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Körner:
(Mai 1734; anonym mit Huber, Minna und Dora Stock einige Geschenke sendend.)
Zu einer Zeit, da die Kunst sich immer mehr zur feilen Sklavin reicher und mächtiger Wollüstlinge herabwürdigt, tut es wohl, wenn ein großer Mann auftritt und zeigt, was der Mensch auch jetzt noch vermag. Der bessere Teil der Menschheit, den seines Zeitalters ekelte, der im Gewühl ausgearteter Geschöpfe nach Größe schmachtete, löscht seinen Durst, fühlt in sich einen Schwung, der ihn über seine Zeitgenossen erhebt, und Stärkung auf der mühevollsten Laufbahn nach einem würdigen Ziele. Dann möchte er gern seinem Wohltäter die Hand drücken, ihm in seinen Augen die Tränen der Freude und der Begeisterung sehen lassen – daß er auch ihn stärkte, wenn ihn etwa der Zweifel müde machte: ob seine Zeitgenossen wert wären, daß er für sie arbeitete. – Dies ist die Veranlassung, daß ich mich mit drei Personen, die insgesamt wert sind, Ihre Werte zu lesen, vereinigte, Ihnen zu danken und zu huldigen. Zur Probe, ob ich Sie verstanden habe, habe ich ein Lied von Ihnen zu komponieren versucht. ...
Wenn ich, obwohl in einem anderen Fache, als das Ihrige ist, werde gezeigt haben, daß auch ich zum Salze der Erde gehöre, dann sollen Sie meinen Namen wissen. Jetzt kann es zu nichts helfen.
*
Schiller:
(Mannheim, den 7. Dezember 84.)
Nimmermehr können Sie mir's verzeihen, meine Wertesten, daß ich auf Ihre freundschaftsvollen Briefe, auf Briefe, die so viel Enthusiasmus und Wohlwollen gegen mich atmeten und von den schätzbarsten Zeichen Ihrer Güte begleitet waren, sieben Monate schweigen konnte. Ich gestehe es Ihnen, daß ich den jetzigen Brief mit einer Schamröte niederschreibe, welche mich vor mir selbst demütigt, und daß ich meine Augen in diesem Moment wie ein Feiger vor Ihren Zeichnungen niederschlage, die über meinem Schreibtisch hangen und in dem Augenblick zu leben und mich anzuklagen scheinen. Gewiß, meine vortrefflichen Freunde und Freundinnen, die Beschämung und die Verlegenheit, welche ich gegenwärtig leide, ist Rache genug. Nehmen Sie keine andere mehr. Aber erlauben Sie mir nur einige Worte – nicht um diese unerhörte Nachlässigkeit zu entschuldigen, nur sie einigermaßen Ihnen begreiflich zu machen.
Ihre Briefe, die mich unbeschreiblich erfreuten und eine Stunde in meinem Leben auf das angenehmste aufgehellt haben, trafen mich in einer der traurigsten Stimmungen meines Herzens, worüber ich Ihnen in Briefen kein Licht geben kann. Meine damalige Gemütsverfassung war diejenige nicht, worin man sich solchen Menschen, wie ich Sie mir denke, gern zum erstenmal vors Auge bringt. Ihre schmeichelhafte Meinung von mir war freilich nur eine angenehme Illusion – aber dennoch war ich schwach genug, zu wünschen, daß sie nicht allzu schnell aufhören möchte. Darum, meine Teuersten, behielt ich mir die Antwort bis auf eine bessere Stunde vor – auf einen Besuch meines Genius, wenn ich einmal, in einer schöneren Laune meines Schicksals, schöneren Gefühlen würde geöffnet sein. Diese Schäferstunden blieben aus, und in einer traurigen Stufenreihe von Gram und Widerwärtigkeit vertrocknete mein Herz für Freundschaft und Freude. Unglückselige Zerstreuungen, deren Andenken mir in diesem Augenblicke noch Wunden schlägt, löschten diesen Vorsatz nach und nach in meinem harmvollen Herzen aus. Ein Zufall, ein wehmütiger Abend erinnert mich plötzlich wieder an Sie und mein Vergehen; ich eile an den Schreibtisch, Ihnen, meine Lieben, diese schändliche Vergessenheit abzubitten, die ich auf keine Weise aus meinem Herzen mir erklären kann. Wie empfindlich mußte Ihnen der Gedanke sein, einen Menschen geliebt zu haben, der fähig war, Ihre zuvorkommende Güte so wie ich zu beantworten! Wie mußten Sie sich eine Tat reuen lassen, die Sie an den Undankbarsten auf dem Erdboden verschwendeten! – Aber nein. Das letztere bin ich niemals gewesen und habe schlechterdings keine Anlage, es zu sein. Wenn Sie nur wenige Funken von der Wärme übrig behielten, die Sie damals gegen mich hegten, so fordere ich Sie auf, mein Herz auf die strengsten Proben zu setzen, und mich diese bisherige Nachlässigkeit auf alle Arten wiederersetzen zu lassen.
Und nun genug von einer Materie, wobei ich eine so nachteilige Rolle spiele.
Wenn ich Ihnen bekenne, daß Ihre Briefe und Geschenke das Angenehmste waren, was mir – vor und nach – in der ganzen Zeit meiner Schriftstellerei widerfahren ist, daß diese fröhliche Erscheinung mich für die mancherlei verdrießlichen Schicksale schadlos hielt, welche in der Jünglingsepoche meines Lebens mich verfolgten – daß, ich sage nicht zu viel, daß Sie, meine Teuersten, es sich zuzuschreiben haben, wenn ich die Verwünschung meines Dichterberufes, die mein widriges Verhängnis mir schon aus der Seele preßte, zurücknahm, und mich endlich wieder glücklich fühlte; – wenn ich Ihnen dieses sage, so weiß ich, daß Ihre gütigen Geständnisse gegen mich Sie nicht gereuen werden. Wenn solche Menschen, solche schöne SeelenHier begegnen wir zum erstenmal, bei so schönem Anlaß, diesem wichtigen Ausdruck der damaligen Ästhetik. L. den Dichter nicht belohnen, wer tut es denn?
