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Ganz im Gegensatze zu dem Leben der Gräfin hatte Corneliens Dasein sich immer schöner entfaltet. Auch der Doctor blickte freudiger in die Zukunft, seit sich in Deutschland unverkennbar ein Ringen nach politischer Freiheit zu zeigen begann.
Die constitutionelle Entwicklung der süddeutschen Staaten, der immer wachsende Völkerverkehr, der die Deutschen in Belgien, Frankreich und England durch den Augenschein von den Segnungen der Volksvertretung und der Selbstregierung überzeugte, waren nicht erfolglos, und auch in Norddeutschland, namentlich in Preußen, sah man sich gedrungen, dem allgemein gefühlten Volksbedürfniß durch Einberufung der Landstände entgegen zu kommen.
Da auf diese Weise die Theilnahme des Doctors eben so sehr nach dem Vaterlande gewendet, als in Frankreich durch die sich immer bestimmter entwickelnden Associationen zu verschiedenen Zwecken beschäftigt wurden, so fühlten beide Gatten sich geistig in einer Weise angeregt und ausgefüllt, die sie Reginens und Larssen's Abwesenheit weniger empfinden ließ. Sie bemerkten es kaum, daß Regina noch immer in England verweilte, obschon die Saison vorüber war, und sie die Absicht gehabt hatte, eine Erholungsreise nach der Schweiz zu machen, bei welcher Larssen sie begleiten sollte, der nach London gekommen war, sie abzuholen.
Auch hatte Regina den Plan nicht aufgegeben, aber seit sie auf Richard's Landsitz lebte, ihn von Tag zu Tag hinausgeschoben, und Larssen hatte täglich mehr den Muth verloren, sie an die Abreise zu erinnern, da er fühlte, wie ungern Regine derselben gedachte.
»Lassen Sie mich nur aufathmen von der Arbeit der Saison!« sagte sie ihm eines Tages, als er sie darauf aufmerksam machte, daß die Jahreszeit vorrücke, und daß es zu spät werden könne für eine Alpentour. »Lassen Sie mich nur ausruhen, es ist ja gleich, wo ich Erholung finde! Hier ist mir wohl. Ich habe Alles, was das Leben schön macht: treue Menschen, die mich lieben, eine schöne Natur und volle Freiheit und Muße für mich selbst. Weshalb sollte ich eilen, dieses Gute aufzugeben?«
Larssen antwortete nicht darauf, indeß man konnte ihm ansehen, daß er anderer Ansicht war, trotz seiner Empfänglichkeit für den Comfort des englischen Landlebens, die reiche Befriedigung finden mußte in Wyndhamhouse, dem alten stattlichen Familiensitze.
Die breite Behaglichkeit, mit der das Gebäude sich zweistöckig hinter dem weiten Rasenplatze ausdehnte, die braunrothen Ziegelwände, welche mit den hellen Fenstern aus dem dichten Geranke des Epheus hervorsahen, mußten auf den Betrachter einen wohlthuenden Eindruck machen, und das edle häusliche Leben, das Familienglück, das hier weilte, die Freudigkeit, mit welcher Margarethe hier waltete und schaffte, schienen dem ganzen Besitze den Charakter höchster Ruhe und höchsten Wohlbefindens aufgeprägt zu haben.
Seit Wochen war Regina es nicht müde geworden, sich an dem einfachen wahren Glücke zu erfreuen, das Richard in seinem Weibe und seinem eben erst geborenen Knaben besaß. Allabendlich, wenn er von seinen Geschäften aus dem engen Comtoir der City hinauskam auf das Land, fühlte man ihm die Wonne an, mit der er seine Familie auf dem eigenen Grund und Boden wiedersah, und wenn es erquicklich ist, das Gelingen eines Kunstwerkes, das Gedeihen einer Pflanze zu beobachten, so war es doppelt wohlthuend, hier in Richard dem Wohlbefinden eines Mannes zu begegnen, dessen Leben sich in vernünftiger Freiheit, ungehindert von Familien- und Staatsverhältnissen, natürlich gesund und darum vollständig und einfach entwickelt hatte. Jugendlich in seinem Empfinden, besaß er eine ruhige Urtheilskraft, und da die letzten Wahlen ihn in das Unterhaus gebracht, hatte das jedem Engländer innewohnende Bewußtsein, mitverantwortlich zu sein für das Wohl des Volkes, den männlichen sittlichen Ernst in ihm noch stärker entwickelt, zu dem schon die Freiheit seiner ersten Erziehung den Grundstein gelegt hatte.
