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Mr. Wrenn lag in seiner weißgestrichenen Zwischendeckkoje, unter dem Kopf ein kleines Kissen, und auf den aufgestellten Knien eine Schreibunterlage; er entwarf Propagandabriefe, die er der Kunstartikel- und Nouveautés-Gesellschaft vorlegen wollte, und unterbrach seine Arbeit hin und wieder, um der Liste von Büchern, mit deren Bemeisterung er fünf Minuten nach der Landung in New York beginnen wollte, einen weiteren Namen hinzuzufügen. Er dachte angestrengt über Marie Corelli nach. Morton hielt sehr viel von Miss Corelli; aber er wußte nicht, wie Istra Nash darüber dachte.
Viele Stunden hatte er an einem Brief für Istra gearbeitet, in dem er es ängstlich vermied, von so wenig gesellschaftsfähigen Angelegenheiten wie Zwischendeckpassagieren und Auswanderern zu sprechen. Er schrieb ihr, er sei ihr sehr dankbar für »alles, was Sie mich gelernt haben«, er habe Aengusmere sehr schön gefunden, obwohl er jetzt begriffen habe, »was Sie mit den Interessanten Menschen gemeint haben«, und seine New Yorker Adresse sei die Kunstartikelgesellschaft.
Er zerriß die zwei oder drei Seiten, auf denen er den alten Wehmutsschrei aller Liebhaber wiederholte, den Schrei, der unter großen Deodaren, auf Wikingerschiffen und auf den mondbeschienenen Höfen der Provence erschollen war, den Schrei, der Mr. Wrenn, wenn er auf dem Deck auf und ab ging, immer in den Ohren klang: »Ich brauche dich so sehr; ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr du mir fehlst; ich sehne mich so nach dir.« Denn weder der strahlende Aucassin noch der hagere Dante haben diesen Schrei in klarere oder edlere Worte gefaßt, als Mr. William Wrenn, Unser Herr Wrenn, es tat.
Ein Steward mit schäbigem Schnurrbart und braunen Hundeaugen kam herunter und blickte vorsichtig in Mr. Wrenns Koje. Er schätzte diesen Mr. Wrenn, der für ihn ein großer Gelehrter war, weil er gebundene Bücher las – eine Geschichte Englands und ein Bändchen mit Aufsätzen über berühmte englische Schriftsteller, das er in Liverpool antiquarisch gekauft hatte; er liebte ihn, weil er in ihm ein stets bereites Publikum für die in Fortsetzungen erzählte Geschichte von seiner Frau, der treulosen Mrs. Wargle, hatte, die in den Zeiten seiner Abwesenheit mit dem Katzenfutterhändler Foddle zusammenlebte und ihm, wenn er zu Hause war, Mahlzeiten kochte, deren Fleisch ganz bestimmt von eben diesem Katzenfutterhändler geliefert war. Jetzt blickte er Mr. Wrenn zärtlich an und verriet ihm flüsternd:
»Land ist in Sicht.«
»Land?«
Mr. Wrenn richtete sich so heftig auf, daß er sich den Kopf anschlug; er stopfte mit der rechten Hand seine Papiere unter das Kissen, während er mit der linken nach der Kante der Koje tastete. »Land!« schrie er seinen schlummernden Kabinengenossen zu, bevor er hinaussprang.
Das Promenadendeck des Zwischendecks glich mit seinem Eisengeländer, dem schwarzen Boden und den eisernen Aufbauten ganz einer finsteren, unfreundlichen, ölig-sauberen Maschinenhalle; die Außenseite sah nicht anders aus als ein großes Fabrikfenster. Aber er liebte das Deck, er war immer, wenn er nicht schuldbewußt an die Bücher dachte, die er zu lesen hatte, dort geblieben und hatte die naive gute Laune der Auswanderer und die dunkle Wogenpracht und Herrlichkeit des Meeres bewundert.
Jetzt lag ganz fern am Horizont, wie von einem Zauberbleistift gezeichnet, ein blauer Schatten; Land, sein Land, wo er der geliebte Kamerad vieler Freunde sein würde.
Vor sich hinträllernd, ging er zu dem Buffet, an dem Bier und Tabakwaren verkauft wurden, um noch ein Pfund Süßigkeiten für die Kinder der russischen Juden zu besorgen.
Die Kleinen wußten, daß er kam. »Fette Gauner«, sagte er lachend, streichelte ihnen die dunklen Bäckchen und tat so, als wäre er sehr erschrocken, wenn sie mit ihren kleinen Fäusten auf die Eisenwand des Schiffes einschlugen oder sich auf dem Boden herumwälzten. Auch die in Tücher gehüllten Mütter kannten ihn, und während er schüchtern sein Zuckerwerk verteilte, nickten die in einer Reihe stehenden jüdischen Väter mit ihren Bärten, wie ein Wald der Urzeit im Wind, und sprachen in einer fremden Zunge Segensworte.
Er lächelte zurück, gestikulierte und rief, in den verschiedensten Betonungen, um es deutlicher zu machen: »Land! Land!«
Dann aber zog er sich zurück, um allein zu sein, wenn er das Land der Verheißung erblickte, das er neu entdeckte – die Küste Long Islands; die grasbewachsenen Redouten Fort Wadsworths; die sich aneinanderdrängenden New Yorker Wolkenkratzer, die wie ein kolossaler ausgebrannter Wald im Dunst standen.
