Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.
Er geht auf die Wanderschaft

In dem Abteil dritter Klasse, in dem sie London verließen, saßen auf der Bank ihnen gegenüber ein Kurat und zwei stämmige Leute, die ganz einfache Leute waren und (wie Istra Mr. Wrenn vergnügt auseinandersetzte) es unmöglich machten, sie für etwas anderes als einfache Leute zu halten.

»Würden sie nicht die Augen aufreißen, wenn sie wüßten, auf was für eine Dummheit wir aus sind?«

Mr. Wrenn nickte zustimmend. Er versuchte sich ohne den geringsten Erfolg einzureden, das müßte William Wrenn sein, Unser Herr Wrenn, vormals von der Kunstartikel-Gesellschaft, der da mit einer Künstlerin um Mitternacht zu einer Wanderung über Land aufbrach.

Der Mann an der Bahnsteigsperre in Chelmsford starrte sie ungläubig an, als sie ausstiegen und sich wie Fremde umblickten. Mr. Wrenn starrte trotzig zurück und marschierte mit Istra vom Bahnhof durch den schlafenden Flecken aufs Land hinaus.

Ein wenig müde wanderten sie dahin. Mr. Wrenn begann sich zu überlegen, ob sie nicht lieber nach Chelmsford zurückgehen sollten. Blind und still tropfte rings um sie der Nebel, der die ganze Nacht in schweres Grau hüllte. Plötzlich packte Istra ihn am Arm, zeigte auf das Tor eines Gutshofes und rief: »Sehen Sie!«

»Herrjeh … Herrjeh. Wir sind in England. Wir sind unterwegs!«

»Ja – unterwegs.«

Im schwachen Lichtschimmer einer Laterne, die an einem von Jahrhunderten geglätteten Pfosten hing, sahen sie einen gepflasterten Hof mit strohgedeckten Wirtschaftsgebäuden.

»Das könnt nie im Leben Amerika sein«, jubelte er. »Herrjeh! Ich bin ganz glücklich! Ich bin so froh, daß wir hier sind … Das ist wirklich England. Keine Touristen. Es ist das, wonach ich mich immer gesehnt hab – ein Land, das alt ist. Und so ganz anders … Häuser mit Strohdächern! … Und bald wird die Dämmerung da sein, die Sommerdämmerung; mit Ihnen, mit Istra! Herrjeh! Es ist das wunderbarste Abenteuer.«

»Ja … Kommen Sie. Wir müssen rasch gehen, sonst werden wir schläfrig, und dann wird aus Ihrer romantischen Heldin ein mürrischer Interessanter Mensch! … Hören Sie! Dort bellt ein verschlafener Hund, eine Million Meilen weit weg von hier … Mir ist ganz so, als könnte ich Ihnen von mir erzählen. Sie kennen mich nicht. Oder doch?«

»Ich versteh nicht recht, was Sie meinen.«

»Ach, Sie sollen sich Ihre Romantik bewahren! Aber einmal werde ich Ihnen erzählen – vielleicht werde ich es tun – daß ich in Wirklichkeit durchaus keine so kluge Person bin, sondern ganz einfach eine Wilde aus der finstersten Finsternis, die so tut, als ob sie London und Paris und München verstünde, und dabei eine schreckliche Angst davor hat … Bleiben Sie stehen! Horchen Sie! Hören Sie, wie der Nebel von dem Baum tropft. Sind Sie recht schön naß?«

»Äh – ein bißchen. Aber es ist mir unangenehm, daß Sie ganz durchweicht sind.«

»Lassen Sie mich mal sehen. Aber, der Ärmel ist ja durch und durch naß. Mein Khaki hält das Wasser besser ab … Aber ich mache mir nichts draus, wenn ich naß werde. Nur aus Langerweile mache ich mir etwas. Am liebsten würde ich ganz splitterfasernackt den Hügel da hinauflaufen – den guten, gesunden, wirklichen Nebel auf meiner Haut spüren. Aber das schickt sich leider nicht.«

Meile um Meile. Meistens sprachen sie von den Boulevards und Père Duréon, von Debussy und Artischocken, in kleinen lachenden Sätzen, die wie Funken in den trüben Nebel hinaussprühten.