Da Wyndhamhouse sehr räumlich war, hatte man einen Theil des obern Stockwerkes für Gäste eingerichtet, und Richard es als selbstverständig angenommen, daß Georg die Sommermonate bei ihm auf dem Lande verlebe, bis er einst selbst eine Familie gegründet und sich eine eigene Häuslichkeit geschaffen haben würde. Daß Georg dieß noch immer nicht gethan, obschon er als Teilnehmer des Wyndham'schen Geschäftes, ein beträchtliches Vermögen erworben hatte, und wohl im Stande war, für eine Familie zu sorgen, das war es, was Richard ihm verargte, das war ein Punkt, um den die Unterredungen der Freunde sich schon vielfach bewegt hatten.
Eines Abends, als die beiden Männer aus der Stadt kamen und die Eisenbahn verlassen hatten, auf der sie von London bis in die Nähe des Landsitzes gefahren waren, sahen sie sich auf der Station vergebens nach Margarethen um, welche ihnen bald zu Fuß bald zu Wagen bis hierher entgegen zu kommen pflegte. An die liebevolle Pünktlichkeit seiner Frau gewöhnt, fühlte Richard sich durch ihr Ausbleiben beunruhigt, und mit beschleunigten Schritten eilten sie durch das hüglig gewellte Terrain der Heimath zu, ohne daß es Anfangs zu einem Gespräche zwischen ihnen kommen wollte. Richard war mit seinen Gedanken ausschließlich auf Weib und Kind gerichtet, und sie waren bereits eine Weile neben einander hergegangen, als er unerwartet ausrief: »Wie niedrig ist doch die Auffassung der Ehe, aus der der Begriff der Flitterwochen und des Honigmonates entstanden ist!«
»Wie kommst Du darauf?« fragte Georg.
»Ich dachte eben darüber nach,« erklärte Jener, »wie viele sprichwörtliche Gemeinplätze es giebt, die man auf Treu und Glauben hinnimmt, bis die eigene Erfahrung uns von ihrer Unhaltbarkeit überzeugt. Ueberall kann man die Behauptung aussprechen hören, daß der Besitz die Liebe ertödte, daß die Gewohnheit die Liebe stumpf mache und Gleichgültigkeit erzeuge, daß in den glücklichsten Ehen die Liebe sich in Freundschaft verwandeln müsse.«
»Und Du empfindest das nicht?« fragte Georg.
»Nein! ich empfinde vielmehr grade das Gegentheil! Als ich in Italien um Margarethe warb und sie meine Braut geworden war, da hätte ich, so sehr ich nach ihrem Besitze verlangte, dennoch ihren Verlust ertragen können. Ich würde schwer darunter gelitten haben, aber ich wäre ich selbst und ganz geblieben, wenn man den Ausdruck brauchen darf. Jetzt aber, da sie mein Weib ist, da unser Wesen Eins geworden in dem Kinde, da ich mich im ruhigen Besitze eingewöhnt habe an den Segen ihrer nie fehlenden Liebe und Verläßlichkeit, da meine ganze Natur sich danach umgemodelt hat, jetzt erst würde ihr Verlust mir unersetzlich, eine nie vernarbende Wunde sein.«
»Aber was bringt Dich zu dieser Vorstellung?«
»Margarethens Ausbleiben! Ich sorge, daß ihr, daß dem Kinde ein Unfall zugestoßen sei, meine Phantasie, so thöricht Dir das scheinen mag, ist von Schreckbildern erfüllt – und doch möchte ich diese Sorge nicht missen. Denn erst mit ihr hat mein Leben, so sehr ich mich auch früher meines Looses zu rühmen hatte, seine wahre Bedeutung und einen wahren Werth für mich bekommen.«
»Liegt doch auch für Menschen unseres Bewußtseins,« meinte Georg, »unsere ganze persönliche Fortdauer in der Fortpflanzung des eigenen Ich. Wir werden, wie die Juden, die auch nicht an die Unsterblichkeit glauben, dahin kommen, die Ehe und die Gründung der Familie als eine der ersten Pflichten anzusehen, die wir gegen uns selbst zu erfüllen haben.«
