Friedrich Lienhard
Wege nach Weimar. Erster Band
Friedrich Lienhard

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Der Kern der Rassenfrage

Portrait: Arthur de Gobineau

Es ist der Grundgedanke großer Seelen, nicht zu zerbrechen.

Gobineau

Das Folgende ist ein Versuch, den ethischen Gehalt der Rassenfrage aus dem Gewirr des Haders und der Hypothesen herauszulösen und in eine rein geistige Sphäre emporzuheben. Der übrige Teil, der wissenschaftliche, mag nach wie vor in der Welt der Gegenständlichkeit verbleiben. Er ist eine Sache für sich.

*

Die Rasse großer Seelen

»Nichts stiftet so viel Gutes wie das Leid« – dieses Wort Gobineaus soll uns für die folgenden Betrachtungen eine weithin sichtbare Weisungstafel sein. »Jeder leidet, hat gelitten und wird leiden. Aber es ist der Grundgedanke großer Seelen: nicht zu zerbrechen.«

Großer Seelen ... Welches Land ist am reichsten zu nennen? Das Land, das möglichst viele gute, glückliche, große Wesen hervorbringt. »Großen Herzens und großen Geistes – großherzig – dies zu sein bedeutet in der Tat, groß im Leben dazustehen; und dies in zunehmender Weise zu werden, ist in der Tat ein Vorwärtskommen im Leben – im Leben selbst und nicht in seinen Äußerlichkeiten«; und sich wahrhaft fortentwickeln heißt: »mehr persönliche Seele« bekommen (Ruskin). Denselben Gedanken legten Carlyle und Emerson ihrem Denken zugrunde; sie übernahmen ihn von Weimar. »Die Welt wird durch die Wahrhaftigkeit guter Menschen erhalten; sie machen die Erde gesund und heilsam. Alle, die mit ihnen lebten, fanden das Leben froh und nahrhaft. Nur durch unsern Glauben an die Gemeinschaft mit solchen Menschen wird das Leben süß und durch sie erträglich; und wir richten es stets so ein, daß wir wirklich oder im Geiste mit denen leben, die größer sind als wir« (Emerson). Auch hier also ist der auslesende Gesichtspunkt rein seelischer und ethischer Art. Und der Altmeister (Wanderjahre I, 10) geht dieser schaffenden Kraft, die in großen Seelen wirkt, auf den Grund, sofern man überhaupt diesem Geheimnis nachspüren kann. In unsrem Innern ist diese Kraft des Nichtzerbrechens. Nach Goethe kann sich der Mensch nur dann im Unendlichen aufrecht erhalten, »wenn er alle geistigen Kräfte, die nach vielen Seiten hingezogen werden, in seinem Innersten, Tiefsten versammelt, wenn er sich fragt: ›Darfst du dich in der Mitte dieser ewig lebendigen Ordnung auch nur denken, sobald sich nicht gleichfalls in dir ein herrlich Bewegtes, um einen reinen Mittelpunkt kreisend, hervortut?‹ Und selbst wenn es dir schwer würde, diesen Mittelpunkt in deinem Busen aufzufinden, so würdest du ihn daran erkennen, daß eine wohlwollende, wohltätige Wirkung von ihm ausgeht und von ihm Zeugnis gibt.« Dieses Verlegen des Schwerpunktes auf den göttlichen Mittelpunkt in unsrer eigenen Brust: – es ist auch ein Kerngedanke Schillers und Kants; er geht durch den ganzen Platonismus; er ist schlicht und hoheitsvoll ausgesprochen in der Botschaft Christi.

Hier ist also der Weg zum Frieden.