Es dämmerte. Von einem Hügel nahmen sie die Dächer einer Ortschaft wahr und blieben stehen, um sich darüber zu wundern, wie still es da unten war, als wäre seit Jahrhunderten kein Schritt laut geworden. Der Nebel stieg. Der Morgen war neugeboren und frisch, und sie sangen ordentlich, als sie auf einen alten Ausspanngasthof zuschritten und dort von einem erstaunten Landmann, der, mit einer Joppe bekleidet, im Hof herumwirtschaftete, Frühstück verlangten. Der gute Mann hatte keine Ahnung davon, daß er – oder vielleicht auch nur seine Joppe – für einen begeisterten Mr. Wrenn der Held eines englischen Theaterstücks war. Ebensowenig ahnten sicherlich die frischen Eier mit Speck, die ein verschlafenes Mädchen zubereitete, daß sie Theaterrequisiten waren. Ja, es waren englische Eier, des Morgens in einem englischen Gasthof auf den Tisch gebracht – in einem Zimmer mit Steinfußboden und Holzdecke, vor dessen Fenster ein Weidenkäfig mit einem Star hing. Und es waren keine Touristen da, die sie langweilten!

Als er sie auf diese geheimnisvolle Tatsache aufmerksam machte, lachte sie: »Mein liebes Mäuschen, Sie wissen recht gut, daß Sie sich in aller Heimlichkeit wünschen, es wäre wenigstens ein fremder Yankee da, der Sie in Ihrer Glorie bewundern könnte.«

»Da werden Sie wohl recht haben.«

»Aber vielleicht bin ich ebenso schlecht.«

Mit einem Mal sprachen sie nicht mehr wie Lehrer und Schüler miteinander, sondern wie Kameraden. Wie lustige Jungen auf einer Ferienwanderung brachen sie im strahlenden Morgen vom Gasthof auf.

Die Sonne kam heraus, und mit ihr die Wärme und der Staub; Istras Schritte wurden lahmer. Als sie an einem Strohschober vorüberkamen, der inmitten eines Weidengebüsches stand, lächelte Istra und seufzte: »Ich bin ganz schön müde, mein Lieber. Ich werde in diesem Strohschober schlafen gehen. In einem Strohschober zu schlafen, habe ich mir schon immer gewünscht. Das ist comme il faut für die feinsten Vagabunden, wissen Sie. Und man kann sich so schön einkuscheln. Aufregend, nicht wahr?«

Sie rollte ihre Khakijacke zu einem Kissen zusammen, während er eine trockene Stelle für sie zurecht machte. Für sich fand er ein Plätzchen auf der anderen Seite des Schobers.

Als er aufwachte, war es Nachmittag. Er sprang auf und lief um den Schober. Istra schlief noch, wie ein kleines Kind zusammengerollt, ihr müdes Gesicht lag auf der braungelben Khakijacke, das rote Haar hatte sich gelöst und lag schimmernd auf ihren Schultern.

Sie sah so zerbrechlich aus, daß er erschrak. Ganz sicher würde sie ihm sehr böse sein, weil er sie diesen Ausflug hatte machen lassen. Er riß ein Blatt aus seinem Adreßbuch – das er seit sechs Jahren, obwohl es nur vier Adressen enthielt, wie eine Reliquie bei sich trug – kritzelte darauf:

Bin Frühstück holen gegangen, komme gleich wieder zurück. – W. W.

kletterte leise hinauf und legte ihr den Zettel neben den Kopf. Er eilte zu einem Bauernhaus. Die Bauernfrau war ziemlich neugierig. O neugieriges Bauernweib, du mit deinem dicken Essex-Dialekt und den scharrenden Füßen, es war sehr tapfer von dir, daß du Bill Wrenn, dem Großen, Trotz botest, denn es galt Istra, und er wäre unerschütterlich geblieben, hätten ihn gleich alle Augen Englands angestarrt. Mochte er auch ein komisches Kaninchengesicht und einen harmlosen Schnurrbart haben! Wenn Istra erwachte, würde sie hungrig sein. Und deshalb zwang er dich mit gewaltigen Reden dazu, ihm außer dem Tee, den Eiern, einem Laib Brot und einem Krug von der Marmelade, die der Bauernhof deines Mannes seit zweihundert Jahren macht, noch einen Topf und ein Reisigbündel zu verkaufen. Und du hättest Kaffee für ihn haben sollen, nicht Tee, Weib von Essex.

