschen Literatur als Kinderei und Verkindischtheit und Schablonenkram. Der erwähnte Brief Kleistens steht in der Ausgabe Eduard Grisebachs, im zweiten Teil, Seite 370.
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Wär ich ein Dichter, würd ich zu stolz sein, um auf Beifall zu warten. Das Schnellverstandne ist auch schnell vergessen.
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Einer der beiden Herren von Goncourt sagt: im Schriftsteller ist immer Neigung vorhanden, das Publikum zu verachten, das ihn heute liest, und jenes hoch zu achten, das ihn nach zehn, zwanzig, dreißig Jahren liest.
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Lieber Johann!
Du bittest mich, Dir eine Übersicht der Bücher der Weltliteratur zu senden, »in denen ich immer wieder lese.« Also mit andern Worten, ich soll Dir, wie es vor kurzem lautete: die besten Bücher aller Zeiten und Literaturen nennen, d. h. nach meinem Geschmack und nach meiner Liebe. Dazu gehören Wochen, liebes Menschenkind. Das läßt sich nicht im Handumdrehen abmachen. Und Du neckst mich zugleich, daß wir immer andre Nationen »kopieren«.
Nach einem Monat:
Ich habe die folgende Liste aufgestellt. Aber sie dürfte nicht vollzählig sein: es wird dies oder jenes Buch zu leicht vergessen. Die lebenden deutschen Dichter, die mir gefallen, kennst Du.
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Wenn die gutmütigen Deutschen wüßten, wie ihre Schönwissenschaft und wie – in Schönwissenschaft gemacht wird. Ein belebter Fischmarkt, schon stark von der Julimittagsonne »angestochen«, ist ein Rosental dagegen..
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Meine beiden kürzlich gekauften jungen jütischen Dunkelfüchse mit den kräftigen hellgelben Mähnen und Schwänzen, Kastor und Pollux, hatt ich vorm Wagen. Ich kutschierte selbst. Ich fahre das prächtige Gespann in antiken Riemen und Geschirren, ohne Hinterzeug.
Als ich durch mein Dorf Ridders kam, hörte ich vom Kruge, wo sämtliche Fenster des Tanzsaales geöffnet standen, ein Geräusch her, wie wenn einer spricht und von Zeit zu Zeit beifälliges Gemurmel dem Vortragenden lohnt. Ah so, es fällt mir ein. Es ist zur Stunde die Wahl der Wahl zur Wahl eines Wahlmannes. Während meiner Vorüberfahrt seh ich im Saale die Eckernsunder Bürger, meine Bauern und Fischer mit aufgesperrten Lippen. Der Redner brüllt grade: »Meine Herren, Fichte, der berühmte Fichte, jener hehre deutsche Dichter . . .« Wie, was? Ich denke, mich rührt der Schlag vor Vergnügen: Fichte, der berühmte Fichte, jener hehre deutsche Dichter? Und drinnen sitzen die Menschen, und haben überhaupt nie den Namen Fichte gehört. Und hier wird ihnen Fichte gar noch zum Dichter vorgeblasen. Noch einmal hör ich die Stimme drinnen: »So wollen wir denn, meine Herren . . . Fichte, der berühmte Fichte, jener hehre deutsche Dichter . . .« Ich werde plötzlich unwohl. Ein Schnalzen mit der Zunge und ich bin schon vorm Dorfe und bald bin ich mitten in meinen Feldern. Wir ziehen langsam durch die Redder. Wie die Füchse mit den Köpfen nicken; wie sie den Schaum auf die Silberbeschläge und wohin immer werfen. In den bestaubten Knicks hängen von der begonnenen Ernte und von dem frühern Heudurchzug Ähren, Halme, Gräser, Klee. Die Vogelbeeren röten sich, die Ahlkirsche färbt sich, die Nüsse bräunen sich schon. Die langen gelben Königskerzen ragen über all den bunten Wirrwarr der Blumen und Ranken empor.
