Magnus Gottfried Lichtwer
Fabeln
Magnus Gottfried Lichtwer

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Phyllis und der Vogel.

            Es trug Damöt vor wenig Wochen
Zu Phyllis, seiner Schäferin,
Ein Thier, das er ihr längst versprochen,
Ein abgerichtet Vöglein hin.
Ach, sagte Phyllis, mein Damöt,
Es ist recht schön, kann es auch singen?
Ja, Kind, es singt, wie ein Poet;
Ich werde dir nichts Schlechtes bringen.

    Wie freundlich dankte sie Damöten!
Wer wünschte nicht, Damöt zu seyn?
Sie schloß den fliegenden Poeten
In ein vergittert Häuschen ein.
Sie knackt' ihm Hanf, sie gab ihm Brod,
Das sie zuvor in Milch erweichte;
Es hieß: der Vogel leidet Noth,
So oft sie ihm das Futter reichte.

    Der Vogel, dem dergleichen Fülle
Nie vor Gesicht gekommen war,
Genoß sein Futter in der Stille,
Und unterließ das Singen gar.
Ei, sagte Phyllis, sing' auch nun,
Sieh', was ich Gutes dir erzeiget.
Der Vogel hatte mehr zu thun;
Sie häuft sein Futter: nichts; er schweiget.

    Damöt, das will ich nicht vergessen,
Rief Phyllis, daß ich dir geglaubt,
Der Vogel hat so viel zu fressen,
Und singt doch nicht, ist das erlaubt?
Es blieb dabei. Hört, was geschah?
Die Schäferin ging einst zum Schmause,
Und blieb bis an den Abend da;
Der Vogel hungerte zu Hause.

    Ergötzt er gleich nicht Phyllis Ohren,
So war ihr doch der Vogel lieb,
Sie schätzt ihn dies Mal für verloren,
Ach! sagte sie, du armer Dieb,
Indem ich hier getanzt, wirst du
Vielleicht schon mit dem Tode ringen;
Sie eilt nach ihrer Wohnung zu,
Da höret sie den Vogel singen.

    So, rief nun Phyllis, kam dein Schweigen
Von allzu vielem Futter her?
Dein Futter soll im Preise steigen.
Sie hält ihn knapp. Nun singet er.
Der Vorsicht Weisheit zeiget sich
Vom kleinsten Wesen bis zum größten;
Sie nährt die Dichter kümmerlich,
Warum? dann singen sie am besten.


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