Ich habe nicht ohne Grund gehofft, Sie dieses Jahr noch von Angesicht zu Angesicht zu sehen, weil es im Werke war, daß ich nach Berlin gehen wollte. Die Dazwischenkunft einiger Umstände macht diesen Vorsatz wenigstens für ein Jahr rückgängig; doch könnt' es kommen, daß ich auf die Jubilatemesse Leipzig besuchte. Welche süßen Momente, wenn ich Sie da treffe, und Ihre wirkliche Gegenwart auch sogar die geringste Freudenerinnerung an Ihre Bilder verdunkelt! – Minna und Dora werden es wohl geschehen lassen müssen, wenn sie mich bei meinen neueren poetischen Idealen über einem kleinen Diebstahl an ihren Umrissen ertappen sollten.
Ich weiß nicht, ob Sie, meine Wertesten, nach meinem vergangenen Betragen mich noch der Fortsetzung Ihres Wohlwollens und eines ferneren Briefwechsels würdig halten können, doch bitte ich Sie mit aller Wärme, es zu tun. Nur eine engere Bekanntschaft mit mir und meinem Wesen kann Ihnen vielleicht einige Schatten derjenigen Idee zurückgeben, die Sie einst von mir hegten und nunmehr unterdrückt haben werden. Ich habe wenig Freude des Lebens genossen, aber (das ist das Stolzeste, was ich über mich aussprechen kann) diese wenigen habe ich meinem Herzen zu danken.
Hier erhalten Sie auch etwas Neues von meiner Feder, die Ankündigung eines Journals. Auffallen mag es Ihnen immer, daß ich diese Rolle in der Welt spielen will, aber vielleicht söhnt die Sache selbst Sie wieder mit Ihrer Vorstellung aus. Überdem zwingt ja das deutsche Publikum seine Schriftsteller, nicht nach dem Zuge des Genius, sondern nach Spekulationen des Handels zu wählen. Ich werde dieser Thalia alle meine Kräfte hingeben, aber das leugne ich nicht, daß ich sie (wenn meine Verfassung mich über Kaufmannsrücksichten hinwegsetzte) in einer andern Sphäre würde beschäftigt haben.
Wenn ich nur in einigen Zeilen Ihrer Verzeihung gewiß worden bin, so soll diesem Brief auf das schleunigste ein zweiter folgen. Frauenzimmer sind sonst unversöhnlicher als wir, also muß ich den Pardon von solchen Händen unterschrieben lesen.
Mit unauslöschlicher Achtung der
Ihrige
Schiller.
*
Körner:
(Leipzig, 11. Januar 1785.)
Ihr Stillschweigen, edler Mann, war uns unerwartet, aber nicht unerklärlich. Menschen, die wir verehren und lieben, sind wir nicht gewohnt zu verdammen, solange ein Grund zu ihrer Entschuldigung übrigbleibt. Daß Sie unsere Briefe auf eine Art aufgenommen hätten, die Ihrer unwürdig gewesen wäre, hielten wir nicht für möglich. Jedes von uns erklärte sich das Außenbleiben Ihrer Antwort nach seiner eigenen Art; und jetzt freuen wir uns, daß unsere Ahnung Gewißheit geworden ist, daß wir den als Freund lieben können, den wir als Dichter verehrten.
Die erste Absicht unserer Briefe an Sie ist nunmehr erreicht. Wir wissen, daß unsere Äußerungen den Eindruck auf Sie gemacht haben, den wir wünschten, und nun könnten wir unseren Briefwechsel schließen. Soll er fortgesetzt werden, so müssen wir Freunde sein, sonst hat er für beide Teile in der Folge mehr Beschwerliches als Anziehendes. Wir wissen genug von Ihnen, um Ihnen nach Ihrem Briefe unsere ganze Freundschaft anzubieten; aber Sie kennen uns noch nicht genug. Also kommen Sie selbst so bald als möglich. Dann wird sich manches sagen lassen, was sich jetzt noch nicht schreiben läßt. Es schmerzt uns, daß ein Mann, der uns so teuer ist, Kummer zu haben scheint. Wir schmeicheln uns, ihn lindern zu können, und dies macht uns Ihre Freundschaft zum Bedürfnis.
Ihrer Thalia sehe ich mit Verlangen entgegen, aber es sollte mir weh tun, wenn Sie dadurch von dem abgehalten würden, was Ihre eigentliche Bestimmung zu sein scheint. Alles, was die Geschichte in Charakteren und Situationen Großes liefert und Shakespeare noch nicht erschöpft hat, wartet auf Ihren Pinsel. Dies ist gleichsam bestellte Arbeit. Wenn Sie hiervon von Zeit zu Zeit etwas liefern, dann mögen Sie übrigens im Genuß Ihrer eigenen Ideen schwelgen, mögen Ihrem Geist und Herzen Luft machen, – und Menschen, die Sie zu fassen vermögen, werden Sie auch für die Früchte Ihrer Erholungsstunden segnen, während daß Sie durch größere Werte, wie man sie von Ihnen zu erwarten berechtigt ist, zugleich die Forderungen Ihres Zeitalters und Ihres Vaterlandes befriedigen.
Leben Sie wohl. Unser gemeinschaftlicher Wunsch ist, Sie glücklich zu wissen. Möchten wir doch dadurch etwas dazu beitragen können, daß wir uns näher an Sie anschließen!
Der Ihrige
Körner.
*
Schiller:
(Mannheim, den 10. Februar 1785.)
Unterdessen, daß die halbe Stadt Mannheim sich im Schauspielhaus zusammendrängt, einem Auto da Fé über Natur und Dichtkunst – einer großen Opera – beizuwohnen und sich an den Verzuckungen dieser armen Delinquentinnen zu weiden, fliege ich zu Ihnen, meine Teuersten, und weiß, daß ich in diesem Augenblick der Glücklichere bin. Jetzt erst fange ich an, meine Phantasie, die unruhige Vagabundin, wieder liebzugewinnen, die mich aus dem traurigen Einerlei meines hiesigen Aufenthalts so freundschaftlich weg und zu Ihnen führt. Es ist kein Opfer, das ich Ihnen bringe, wenn die Erinnerung an Sie meinen ganzen Horizont um mich her zernichtet – es ist wirklicher Eigennutz, meine süßeste Erholung von meiner jetzigen freudenlosen Existenz, daß meine Seele um Sie schweben darf ...