»Woolworth-Gebäude … Singer-Turm … Butterick-Gebäude«, murmelte er, während sie auf den Anlegeplatz zufuhren. »Das dort … Aber natürlich; ja, weiß Gott, dort zwischen dem Metropolitan-Turm und dem Times-Gebäude – ja, das ist das gute alte Bürohaus von der Kunstartikel-Gesellschaft! ›Um einen Dollar nach Albany‹ – das ist doch wirklich mal n Schild, das ist – guter alter Dollar! Zum Teufel mit den verfluchten Shillingen. Zu Hause! … Herrjeh! dort hab ich doch immer auf dem Kai geträumt! … Herr Gott! das alte Nest ist doch wirklich schön.«
Und all das wartete darauf, von ihm um der Freundschaft willen erobert zu werden.
Er ging in ein Hotel. Er hatte zwar die Absicht, wieder zu den Zapps zu ziehen, aber den ersten Tag wollte er sich natürlich nicht mit der Begrüßung alter Freunde verderben. Nein, so war es viel schöner, wie er da in seinem billigen Hotel in der Siebenten Avenue an einem Fenster stand und auf die »guten alten Amerikaner« heruntersah – auf die Deutschen, Iren, Italiener und Juden. Er ging zum Nickelorion und drückte dem Billeteur, dem Mann mit den Messingknöpfen, die Hand. »Na, wie gehts denn? Was macht die alte Kiste? … Bin ein paar Monate weg gewesen.«
»Alles fein und blendend! Weg gewesen, ja? Na, ist wieder schön, im alten Nest zu sein, was? Sommerhotel?«
»Ha?«
»Aber, Sie sind doch der Kellner von Pat Maloney, nicht?«
Am nächsten Vormittag entschloß sich Mr. Wrenn, zu der Kunstartikel- und Nouveautés-Gesellschaft zu gehen. Er wollte die Neckereien, auf die er gefaßt sein mußte, weil er so kurze Zeit fortgeblieben war, so rasch wie möglich hinter sich haben. Das Lehrmädchen, das Prospekte adressierte, schien überrascht zu sein, als er vom Fahrstuhl hereinkam, und errötete wie immer schüchtern und dankbar dafür, daß die Herren des Büros ihr erlaubten, zu existieren und jede Woche sechs Dollar fortzutragen. Dann kam Rabin, einer der Reisevertreter, in den Vorraum gelaufen.
»Nanu, hal–loh Wrenn! Ich wollt gar nicht glauben, daß Sies sind. Schon zurück? Ich dachte, Sie wollen nach Europa.«
»Eben zurück gekommen. Ich konnts ohne Sie nicht aushalten, alter Gauner!«
»Na, Sie scheinen aber im alten Land recht gut gelernt zu haben, wie man keine Antwort schuldig bleibt, was? Kommen Sie zu uns zurück? Also, auf Wiedersehen. Freut mich, daß Sie wieder da sind.«
Er war nicht gerade begeistert davon, daß er Rabin sah; immerhin, er gehörte mit zur guten alten Kunstartikel-Gesellschaft, dem einzigen Ort auf der ganzen Welt, dessen er immer sicher sein konnte, dem einzigen Ort, wo man ihn immer brauchte.
Er hatte geistesabwesend auf die Mustertische geblickt und neue Nouveautés bemerkt. Das Lehrmädchen, das ihn jetzt wie einen Fremden behandelte, fragte: »Wen wünschen Sie zu sprechen, Mr. Wrenn?«
»Mr. Guilfogle natürlich.«
»Er ist zwar beschäftigt, aber wenn Sie Platz nehmen wollen, werden Sie in paar Minuten mit ihm sprechen können, glaub ich.«
Während Mr. Wrenn auf der Besucherbank sitzen mußte, kam er sich vor wie der verlorene Sohn, für den jedoch kein Kalb geschlachtet war; aber er freute sich schon auf die köstliche Überraschung, die Mr. Mortimer R. Guilfogle erwartete. Er hielt Ausschau nach Charley Carpenter. Wenn Charley nicht in den Vorraum käme, würde er in die Buchhaltung gehen und mit ihm darüber reden, wie – –
»Mr. Guilfogle will Sie jetzt sprechen«, teilte ihm das Lehrmädchen mit.
Als er in das Büro des Direktors kam, machte Mr. Guilfogle eine großartige Sache daraus, ihn höchst überrascht und erstaunt zu mustern.
»Nanu, nanu, Wrenn! So rasch zurück? Ich dachte, Sie würden recht lang wegbleiben.«
»Ich konnts nicht gut ohne das Büro aushalten, Mr. Guilfogle«, antwortete er verlegen lächelnd.