Als er zurück kam, lag der Glanz der Nachmittagssonne auf den üppigen Feldern, die sich weithin breiteten. Istra schlief noch, aber jetzt war ihre Wange in die Krümmung ihres schmalen Arms geschmiegt. Er betrachtete ihr roteingerahmtes blasses Gesicht, die Linien, die Ehrgeiz und Nachdenken eingegraben hatten. Alles, was die rasch wechselnden Mienen zudeckten, wenn sie wach war, lag jetzt nackt und schutzlos vor seinem Auge. Er schluchzte. Wenn er sie nur glücklich machen könnte! Aber er hatte Angst vor ihren Launen.

An einem Wässerchen hinter den Weiden machte er ein kleines Feuer und kochte die Eier, röstete das Brot und bereitete den Tee, neben den er ein Krüglein mit Sahne stellte. Er dachte an seine Kinderzeit in Parthenon und die verlorene Romantik des Lagerlebens. Dann ging er zum Schober zurück und rief: »Istra – ach, Is–tra!« Sie schüttelte den Kopf, preßte sich wohlig ins Heu, und dann setzte sie sich auf. Das Haar fiel ihr über die Schultern. Sie lächelte und rief herunter: »Guten Morgen. Nanu, es ist ja Nachmittag! Gut geschlafen, Mäuschen?«

»Ja. Und Sie? Hoffentlich!«

»So gut habe ich noch nie in meinem Leben geschlafen. Ich bin noch gar nicht richtig wach. Ich habe einen ruhigen Schlaf im Freien so notwendig gebraucht, und hier ist es so friedlich. Frühstück! Ich brülle nach Frühstück! Wo ist das nächste Haus?«

»Das Frühstück ist fertig.«

»Sie sind ein Engel.«

Sie ging zum Bach, um sich zu waschen, und kam mit tanzenden Augen und glattem Haar zurück; dann lachten sie beim Frühstück und sahen auf die goldschimmernden Felder hinaus. Nur einmal begab Istra sich aus dem Land ihrer Freundschaft in irgendein verborgenes Reich der Analyse – als er seinen Tee laut aus dem Töpfchen trank, sah sie ihn an und fragte: »Sind wirklich Sie hier bei mir? Aber Sie sind doch gar kein Boulevardier. Ich muß sagen, ich verstehe gar nicht, was Sie überhaupt hier machen … Und ein Höhlenmensch sind Sie auch nicht. Ich verstehe das nicht … Aber Sie sollen sich nicht den Kopf über die schlimme Istra zerbrechen. Warten Sie mal; wir sind zusammen in die Volksschule gegangen.«

»Ja, und dann waren wir im College. Wissen Sie noch, wie ich Baseball-Captain war? Nein? Herrjeh, haben Sie ein schlechtes Gedächtnis!«

Dazu lächelte sie, wie es sich gehörte, und dann waren sie wieder unterwegs nach Suffolk.

 

»Ich glaube, es wird zu regnen anfangen«, sagte Istra verdrossen, als es zu dämmern begann. Die ganze letzte Meile über hatte sie kein Wort gesprochen. Nach einer weiteren Viertelmeile: »Bitte, ärgern Sie sich nicht darüber, daß ich so still bin. Ich bin ein wenig steif, und meine Füße tun mir höchst unromantisch weh. Sie ärgern sich doch nicht, nicht wahr?«

Selbstverständlich ärgerte er sich, und selbstverständlich leugnete er es ab. Er versuchte alle Künste der Konversation und machte ganz echte Westen-Sechzehnte-Straßen-Bemerkungen über eine Ortschaft, durch die sie kamen, aber sie lächelte bloß müde und antwortete im besten Fall: »Ja, das stimmt«, ob es stimmte oder nicht.