Die Rasse großer Seelen – das ist der seelische Zustand, zu dem wir uns emporentwickeln müssen. Der auswählende Faktor, durch den die Zuchtwahl stattfindet, ist das Schicksal; wir werden gesiebt und gesichtet durch den Schmerz; die Art, wie wir uns zu den Widerständen der Welt stellen, ob wir geärgert oder geläutert, verkümmert oder veredelt daraus hervorgehen, gibt den Ausweis, ob wir Sklavenseelen oder Herrengeister sind. Nur durch geistige und sittliche Energie erkaufen wir uns den Eintritt in diese Geisterschaft hoher Seelen. Zerbrichst du oder wirst du gehässig, so hast du dir selbst deinen Standort angewiesen. Denn nur ein freies und reines Gemüt vermag die Mitglieder jenes Weltbundes in ihrer wahren und ganzen Schönheit überhaupt zu erschauen. Jeder befrage seine reinsten Stunden, seine Sonntagsstunden, ob dies Grundgesetz geistigen Werdens nicht richtig ist. Wir eignen uns wahrhaft erkennend nur das an, was unsrer eigenen Geistes- und Gewissensreife entspricht; das Höhere verschwimmt entweder oder wird ein Zerrbild; wir können jenen Zustand nicht nachfühlen, weil wir ihn noch nicht durchgemacht haben. Für den Reifenden jedoch werden der Zerrbilder immer weniger; denn er erkennt nun hinabschauend die Zusammenhänge, aus denen das Niedere sich webt und weben muß, er erkennt sie, weil er sich selbst durch jenes Gewöhnliche und Gemeine hindurchgerungen hat. Immer weniger wird er schelten, immer stiller wird er verstehen, aber nur dann, wenn unerbittliche Reinheit des eigenen Handelns und Denkens kraftvoll in ihm zunimmt und Klarheit in seine Innenwelt und in die Umwelt ausbreitet.

Dieses innere Licht, ausgestrahlt auf die Außendinge, ist der richtige Führer und Erklärer der Welt. So machen große und gute Menschen die beleuchtete und erwärmte Erde »gesund und heilsam«.

*

Ariertum oder Heldentum?

Und nun, von diesem gesicherten Standort aus, gleichsam zurückgezogen auf einen inneren Kreis, wollen wir versuchen, zu einer Frage der Peripherie, zur Rassenfrage, eine neue Stellung zu finden.

Was uns bei Gobineau anzieht, das ist die Empfindung, daß er zur Rasse der großen Seelen gehört. Bei der Beschäftigung mit seinem Wesen drängte sich mir nun immer unabweisbarer eine wichtige, umwälzende Ahnung auf: sind für diesen Edelmenschen und manchen andern Zeitgenossen die Schlagworte »Ariertum« oder »Germanentum« nicht am Ende nur Ermunterungsworte, nur Symbole, nur Fahnen? Sind diese Worte nicht aufgerichtet worden, um durch das Bewußtsein der Zugehörigkeit zu einer edlen Rasse das Edle in unsrer Seele zu stärken? Sind diese Worte nicht im Grunde magische Anrufe, die den uns ureingeborenen Seelenadel zum Erwachen bringen sollen? Kurz und gut: wenn ihr von Ariertum sprecht, meint ihr nicht eigentlich Heldentum?

Ich fürchte – nein, ich hoffe: so ist es. In einer Zeit des Skeptizismus, die alles Geistige aus der materiellen Welt zu »erklären« sucht, hat sich die Milieutheorie auch dieses feingewobenen Gegenstandes bemächtigt: des seelischen Adels. Eines Gegenstandes, der keiner Erklärung bedarf und keine Erklärung will, weil er aus einem Drang heraus ist und wirkt. Das Genie in uns, das unsren Organismus umfließende und durchdringende schöpferische Feuer, der sittliche Adel unsres Gewissens – sie sind erhaben über Erklärung und Rechtfertigung; sie sind darüber so erhaben wie Bosheit und Tücke, die einem logischen Beweise auch nicht zugänglich sind. Niemand kann es sich »erklären«, warum er es bei reifendem Menschentum für würdelos hält, ein Schacherer oder Wollüstling oder sonst irgend etwas aus der Welt der Triebe zu sein. In uns selbst, durch mannigfache Anreize von außen und Wandlungen des Innern geweckt, wirkt das Sittengebot. Alle großen Sittengebote – wie der Dekalog – sind nach genau denselben Urgesetzen entstanden, derselben inneren Ewigkeitsstimme folgend, die jeden einzelnen drängt, nicht mehr dem Trieb von unten, sondern mit starkem Entschluß dem Ruf von oben zu folgen. Dieser Ruf von oben – dies emporziehende Pfingstfeuer aus höheren Sphären, das in einem bestimmten Reifezustand einen bestimmten Menschen beruft und auswählt – ist eine Tatsache, erhaben über die Bodengesetze körperlicher Vererbung oder Anpassung. Diese können einer der mitwirkenden Faktoren sein, einen Menschen bereit und empfänglich zu stimmen; es gibt da sicherlich unterirdische Wurzelgeflechte. Aber wir vergessen, daß zu allem Wachstum zweierlei Kräfte gehören: der Drang von unten – und die Sonnenanstrahlung von oben. Diese letztere, dies leichte, fliegende, den Erdball elektrisch umzitternde Licht, dies herauslockende Geistesfeuer – wir haben es über all dem modern-wissenschaftlichen Graben in der Haut des Planeten unterschätzt. Sind wir denn aber nur Planetenknechte? Sind wir nicht vielmehr Söhne des Kosmos? Es ist doch wohl stark zu vermuten, daß es in Regionen des Geistes Strahlungen gibt, die uns durch keine Schaufel und kein Mikroskop erklärt werden. Wir sehen ein Aufleuchten, wir bemerken etliche Wirkungen, wir können diese Wirkungen ein Weilchen »wissenschaftlich« verfolgen, aber das Vorher und das Nachher, das Ganze der Lebensgeschichte des Geistes, ist uns auf dieser engen Insel der fünf Sinne unzugänglich.