»Wars schön?«
»Ja, blendend.«
»Wieso sind Sie so rasch wieder zurück?«
»Ach, ich wollte – – Wissen Sie, Mr. Guilfogle, ich wollt wirklich wieder ins Büro kommen. Ich bin schrecklich froh, daß ich Sie wiederseh.«
»Freut mich, Sie zu sehen. Na, wo waren Sie? Ich hab die Karte bekommen, die Sie mir aus Chesterton geschickt haben, mit dem Bild von der alten Kirche drauf.«
»Also, ich war in Liverpool und in Oxford und London und – ja – in Kew und Ealing und – – Und ich hab ne Wanderung durch Essex und Suffolk gemacht – ganz durch – zu Fuß. Aengusmere und lauter sone Orte.«
»Einen Augenblick. (Na, Rabin, was gibts? Aber natürlich. Das hab ich Ihnen mindestens schon fünfmal gesagt. Ja, sag ich – dazu hab ich doch die ganzen Muster herrichten lassen. Sie sollten wirklich besser aufpassen, hören Sie?) In London waren Sie, ja, Wrenn? Sagen Sie, haben Sie irgend was von Nouveautés gesehen, was wir kopieren könnten?«
»Nein, leider gar nichts, Mr. Guilfogle. Tut mir schrecklich leid. Ich hab überall rumgestöbert, hab aber nirgends was finden können, was wir brauchen könnten. Ich meine, ich hab nirgends was finden können, was auch nur halbwegs an unsere Sachen rangereicht hätte. Die Engländer sind ziemlich schwerfällig.«
»So, war nichts da? Na, und was haben Sie jetzt für Pläne?«
»Ja – äh – ich dachte eben – – Wirklich Mr. Guilfogle, ich würde gern auf meine alte Stellung zurück. Sie erinnern sich doch – es war ja verabredet – –«
»Leider ist aber im Augenblick nichts zu machen, Wrenn. Absolut nichts. Natürlich kann ich nicht wissen, wies wird, und Sie werden wohl am besten immer in Kontakt mit uns bleiben, aber wir sind grade jetzt ziemlich voll. Jake macht sich besser, als wir erwartet haben. Er lernt – –«
Von allen lobenden Worten über Jake hörte Mr. Wrenn nicht ein einziges.
Er sollte seine Stellung nicht wieder bekommen? Er setzte sich und stammelte:
»Herrjeh! daran hab ich gar nicht gedacht. Ich hab mich eigentlich ziemlich fest auf die Kunstartikel-Gesellschaft verlassen, Mr. Guilfogle.«
»Ja, ich hab Ihnen doch gleich gesagt, daß es eine Dummheit von Ihnen war, zu gehen. Ich hab Sie gewarnt.«
Er stimmte verlegen und traurig zu: »Ja, das ist richtig; ich weiß. Aber – äh – na ja – –«
»Tut mir leid, Wrenn. Aber so gehts eben im Geschäft. Wenn man rumbummelt – – Auf einem Stein, der rumrollt, setzt sich kein Moos an. Na, lassen Sie den Kopf nicht hängen! Es ist ja nicht ganz ausgeschlossen, daß Sie vielleicht in – –«
»Tr–r–r–r«, sagte das Telephon.
Mr. Guilfogle rief hinein: »Halloh! Ja, ich bins. Was haben Sie denn gemeint, wers ist? Die Katze? Ja. Klar. Nein. Gut, morgen wahrscheinlich. Gemacht. Auf Wiedersehen.«
Dann warf er einen Blick auf seine Uhr und sah Mr. Wrenn ungeduldig an.
»Sagen Sie, Mr. Guilfogle, Sie meinen, s wird also – wann wirds denn wahrscheinlich ne Möglichkeit geben?«
»Ja, woher soll ich das wissen, mein Junge? Wir werden Sie reinnehmen, sobald wir können – Sie sind kein schlechter Buchhalter; das heißt, Sie würden was taugen, wenn Sie etwas sorgfältiger wären. Übrigens, es ist Ihnen natürlich klar, daß es uns allerhand Scherereien machen wird, wenn wir versuchen, Sie wieder reinzunehmen, und daß wir deshalb erwarten, daß Sie nicht mit anderen Firmen rumpoussieren und sich wo anders um eine Stellung umsehen. Ist Ihnen das klar?«
»Aber ja, Mr. Guilfogle!«
»Gut. Wir wissen recht gut, was wir an Ihrer Arbeit haben, aber Sie können natürlich nicht von uns erwarten, daß wir eine von unseren Kräften entlassen, bloß weil Sie die Freundlichkeit haben, zurückzukommen, wann es Ihnen paßt … Nach Europa fahren und ne gute Stellung aufgeben! … Auf den Kontinent sind Sie nicht gekommen, oder doch?«
»Nein, ich – –«
»Na schön … Ach, sagen Sie, wie ist das denn mit dem Essen in London? Billiger als hier? Meine Frau hat mir erst heute morgen gesagt, wenn die hohen Lebenskosten noch weitersteigen, werden wir überhaupt aufhören müssen zu essen.«
»Ja, ne ganze Kleinigkeit ist es billiger. Guten Tee kriegt man für vier und sechs Cent die Tasse. Kleider sind auch billiger. Aber ich mach mir nicht viel aus den Engländern, obwohls alles mögliche Nette dort gibt … Hören Sie, Mr. Guilfogle, Sie wissen ja, daß ich ne Kleinigkeit geerbt hab und deshalb bißchen warten kann. Wenn Sie also so freundlich sein wollen und an mich denken, wenn sich eine Möglichkeit – –«
»Hab ich Ihnen denn nicht gesagt, daß ich an Sie denken werd? Suchen Sie mich heut in einer Woche auf. Und lassen Sie Ihre Adresse bei Rosie. Ich weiß allerdings nicht, obs uns möglich sein wird, Ihnen gleich Ihr altes Gehalt zu zahlen, selbst wenn wir Sie wieder reinnehmen können. Die Saison war sehr flau. Aber ich werd für Sie tun, was ich kann. Kommen Sie ungefähr in ner Woche zu mir. Guten Tag.«
Rabin, der Reisevertreter, lauerte Mr. Wrenn im Korridor auf.