Er dachte: »Istra ist schrecklich müde. Ich muß auf sie achtgeben.« Er blieb an der Eingangstür eines Hospizes stehen und kommandierte: »Kommen Sie! Wir werden hier etwas essen.« Zu ihrer beider Erstaunen gehorchte sie demütig mit den Worten: »Wenn Sie wollen.«

Es könnte nicht behauptet werden, daß Mr. Wrenn sich als Mann mit Weltkenntnissen erwies, als er zum Abendessen ein Hospiz wählte. Istra schien sich nicht sehr daran zu stoßen, daß das Tischtuch grob, und die Wassergläser dick waren, daß man überall mit dem Ellenbogen gegen ganz überflüssige Salz- und Pfefferstreuer fuhr. Als sie aber müde den Kopf hob und sich im Zimmer umsah, fuhr sie zusammen, warf Mr. Wrenn einen finsteren Blick zu und schmälte: »Haben Sie vielleicht ganz zufällig bemerkt, daß dieses Lokal von Touristen überfüllt ist? Gleich hier sind zwei Familienausflüge aus Davenport oder aus Omaha; ich weiß ganz bestimmt, daß sie das sind.«

»Aber, die Leute sehen doch gar nicht so schlecht aus«, protestierte Mr. Wrenn … Er war töricht genug, zu glauben, lediglich damit, daß sie seiner Anordnung gemäß hier herein gekommen war, wäre seine männliche Überlegenheit anerkannt worden.

»Ach, sind sie nicht schrecklich? Sehen Sie das denn nicht? Ach, Sie sind hoffnungslos

»Aber, der große Kerl – der große Mann mit der Brille sieht doch so aus, als ob er ein ganz guter Ingenieur wär, und ich glaube, die Dame gegenüber von ihm – –«

»Es sind Amerikaner.«

»Das sind wir auch!«

»Ich nicht.«

»Ich dachte – aber – –«

»Ich bin natürlich drüben geboren, aber – –«

»Na schön, aber trotzdem, ich find, es sind nette Leute.«

»Hören Sie. Muß ich mit Ihnen streiten? Kann ich nicht Frieden haben, wenn ich so müde bin? Diese Touristen sprechen von ganz ›typisch englischen‹ Dingen. Was kann man mehr verlangen, um sie zu verdammen? Und sie sind im Automobil gekommen – haben sich alle Gasthöfe an der Straße angesehen.«

»Vielleicht macht es ihnen – –«

»Streiten Sie nicht mit mir. Ich weiß recht gut, was ich rede. Warum muß ich denn alles erklären? Die Leute sind hoffnungslos!«

Mr. Wrenn verspürte den sehr gesunden Wunsch, sie durchzuhauen, aber er sagte höchst höflich: »Sie sind furchtbar müde. Wollen Sie nicht hier übernachten? Oder vielleicht in einem anderen Hotel, und ich werd hier bleiben.«

»Nein, ich will nirgends bleiben. Ich will vor mir selbst davonlaufen«, antwortete sie ganz wie ein ungezogenes Kind.

Sie wanderten also weiter.

Die Dunkelheit kam immer näher. Sie waren in eine Landschaft geraten, die in der Nacht aus nichts anderem als verlassenen Sümpfen zu bestehen schien. Während sie schweigend einen Hügel hinauftrotteten, begann es zu regnen. Ein brüllender, erbarmungsloser Guß stürzte auf sie herunter, gegen den sie sich vergeblich zu schützen suchten, er durchnäßte sie, schlug ihnen ins Gesicht, machte ihre Augen blind. Mr. Wrenn nahm sie bei der Hand und schleppte sie weiter. Natürlich würde sie wütend auf ihn sein, weil es regnete, aber jetzt hatte er keine Zeit, daran zu denken; er mußte sie irgendwohin führen, wo es trocken war.