Darum werde ich mich nicht verlocken lassen, diesen Zusammenhängen mit Hypothesen nachzujagen. Wir sollten von Kant und Goethe gelernt haben: uns tapfer und weise auf das Erreichbare zu beschränken, das Unerforschliche aber wie ein großes, offenes Meer uns umfluten zu lassen. Woher ich bin und was ich bin, weiß ich nur unvollkommen; wohl aber weiß ich, wie ich mich hier zu verhalten habe. Ich weiß es, weil es mir gesagt wird von einer inneren Stimme und bestätigt wird durch das Beispiel großer und guter Menschen, die gewissermaßen eine Symbolisierung und Ermunterung meines eigenen Dranges nach dem Lichte sind. Und so, gerufen von innen und außen, gehe ich festen Weg und verwandle mittels des aus mir ausgehenden Lichtes den trüben Chaoszustand der Welt in eine kosmische Harmonie. Diese täglich immer neu ausstrahlende Schöpferarbeit ist Sinn und Aufgabe unsres Erdenlebens.

Nun aber kommt uns da die Rassenforschung und wirft dieser zentral gefestigten Weltanschauung folgenden ablenkenden Einwand vor die körperlichen Füße: »Du entfaltest diese Weltanschauung der weisen Beschränkung nur deshalb, weil du Arier und Germane bist; das Ariertum in dir drängt dich zu solcher echt arischen Weltanschauung.« So steht z. B. in eines temperamentvollen Vorkämpfers (Grävell) Rassenbuch »Aryavarta« (Akademischer Verlag, Leipzig-Wien) zu lesen: »Der Arier ist der Held, der Mann der Urrasse. Arisch ist edel, vornehm, ritterlich, heldenhaft, treu und rein; unarisch ist der plebejische Geist, der Römergeist, das rohe Banausentum, die moralische Feigheit, die Genußsucht, die Ichsucht.« Und Driesmans nennt den Arier den »idealen«, den Nichtarier den »spekulativen« Menschentypus. Mein elsässischer Landsmann, der Graf von Leusse, setzt seinem Rassenbuch das herausfordernde Wort voraus: »La démocratie voilà l'ennemi!« Wobei er unter dem Begriff »Demokratie« offenbar die Summe alles Minderwertigen des Typus Mensch zusammenfaßt. Der Fachmann könnte aus Wilser, Ammon, Hentschel usw. denselben Grundzug feststellen: die Neigung nämlich, das Wort »Ariertum« zu einem Symbol alles Edlen zu vergeistigen; die unphilosophische Neigung, Begriffe der Ethnographie und Begriffe der Ethik als identisch zu benutzen; die verheißungsvolle Neigung, aus der Materie in den Geist emporzudringen und neue Sittengesetze eines erdfest gegründeten Idealismus aufzurichten. Hans von Wolzogen (in seiner neuesten Aufsatzsammlung »Aus deutscher Welt«, Berlin, Schwetschke) macht mit nur halbem Mut den schönen Versuch, die Grenzen der »Blutgeschichte« zu überschreiten und in die »Geistgeschichte« vorzudringen (vgl. Heroismus in der Rassenfrage, S. 112 ff.). Er spricht u. a. von Gobineaus Aufstieg vom theoretischen Rassenwerk zum dichterisch gestaltenden Renaissancewerk: »Aus der Blutgeschichte ist Geistesgeschichte geworden«, sagt er sehr wahr. Aber mit merkwürdiger Doppelfront fährt er dann fort: »Der Geist hat die Macht der Besinnung. Er kann durch alle Zeiten des Blutverderbens hindurch sich seines Zusammenhangs mit den reinen Wurzeln der Natur, deren Blüte er ist, als einer unertötet fruchtbaren Kraft bewußt bleiben oder wieder bewußt werden« – und plötzlich: »das Bewußtsein dieses Zusammenhanges verkörpert sich in Erscheinungen der großen Geisteskinder des Ariertums – – Des Altertums! Da haben wir wieder den Sprung! Den Sprung aus den sicheren Gebieten eines inneren Erlebnisses – in das unsichere Gebiet wissenschaftlicher Hypothese; aus einem Postulat des Gewissens – in eine Vermutung des Verstandes, aus dem Zentrum an die Peripherie, aus dem Geist in die Materie.