»Sie sehen nicht grade munter aus, Wrenn. Der alte Gallenvogel hat Ihnen wohl zugesetzt. Hören Sie, ich hätt Ihnen das vorher sagen sollen. Habs aber vergessen. Der alte Gauner hat schon die ganze Zeit vorgehabt, Ihnen eins auszuwischen. So ungefähr vor zwei Wochen hab ich mit ihm ein paar Cocktails bei Mouquin getrunken. Sie wissen ja, daß er immer nach ein paar Schlucken zu reden anfängt. Na, er hat so rumgequatscht – ich hab gesagt, daß Sie ne tüchtige Kraft sind, und daß ich hoffe, s geht Ihnen gut – und da hat er gesagt: ›Ja‹, hat er gesagt, ›er ist wirklich ne tüchtige Kraft, aber mit der Reise hat er sich nicht grade genützt. Jetzt hab ich ihn in der Hand‹, hat er zu mir gesagt. ›Ich hab sonen Riecher, daß er in drei bis vier Monaten wieder da sein wird‹, hat er zu mir gesagt. ›Und meinen Sie, er braucht bloß reinzukommen und kriegt schon, was er will? Keine Rede. Ich werd ihn einen Monat warten lassen, bevor ich ihm seine Stellung wieder geb, und dann passen Sie auf, Rabin‹, hat er zu mir gesagt, ›Sie werden sehen, daß er glücklich und zufrieden sein wird, wenn er überhaupt wieder eingestellt wird, bei weniger Gehalt als vorher, und dann wird er auch vernünftig genug sein, nicht wieder Dummheiten zu machen und davon zu laufen. Und die Reise wird ihm auch gutgetan haben – er wird besser arbeiten – Urlaub auf seine eigenen Kosten – spart uns ne Menge Geld. Ich sage Ihnen, Rabin‹, hat er zu mir gesagt, ›wenn einer von euch glaubt, er kann ganz einfach von der Firma oder von mir was rausholen, dann soll ers nur probieren, mehr will ich nicht sagen.‹ Ja, mein Lieber, das hat mir der alte Gauner gesagt. Sie müssen scharf aufpassen, daß er Sie nicht reinlegt.«
»Ja, das will ich auch; ich werd schon – –«
»Hat er Ihnen schon sone Märchengeschichte erzählt?«
»Ja, so was ähnliches. Hören Sie, ich danke Ihnen auch, ich bin Ihnen kolossal verpflichtet – –«
»Hören Sie, um Gottes willen, er darf auf keinen Fall erfahren, daß ich Ihnen das erzählt hab.«
»Nein, nein, Sie können ganz ruhig sein.«
Sie trennten sich. So sehr Mr. Wrenn sich auch auf das Wiedersehen mit seinem Kameraden Charley Carpenter freute – er ging doch langsam und nicht gut gelaunt zur Buchhaltung, um Charley von Guilfogles Schlechtigkeit zu erzählen. Der Hauptbuchhalter schüttelte bei Mr. Wrenns Frage den Kopf:
»Charley ist nicht mehr hier.«
»Nicht hier?«
»Nein. Er hat ziemlich übel zu saufen angefangen, und einmal, so ungefähr vor drei Wochen, wie er einen ganz Bösen sitzen gehabt hat, da hat er Guilfogle gesagt, was er über ihn denkt, und da hat Guilfogle ihn natürlich an die Luft gesetzt.
»Ach, das ist aber wirklich schlimm. Sagen Sie, wissen Sie seine Adresse, ja?«
»– – Osten, Hundertundachtzehnte … Na, freut mich, daß Sie wieder hier sind, Wrenn. Ich dachte allerdings, Sie werden länger fortbleiben, aber ich freu mich immer, Sie zu sehen. Kommen Sie wieder zu uns?«
»Ich weiß noch nicht«, antwortete Mr. Wrenn ein wenig hochmütig; dann drückte er dem Buchhalter warm die Hand, um zu zeigen, daß er nichts gegen ihn persönlich habe.
Als er in der Hochbahn saß, starrte er ziemlich lange ein Plakat an, ohne es zu sehen … Sollte er überhaupt zur Kunstartikel-Gesellschaft zurück?