Dieser Eingang, fürchte ich, wird einer Schwärmerei gleicher sehen als meiner wahren Empfindung, und doch ist er ganz, ganz Stimmung meines Gefühls. Für Sie, meine Besten, kann ich schlechterdings keine Schminke auftragen, diese armselige Zuflucht eines kalten Herzens kenne ich nicht. Seit Ihren letzten Briefen hat mich der Gedanke nicht mehr verlassen wollen: »Diese Menschen gehören dir, diesen Menschen gehörst du.« Urteilen Sie deswegen von meiner Freundschaft nicht zweideutiger, weil sie vielleicht die Miene der Übereilung trägt. Gewissen Menschen hat die Natur die langweilige Umzäunung der Mode niedergerissen. Edlere Seelen hängen an zarten Seilen zusammen, die nicht selten unzertrennlich und ewig halten. Große Tonkünstler kennen sich oft an den ersten Akkorden, große Maler an dem nachlässigsten Pinselstrich – edle Menschen sehr oft an einer einzigen Aufwallung. Doch vernünfteln möchte ich über meine Empfindungen nicht gern. Ihre Briefe – und wir waren Freunde. Für Sie spricht Ihr erster freiwilliger Schritt, und dann Ihre edle Toleranz gegen mein Schweigen – für mich spreche, wenn Sie wollen, Karl Moor an der Donau. Wäre dann aber auch das noch zu wenig, so könnten wir unsere fünf Köpfe zu Lavater tragen.
Wenn Sie mit einem Menschen vorlieb nehmen wollen, der große Dinge im Herzen herumgetragen und kleine getan hat; der bis jetzt nur aus seinen Torheiten schließen kann, daß die Natur ein eigenes Projekt mit ihm vorhatte; der in seiner Liebe schrecklich viel fordert und bis hierher noch nicht einmal weiß, wie viel er leisten kann; der aber etwas anderes mehr lieben kann als sich selbst, und keinen nagenderen Kummer hat, als daß er das so wenig ist, was er so gern sein möchte – wenn Ihnen ein Mensch wie dieser lieb und teuer werden kann, so ist unsere Freundschaft ewig, denn ich bin dieser Mensch. Vielleicht, daß Sie Schillern noch ebenso gut sind wie heute, wenn Ihre Achtung für den Dichter schon längst widerlegt sein wird.
Werden Sie nach diesem Geständnis vorbereitet sein, ein Zweites zu hören? O meine Besten, Ihre freiwillig mir entgegenkommende Liebe hat einen merkwürdigen Einfluß auf die wirkliche Lage meines Herzens gehabt. Ich habe einen so unglücklichen Hang zum Vergrößern, daß oft geringe Veranlassungen meine Hoffnung schwindelnd fortreihen, daß oft der kleinste Umstand mir ein Samenkorn von etwas Unendlichem wird. Dieses Nämliche fängt mir an mit Ihrer Freundschaft zu begegnen. Ihre liebevollen Geständnisse trafen mich in einer Epoche, wo ich das Bedürfnis eines Freundes lebhafter – – – – – – – – – – – – –
22. Februar.
als jemals fühlte. (Hier bin ich neulich durch einen unvermuteten Besuch unterbrochen worden, und diese zwölf Tage ist eine Revolution mit mir und in mir vorgegangen, die dem gegenwärtigen Briefe mehr Wichtigkeit gibt, als ich mir habe träumen lassen – die Epoche in meinem Leben macht.) Ich kann nicht mehr in Mannheim bleiben. In einer unnennbaren Bedrängnis meines Herzens schreibe ich Ihnen, meine Besten. Ich kann nicht mehr hier bleiben. Zwölf Tage habe ich's in meinem Herzen herumgetragen wie den Entschluß, aus der Welt zu gehen. Menschen, Verhältnisse, Erdreich und Himmel sind mir zuwider. Ich habe keine Seele hier, keine einzige, die die Leere meines Herzens füllte, keine Freundin, keinen Freund; und was mir vielleicht noch teuer sein könnte, davon scheiden mich Konvenienz und Situationen. [Frau von Kalb.] – – – Mit dem Theater hab' ich meinen Kontrakt aufgehoben; also die ökonomische Rücksicht meines hiesigen Aufenthalts bindet mich nicht mehr. Außerdem verlangt es meine gegenwärtige Konnexion mit dem guten Herzog von Weimar, daß ich selbst dahin gehe und persönlich für mich negotiiere, so armselig ich mich auch sonst bei solcherlei Geschäften benehme. Aber vor allem anderen lassen Sie mich's frei heraussagen, meine Teuersten, und lächeln Sie auch meinetwegen über meine Schwächen – ich muß Leipzig und Sie besuchen. O meine Seele dürstet nach neuer Nahrung – nach bessern Menschen – nach Freundschaft, Anhänglichkeit und Liebe. Ich muß zu Ihnen, muß in Ihrem nähern Umgang, in der innigsten Verkettung mit Ihnen mein eignes Herz wieder genießen lernen und mein ganzes Dasein in einen lebendigeren Schwung bringen. Meine poetische Ader stockt, wie mein Herz für meine bisherigen Zirkel vertrocknete. Sie müssen sie wieder erwärmen. Bei ihnen will ich, werd' ich alles doppelt, dreifach wieder sein, was ich ehemals gewesen bin, und mehr als das alles, o meine Besten, ich werde glücklich sein. Ich war's noch nie. Weinen Sie um mich, daß ich ein solches Geständnis tun muß. Ich war noch nicht glücklich, denn Ruhm und Bewunderung und die ganze übrige Begleitung der Schriftstellerei wägen auch nicht einen Moment auf, den Freundschaft und Liebe bereiten – das Herz darbt dabei.
Werden Sie mich wohl aufnehmen?