Und so sei es denn klar und deutlich ausgesprochen: ich halte dieses Hereintragen von Verständigungsworten der Rassenwissenschaft in den reingeistigen Sprachschatz der Ethik weder für segensreich noch für philosophisch haltbar. Es liegt hier für die Arier die Gefahr des Hochmutes versteckt, einfach abzugrenzen in »Hellenen« und »Barbaren«; auf die Nicht-Arier aber wirken diese Begrenzungsworte verbitternd, weil ausschließend aus einem so edlen, der ganzen Planetenbewohnerschaft offenstehenden Wettbewerb um die Rasse großer Seelen. Dies ist die ethische Seite. Philosophisch aber sollte es im Volke Kants unmöglich sein, Begriffe der geistigen Welt plötzlich mit Bezeichnungen aus der materiellen Welt zu vermischen, d. h. die Worte Ariertum und Heldentum sich einfach decken zu lassen. Der Held (und alles Große und Gute überhaupt) entsteht zwar unter Beihilfe der erziehenden Kollektiveigenschaften einer Rasse: – aber noch mehr entsteht er im Gegensatz zur Gesamtheit und unter Trennung von den Trieben der Masse. Denn Rasse als Ganzes und an sich ist Masse: Heldentum aber ist Besonderheit. Der Held zieht sich in sich selbst zurück und steigt durch die enge Pforte des »stilleren Selbst« (Schiller) einsam oder mit wenigen empor zur Gottheit. Jeder wahrhaft fromme, tapfere, gute Mensch ist ein Held: er läßt sich nicht aus seinem Zentrum aufscheuchen in die flatternden Triebe der Außenwelt und alles dessen, was man »Menge« nennt. Er hält die Verbindung mit der inner-ewigen Gottheit fest, mit dem »ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht«; er ist also in diesem wesentlichen Unterscheidungspunkt eben nicht Masse, nicht Rasse, nicht »Arier« oder »Unarier«, sondern ein vereinzelt ringender Mensch, eine Seele, ein auf diesem Planeten verkörperter und ans Licht emporringender ewiger Geist.

Dies sind meine Bedenken und dies mein Vorschlag einer nachgerade sehr notwendig gewordenen Grenzberichtigung.

Doch wir müssen diese wichtige Sache noch mehr »ins Enge bringen«.

Gobineau auf Djursholm

»Jeder hat sein Vaduz«, sagte Goethes Mutter lächelnd zu dem jungen Brentano, als ihr dieser erzählte, er hätte sich unter dem Namen Vaduz immer ein Märchenland vorgestellt. Das irdische Vaduz ist Hauptort des Fürstentums Liechtenstein in der nördlichen Schweiz und hat nicht viel über tausend Einwohner. Für den phantasievollen Jungen war es aber ein magischer Klang, der in seiner schaffenden Seele eine Reihe von zauberhaften Bildern erweckte. Ein Klang wie Mörikes Zauberland »Orplid«; wie das Feenland »Avalun« der keltischen Dichter; wie für den Mittelalterlichen Ritter der Wald »Brezilian«, dessen Urbild in der Bretagne lag; wie für den Artushelden der Berg »Monsalvat« mit dem »heiligen Gral«; wie für den germanischen Kämpfer »Walhall«; wie für die Klassiker »Hellas«: – und wie für die Leser dieser Blätter »Weimar«.