»Und das weißt Du,« fragte der Andere, indem er den Freund lächelnd, aber liebevoll anblickte, »das weißt Du, und wirst am Ende doch ein alter Junggeselle bleiben?«
Georg antwortete nicht darauf. Er schien mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt zu sein, und sie gingen schneller vorwärts, jemehr sie sich dem Landsitze näherten. So kamen sie in eine Art von Hohlweg; Brombeeren und wilde Rosen bedeckten seine Wände. Das letzte Sonnenlicht, das oben noch das Gehäge mit warmem Scheine schmückte, fiel als schmales Streiflicht in die Tiefe, und beleuchtete eine Gruppe von Menschen, die sich um ein Feuer gelagert hatten. Es war eine jener Familien, deren es noch viele in England giebt, und die wie die Zigeuner als europäische Nomaden im Lande umherwandern. Ein Wagen, wie herumziehende Gauklertruppen ihn zu haben pflegen, stand abgespannt am Wege. Ein tüchtiges Pferd und ein starker, wohlgenährter Esel graseten auf den Abhängen, während der gesellige Hund, der sich bei den Menschen niedergelassen hatte, bellend auffuhr, als er den Schritt der kommenden Männer vernahm.
Die Lagernden blickten um sich, aber sie ließen sich in ihrer Ruhe nicht stören. Es waren ein Mann und ein Weib in mittlerem Lebensalter. Ein Bursche von zwanzig Jahren, eine junge Frau mit einem Kinde an der Brust, und ein zwölfjähriges Mädchen machten ihre Familie aus. Sie hatten ein Kaninchen abgefangen, das über dem Feuer briet, und der Topf voll Kartoffeln, wie der Theekessel, der selbst dem englischen Bettler nicht fehlt, ließen eine reichliche Mahlzeit voraussehen.
»Das ist der Tom Jeffries!« sagte Richard, als er näher gekommen den Wagen erblickte, »der kam schon alljährig in die Gegend, als ich noch ein Knabe, mit meinen Eltern hier in Wyndhamhouse war. Aber es ist eine Frauensperson hinzugekommen und ein Kind noch obenein!«
Und noch ehe er die Worte ausgesprochen, hatten die Sitzenden auch ihn erkannt und der Vater war aufgestanden, ihn zu begrüßen.
»Nun Jeffries! seid Ihr wieder einmal auf meinem Grund und Boden?« rief Richard ihm entgegen.
»Ja, Sir! mit Eurer Erlaubniß! wir wollen hinauf nach Warwickshire!«
»Zum Pferderennen?« fragte der Gutsbesitzer.
»Ja Sir! man muß d'rauf ausgehen, wo's Verdienst giebt, die Familie wird immer größer, seit mein Junge sich verheirathet hat. Das ist sein Weib! mit Eurer Erlaubniß, Sir! und sein Junge, Sir! und es wird bald wieder so weit sein, wie Sie sehen, Sir!«
»Das geht schnell!« meinte Richard, und gegen den jungen Vater gewendet, der halb verlegen, halb lachend dastand, sagte er: »Ihr werdet Eurem Vater das Räderhaus zu enge machen!«
»Ich muß sehen, daß ich zu einem eigenen komme noch vor Winter! Wenn man Familie hat, will man doch auch sein eigenes Haus!« antwortete der Angeredete mit stolzem Selbstgefühl, »und wenn die Märkte bei den Rennen günstig sind, so wird's mir auch nicht fehlen!«
»So nehmt das zu den Rädern!« sagte Richard scherzend, »und kommt hinauf, ehe Ihr weggeht, es wird sich ja wohl Etwas für den Kleinen finden!«
Auch Georg griff in die Tasche und gab dem jungen Manne ein Geldstück, dann aber schritten die Freunde fürbaß, gefolgt von dem Danke und den Segnungen der Leute.