Sehen Sie – ich muß es Ihnen gerade heraussagen, ich habe zu Mannheim schon feierlich aufgekündigt und mich unwiderruflich erklärt, daß ich in 3 bis 4 Wochen abreise, nach Leipzig zu gehen. Etwas Großes, etwas unaussprechlich Angenehmes muß mir da aufgehoben sein; denn der Gedanke an meine Abreise macht mir Mannheim zu einem Kerker, und der hiesige Horizont liegt schwer und drückend auf mir, wie das Bewußtsein eines Mordes – Leipzig erscheint meinen Träumen und Ahndungen wie der rosigte Morgen jenseits den waldigten Hügeln. In meinem Leben erinnere ich mich keiner so innigen prophetischen Gewißheit, wie diese ist, daß ich in Leipzig glücklich sein werde. Ich traue auf diese sonderbare Ahndung, so wenig ich sonst auf Visionen halte. Etwas Freudiges wartet auf mich – doch warum Ahndung? Ich weiß ja, was auf mich wartet und wen ich da finde!
Ich sollte Ihnen so unendlich viel sagen, das Ihnen einen Aufschluß über den Paroxysmus von Freude geben könnte, der mich bei dieser Aussicht befällt. Bis hieher haben Schicksale meine Entwürfe gehemmt. Mein Herz und meine Musen mußten zu gleicher Zeit der Notwendigkeit unterliegen. Es braucht nichts als eine solche Revolution meines Schicksals, daß ich ein ganz anderer Mensch – daß ich anfange, Dichter zu werden.
Den Don Carlos, von dem Sie den l. Aufzug in der Thalia finden werden, bringe ich – in meinem Kopfe nämlich – zu Ihnen mit, in Ihrem Zirkel will ich froher und inniger in meine Laute greifen.
Der magische Nebel, in den das Gerücht gewöhnlich Schriftsteller einhüllt – Ihre glänzenden Ideale von mir, werden freilich ganz erstaunlich durch meine wirkliche Erscheinung verlieren. Sie werden einen ganz erbärmlichen Wundermann finden; aber gut bleiben Sie mir gewiß. Innige Freundschaft, Zusammenschmelzung aller Gefühle, gegenseitige Verehrung und Liebe, Verwechselung und gänzlicher Umtausch des persönlichen Interesses sollen unser Beieinandersein zu einem Eingriff in Elysium machen. Ich würde unglücklich sein, wenn meine reizende Hoffnung nicht eine ähnliche in Ihnen entflammte, wenn hier unsre Empfindungen nicht ebenso harmonisch zusammenflößen, als sie es sonst zu tun schienen.
Ich bin fest entschlossen, wenn die Umstände mich nur entfernt begünstigen, Leipzig zum Ziel meiner Existenz, zum beständigen Ort meines Aufenthalts zu machen. Ich hoffe, daß ich das zustande bringen kann; doch das weitere ist für diesen Brief zu weitläufig, – es sei auf mündliche Erklärungen aufgespart. Hinter die rätselhafte Decke der Zukunft kann der Mensch ohnehin nicht sehen. Ein Moment kann meinen jetzigen Entwürfen ja eine ganz besondere – glückliche – Richtung geben. »Gesegnet sei der Zufall (sagt Ferdinand v. Walther), er hat größere Taten getan als die klügelnde Vernunft, und wird besser bestehen an jenem Tag als der Witz aller Weisen.« – Alle schriftlichen Verbindungen, alle Träume der Phantasie – so ausschweifend sie oft sein mögen, sind doch immer nur bestandloses Schattenspiel gegen das Angesicht zu Angesicht. Ich fühle, wie teuer Sie mir jetzt schon sind, aber ich weiß gewiß, daß dieses warme Gefühl für Sie durch unsere persönlichen Erkennungen und Berührungen unendlich entflammt werden wird.
Ich habe unter den hiesigen Mädchen eine Minna und Dora gesucht, aber unser hiesiger Himmelsstrich versteht sich nicht auf solche Gesichter. Ich weiß nicht, was Sie dazu sagen werden – aber ich gestehe Ihnen, Ihre Bildnisse waren mir nicht neu, und doch schwöre ich Ihnen, daß ich mich auf kein ähnliches besinne – – ich würde der Eitelkeit nicht haben widerstehen können, Ihnen meine Zeichnung zu schicken, aber die größere Eitelkeit, daß vielleicht Dora mich zeichnen werde, hat mich zurückgehalten. Um's Himmels willen aber beurteilen Sie mich nicht nach einem Kupferstich, den man kürzlich von mir in die Welt gesetzt hat, – sonst können Sie zwar die Räuber, aber den Schiller nicht mehr begreifen; denn jener Kupferstich ist finster wie die Ewigkeit, und der Kupferstecher hat mir fünfzehn Jahre mehr auf die Rechnung gesetzt, als ich mich erinnere gelebt zu haben. – Die Brieftasche von Minna habe ich neulich in Darmstadt eingeweiht, den l. Akt des Carlos, den ich bei Hofe vorlas, darin aufzubewahren, und eine unvergleichliche Fürstin, die Frau Erbprinzessin, hat sie bewundert. Der Umstand ist Kleinigkeit; aber Dingen, worauf mein Herz einen Wert setzt, kann nichts so Geringes begegnen, das nicht merkwürdig für mich wäre.
So viel ich Ihrer Geduld auch durch diesen kolossalischen Brief zumute, so muß ich doch noch einmal auf das Vorige zurückkommen. Also es ist ausgemacht, daß ich in 3 bis 4 Wochen Mannheim verlasse. Ich gehe geradewegs nach Leipzig und (aus einigen hauptsächlichen Gründen) erst von da aus nach Weimar. Urteilen Sie nun, wie unerträglich mir die Stunden sein werden, die mich bis dahin noch zu Mannheim gefangen halten. Zum großen Glücke läßt mich die rheinische Thalia nicht zu Atem kommen. Unzählige Briefe liegen mir zur Beantwortung da, aber ich habe alle Laune verloren, bis ich in Leipzig bin – zuverlässig ist das Epoche meines Lebens.
Wie unaussprechlich viele Seligkeiten verspreche ich mir bei Ihnen, und wie sehr soll es mich beschäftigen, Ihrer Liebe, Ihrer Freundschaft und womöglich Ihres Enthusiasmus für mich wert zu bleiben. Schreiben Sie mir doch bald; nehmen Sie mich nicht zum Muster in unsern Korrespondenzen. Sobald als Sie entschlossen sind, mich aufzunehmen (oder abzuweisen?) – schreiben Sie mir. Ich bin immer der gewinnende Teil, weil ein Brief mir vierfach bezahlt wird; aber bei Ihnen will ich nicht gewinnen, darum mußte dieser Brief viermal so groß sein.