Diese Worte, die ich in Anführungsstriche setze, sind Vergeistigungen und Symbole. Sie lassen die örtliche Körperlichkeit hinter sich, sie steigen auf in eine rein geistige Höhe. Sie sind eine Widerspiegelung von Seelenzuständen und haben insofern außerordentliche Wirklichkeitsmacht. Das Wort »Kanaan« hat vierzig Jahre lang eine unruhige Wüstenschar zusammengehalten; der Kampf um das »heilige Grab« hat ganz Europa hingerissen unter die Herrschaft einer suggestiv wirkenden Idee. Jedes Genie, jeder Erfinder, jeder Entdecker und Eroberer hat sein Vaduz. Ja, jeder Kleinbürger hat sein Vaduz, bestände es auch nur in einem Landhäuschen, in einem Gärtchen, in einem Titel oder Orden. Solche Ziele und Ideale bedeuten den Extrakt und die Zusammenfassung des Wesens und der Wünsche eines Menschen. Sie sind das Geistige, das ihn innerlich führt, lockt, hinweghebt über die Materie. Es braucht nichts »Phantastisches« zu sein wie bei Dichternaturen: es kann auch der Idealname »Mutter« oder »Vater« diese adelnde, warnende Wirkung ausüben, oder Begriffsworte wie »Ehre« und »Menschenwürde«: – jeder hat sein Vaduz, das seine innere Welt beherrscht wie eine Festung die darunter liegende Stadt.

Das Vaduz des Grafen Gobineau war sein nordischer Ahnherr »Ottar Jarl« und die »weiße Rasse«.

Damit ist unsre Stellung zur Rassenfrage ausgesprochen. Es handelt sich nun darum, an einem zwingenden Beispiel dies ethisch-symbolische Vaduz nachzuweisen.

Dies Beispiel liefert uns Prof. Schemann (Gobineau-Vereinigung). Er hat der größeren Öffentlichkeit ein wertvolles Schriftchen zugänglich gemacht: »Eine Erinnerung an den Grafen Gobineau« (Stuttgart, Frommann). Darin erzählt der Verfasser, Philipp Fürst zu Eulenburg-Hertefeld, folgendes:

... »Er machte in dem ihm befreundeten Hause meiner Verwandten in Stockholm eine ›Visite‹, – aber es fiel mir die große Unbefangenheit des Fremden auf, den der Zwang dieser modernen Verkehrsform in keiner Weise zu berühren schien. Ich hatte, in Unterhaltung mit einem anderen Besucher begriffen, seinen Namen überhört. Eine oberflächliche Vorstellung hatte stattgefunden, und ich wußte nur, daß der lebhafte Mann ein Ausländer war, da er französisch in dem schwedischen Kreise sprach. Die allgemeine Unterhaltung hatte sich Italien zugewendet, und ich verglich einige Kunstwerke der hadrianischen Zeit mit der Epoche des Praxiteles – oberflächlich eine Bemerkung darüber hinwerfend. Zu meinem Erstaunen griff der Fremde meine Bemerkung lebhaft auf. Ich mußte motivieren, was ich behauptet hatte, und es entspann sich ein Gespräch, in dem ich alle Geisteskräfte anspannen mußte, um meine Ansichten vertreten zu können. Der Fremde mit seinen spärlichen grauen Locken und dem französischen Bärtchen hatte eine hohe, bedeutende Stirn und in Geist und Güte strahlende Augen. Er sprach wie ein Fachmann über die plastische Kunst, und doch trugen seine Worte nicht den Charakter der Gelehrsamkeit. Bisweilen schienen sie fast geistreich oberflächlich, ich möchte sagen spielend, und dann staunte ich vor der Schärfe, der Tiefe seiner Bemerkungen. Der innige Ausdruck, den sein klares Auge hierbei annahm, berührte mich ganz eigenartig sympathisch. Wer war der Mann, mit dem ich sprach? Ein Künstler? Ein Gelehrter? Ich wog es hin und her, ich kam nur zu dem einen Resultat, daß es ein Mensch reich an Geist und Gemüt war, dem mein Herz warm entgegenschlug ... Wie selten ist es uns modernen Menschen gegeben, innerhalb der gesellschaftlichen Form unseres Lebens den in unserem Herzen erklingenden Ton unbefangen widerklingen zu hören! ... Noch spüre ich den Nachklang der Freude, als er mir zum Abschied die Hand reichte: ›Sie bleiben eine Zeitlang hier? – Das freut mich! – Betrachten Sie mein Haus als das Ihre!‹ – Dann ging er. Ich konnte kaum erwarten, nach dem Namen dieses liebenswürdigsten aller Männer zu fragen, der mit seinem Kopf voll grauer Locken mir jünger erschien als ich mir selbst mit meinen 25 Jahren.

