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Drittes Kapitel.

Während Cornelie sich in solcher Weise eines seltenen Glücks erfreute, Regina auf ihrer ruhmreichen Künstlerlaufbahn vorwärts schritt, und Friedrich seines dichterischen Talentes und seiner Neigung für Helene immer froher wurde, hatten die Verhältnisse in dem Schlosse Erich's und in der Pfarre eine wesentliche Veränderung erlitten.

Helenens Abreise hatte eine Lücke in Erich's Dasein zurückgelassen. Zum ersten Male fand er die Einsamkeit auf seinem Schlosse drückend. Von der ernsten, immer auf ein förderndes Ziel gerichteten Unterhaltung seiner Frau, von ihrer immer wachen Reflexion, unter deren Einfluß selbst der Genuß des Lebens niemals zu jener heiteren Unmittelbarkeit und Unbefangenheit gelangte, die ihn allein erfreulich macht, begann er sich nach jener Einfachheit zu sehnen, welche sich harmlos der Empfindung und dem Zuge des Augenblickes überläßt. Er fühlte sich alt werden unter diesem Einflusse seiner Gattin. Es war ihm, als sei er sich selbst entfremdet, wenn er überall nur den Maßstab des Zweckmäßigen, des Würdigen anlegen, und alle Handlungen, die eigenen wie die fremden der unerbittlichen Kritik unwandelbarer Gesetze unterwerfen sollte. So schmerzlich ihm die Fehltritte der Gräfin waren, hatte dennoch ihre Schuld wie ihre Reue ihn nur noch fester an sie gekettet. Ihr weibliches Irren, ihre Sehnsucht nach Buße ließen ihm das Frauenherz in seiner Schwäche nur noch schöner und rührender erscheinen.

Die Wärme, in welcher Friedrich und die Gräfin ihm das Glück ihres Wiederfindens schilderten, die Jugendfrische, die aus den Briefen und Poesien des Reisenden hervorleuchtete, verstärkten Erich's Sehnsucht nach wechselnder Anregung, nach Schönheit und Genuß. Seine Erinnerungen verweilten immer länger bei seinem früheren Leben in der großen Welt, seine Stimmung ward mißmuthig, und Sidonie, stets darauf bedacht, in sich und in ihrer Umgebung keine Charakterfehler aufkommen zu lassen, stellte ihn darob zur Rede, als er ihr eines Tages besonders übler Laune schien.

»Ich habe Helenens Anwesenheit nicht umsonst gefürchtet,« sagte sie. »Es ist ein böser Geist mit ihr in unser Haus gekommen, und ich verdiente nicht Deine Frau zu sein, machte ich Dich nicht aufmerksam auf die Veränderung, die sie in Dir erzeugt hat. Glaubst Du, ich fühle nicht, daß sie Dich wieder hineingezogen hat in eine Richtung, die Du selbst mißbilligtest? Glaubst Du, ich empfinde es nicht, daß Alles, was Dich hier so edel und so liebevoll umgiebt, Dir gering erscheint gegen die Aeußerlichkeit ihres Daseins? Du langweilst Dich in Deinem eignen Hause!«

»Solche Ermahnungen machen es freilich weder unterhaltend noch angenehm!« bemerkte der Baron.

Sidonie fuhr auf, unterdrückte aber ihre Bewegung schnell. Ihr Gatte sah es und bereute die gethane Aeußerung. Er stand auf, ging zu ihr hin und sagte: »Vergieb mir das Wort! es war nicht so bös gemeint. Du magst Recht haben, Du bist verständig und gut, aber Dir fehlt die Klugheit eines liebevollen Herzens, die Helene in so hohem Grade besitzt. Heute grade, da ich in der That verstimmt bin, hättest Du mich nicht mahnen sollen, daß ich Unrecht habe, es zu sein!«