»Wie zufrieden sie aussehen und wie wohlgenährt!« bemerkte Georg.
»Was fehlt ihnen auch?« meinte der Freund. »Sie leben steuerfrei und ungehindert, so lange sie sich ehrlich nähren, und werden sie des Wanderns satt, so können sie sich niederlassen, wo sie mögen. Ich habe eine Vorliebe, eine selbstsüchtige Vorliebe für diese englischen Nomadenfamilien, weil sie mir Bilder der Freiheit sind, die wir genießen. In Deutschland würden solche Existenzen ganz unmöglich und nirgend einzupassen sein. Wir leben aber in einem freien Lande!«
Mit diesem stolzen Ausrufe hatte das Gespräch sein Ende erreicht, bis sie ganz in die Nähe des Parkes gekommen waren. Aus den Fenstern des oberen Stockwerks, in dem Regina wohnte, sah man Licht durch die Bäume der langen Allee schimmern, welche die Auffahrt bildete. Hundegebell und alle jene unbestimmten Töne, welche die Nähe der Wohnungen verkünden, drangen an ihr Ohr. Georg's Blicke waren unablässig auf das Licht gerichtet.
»Eine Heimath! eine Familie! wie oft habe ich mich in meinem Wanderleben danach gesehnt!« rief er im Selbstgespräche achtlos aus, aber der Freund nahm die Worte auf.
»Und warum zögerst Du, sie Dir zu gründen?« fragte er.
»Ich werde nicht geliebt!« antwortete Georg mit dumpfem Schmerze, und es war zum ersten Male, daß er dem Freunde das von demselben längst gekannte Geheimniß seines Herzens in Worten kund gab.
»Bist Du dessen sicher?« fragte Richard, als ein weißes Windspiel die Allee entlang kam und an Richard in die Höhe sprang, während Margarethens Stimme ihnen ein frohes Willkommen entgegen rief.
Ihr Gatte, aufathmend von der Sorge um sie, begrüßte sie mit frohem Ausrufe und umfaßte sie herzlich. »Und der Junge?« fragte er.
»Er war prächtig den ganzen Tag, nun schläft er ruhig.«
»Aber warum fand ich Dich nicht auf dem Bahnhofe?«
»Ich wollte nicht von Regina gehen!«
»Von Regina? sie ist doch nicht erkrankt?« rief Georg nun seiner Seits erschrocken.
»Nein! mein Freund! aber sie hat zu packen begonnen und will übermorgen von uns gehen, und was sich liebt, sollte sich doch nicht trennen!« antwortete die junge Frau und schmiegte sich noch fester an des Gatten Arm, während man in den Vorsaal eintrat.
Die Eltern gingen nach der Stube ihres Kindes. Georg eilte die Treppe hinan. Vor Reginens Zimmern blieb er stehen und klopfte. Sie rief herein.
Als er eintrat, sah er mit schmerzlichem Erschrecken die harmonische Ordnung zerstört, die hier gewaltet hatte. Die Geräthe des Schreibtisches waren bereits entfernt, die Musikalien lagen in Packe zusammengebunden umher, Regina stand vor einem Tische und kramte unter Papieren und Briefschaften. Als sie Georg gewahr wurde, wendete sie sich zu ihm, er fand sie ungewöhnlich bleich.
»Sie wollen gehen?« fragte er mit einer Hastigkeit, in der die Art und Weise seiner Jugend unverkennbar war.
»Ich muß fort, mein Freund! will ich die Schweiz noch in diesem Jahre erreichen!« entgegnete sie ihm ruhig, aber diese Ruhe konnte ihn nicht täuschen, seine Aufregung nicht besänftigen.
»Warum heucheln, Regina?« rief er schmerzlich. »Warum sagen Sie mir nicht: ich kenne Deine Liebe und ich gehe, weil ich sie nicht theile!«
»Ach Georg! müssen Sie, auch Sie mich quälen?« klagte sie sanft.