›Graf Gobineau, der französische Gesandte.‹

›Graf Gobineau?‹ – Ich hatte seinen Namen nie gehört«! ...

»Ein Mensch, reich an Geist und Gemüt« – das war es, was nach dem Gesetz der Sympathie den jungen Deutschen anzog, Seele zu Seele, noch ehe er den Namen verstanden. Die Bekanntschaft der aufeinandergestimmten Geister steigerte sich zur Freundschaft. Und Eulenburg begründet sein Erwarmen folgendermaßen:

»Unser modernes Geschlecht bedarf des Balsams, den der Verkehr mit solchen herzenswarmen Naturen bringt. Wir verdorren unter dem System. Die erwärmende Flamme des glühenden Geistes, die lodernd mit den Gluten des in Güte überströmenden Herzens zusammenschlägt, zündend, erquickend, aufrüttelnd – wo brennt sie? wo leuchtet sie uns? Sie ist eine Gabe des Himmels, die er uns selten spendet. Darum mögen wir jubeln, wenn sie uns glüht!«

Eine einwandfreie Begründung. Geist und Seele sind hier mit Licht und Wärme verglichen, dem schönsten Bild, das wir uns vom Geist formen können. Eulenburg sagt also ganz einfach, daß ihn das schöpferische Feuer in diesem elastischen Greise angesteckt habe.

Und nun zur Hauptsache! Eines Tages besuchten die Freunde die kleine Felsen-Insel Djursholm, »deren bunter Granit, von dunklem Moos sammetartig überwachsen, aus den blauen Fluten aufsteigt«: –

»Die Trümmer einer zyklopischen Mauer ragten auf der Höhe, und alte Tannen und Föhren klammerten sich um das mächtige Gestein. Wie ein Jüngling hatte Gobineau die Höhe erklommen. Da standen wir nun zusammen und schauten hinaus aus die blaue, weite Flut, aus der die Felseninseln allenthalben stiegen. ›Dies war Ottar Jarls Burg,‹ sagte er ernsthaft und voll Überzeugung, ›hier stamme ich her: ich fühle das!‹«

In diesen drei Worten liegt für uns der Schlüssel zu Gobineau.

»Ich fühle das« ... Auf der Höhe einer nordischen Felseninsel erblickt Gobineau Reste einer Mauer und weitum das harte, stahlblaue Nordlandsmeer. Da übermannt ihn an der Seite des gleichfalls hochgestimmten Komponisten der Skaldengesänge die Empfindung: »Hier ist deine Heimat!« Er fühlt sich zu Hause; die Natur entspricht seinem Seelenzustande; er erkennt das ihm verwandte Element. »Er?« Was denn in ihm? Sein Geschlecht, sein Stammbaum, der historisch-geographische Gobineau? Das »fühlt« man nicht, das wird nüchtern erforscht. Er aber ruft: »Ich fühle das!« Sein seelisch Wesen also fühlte sich in seinem Element; sein großes Empfinden fühlte sich gestimmt auf die große Landschaft. Wie im Spiegel erkannte der Weltwandrer: so sieht meine innere Welt aus, so herb und einsam, so auf Trümmern einer entarteten Gegenwart, so vom Meer der Ewigkeit umblaut, so hochlandstark! Und aus Verwechslung des Grundes dieser mächtigen und plötzlichen Stimmung ruft der Dichter des Rassenwerks aus: »Hier stand Ottar Jarls Burg!« Er hätte ebenso richtig rufen können: »Hier war die Urheimat der weißen Rasse!«