Istra lachte: »Ist das nicht großartig! Jetzt sind wir richtige Vagabunden.«

»Aber! Sind Ihre Kleider nicht pitschnaß? Sind Sie nicht ganz durchweicht?«

»Bis auf die Haut!« rief sie vergnügt. »Und ich mache mir gar nichts daraus. Wir tun etwas. Armer Kerl, machen Sie sich Sorgen? Ich werde gleich ganz rasch auf den Hügel da hinauf laufen.«

Ein Gebäude tauchte in der Dunkelheit vor ihnen auf, und darauf steuerten sie nun zu. In diesem Augenblick war Mr. Wrenn durchaus bereit, jeden wütenden Hausbesitzer, der sie vielleicht hinauswerfen wollte, lebendig zu verschlingen. Das Gebäude war ein verlassener Stall – die Tür hing in den Angeln, das Strohdach fiel ein. Er zündete ein Streichholz an und hielt es hoch. Er stand gewaltig da, er, der Herr und Meister, zum ersten Mal in seinem Leben die ganze Wrennhaftigkeit des Mr. Wrenn vergessend, und entdeckte, daß das Dach über der Pferdekrippe einigermaßen wasserdicht war.

»Kommen Sie! Dort auf die Krippe, Istra«, ordnete er an.

»Das ist ja eine ausgezeichnete Stelle für einen Mord«, sagte sie lächelnd, als sie mit baumelnden Beinen saßen.

Er konnte sich sehr gut ihr Lächeln vorstellen. Er war ganz sicher, daß sie lächelte, und freute sich darüber.

»War ich ganz schauderhaft brummig, Mäuschen? Wollen Sie mich nicht ermorden? Ich muß Ihnen eine lange Nadel suchen.«

»Aber nein; es war wirklich nicht schlimm, glaub ich. Jetzt können wir wohl ohne Brummigkeit auskommen.«

»Aber, aber! Das ist ja schrecklich. Sie haben sich schon so an mich gewöhnt, daß Sie gar keine Angst mehr vor mir haben.«

»Na, ich glaub, sobald ich Sie irgendwo ordentlich im Trockenen hab, werd ich schon wieder Angst vor Ihnen haben, aber jetzt ist keine Zeit dazu. Auf einer Krippe sitzen wir! Ist das nicht einfach herrlich! … Jetzt muß ich aber rauslaufen und ein Haus suchen. Irgendwo in der Nähe muß ja eines sein.«

»Und mich hier in der Finsternis und Nässe lassen? Davon kann keine Rede sein. Es muß ja ohnedies bald aufhören zu regnen. Wirklich, ich bin ganz zufrieden hier. Ich finde es eigentlich sehr nett.«

Ihre Stimme klang wieder natürlich, natürlich und kameradschaftlich und tapfer. Als er ihre nasse Schulter streichelte, lachte sie und nahm ihn bei der Hand, blieb ganz still und sagte ihm, er solle auf das sanfte, weiche Geräusch lauschen, mit dem der Regen auf das Strohdach tropfe.

Aber es hörte nicht bald auf zu regnen, und ihr Sitz war alles andere als bequem.

»Jetzt finde ich es nicht mehr angenehm!« klagte Istra.

»Hören Sie mal, Istra, ich glaub, es wird doch besser sein, wenn ich ein Haus suchen geh, wo Sie trocken werden können.«

»Mir ist viel zu elend, um irgendwohin zu gehen. Ich mag mich überhaupt nicht rühren.«

»Also schön, dann werd ich hier ein Feuer machen. Es wird schon nichts passieren.«

»Das Ding wird Feuer fangen«, begann sie streitlustig.

Er unterbrach sie: »Ach, so soll doch das verdammte Ding Feuer fangen! Ich sag Ihnen, ich werd ein Feuer machen.«

»Ich mag mich nicht rühren. Es kann höchstens auf eine andere Art unangenehm werden. Warum geben Sie sich denn gar keine Mühe, ein bißchen für mich zu sorgen?«

»Aber, Istra!« klagte er in kindlichem Entsetzen. »Ich hab doch alles probiert, damit Sie dort in dem Hotel bleiben und sich etwas ausruhen.«

»Sie hätten mich eben dazu zwingen sollen. Begreifen Sie denn nicht, daß ich Sie mitgenommen habe, damit Sie für mich sorgen?«

»Äh – –«

»Fangen Sie jetzt nicht zu streiten an. Ich hasse dieses ununterbrochene Streiten auf den Tod.«