»Was habe ich denn gefordert bis auf diese Stunde?« fuhr er leidenschaftlich fort. »Was habe ich gefordert, als Sie sehen, neben Ihnen leben zu dürfen? Ja! ich leugne es nicht, ich liebe Sie, ich liebe Sie unsäglich, Regina! Seit Jahren lebt diese Liebe in mir, brennt in mir das Verlangen nach Ihrem Besitze, verläßt mich die Sehnsucht nicht, in Ihnen meine Heimath, meine Familie zu finden, aber ich weiß es, Ihre Scheu, Ihre Zurückhaltung haben es mir tausendfach gesagt, Sie lieben mich nicht, und –«
»Ach! daß Sie Wahrheit sprächen!« rief sie seufzend aus, und preßte beide Hände auf ihr Herz, während sie sich abwendete und in die Fensterbrüstung trat.
»Regina!« fuhr Georg auf, »welche Seligkeit lassen Sie mich ahnen!«
Sie hatte die Stirne gegen die Scheiben gelehnt. Georg sah, daß sie weinte. Er ging zu ihr und faßte ihre Hände in die seinen.
»Regina!« bat er mit einer Stimme, in der die ganze Kraft seiner männlichen Liebe ertönte, »Regina! warum schweigen Sie? Soll es nicht hell werden zwischen mir und Ihnen? Soll die zweifelvolle Scheu nicht enden, die uns voneinander hält?«
»Ja!« rief sie, »ja! es soll enden, es soll hell werden zwischen mir und Ihnen – hell! und kommt für mich auch die Nacht danach, in der kein Stern der Freude leuchtet.« Sie verstummte, als könne sie die rechten Worte nicht finden. Dann jedoch schüttelte sie mit heftiger Bewegung das Haupt, als wolle sie eine Schwäche von sich werfen, deren sie sich schäme, und sprach mit erzwungener Festigkeit: »Ich habe es lange gewußt, daß Sie mich lieben, und auch ich liebe Sie Georg! so sehr als Sie es irgend wünschen können, so sehr, daß –«
»Regina!« rief er, sie unterbrechend mit jubelnder Freude und warf sich vor der Sitzenden nieder, indem er ihren Leib mit seinen Armen fest umschlang. Sie wehrte ihm nicht, aber ihr Antlitz ward noch trauriger.
»Frohlocken Sie nicht, Georg!« sagte sie. »Was frommt uns diese Liebe?«
Er sah sie erschrocken an und ließ sie los. »Was sie uns frommt?« wiederholte er. »Wie kannst's Du's fragen, da Du mich liebst, Regina?«
Ohne darauf zu antworten, blickte sie schwermüthig vor sich nieder. »O!« sagte sie, wie im Selbstgespräch, »manchmal habe ich wohl auch gedacht, ich könnte glücklich sein wie andere Menschen! Ich malte mir es aus das Glück mit allem seinem Zauber. Wie oft habe ich mich gesehnt,« und ihre Stimme brach in Thränen, »ihm seine Kinder entgegen zu tragen, wenn ich Cornelie, wenn ich Margarethe so glücklich sah – aber es kann ja nicht sein, es kann nicht!«
Sie hielt inne, Georg kniete noch immer vor ihr, bleich und regungslos. Seine breite Brust hob sich schwer unter der Last seines Schmerzes. Regina sah es, es zerriß ihr das Herz. Mit beiden Armen warf sie sich um seinen Nacken, lehnte ihr Gesicht auf sein Haupt und wie verzweifelnd rief sie: »Es kann ja nicht sein! ich selbst habe mich darum betrogen – sein Schatten reißt mich von Dir!«
Sie war außer sich vor Schmerz. Georg war zusammenzuckend aufgestanden. Er hatte sich von ihr abgewendet und ging mit schnellem Schritte im Zimmer umher. Endlich blieb er vor ihr stehen, sah sie eine Weile schweigend an und setzte sich dann ihr gegenüber nieder.