Ja. Er würde es tun. So konnte er am besten anfangen, sich Freunde zu erwerben. Aber er würde »unserem Freund Guilfogle schon eins auswischen«, versicherte er sich, das Kinn vorstoßend wie der große Bill Wrenn. Jetzt wußte er ja, worauf Guilfogle aus war; er würde diesem feinen Herrn schon zeigen, daß er sich auf das Spiel verstand. Er würde das niedrigere Gehalt annehmen und so tun, als ob er eingeschüchtert wäre, aber sobald er einmal Gelegenheit hatte – –
Er verkündete nicht einmal sich selbst, was für schreckliche Dinge er dann tun würde. Aber als er aus der Hochbahn ausstieg, schüttelte er die geballten Fäuste in seinen Rocktaschen und sagte etliche Male:
»Wenn ich mal die Gelegenheit hab – wenn ich sie erst hab – –«
Die Mietskaserne, in der Charley Carpenter wohnte, war eines der vielen Preßziegelgebäude, die nach einem und demselben Modell gebaut zu sein scheinen. Es roch nach Wäsche und Bratfisch. Ganz erschöpft von der Hitze kletterte Mr. Wrenn unzählige eiserne Stufen hinauf und klopfte dreimal an Charleys Tür. Keine Antwort. Er stieg wieder hinunter und suchte die Hausbesorgerin auf, die sich in ihrer Beschäftigung – sie starrte einen Eiswagen auf der Straße an – unterbrach und sagte:
»Er wird wohl oben pennen. Den ganzen Tag liegt er immer besoffen da. Seine Alte ist ihm durchgebrannt. Der Hauswirt hat ihm Ende August gekündigt. Warmer Tag. Kommen Sie mit ner Rechnung? Meistens sinds Leute mit Rechnungen – –«
»Ja, es ist heiß.«
Mit sehr überlegener Miene, aber überaus bekümmert, klingelte Mr. Wrenn unten an der Haustür so lange, daß Charley wach werden mußte, keuchte dann die unzähligen Stufen hinauf und versetzte der Tür Fußtritte, bis Charley drin mit zitternder Stimme fragte:
»Wers da?«
»Ich bins, Charley. Wrenn.«
»Duistn Europa. Mich kannst du nicht zum Narrenalten. Geheg.«
Jetzt standen drei andere Türen im Flur offen, und zerraufte, neugierige Frauen steckten den Kopf heraus. Der Geruch war noch stärker als unten. Mr. Wrenn wurde zuerst verlegen, dann wütend, und verlangte noch einmal:
»Mach auf, sag ich.«
»Ich sag dir ja, das bist nicht du. Ich kenn dich!«
Charley Carpenters Gesicht sah heraus. Sein zerzaustes Haar klebte an der schweißnassen Stirn; seine Augen waren gerötet und glanzlos. Die Kleider, die er anhatte, waren ganz zerdrückt. Er hatte keinen Kragen um, die Manschetten waren verschmutzt und zerdrückt.
»Siss wirklicheralle Wrenn. Komm rein. Komm rasch rein. Siss immer wer da, der Geldam will. Aber mich kriegen sie nicht. Mich nicht.«
Er schloß die Tür und eilte durch den langen Korridor der Wohnung zu, wobei er sich sichtlich Mühe gab, gerade zu gehen. Das übelriechende große Zimmer am Ende des Korridors sah ebenso schrecklich aus wie Charleys Augen. Überall summten Fliegen. Der Eichentisch – einst hatte Charley mit seiner Braut vier glückliche Stunden damit verbracht, ihn auszusuchen – war ein wüstes Durcheinander von leeren Whisky-Flaschen, schmutzigen Kragen, zerfetzten Zeitungen, gebrauchten Tellern und Kaffeetassen. Die billige Brokatdecke, an der einmal eine glückliche Braut lange gestickt hatte, hing auf den Fußboden herunter, auf dem Zigarettenstummel, Tabakasche und Speckschwarten herumlagen.
Das alles sah Mr. Wrenn. Dann unterzog er sich der schweren Aufgabe, dem undeutlichen Gebrabbel Charleys zu lauschen:
»Biss aber rasch zurück, aller Wrenn. Biss mich besuchen gekomm, ja? Biss mein Freund, niahr? Ichab ordentlich einen sitzen, niahr? Machdir aber nichts, niahr, aller Wrenn?«
Mr. Wrenn sah ihn verlegen an, aber nur eine Minute lang. Was es ihm jetzt möglich machte, mit einem Betrunkenen, bei dessen Anblick ihm noch vor drei Monaten einfach übel geworden wäre, richtig umzugehen, waren vielleicht seine Erfahrungen auf dem Viehdampfer – vielleicht aber auch seine Bemühungen um eine müde Istra.
»Los, Charley, du mußt dich zusammenreißen.«
»Jaja.«
»Was ist denn los? Wie bist du denn in den Zustand gekommen?«
»Frau is mir durchgebrannt. Zu saufen angefangen. Du meinst, ichab einen sitzen, niahr? Habch aber nich. Mit ihrer Sch'ester weggegangen – hat mich nie leiden können. Hat mir mein Geld voner Sparasse weggenomm – dreihundert; alles, was da war, außer fün'zig Dollar. Werd ihr schon zei'n. Ich bring sie um. Hab zu saufen angefangen. Gallenvogel hat mich rausgeschmissen. Iss-ja egal. Ich sauf, soviel ich will. A'schreckendes Beispiel für'unge Leute! Hör mal, geh runner, hol mir ne Flasche. Hab eben eine ausgetrunken. Muß eine ham – krepier vor Durst. Geh – –«
»Ich werd dir was zu trinken holen, Charley – nur einen Schluck, verstehst du? – wenn du mir versprichst, daß du dich nachher sauber machst – wie ich dirs sage.«
»Jaja.«
Mr. Wrenn eilte mit einer leeren Flasche hinaus und murmelte:
»Herrjeh! Ich muß wieder nen Menschen aus ihm machen.« Als er zurückgekommen war, schenkte er einen Schluck ein, als handelte es sich um eine Medizin für einen Rekonvaleszenten, und redete ihm gut zu:
»Jetzt werden wir ein kaltes Bad nehmen, nicht wahr? Und uns sauber machen und wieder nüchtern werden. Und dann wollen wir davon reden, wie du wieder Arbeit kriegst, ja?«
»Ach, mag nicht baden. Jetzt is mir wieder besser. Gehen wir wohin was trinken. Gimmir die Flasche. Wo hast du sie denn hingetan?«
Mr. Wrenn ging ins Badezimmer, drehte den Kaltwasserhahn auf, kam wieder zurück und zog Charley aus, der sich lachend wehrte und sein ganzes Gewicht auf Mr. Wrenns Schulter ruhen ließ. An sich hätte Charley mit drei Mr. Wrenns fertig werden können, aber er wurde ins Badezimmer geschleift und in die Wanne gesteckt.