Auf einige andere Artikel schreibe ich morgen ganz gewiß an Hubern.
Leben Sie recht wohl, ewig geliebt von
Ihrem
Schiller.
*
Körner:
(Dresden, 3. März 1785.)
So haben sich denn also unsere Seelen trotz aller Entfernung gefunden – wir sind Freunde – und bald wird der erste Blick und Händedruck den Bund unserer Herzen versiegeln. – Arbeiten, die keinen Aufschub leiden, hindern mich, auf Ihren herrlichen Brief so viel zu antworten, als ich wollte, aber aufschieben konnte ich meine Antwort deswegen nicht. Sie müssen so bald als möglich auch von mir wissen, wie sehr ich mich nach dem Augenblicke sehne, da wir Sie mit offenen Armen empfangen werden. – Auch ich kenne den Durst nach Sympathie aus Erfahrung. Sie ahnen, daß der Ihrige bei uns gestillt werden wird, und wir sind stolz genug, zu glauben, daß diese Ahnung Sie nicht täuscht.
Jetzt, da Ihre Freundschaft an allem teilnimmt, was uns betrifft, noch etwas von dem, was wir waren – und sind. Ich liebte Minna vier Jahre lang, ohne es ihr und mir selbst zu gestehen. Jetzt ist es drei Jahre, daß ich mich ihr entdeckte. Wir kämpften seit dieser Zeit mit Schwierigkeiten, die fast unüberwindlich schienen – hatten des Kummers viel – waren genötigt, uns zu trennen, um uns unserem Ziele zu nähern. – Jetzt entwickelt sich alles zu unserem Vorteil – der Zeitpunkt, der uns auf immer vereinigt, ist nicht mehr entfernt – eine selige Zukunft wartet unser – Dora und Huber freuen sich mit uns, daß wir am Ziele sind. Dies ist die Stimmung, in der Sie uns finden werden – und nun bleiben Sie noch zurück, wenn Sie können!
Von ganzem Herzen
der Ihrige
Körner.
Am 1. Juli 1785 lernten sich die Freunde persönlich kennen. Und ihre Freundschaft – eine tätige Freundschaft im Sinne Emersons – dauerte nun bis in den Tod.
*
Körner:
(Dresden, 2. Mai 1785.)
In einer unaussprechlich seligen Stimmung setze ich mich hin, an meinen Schiller zu schreiben. Seit meinem Hiersein ist es die erste ruhige Stunde, in der ich mich ganz dem süßen Gedanken an meine jetzige Lage überlassen habe. Ein Brief von meiner Minna, der eben ankam, hat mein Gefühl noch erhöht. Jetzt fange ich zu leben an. Bisher habe ich nur vegetiert und zuweilen von künftigem Leben geträumt.
Mich verlangt nach interessanter Beschäftigung. Auf dem Punkte, wo ich stehe, wird mir der Genuß der größten Seligkeit verbittert, wenn ich mir bewußt bin, Zeit verschwendet zu haben, nicht etwas zu tun, wodurch man einen Teil seiner Schulden dem Glücke abträgt. Und da tut mir's so wohl, daß ich mich gegen einen Freund ergießen kann, der mich so ganz versteht, der mit echter Wärme an jeder begeisternden Idee teilnimmt, der mit mir empfindet, schwärmt, Pläne entwirft und Ideen zergliedert, sowie es der Gegenstand erfordert.
Um ganz glücklich, das heißt beim Genuß der angenehmsten Empfindungen mit mir selbst zufrieden zu sein, muß ich so viel Gutes um mich her gewirkt haben, als ich durch meine Kräfte und in meinen Verhältnissen zu wirken fähig bin. Und das werde ich, wenn ich meinen Schiller an meiner Seite habe. Einer wird den andern anfeuern, einer sich vor dem anderen schämen, wenn er im Streben nach dem höchsten Ideale erschlaffen sollte. Wir gehen auf verschiedenen Bahnen, aber einer sieht mit Freuden die Fortschritte des anderen.
Meine ersten jugendlichen Pläne gingen auf schriftstellerische Tätigkeit.Im folgenden haben wir nun den echten Körner: vielseitig gebildet, vieles anfassend, und doch nur als Charakter, nicht als Schriftsteller wirklich einheitlich und schöpferisch: ein prachtvoll mitarbeitender Freund von bedeutendem und gesundem Urteil. Er war drei Jahre älter als Schiller. Sein Sohn war bekanntlich unser feuriger Theodor Körner (geb. 1787) – ein in die Wirklichkeit übersetzter Max Piccolomini. L. Aber immer war mein Hang, mich dahin zu stellen, wo es gerade an Arbeitern fehlte. Die interessanteste Beschäftigung hatte für mich nichts Anziehendes mehr, sobald mir eine dringendere aufstieß. So flog ich von einer Gattung Wissenschaften zur anderen. Meine Schullehrer hatten mir eine große Verehrung für alte Literatur eingeprägt – ich beschloß, Autoren herauszugeben. Garves und Platners Vorträge erweckten in mir eine Neigung zur Spekulation, und: vitam impendere vero wurde mein Wahlspruch. Um diese Zeit mußte ich mich für eine der drei Fakultätswissenschaften bestimmen. Theologie würde mich gereizt haben, wenn nicht die Philosophie schon Zweifel in mir erregt hätte, wodurch mir die Sklaverei eines symbolischen Lehrbegriffs unerträglich geworden war. Die unangenehmen Situationen praktischer Ärzte verleideten mir die Medizin. Jurisprudenz blieb allein übrig. Ich wählte sie als Brotstudium und angebliche Beschäftigung, aber mir ekelte vor dem buntscheckigen Gewebe willkürlicher Sätze, die trotz ihrer Widersinnigkeit dem Gedächtnis eingeprägt werden mußten. Ich suchte philosophische Behandlung rechtlicher Gegenstände, Entwicklung allgemeiner Begriffe, pragmatische Geschichte von den Ursachen und Folgen einzelner Gesetze – und fand nirgends Befriedigung, als allenfalls bei Pütter im