»Regina!« sagte er ruhig, »wo das Lebensglück von zwei Menschen auf dem Spiele steht, wo es sich um ihre ganze Zukunft handelt, ist es ein Verbrechen, nach leidenschaftlichen Eingebungen zu handeln. Was hält Sie von mir fern?«
»Ich war Erich's, Ihres Bruders Weib! wie könnte ich die Ihre werden?«
»Aber Du siehst meine Liebe, Dein Herz ist mein eigen, ich verehre Dich, wie nur je ein Weib geehrt ward, kein Gesetz der Welt ist gegen uns; Erich selbst –«
Sie ließ ihn nicht enden. »Ich kann es nicht!« wiederholte sie bestimmt. »Ich kann es nicht! Habe ich denn nicht mit allen Gründen der Vernunft gekämpft wider den Fluch, der auf mir ruht? – Aber ich fühle ihn, ich fühle ihn immer wieder, so oft ich daran denke, die Hand auszustrecken nach dem Himmel, der sich vor mir aufthut. Ich kann vergessen, wie bürgerliche Ehrlosigkeit einst gebrannt hat auf meiner Stirne, ich kann vergessen, wie gering ich geachtet ward von ihm, ich kann die Vergangenheit von mir fern halten, wenn ich mich versenke in die Kunst, die Gott mir zur Erlösung gab. Aber in Deinen Armen, an Deinem Herzen, da steigt sein Schatten auf zwischen mir und Dir! Glück und Schmerz, Gegenwart und Vergangenheit, Liebe und Zorn, Lust und Schmach stürzen sich über mich. Meine Sinne schaudern, so oft ich daran denke, und grauenvoll wie Blutschuld kommt es über mich, wenn ich mit aller Sehnsucht meiner Liebe mich in Deine Arme träume, wenn ich voll Leidenschaft begehre, was ich mit Entsetzen von mir stoßen müßte. Sage mir nie wieder, daß ich glücklich sein könnte, soll mich Verzweiflung nicht zum Wahnsinn treiben.«
Sie barg erschöpft ihr Gesicht in ihre Hände. Georg saß schweigend vor ihr.
»O! daß ich ihn hassen könnte!« rief er endlich aus, »daß ich ihn hassen könnte!« und wieder schwiegen Beide.
Endlich erhob sich Georg. »Regina!« fragte er traurig, »war das Dein letztes Wort? Mußt Du mein Leben arm machen als Sühne für den Frevel, der nicht von mir an Dir begangen ward?«
Ihre Erstarrung schmolz vor dieser bittenden Klage. »Ich kann nicht anders!« entgegnete sie mit Thränen. »Es giebt ein letztes Geheimnißvolles in des Weibes Brust. Nenn's Scham, nenn's Gottesstimme! Wo das gesprochen hat, muß Alles schweigen. So laß mich denn gehen! Du, den ich mehr liebe, als mich selber! Laß mich gehen, Georg! und Gott helfe uns Beiden!«
Sie umarmte ihn bei den Worten nochmals, er hielt sie lange und fest umfangen. Dann riß sie sich plötzlich von ihm los und entfernte sich.
In starrem Schmerze blickte er ihr nach. »Und Beide einsam, Beide heimathlos!« sprach er in dumpfem Sinnen vor sich hin.
Er war an das Fenster getreten, an dem er mit Regina gesessen hatte. Am Ende der langen Allee konnte man das fortbrennende Feuer der umherziehenden Wanderer sehen. »Sie haben eine Heimath,« sagte er, »denn sie sind beisammen!« und die ersten schweren Thränen tropften aus seinen Augen nieder.
Nahende Tritte weckten ihn aus seinem Brüten. Er war überrascht, sich noch in diesem Raume zu befinden. Mit schneller Bewegung wendete er sich nach Reginens Thüre, als müsse sie sich ihm öffnen; aber die Tritte verhallten und Alles blieb still.
Als er hinausging, kam Larssen ihm entgegen, er eilte achtlos an demselben vorüber. Dennoch entging dem Freunde sein schmerzdurchwühltes Antlitz nicht.
»Also doch!« sagte er, als Georg sich entfernt hatte. »Also dennoch! Arme Regina! armes Weib! wo werde ich Trost für sie finden?«