Und all das frische, fröhliche Leben im hellsten Sonnenschein: da taucht ein alter Bauer in Hemdsärmeln in ein durchsichtiges, spärliches Fichtenwäldchen, das auf der andern Seite blaue Höhenzüge durchscheinen läßt, ein. Da kommen die Kuhjungen, die mich gesehen haben, an die Hecktore, und der hinter mir sitzende Heinrich muß ihnen Nickel in den Weg schicken. Einige schlagen Rad vor mir als Dank. Auf einer entfernten Stoppelkoppel übt sich eine reitende Batterie. Einmal rasen die Geschütze, nebeneinander, über einen abgehaunen Wall. Wie sich das entzückend macht. Wie sechs Doggen beim Wettrennen, so springen sie, krabbeln sie, arbeiten sie hinauf, hinab . . . Ein Häschen setzt sich vor mir einen Augenblick hin, um dann schnell zu verschwinden. Eine Viertelstunde durchfahre ich eine Straße, die rechts und links außergewöhnlich große, nur in den Kronen belaubte Tannen zeigt. Es macht sich fast wie eine der Palmenalleen im botanischen Garten in Rio . . . Der Roggen wird geschnitten; die Sensen sind in ihrem friedlichen Kriege: im Takte, mit gewisser Würde und Ruhe, schneiden die scharfen Messer: es ist fürwahr keine leichte Arbeit . . . Greten Schmalstedt begegnet uns barfuß. Sie trägt eine Harke auf der rechten Schulter. Ich ruf ihr zu: »Na, Greten, Du hest wull de Strümp bi Din Brüdigam vergeten?« Sie lacht, daß auf dem dunkelbraunen Erntegesicht die weißen Zähne schimmern. Und nun zu allem der tiefblaue Sommerhimmel. Ein einziges kleines weißes Wölkchen, wie ein Inselchen, wie ein segelndes Inselchen, schwimmt hoch, hoch oben im Äthermeer. Und meine Füchse! wie sie, ein wenig trippelnd, ein wenig nervös, unruhig, ins Gebiß schäumend, in all dem Glast und Gleißen stolz, langsam durch die Redder ziehn. Bei schönen Punkten, wenn die Knickgitter den Wall unterbrechen, bleib ich zuweilen halten und schaue in die blaue Ferne: blaue Berge, Sehnsuchtberge . . .
Was nähert sich mir? Im Trabe, schon seh ich die Bewegungen der beiden Reiter, naht Tante Aurelie, die nie anders als à la d'Aumont fährt. Wir halten beide. Tantchen ist liebenswürdig; freut sich über meine Pferde. Sie bittet mich heute zu Tisch. Herr Missionar Frischwohl ist bei ihr aus Rem-plem-'nuga angekommen. Ei freilich werd ich zusagen. Denn ich höre zu gern den Berichten dieser kühnen, tapfern Männer zu. Mut, moralischer und physischer, steht bei mir so hoch. Im deutschen Schrifttum könnten wir ihn tüchtig gebrauchen. Tante Aurelie fängt auch wieder von ihrem Lieblingsthema an: den Strumpfbedürfnissen der Dalla-Dallas. Aber ich necke sie und sage ihr, wenn sie etwas rasch fahren ließe, würde sie noch Greten Schmalstedt – auf dem Lande kennt sich Alles, vornehm und gering – einholen, die mir auch an Strumpfmangel zu leiden schiene. Sie droht mir mit dem Finger und ruft: »Zu! zu!« Und der Wagen setzt sich in Bewegung. Ich sehe ihm eine Minute nach. Dies gleichmäßige englische Traben, der Hut meines Tantchens, die weißen Hosen der Reitknechte, die vier Pferdeköpfe, die beiden blanken Laternen. Dann beginne auch ich die unterbrochne Fahrt wieder. Vor mir liegt die Haide: es zeigt sich als meine Richtung, zwischen kleinen Kiefern, ein krummer, sanft ansteigender, dicksandiger, sich schlängelnder, menschenleerer, sich mehrfach durch eingeschobene Haidestücke gabelnder Weg . . . Ich hebe mich, wie in der Muschel stehend, im Siegeswagen, und plötzlich in all dem Licht, in all der Schönheit schrei ich laut: »ahoi! ahoi!« und schwenke meine Peitsche wie eine Fahne.
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