Staatsrechte; einem Fache, das ich gerade am wenigsten nach meinem Geschmacks fand, weil ich mich durch zwanzig armselige Streitfragen durchwinden mußte, um zu einer fruchtbaren Idee zu gelangen. Fruchtbarkeit war es auch, was ich in einigen Teilen der Philosophie vermißte, und ich warf mich in das Studium der Natur nebst Mathematik und ihren Anwendungen auf die Bedürfnisse und Gewerbe der Menschen. Es war etwas Herrliches in dem Gedanken, das Feld dieser Wissenschaften zu erweitern, um dadurch die Macht des Menschen über die ihn umgebenden Wesen zu vergrößern und ihm neue Quellen von Glückseligkeit zu eröffnen. Dies bestimmte besonders meine Beschäftigungen in Göttingen in den Jahren 76 und 77. Ich kam nach Leipzig zurück, sollte Doktor werden, und geriet dadurch auf einige philosophische Untersuchungen über das Naturrecht, die mich ziemlich lange interessierten. Nun kam die Gelegenheit, zu reisen. Sie kam plötzlich, und ich reiste unvorbereitet ohne besonderen Zweck. Ich hatte mir das Reisen überhaupt als etwas Wünschenswertes gedacht, und anfangs war mein Gedanke, so viel Vorteil davon zu ziehen wie möglich. Aber dazu war ich zu sehr Neuling in der Welt. Ich verweilte zu sehr bei einzelnen Gegenständen, die ich noch nicht gesehen und gehört hatte, und überließ mich zu sehr dabei meinem Hange zum Nachdenken, um einen großen Vorrat von Erfahrungen und Kenntnissen einzusammeln. Ich brütete oft noch über Bemerkungen, die die Ereignisse des vergangenen Tages veranlaßt hatten, wenn ich auf einen neuen Gegenstand meine Aufmerksamkeit richten sollte. So geschah es, daß ich zwar kein reichhaltiges Tagebuch von meinen Reisen mitbrachte, aber meinen Beobachtungsgeist hatte ich geschärft, meinen Geschmack mehr gebildet und besonders meine Begriffe über menschliche Fertigkeiten erweitert. – Ich werde soeben gestört – nächstens mehr!
Der Ihrige
Körner.
*
Schiller:
(Leipzig, den 7. Mai 85.)
Könnte meine herzliche Achtung für Sie, mein Bester, noch viel höhere Grade zählen, so hätte sie zuverlässig durch Ihren letzten Brief den höchsten erreicht. Ihr edles Herz lernte ich frühzeitig lieben, Ihren ausdauernden Mut, Ihre Entschlossenheit habe ich längst bewundert, jetzt aber verehre ich Ihren Geist. Ja, liebster Freund, verehren muß ich den Mann, der in einer Epoche, wo gewöhnlich die Glücklichen sich dem Genuß ihrer Wonne mit süßer, verführerischer Erschlappung dahingeben und den besten Teil ihres Daseins in einem berauschenden Traume verschwelgen, der in einer solchen Periode nach Taten dürstet, und – erlauben Sie mir Ihre eigenen Worte – darauf denkt, dem Glücke einen Teil seiner Schuld abzutragen. Es freut Sie, Teuerster, daß Sie an mir den Menschen fanden, dem sich so etwas anvertrauen und mitteilen läßt, und mich könnt' es stolz machen, daß Sie mich wert halten, die schönste und größte Seite Ihres Geistes mir zuzusprechen. Gewöhnlich hört die Anstrengung auf, wenn der Mensch am längsterflehten Ziele seiner Glückseligkeit landet, der Ehrgeiz und die Tatenbegierde ziehen sonst ihre Segel ein, wenn sie dem Hafen sich nähern – Sie, mein Wertester, spannen jetzt neuere und kühnere aus und fangen an, wo die Leidenschaften und Wünsche der anderen alltäglichen Menschen ein mutloses Anker werfen.
Glück zu also, Glück zu dem lieben Wanderer, der mich auf meiner romantischen Reise zur Wahrheit, zum Ruhme, zur Glückseligkeit so brüderlich und treulich begleiten will. Ich fühl' es jetzt an uns wirklich gemacht, was ich als Dichter nur ahndete. Verbrüderung der Geister ist der unfehlbarste Schlüssel zur Weisheit. Einzeln können wir nichts. Wenn auch der verwegene Flug unseres Denkens uns bis in die unbefahrensten, fernsten Himmelsstriche der Wahrheit geführt hat, so erschrecken wir mitten in dem entdeckten Klima über uns selbst und unsere tote Einsamkeit: »Fremdlinge in der ätherischen Zone, irren wir einsam umher und sehen mit tränenden Augen nach unserer nordischen Heimat zurück«. Dies lag aufgedeckt vor dem großen Meister der Natur, darum knüpfte er die denkenden Wesen durch die allmächtige Magnetkraft der Geselligkeit aneinander. Und was existiert im unermeßlichen Reich der Wahrheit, worüber Menschen wie wir, verbrüdert wie wir, nicht endlich Meister werden sollten? Freuen Sie sich, teurer Freund, daß unsere Freundschaft das Glück hatte, da anzufangen, wo die gewöhnlichen Bande unter den Menschen zerreißen. Fürchten Sie von nun an nichts mehr für ihre unsterbliche Dauer. Ihre Materialien sind die Grundtriebe der menschlichen Seele. Ihr Terrain ist die Ewigkeit und ihr non plus ultra die Gottheit.
Es würde mich traurig machen, Bester, wenn Sie in einer einzigen Anwandlung von Nüchternheit – in einer einzigen klügelnden Minute Ihres Lebens das, was ich jetzt gesagt habe, für Schwärmerei nehmen wollten. Es ist keine Schwärmerei – oder Schwärmerei ist wenigstens ein vorausgenossener Paroxysmus unsrer künftigen Größe, und ich vertausche einen solchen Augenblick für den höchsten Triumph der kalten Vernunft nicht. Aber dieser Brief ist auch nur für uns und die Verwandten unserer Empfindung.