Sofort begann er herumzuplantschen, mit den Händen auf das Wasser zu schlagen und zu singen. Die Wanne floß über, und Mr. Wrenn suchte ihn fest zu halten, aber die feuchten Schultern rutschten ihm aus den Händen wie nasse Teller. Er drehte den Hahn ab und schlug die Badezimmertür zu.
Im Schlafzimmer fand er einen Winteranzug, der nicht zerdrückt war, und ein sauberes Hemd. Dann ging er wieder ins Wohnzimmer, hängte seinen Rock auf, deckte ihn mit einer Zeitung zu, holte den Besen unter dem Tisch hervor und machte sich daran, auszukehren.
Die Unordnung war so groß, daß er die Entdeckung aller Hausfrauen machte: »Man weiß nicht, wo man anfangen soll,«
Er schleppte alle Teller vom Tisch in die Küche, schüttelte die Tischdecke aus und legte sie zusammen, stellte die Stühle auf den Tisch und begann zu fegen.
In der Tür stand eine nasse Gestalt und brüllte:
»Du! Was machst 'u 'nn da? Laß das sein.«
»Ich feg bloß n bißchen, Charley«, antwortete Mr. Wrenn und arbeitete mit dem Besen weiter, ohne sich stören zu lassen.
»Laß'as, sa'ch dir. Wem gehör'nn die Wohnung?«
»Du gehst in die Badewanne zurück, Charley.«
»Hör mal, meinssu, daß 'u mim–mir rumkom–anieren kannst? Hör auf damit, oder ischmeißich raus. Die Wohnung wirso sein, wie ich sie will.«
Bill Wrenn, der Viehwärter, ging auf ihn los, verprügelte ihn mit dem Besen, jagte ihn wieder in die Wanne und wartete. Er lachte. Das Ganze war ein guter Witz; sein Freund Charley und er spielten ein kleines Spiel. Charley lachte auch und plantschte noch mehr. Dann begann er zu weinen und sagte, das Wasser sei kalt, und jetzt hätte ihn sein einziger Freund verlassen.
»Ach, halt die Klappe«, bemerkte Bill Wrenn und wischte den Badezimmerboden auf.
Charley ließ das Herumspritzen und begann zu spotten:
»Kleiner Schutzengel, ja? Meinssohl, du'st schrecklich gut, was? Kommsher und läßmich nich in Frieden, wenn mir gar nich gut is! Heilsarmee. Du gottsverdammter Schweihund, laßich in Frieden, verstehst du?« Bill Wrenn wischte weiter auf. »Schau, daß du raus kommst, du verfluchtes Aas.«
Die Energie, mit der Charley jetzt sprach, verriet, daß er allmählich nüchtern wurde. Bill Wrenn tauchte ihn noch einmal unter, so gründlich, daß seine eigenen Manschetten naß wurden. Dann zog er Charley heraus, half ihm beim Abtrocknen und trieb ihn ins Bett.
Er ging hinunter und kaufte Geschirrtücher, Seife, Waschpulver und Kragen für Charley. Dann fegte er weiter aus, wischte Staub und wusch das ganze Geschirr. Es machte ihm wirklich Freude.
Ein wütender Gemüsehändler kam und wollte fünfzehn Dollar einkassieren. Mr. Wrenn hörte sich freundlich alle Drohungen an; er spielte sich vor, es handle sich um sein eigenes Heim, dessen Ehre seine Ehre sei. Er zahlte dem Mann acht Dollar an und entließ ihn mit erhabener Gebärde. Dann setzte er sich nieder und wartete auf Charley. Er las eine Zeitung, stand aber immer wieder auf, um wütend Jagd auf Fliegen zu machen, wobei er über Stühle stolperte und wild mit der zusammengefalteten Zeitung um sich schlug.
Als Charley drei Stunden später mit klarem Kopf, aber mit einem üblen Geschmack im Mund, aufwachte, gab Mr. Wrenn ihm sehr wenig Whisky, aber beträchtliche Mengen Kaffee, Toast und Speck. Der Toast war gar nicht schlecht.