Damit scheint uns aus Gobineaus Rassenwerk etwas Neues herausgeholt. Gobineaus vielbändiges Rassenwerk ist seinem symbolischen Gehalt nach eine tragische Heldendichtung. Held ist die »weiße Rasse«, die durch Vermischung mit dunkleren Rassen untergeht. Diese weiße Rasse ist gleichsam das Göttliche in der Menschheit; es wird, sagt uns Gobineau, immer mehr entarten und schließlich ersterben. »Wir können uns nicht anmaßen, genau die Zahl der Jahrhunderte zu berechnen, die uns von dem sicheren Ende noch trennen. Indessen ist es doch nicht unmöglich, ein Ungefähres zu ahnen. Die arische Familie hatte zur Zeit, da Christus geboren wurde, aufgehört, ganz rein zu sein usw.« (folgt Berechnung auf etwa 14 000 Jahre). »Die betrübende Voraussicht ist nicht der Tod, es ist die Gewißheit, daß wir ihn nur entwürdigt erreichen werden, und vielleicht könnte selbst diese unsren Nachfahren vorbehaltene Schmach uns gleichgültig lassen, wenn wir nicht mit einem geheimen Schauder empfänden, daß die räuberische Hand des Geschickes schon auf uns gelegt ist.« So schließt in heroischem Pessimismus das großzügige Rassenwerk.

Dürfen wir uns nun diese Hypothese aneignen? Die Empfindungen heroischer Art, von denen sie ausgingen: – ja! Gobineau leidet unter der Degeneration – wir auch; Gobineau hat ein Ideal von Heldentum in sich, das er trotzig festhält – wir auch. Aber der Dichter projiziert nun auf die weiße Rasse hinaus, was sich mit Gewißheit (denn wir haben die Kontrolle in uns) nur von der weißen Seele behaupten läßt, falls sie sich mit dem Häßlichen der Welt vermischt. Falls: – aber wir wissen nichts darüber, ob so, wie Gobineau schildert, die weiße Rasse, wissen nichts darüber, ob so die weiße Seele wirklich auf diesem Stern zugrunde gehen wird. Beobachtung sagt uns nur, daß einzelne, daß Gruppen, Nationen und Rassen tatsächlich so untergehen – oder sollen wir trostreicher sagen übergehen in neue Rassen? Kann denn das Göttliche, das in ihnen verkörpert war, untergehen? Wohin soll es denn entweichen in diesem Weltall?

Anders klingt denn auch die »Renaissance« aus, und anders das letzte Werk des altersreifen Gobineau: das Rittergedicht »Amadis«.Der sechste Band der »Wege nach Weimar« bringt, zum erstenmal in Deutschland, eine ausführliche Beleuchtung dieser noch unübersetzten Heldendichtung. L. Wie schrieb er doch an Eulenburg? »Es ist der Grundgedanke großer Seelen, nicht zu zerbrechen!«

»C'est l'âme qui triomphe et triomphe à jamais.
Elle vit! Elle vient éclairer les sommets,
Et la terre et les cieux trésaillent d'allégresse« ...
(Die Seele ist's, die triumphiert für immer!
Sie lebt! Sie wirft ihr Licht auf alle Gipfel –
Und Erd' und Himmel beben vor Entzücken!)

Dieser Glaube ist unser »Vaduz«. Er ist wirklich und ist keine Hypothese: denn er erwächst aus heroischer Stimmung, die in sich bereits Ewigkeit fühlt und besitzt.

*

Und so wiederholen wir denn, was wir gleich zum Eingang gesagt haben, und womit wir unsere Betrachtung gleichsam einrahmen. In das Stoffhafte der Rassenforschung wollen wir nicht störend eindringen; wir haben hier das Geistige und Sittliche herausgeholt. Ob du Arier oder Unarier, Kelte oder Germane, Oberdeutscher oder Niederdeutscher, bürgerlich oder adlig, Irrwege oder Lichtpfade gegangen, körperlich bevorzugt oder benachteiligt bist: – alles das sind nur Materialien. Mit diesen günstigen oder ungünstigen Materialien schmiede dir deine Wielandsflügel und fliege nach Walhall!


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