Danken Sie dem Himmel für das beste Geschenk, das er Ihnen verleihen konnte, für dies glückliche Talent zur Begeisterung.Dies alles ist im Keim schon der ganze Schiller, auch durch Kant nicht wesenhaft verändert. L. Das Leben von tausend Menschen ist meistens nur Zirkulation der Säfte, Einsaugung durch die Wurzel, Destillation durch die Röhren und Ausdünstung durch die Blätter; das ist heute wie gestern, beginnt in einem wärmeren Apriltage und ist mit dem nämlichen Oktober zu Ende. Ich weine über diese organische Regelmäßigkeit des größten Teils in der denkenden Schöpfung, und den preise ich selig, dem es gegeben ward, der Mechanik seiner Natur nach Gefallen mitzuspielen und das Uhrwerk empfinden zu lassen, daß ein freier Geist seine Räder treibt. Man sagt von Newton, daß bei Gelegenheit eines fallenden Apfels das ungeheure System der Attraktion in seinem Gehirn aufdämmerte. Durch wie viel tausend Labyrinthe von Schlüssen würde sich ein gewöhnlicher Geist bis zu dieser Entdeckung haben durchkriechen müssen, wo das verwegene Genie durch einen Riesensprung sich am Ziele sah. Sehen Sie, bester Freund – unsere Seele ist für etwas Höheres da, als bloß den uniformen Takt der Maschine zu halten. Tausend Menschen gehen wie Taschenuhren, die die Materie aufzieht, oder, wenn Sie wollen, ihre Empfindungen und Ideen tröpfeln hydrostatisch wie das Blut durch seine Venen und Arterien, der Körper usurpiert sich eine traurige Diktatur über die Seele; aber sie kann ihre Rechte reklamieren, und das sind dann die Momente des Genius und der Begeisterung.
Das Bisherige, Freund, sollte keine Ausschweifung, keine Digression sein. Wir wollen durch eine dreifache Verbrüderung unsere Bahnen gehen, aber Enthusiasmus ist ja der erste Gewinn von unserem Bunde. Ich wollte Ihnen beweisen, wie viel Enthusiasmus bewirken kann – also wissen Sie nun auch, was unser Bündnis bewirken wird.
Über den Bau unserer Freundschaft habe ich tausend Ideen, deren ich entweder jetzt schon in Briefen oder bei unserem persönlichen Umgang in Dresden los zu werden gedenke. Kalte Philosophie muß die Gesetzgeberin unserer Freundschaft sein, aber ein warmes Herz und ein warmes Blut muß sie formen. Doch es ist unmöglich, daß ich Ihnen jetzt schon die unzähligen mir zuströmenden Gedanken darüber preisgeben kann, die nun erst in meinem Kopfe sich läutern und reinigen müssen. So viel ist gewiß, daß ich von Euch aufgefordert sein möchte, den Riß zu dem schönen, stolzen Gebäude einer Freundschaft zu machen, die vielleicht ohne Beispiel ist.
Ihre Wanderung durch die Wissenschaften, liebster Freund, die Sie mir so lebhaft beschrieben haben, darf Sie niemals gereuen. Es ist immerhin von entschiedenem Nutzen, wenn man in einem Felde zu Hause, und in den übrigen kein ganzer Fremdling ist. Sie haben Ihren Geist in verschiedenen Sphären des Denkens geübt und laufen nicht mehr Gefahr, sich pedantisch in Ihr Hauptfach hineinzugraben.
Meine jetzige Beschäftigung zu Gohlis wird die Thalia und der Carlos sein. Freilich, liebster Freund, wird das Vergnügen meiner jetzigen Existenz durch den perspektivischen Anblick des höhern Vergnügens, das mich in unserm engern Zirkel zu Dresden erwartet, um ein Großes gestört. Sie wissen ja, Lieber – es ist ja die allgemeine Quelle der menschlichen Klagen, daß ihnen die Hirngespinste der Zukunft den Genuß des Augenblicks rauben. Sobald wir beisammen sind, schneide ich meine Zeit in drei Teile. Einer gehört dem Dichter, der zweite dem Arzt, der dritte dem Menschen. Das ist freilich auch nur so eine Papierdistinktion, doch Sie verstehen mich ja.
Unsere lieben Mädchen sind nunmehr in Gohlis, und was mit Hubern indessen geschehen ist, werden Sie ja wohl von ihm selbst schon erfahren haben. Von Mannheim habe ich angenehme Nachrichten erhalten. Schreiben Sie mir bald wieder, liebster Freund, und lassen Sie uns wenigstens durch Briefe unsre jetzige Trennung hintergehen.
Schiller.
*
Körner:
(Dresden, 8. Mai 1785.)
Noch einen Nachtrag, lieber Schiller, zu meinem letzten Briefe. An einen Freund, der mich noch nicht ganz kennt, schreibe ich gern von mir selbst, damit er weiß, was er sich von mir zu versprechen hat, und ich des Redens darüber bei jedem einzelnen Falle überhoben sein kann. Mein Glaubensbekenntnis über Kunst habe ich noch abzulegen. Es steht nichts davon in meinem letzten Briefe.