Er mußte sofort an Lee Theresa Zapp denken, die immer mit ihrer Mutter zankte, sagte aber kein Wort. Er sammelte möglichst trockenes Dachstroh und Holz und zündete ein Feuer an, während sie mit verzogenem, müdem Gesicht in dem ungewissen Licht dasaß und ihn böse anblickte. Als das Feuer ruhig und gleichmäßig brannte, breitete er seinen Rock daneben für sie aus und rief munter: »Kommen Sie jetzt, Istra; hier ist n gemütliches Plätzchen für Sie.«

Sie glitt von der Krippe herunter, stellte sich vor ihn und sah ihm in die Augen – die in der gleichen Höhe waren wie die ihren.

»Sie sind wirklich gut zu mir«, sagte sie leise und streichelte seine Wangen, dann ließ sie sich auf den Rock nieder und murmelte: »Kommen Sie; setzen Sie sich zu mir, damit wir beide warm werden.«

Die ganze Nacht hindurch regnete es; aber es kam niemand, der sie von ihrem Feuer vertrieb, und so blieben sie sitzen, Seite an Seite, mit verschlungenen Händen, in dampfenden Kleidern. Istra schlief ein, ihr Kopf fiel auf seine Schulter. Er machte sich steif, um ihr Gewicht besser zu tragen, obwohl sein Rücken von der unbehaglichen Stellung schmerzte, und blieb eine ganze ungemütliche und glückliche Stunde bewegungslos sitzen; er betrachtete nachdenklich ihre sonderbare Umgebung – das dunkle, schadhafte Strohdach, die alten Mauern, den unsauberen Lehmboden. Seine Hand lag leicht auf ihrer feuchten, glatten Schulter; seine nassen Ärmel klebten an den Armen, und er hätte sie gern gelockert. Seine Augen brannten. Aber er saß steif und starr da, während seine Gedanken sich in Kreisen bewegten, er dachte daran, daß er Istra liebte, und daß es ihm nicht nur leid tun würde, wenn er nicht länger ein Sklave ihrer Launen sein könnte; daß dieses Abenteuer das sonderbarste und romantischeste, aber auch das törichteste und sinnloseste der ganzen Geschichte wäre.

Gegen Morgen machte sie eine Bewegung, und er nahm eine andere Stellung ein; er setzte sie so, daß ihr noch nasser Rücken dem Feuer zugewandt war. Er legte Holz und Stroh nach und blieb bis zum Morgen, einnickend und wieder auffahrend, nachdenklich neben ihr sitzen. Dann fuhr er wieder hoch, erwachte ganz und sah sie aufrecht neben ihm sitzen und ihn verblüfft anblicken.

»Das alles kann doch gar nicht wirklich sein … Haben Sie mich herumgedreht? Ich bin jetzt überall schön trocken. Das war sehr lieb von Ihnen. Sie haben sich wirklich großartig benommen … Aber ich glaube, den Rest unserer Pilgerfahrt machen wir mit der Bahn. Ich fürchte, es war nicht gerade ein Erfolg.«

»Ja, vielleicht ist es besser, wenn wir fahren.«

Einen Augenblick lang haßte er sie, weil sie nach einer Nacht, in der sie abwechselnd unerträglich und menschlich gewesen war, glatte, höfliche Worte sprach. Er haßte ihr verwirrtes, verfilztes Haar und ihr müdes Gesicht. Dann hätte er am liebsten geweint, so innig begehrte er danach, ihren Kopf auf seine Schultern zu ziehen und die Müdigkeitsfalten in ihrem lieben Gesicht zu glätten, ihrem Gesicht, das ihm durch die gemeinsam ertragenen Strapazen nur noch lieber geworden war. Aber er sagte bloß: »Na, erst müssen wir probieren, irgendwie zu nem Frühstück zu kommen, Istra.«

In regenzerdrückten Kleidern, halbschlafend und ziemlich übellaunig kamen sie mit dem Mittagszug in der ästhetischen, aber durchaus wohlanständigen Kolonie Aengusmere an.


 << zurück weiter >>