»Na, Charley«, sagte er vergnügt, »jetzt bist du deinen Rausch los, nicht wahr, Alter?«
»Hör mal, du hast dich verflucht anständig zu mir benommen. Herr Gott! Du hast ja alles sauber gemacht. Wie war ich – ich war ziemlich voll, was?«
»Sternhagelvoll warst du. Aber jetzt wirds besser werden, nicht?«
»Na, s ist kein Wunder, daß ich so einen sitzen hatte, Wrenn. Ich war bis vier Uhr früh im Ratskeller, und dann hab ich mir noch vor dem Frühstück ein paar hinter die Binde gegossen, und dann hab ich kein Frühstück gegessen. Aber ich kann dir sagen, Wrenn, ich hab mich vielleicht amüsiert. Da war sone kleine Blonde, die – –«
»Paß mal auf, Carpenter; du hörst mich jetzt an. Jetzt bist du nüchtern. Hast du was getan, um ne andere Stellung zu finden?«
»Ja, hab ich schon. Aber mir war richtig eklig. Kein Mensch hat sich um mich gekümmert.«
»Na, jetzt – –«
»Ja, ich weiß, alter Wrennski.«
»Paß mal auf, Charley, du weißt, daß ich keine großen Reden halten kann und nicht predigen will. Aber ich hab dich eben gern, und deshalb möcht ich, daß du wieder wien anständiger Mensch lebst und dich um ne Stellung kümmerst. Bist du pleite?«
»Ja, so ziemlich. Zehn Dollar hab ich noch … Ich werd mich jetzt wirklich zusammenreißen, Alter. Ich weiß, daß du nicht predigst. Wenn du mir so kommen würdest, würd ich natürlich abhauen und mir wieder nen Ordentlichen ansaufen. Ja – ich werd alles tun, damit ich ne Stellung krieg.«
»Da sind zehn Dollar. Bitte, nimms – ach – bitte, Charley.«
»Schön; was kann ich sonst noch für dich tun?«
»Was kannst du denn machen, um wieder Arbeit zu kriegen?«
»Na, ich könnt in einem kleinen Hotel, in dem ich früher Boy war, Nachtportier werden. Der, der jetzt da ist, geht, aber ich weiß nicht genau, wann – wahrscheinlich in ein oder zwei Wochen.«
»Also sei dahinter. Und komm mal zu mir – meine alte Wohnung Westen, Sechzehnte Straße.«
»Was ist denn mit der Alten dort, die immer krank ist? Wie heißt sie denn nur? Die liebt mich ja nicht grade.«
»Mrs. Zapp? Ach – die kann sich auf den Kopf stellen, wenn sie will. Ich werd soviel Gäste haben, wie mirs paßt.«
»Gut. Hör mal, erzähl mir was von deiner Reise.«
»Ach, s war großartig. Aufm Viehdampfer war ne Menge nette Kerle. Ich bin nämlich auf nem Viehdampfer rübergefahren, weißt du. Da war n gewisser Morton – schrecklich netter Kerl. Hör mal, Charley, du hättst sehen müssen, wie ich die Stiere bedient hab. Wie ich ihnen das Heu gegeben hab. Aber weißt du, das Meer war schön. So viel Farben. Fürchterlich dreckig wars natürlich auf dem Viehdampfer.«
»Schwere Arbeit?«
»Ja – ziemlich schwer. Na, nicht sehr schlimm.«
»Was hast du denn in England gesehen?«
»Ach, alles Mögliche. Hör mal, Charley. In Liverpool hab ich n großartiges Varieté gesehen, mit Morton – das ist n feiner Kerl; er arbeitet hier für die Pennsylvania. Muß ihn mal aufsuchen. Und in Oxford hab ich einen Professor von nem amerikanischen College kennen gelernt, der hat n Automobil gemietet und mich in nen schönen alten Gasthof geführt –«
»Schön, schön!«
»– in so einen, wie man in den Büchern immer liest; mit Sand aufm Fußboden.«
»Bist du auch nach London gekommen?«
»Ja. Herrjeh! das ist ne großartige Stadt. Weißt du, die Westminsterabtei ist vielleicht schön. Dort war ich paar mal. Ne Menge von Königsgräbern und so Sachen. Und einen Bischof hab ich gesehen, der hat Ledergamaschen angehabt! Aber ich war ziemlich viel allein. Hab oft an dich gedacht. Ich hab mir oft gewünscht, daß wir zusammen aufn Glas Bier wohin gehen. Und uns vielleicht zwei hübsche Mädels aufzwicken.«
»Na, du bist ja einer! … Sag mal, bist du auch nach Paris gekommen?«
»Nein … Na, jetzt werd ich wohl gehen müssen. Ich muß noch einziehen – ich bin in einem Hotel. Du kommst also heut abend zu mir?«
»Du hast also an mich gedacht? … Ja – klar, Alter! Heut abend komm ich zu dir, und ich werd sehen, daß ich die Stellung krieg.«
Ob Mr. Wrenn zu den Zapps zurückgekehrt wäre, wenn er nicht Charley versprochen hätte, am Abend dort zu sein, ist sehr fraglich. Noch während er, in der Sonnenhitze schwitzend, seinen Koffer in die Sechzehnte Straße brachte, war er drauf und dran, zu Charley zu eilen und ihm zu sagen, er solle lieber ins Hotel kommen.