Von meiner ersten Erziehung klebte mir lange Zeit der Gedanke an: der Künstler arbeite nur für sein und anderer Menschen Vergnügen.Man beachte das nun folgende Programm des Idealismus. L. Eltern und Lehrer hatten sich so viel Mühe gegeben, den Hang zum Vergnügen bei mir zu unterdrücken, es war ihnen gelungen durch eine Art von leidenschaftlicher, mönchsartiger Frömmigkeit mich so sehr zur Resignation zu gewöhnen, daß ich über jede Stunde, die ich ohne Vorwissen und Erlaubnis meiner Vorgesetzten mit irgend einer Ergötzlichkeit zugebracht hatte, Gewissensbisse fühlte, und nie zufrieden war, als wenn ich eine beschwerliche und unangenehme Arbeit vollendet hatte. Es fehlte mir nicht an Gefühl für dichterische und musikalische Schönheiten, aber ich erlaubte mir nicht, lange bei ihrem Genuß zu verweilen. Indessen entstand frühzeitig bei mir ein Ekel vor aller Mittelmäßigkeit in Werken der Kunst. Daher der Mangel an Trieb, selbst zu arbeiten. Ich fühlte, wie viel es mich Anstrengung kosten würde, um mich einigermaßen zu befriedigen. Von Natur bin ich zur Trägheit geneigt; es bedarf einen Sporn, um mich in Tätigkeit zu setzen. Und dieser fehlte hier. Der Gedanke von Pflicht vermochte alles über mich, aber Vergnügen zu empfinden und zu wirken, war für mich kein Ziel, das ich des Ringens wert gehalten hätte. Auch in der Folge, da ich schon freier und aufgeklärter dachte, hatte der Hang zu vielumfassender Wirksamkeit, verbunden mit dem Mangel an richtigen Begriffen über die erhabene Bestimmung der Kunst, mich bloß auf solche Beschäftigungen eingeschränkt, die ich für unentbehrliche hielt, um die dringendsten Bedürfnisse der Menschheit zu befriedigen. Nur spät entstand bei mir der Gedanke: daß Kunst nichts anderes ist als das Mittel, wodurch eine Seele besserer Art sich anderen versinnlicht, sie zu sich emporhebt, den Keim des Großen und Guten in ihnen erweckt, kurz alles veredelt, was sich ihr nähert. Daher jetzt meine unbegrenzte Verehrung des wahren Virtuosen [hier soviel wie Genie. L.] in jeder Art. Jetzt fehlt mir's nicht an Lust zu eigener Arbeit von dieser Gattung, aber an Hoffnung des Erfolges; nicht an leisen Ahnungen glücklicher Ideen, aber an Vermögen, sie darzustellen. Jeder große Künstler muß mit unumschränkter Macht über den Stoff herrschen, aus dem er seine Welten schafft, oder wodurch sich sein Genius verkörpert. Er spricht, so geschieht's, er gebeut, so steht es da. Wehe dem, der noch mit widerspenstigen Elementen zu kämpfen hat, wenn ihn eine begeisternde Idee durchglüht! – Hätte ich mich frühe der Musik ganz gewidmet, so würde ich etwas darin geleistet haben. Jetzt fühle ich zu sehr, was mir noch vom Studium darin fehlt, um das Ideal zu erreichen, wonach ich streben würde. Und nachholen läßt sich dies nicht, wenigstens nicht beiläufig. Wenn ich nur dahin noch komme, anderen einige noch unbetretene Bahnen zu öffnen, wenn es auch für mich selbst zu spät ist, sie voranzugehen! – Ruhig zu sein, am Ziele seiner Wünsche, Schiller neben sich – wer weiß, was dies alles noch aus mir machen kann! Wenigstens muß Schiller nicht zu sehr über mich emporragen, wenn uns ganz wohl beieinander sein soll.
Körner.
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(Dresden, 14. Mai 1785.)
Den wärmsten, brüderlichsten Händedruck für Ihren letzten, seelenvollen Brief, lieber Schiller! Fürchten Sie nicht meinen Hang zum Vernünfteln, er wird mich nie abhalten, mich dem lebhaftesten Gefühl ohne Zurückhaltung zu überlassen. Kalte Vernunft soll mir nie meine edelsten Freuden zerstören. Sie soll ihnen frönen vielmehr, mich gegen die Einwendungen einer schwindsüchtigen Klügelei dabei beruhigen. Licht und Wärme ist das höchste Ideal der Menschheit. Ich weiß wohl, daß eins das andere oft aufhebt. Aber beides im möglichsten Gleichgewicht zu halten, ist der vollkommenste Zustand, ein würdiges Ziel unserer Bestrebungen.
Das Sie in unseren Briefen ist mir zuwider. Wir sind Brüder durch Wahl, mehr, als wir es durch Geburt sein könnten. – Ich wünsche Dir Glück, Freund, daß Deine Tätigkeit ein bestimmtes Ziel hat. Mir fehlt's noch daran. Ich habe allerhand Pläne, aber überall muß ich erst sammeln, und dazu finde ich mich jetzt nicht aufgelegt. Verarbeiten möchte ich gern, was andere gesammelt hätten. Ich wüßte Beschäftigung für mehr als einen guten Kopf, der mir in die Hand arbeiten könnte. Aber ein guter Kopf läßt sich nicht so zum Handlanger anstellen, und ein anderer ist nicht zu brauchen. Ich werde also wohl selbst an die Arbeit müssen, entweder zur Geschichte der ausgearteten Kultur oder zur Simplifizierung des Jurisprudenz. Beides liegt mir sehr am Herzen. Auch Staatswissenschaftstheorie möchte ich gern simplifizieren. Je einfacher die Theorie und je leichter zu übersehen, desto mehr bleibt für den künftigen Geschäftsmann Zeit übrig, andere Seelenkräfte auszubilden, andere Kenntnisse einzusammeln, die in seiner Sphäre von Wichtigkeit sind. – Freilich habe ich noch einige ziemlich reife Ideen im Kopfe, die ich gern gleich jetzt in irgend einem Gewande dem Publikum vorlegen möchte, als: über die Mittel gegen Ausartung, über Künstlerverdienst usw. Letzteres könnte einen Aufsatz in die Thalia geben. Nur Schreiben wird mir so schwer. Ich habe noch gar nicht die Sprache genug in der Gewalt. Über dem Suchen nach dem Ausdruck, über dem Feilen an den Perioden verliere ich oft den Gedanken. Was soll ich tun, um diesen Mangel zu ersetzen? Ist es wirklich Übersetzen, was dazu hilft, so will ich mich gern dazu entschließen.
Lebe wohl, ich werde abgehalten. -
Körner
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Damit schließen wir diese Proben einer tätigen Freundschaft zwischen zwei geistig hochgestimmten Männern. Diese Briefwechsel (Schiller – Körner, Schiller – Goethe, Schiller – Lotte, Goethe – Frau von Stein usw.) sollten zum Grundbestand reiferer Bildung gehören. Sie sind in billigsten Ausgaben jetzt überall zu haben; ebenso wie Eckermanns Gespräche mit Goethe. Man mache sich keine Last daraus; man kann ja nach Lust und Liebe lesen; denn der Zweck ist, sich von diesem Geist anhauchen und anstecken zu lassen, zur Ausgestaltung des eigenen Wesens.