Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wer wußte je das Leben recht zu fassen, Wer hat die Hälfte nicht davon verloren Im Traum, im Fieber, im Gespräch mit Toren, In Liebesqual, in leerem Zeitverprassen. |
|
August Platen. |
Freie Kunst. | |
Im Reich der Schönheit und Gedanken Galt nie ein fremdes Machtgebot, Sie selbst nur geben sich die Schranken, Von anderm Einspruch unbedroht. |
|
Hermann Lingg. |
* * *
Fast erstickende Sommerhitze lieb ich; gar erst um die Mittagszeit. Als ich an einem brennenden Julitag um ein Uhr durch meine Knicks ging, hielt ich mit überhängenden Armen eine kurze Rast an einem Feldtor. »Schluplock« nennen wir ein solches Gitter. Mitten auf der Wiese lag, allein, ohne daß andres Vieh zu sehen war, mein dreijähriger, dunkelbrauner Stier Uranus. Die Bauern und Knechte rufen ihn: »de grote Urian«. Er schlief scheinbar. Plötzlich hörte ich, ohne daß er sich rührte, ein dumpfes Brummen von ihm her. Es klang wie das Grollen eines Erdbebens. Dies Grollen lief dicht über die Gräser zu mir. Er erhob sich schwerfällig und stampfte abwechselnd mit den Vorderhufen, kratzte Gras und Blumen aus. Dann bog er den Urnacken ein wenig zurück und begann ein fürchterliches Zorngebrüll. Nun legte er die Hörner auf mich ein. Ich empfahl mich »etwas plötzlich« und trat hinter den Knick zurück. Welch ein Bild der Kraft bot der tobende Stier.
Auf dem Heimwege fiel mir mein deutsches Vaterland ein. So liegt es: ruhig im Bewußtsein seiner Riesenmacht. Zeigt sich der Feind lungernd, gierig an den Grenzen, erhebt es sich, setzt die Hörner ein, und wehe . . . Daß Du gesegnet seist, mein Vaterland.. Wie bin ich stolz, ein Deutscher zu sein!
* * *
Poetentod. | |
Der Herbstwind rauscht; der Dichter liegt im Sterben, Die Blätterschatten fallen an der Wand; An seinem Lager knien die zarten Erben, Des Leibes Stirn ruht heiß auf seiner Hand. Mit dunklem Purpurwein, darin ertrunken »Die ich aus luft'gen Klängen aufgerichtet, Das keck und sicher seine Welt regierte, So löschet meines Herdes Weihrauchflamme Und was den Herd bescheidnen Schmuckes kränzten Daß meines Sinnes unbekannter Erbe Werft jenen Wust verblichner Schrift ins Feuer, Dann laßt des Gartens Zierde niedermähen, Mein Lied mag auf des Volkes Wegen klingen, Noch überläuft sein Angesicht, das reine, Und wie durch Alpendämmerung das Rauschen Sie ziehen aus, des Schweigenden Penaten, Voran, gesenkten Blicks, das Leid der Erde, |
Waldfrevel. | |
Seht den Schuft am Waldessaum Mit gewandten Sprüngen fliegend, Einen jungen Eschenbaum Auf den breiten Schultern wiegend! Hat die Axt, die er gestohlen, Vornen in den Stamm geschwungen, Weit noch hinter seinen Sohlen Kommt der Wipfel nachgesprungen. Wie er heimlich lacht und singt, Daß das Herz im Leibe springt! Und die Dirne kommt daher Wo ein kleiner Freudenquell Schätzchen, o du kommst mir just, Laß mich wägen all mein Gold, Nun verhüll die Herrlichkeit Gleich ist drauf die Dirn davon |
Abend auf Golgatha. | |
Eben die dornige Krone geneiget, verschied der Erlöser, Weißlich in dämmernder Luft glänzte die Schulter des Herrn; Siehe, da schwebte, vom tauigen Schimmer getobt die Phaläne Flatternd hernieder, zu ruhn dort, wo gelastet das Kreuz. Langsam schlug sie ein Weilchen die samtnen Flügel zusammen, Breitet sie auf und entschwand fern in die sinkende Nacht. Nicht ganz blieb verlassen ihr Schöpfer, den Pfeiler des Kreuzes Hielt umfangen das Weib, das er zur Mutter sich schuf. |
Winterabend. | |
Schneebleich lag eine Leiche und es trank Bei ihr der Totenwächter unverdrossen, Bis endlich ihm der Himmel aufgeschlossen Und er berauscht zu ihr aufs Lager sank. Von rotem Wein, den Becher voll und blank, Die trunken rote Sonne übergießt Von Purpur trieft der Erde Grabgewand. |
In der Stadt. | |
Wo sich drei Gassen kreuzen krumm und enge, Drei Züge wallen plötzlich sich entgegen Und schlingen sich, gehemmt auf ihren Wegen, Zu einem Knäul und lärmenden Gedränge. Die Wachtparad mit gellen Trommelschlägen, Verstummt sind Geiger, Pfaff und Trommelschläger, Dort oben, auf den Schultern schwarzer Träger |
Nachtfahrer. | |
Es wiegt die Nacht mit himmelweiten Schwingen Sich auf der Südsee blauen Wassergärten, Daraus zurück wie Silberlilien springen Die Sterne, die in tiefer Flut verklärten. Wie ein entschlummert Kind an Mutterbrüsten Ich wollt, es wär mein Herz so dicht umflossen Und schöne Menschen schlafen in den Büschen, Ein Blitz – ein Krach! – die stille Luft erzittert, Wach auf, wach auf, du stiller Menschengarten! Die Anker rasseln und die Segel sinken, Zuvorderst aus des Schiffes schwarzen Wänden |
Könnt ich doch jedem Deutschen meine Freude an Gottfried Keller übertragen.
* * *
Wie wir gute Gedichte lesen sollen? Vor allen Dingen müssen wir in Stimmung sein. Am besten bei verschlossenen Türen. Bequem sitzend oder liegend. Mit guten Zigarren versehn, wer Raucher ist. Durch nichts gestört. Und eigentlich nur eines zur Zeit: jedes Gedicht ist eine abgeschlossene Welt für sich. Nie mehr als zwei, drei, vier, fünf . . . wenn wir Genuß haben und mit- und nachempfinden wollen. Einen ganzen Band hintereinander zu lesen, ist vom Übel.
Wen ich für die größten lebenden Lyriker deutscher Zunge halte? Unbedingt Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer. Ich hätte beinahe hinzugesetzt: Arnold Böcklin.