Lee Theresa, die Kopfschmerzen hatte und zu Hause geblieben war, öffnete die Tür und rief aus:
»Nanu! Sie sind da?«
»Scheint so.«
»Was, so bald sind Sie wieder zurück? Sie waren doch nicht mehr als eineinhalb Monate weg?«
Sei auf der Hut, Tochter des südlichen Stolzes! Der kleine Yankee betrachtet deine vollen Kurven und leeren Augen mit Rebellion, auch wenn er ganz bescheiden sagt:
»Ja, so lang wirds ungefähr gewesen sein, Miss Theresa.«
»Na, ich hab mir ja gleich gedacht, daß Sies ohne uns nicht aushalten können. Sie werden wohl wieder Ihr altes Zimmer haben wollen. Ma, Mr. Wrenn ist zurückgekommen. Mr. Wrenn. Ma!«
Unten rief Goaty Zapp: »Mr. Wrenn ist wieder da. Hi! hi! Er hats nicht aushalten können. Natürlich, die Yankees!«
Ein Schlürfen, ein Stöhnen, und Mrs. Zapp wälzte sich langsam über die Treppe aus dem Souterrain herauf. Sie kam, knöpfte sich den Kragen zu und lächelte nahezu freundlich, denn gegen Mr. Wrenn empfand sie etwas weniger Abneigung als gegen ihre anderen Mieter.
»Schon zurück, Mr. Wrenn? Wissen Sie, ich hab Lee Theresa erst gestern gesagt, ich weiß ganz genau, daß Sies nicht lang ohne uns aushalten werden. Kommen Sie doch rein.«
Er schob sich ins Wohnzimmer und fragte: »Was macht die Ischias, Mrs. Zapp?«
»Ich fühl mich gar nicht gut.«
»Mein Zimmer besetzt?«
Er sah sich nicht sehr wohlgefällig in dem ungelüfteten Raum um, und seine kurze Art gefiel dem Oberhaupt des Hauses Zapp durchaus nicht.
»Grade im Augenblick ist es nicht besetzt, Mr. Wrenn, aber ich weiß nicht. Erst gestern war n Herr da, und der hat gemeint, wenn er kommt, bleibt er als Dauermieter. Ich muß Ihnen sagen, Mr. Wrenn, ich weiß nicht, ob mirs recht sein kann, wenn meine möblierten Herren ganz einfach auf und davon gehen, ohne mir zu kündigen.«
Lee Theresa warf ihr einen bösen Blick zu.
Mr. Wrenn erwiderte: »Ich hab Ihnen gekündigt.«
»Ich weiß, aber – also, ich glaub, ich kann Ihnen das Zimmer geben, aber ich werd viereinhalb bekommen müssen, nicht bloß vier wie früher. Alles wird so viel teurer. Erst gestern hab ich zu Lee Theresa gesagt, ich weiß nicht, was wir tun sollen, wenn der liebe Gott uns nicht hilft. Und, Mr. Wrenn, ich weiß nicht, ob mirs recht sein wird, wenn Sie abends immer so spät nach Haus kommen. Aber ich denke, ich kann Ihnen das Zimmer geben.«
»Das ist dann wohl eine besondere Gefälligkeit, ja, Mrs. Zapp?«
Mr. Wrenn war gefährlich höflich.
»Ja, aber – –«
Es war unser Held, unser Amokläufer von den siebenundsiebzig Meeren, unser revolutionärer Freund Istras, der jetzt geradewegs von dem salzüberkrusteten Deck seines mit den Wogen kämpfenden Schiffs in das Wohnzimmer sprang und in aller Ruhe, ungerührt, erklärte: »Ja, dann werd ich es vielleicht besser nicht nehmen.«
»So. So behandeln Sie uns also!« schrie Mrs. Zapp. »Sie gehen weg und lassen uns mit nem leeren Zimmer sitzen, und – Oh! Es ist ja einfach – einfach – –«
» Ma! Du bist jetzt still und gehst hinunter!« zischte Theresa. »Los.«
Mrs. Zapp watschelte mit der Würde einer verletzten Königin hinaus. Lee Theresa sagte zu Mr. Wrenn:
»Ma fühlt sich heute nachmittag gar nicht gut. Es tut mir leid, daß sie so geredet hat. Sie bleiben doch hier, nicht wahr?« Sie lächelte ihn besorgt an, und ihre Ängstlichkeit rührte ihn. »Vergessen Sie nicht, daß Sies uns versprochen haben.«.
»Schön, also gut, aber – –«
Bill Wrenn löste sich auf. Das »aber« war sein letztes Lebenszeichen, und Theresa redete eifrig weiter: »Ich hab ja gewußt, daß Sie verstehen werden. Ich lauf sofort rauf und bring das Zimmer in Ordnung und überzieh das Bett.«
Ein Monat, ein heißer New Yorker Monat verstrich, bevor der gewaltige Mr. Guilfogle ihm die Stellung wiedergab, und dann auch nur mit einem Wochengehalt von siebzehneinhalb Dollar statt der früheren neunzehn. Mr. Wrenn lehnte unter einem Vorwand die Einladung des Direktors, mit ihm etwas trinken zu gehen, ab und legte ihm zwanzig Vorschläge für neue Propagandabriefe und Nouveautés vor. Er verbesserte wieder die unsystematischen Methoden des jungen Jake, und nach zwei Tagen war er schon so in der Arbeit, als hätte er sich niemals von der Kunstartikel-Gesellschaft entfernt.