Detlev von Liliencron
Der Maecen
Detlev von Liliencron

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Lenau-Tag.

In der Wüste.
        Ists nicht eitel und vergebens,
Lieben Freunde saget an,
Durch den Wüstensand des Lebens
Sich zu wühlen eine Bahn?

Streut auch unser Fuß im Staube
Spuren aus von seinem Lauf,
Gleich, wie Geier nach dem Raube,
Kommt ein Sturm und frißt sie auf.

Einsam und in Karawanen
Treibt es nach dem Land der Ruh,
Und es flattern tausend Bahnen
Hier und dort der Ferne zu.

Wir auch wandern, vielverbündet
Nach der Rätselferne aus;
Doch der Strahl der Wüste zündet
Sehnsucht nach dem kühlen Haus.

Zündet heißer stets das Sehnen
In die Gruft aus diesem Land,
Wo, nie satt nach unsern Tränen,
Lechzt herauf der dürre Sand.

Herbstklage.
          Holder Lenz, du bist dahin!
Nirgends, nirgends darfst du bleiben!
Wo ich sah dein frohes Blühn,
Braust des Herbstes banges Treiben.

Wie der Wind so traurig fuhr
Durch den Strauch, als ob er weine;
Sterbeseufzer der Natur
Schauern durch die welken Haine.

Wieder ist, wie bald! wie bald!
Mir ein Jahr dahin geschwunden.
Fragend rauscht es aus dem Wald:
»Hat dein Herz sein Glück gefunden?«

Waldesrauschen, wunderbar
Hast du mir das Herz getroffen!
Treulich bringt ein jedes Jahr
Welkes Laub und welkes Hoffen.

Der Schmerz.
    Sie ließ sich überraschen
Von diesem Trauerwort,
Und ihre Tränen waschen
Die rote Schminke fort.

Das Leben täuscht uns lange,
Du zeigst, der Schminke bar,
Des Lebens welke Wange;
O Schmerz, wie bist du wahr!

Der einsame Trinker.
    »Ach, wer möchte einsam trinken,
Ohne Rede, Rundgesang,
Ohne an die Brust zu sinken
Einem Freund im Wonnedrang?«

Ich; – die Freunde sind zu selten;
Ohne Denken trinkt das Tier,
Und ich lad auf andern Welten
Lieber meine Gäste mir.

Wenn im Wein Gedanken quellen,
Wühlt ihr mir den Schlamm empor,
Wie des Ganges heil'ge Wellen
Trübt ein Elefantenchor.

Dionys im Vaterarme,
Mild den einzlen Mann empfing,
Der gekränket von dem Schwarme,
Nach Eleusis opfern ging.

Der Kranke im Garten.
        Noch eine Nachtigall, so spät?
Schon sind die Blüten langst verweht,
Der Sommer reift die Felder schon,
Und noch ein Frühlingston?

O Lenz, ward es dir offenbar,
Daß ich noch sterbe dieses Jahr?
Und riefest aus der Ferne du
Noch einen Gruß mir zu?

* * *

In der Kreisstadt hab ich einen Besuch zu erwidern. Der Junimorgen ist so glanzvoll und staubfrei, daß ich selbst fahren will. Ich also, in Zylinder und schwarzem Rock, sitze auf dem Bock. Ich nehme den Waldweg. Nie habe ich eine solche Freude gehabt im Selbstlenken wie in dieser Stunde. Ein mir sonst unbekanntes Gefühl des Hochmuts überfällt mich. Wie die spielenden, durch den die Zweige bewegenden Wind entstehenden und ewig wechselnden Sonnenlichter und Punkte und Pünktchen auf den vier Hellbraunen tanzen. Ein Gefühl unermeßlichen Glückes kommt über mich. Freiheit, Freiheit. Keinem bin ich verpflichtet; keinem, außer meinem Kaiser, bin ich Gehorsam schuldig. Ich kann tun und lassen, was ich will. Nur die Göttin der Vernunft darf mir mit dem Finger drohn: Du, Du, Du, halt ein auf der Fettweide!

»Herrenmoral!« Dahin gehört in diesem Augenblick meine gesättigte Lust; dahin gehört, gründlich materiell wie ich bin, jener immer, so zu sagen, unbewußt durch alle Gedanken sickernde Gaumenkitzel: Bei meiner Heimkehr esse ich frische Morcheln mit Krebsen, einen am Spieß gebratnen Hasen und trinke vorzüglichen Rotspohn.

Meine Fröhlichkeit geht auf meinen Fingern durch die Zügel auf die Pferde über. Ja, das tut sie. Die Pferde wissen, wer sie reitet und fährt . . . Und die Welt ist so schön, so ohne Kummer und Elend und Schmerz . . .

Schluchzt da einer? Schon seit einer Minute ist mirs wie im Ohr. Wer denn? Wo denn? Ich dreh meinen Kopf zurück: mein Diener sitzt da, wie er soll: er hat die Arme untergeschlagen. Unaufhörlich rollen ihm bei dieser eisernen Stellung die Tränen über die Backen. Mein neben ihm mitfahrendes Pinscherchen Cognac schaut ihn, so weit es die über die Augen fallenden Haare erlauben, von unten an.

»Nun, Heinrich, was ist denn?«

Und er, der sonst unter allen Umständen hochdeutsch geantwortet haben würde, erwidert mir plattdeutsch mit tränenerstickter Stimme: »Min Mudder is düsse Nacht storbn«. Dabei bleibt er mit untergeschlagnen Armen sitzen, in der Haltung, wie er hinter mir als gut eingeschulter Diener zu sitzen hat.

Und der kleine Pinscher Cognac hält noch immer den Kopf schief hinauf zu ihm. Nun wendet er ihn zu mir, dann wieder zu Heinrich und wedelt wie in Verlegenheit; er weiß gar nicht, was das bedeuten soll . . .

* * *


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