Die meisten Menschen finden in einem solchen Zugeständniß nicht die Aufforderung, den Fehler des Andern freundlich zu ertragen, sondern die Berechtigung, ihn noch härter zu rügen. Auch Sidonie beging den Mißgriff. »Ich würde Dich und mich erniedrigen,« sagte sie, »wollte ich Dich behandeln, wie Helene alle Welt behandelt!«

»Besäßest Du ihre rücksichtsvolle Schonung,« meinte Erich, »so würdest Du viel leichter Deine guten Absichten erreichen.«

»Wer sich der Schonung nicht bedürftig weiß, braucht sie nicht so schmeichelnd zu üben!« entgegnete Sidonie. »Und Du würdest mich überhaupt verbinden, wolltest Du Helene nicht immer zu Vergleichungen mit mir benutzen. Unsere Art und unsere Wege sind wirklich gar zu sehr verschieden!«

Erich ward bleich, die Ader auf seiner Stirn schwoll zornig an. »Danke es der Achtung, die ich vor unserer Ehe habe,« sagte er, »daß ich Dir hierauf nicht erwiedere, wie Du's verdienst. Du sprichst von meiner Schwester, und Du weißt, daß ich Helene liebe!«

Er wollte das Zimmer verlassen, in dem Augenblicke kam der Knabe herein. Sein Dasein schien Sidonie auf andere Gedanken zu bringen. »Geh nicht so von mir, Erich!« bat sie in milderem Tone, »laß uns verständig sein!«

Der Baron ließ sich auf einem Sopha nieder, Sidonie blieb auf dem andern sitzen, der Knabe kramte seine Bücherkasten auf dem Tische aus, sah aber bald die Mutter, bald den Vater an, als fühle er, daß irgend Etwas vorgegangen sei. Das ward Erich peinlich. »Geh auf Dein Zimmer, lieber Junge!« sprach er.

»Darf ich nicht hier bleiben, Papa?«

»Mama und ich haben Etwas zu sprechen, was Du nicht hören sollst!« bedeutete der Vater.

»Ihr sprecht ja nicht! Ihr seid ja still!« wendete der Sohn ein und fügte dann, von dem Unbehagen der Scene ergriffen, hinzu: »Ich will doch lieber gehen!« damit packte er seine Bücher zusammen und entfernte sich.

Erich war bewegt. Er setzte sich zu Sidonie. »Wir werden das Leben des armen Jungen und unser eigenes verbittern, wenn wir uns nicht in einander schicken lernen! Laß uns Frieden schließen, Sidonie!« sagte er.

Die Baronin weinte. Das war eine große Seltenheit. Ihre Thränen erschütterten Erich deshalb tief. Er nahm sie in seine Arme und küßte sie.

»Du läßt es mich schwer entgelten,« seufzte sie, »daß die Ehe den Reiz des Wechsels entbehrt. Das Loos der Frauen ist hart genug auch ohne das! und doch bin ich zufrieden, nur Du bist es nicht!«

Der Baron schwieg, er ging innerlich mit sich zu Rathe. Endlich sprach er: »Du hast die Schonung heute eine Schmeichelei, und hast sie sonst wohl Schwäche und Verweichlichung genannt. Laß uns denn offen mit einander reden, und sehen, wohin uns dieses führt.«

Sidonie richtete sich empor und trocknete die Augen.

»Du meinst, ich fühle mich unbehaglich in den Verhältnissen, in denen ich hier lebe, und Du hast Recht, es ist so!« sagte Erich.

»Ich wußte es ja, daß Du die Welt nicht entbehren kannst, daß Du Dich sehnst –«

»Ich sehne mich nach Niemand und nach Nichts, als nach Thätigkeit«, unterbrach sie der Baron.

»Thätigkeit? und hast Du nicht, was Du so lebhaft wünschtest, die freie Disposition über einen bedeutenden Besitz, die Sorge für Land und Leute, die Erziehung Deines Sohnes?«

»Das ist keine ausfüllende Thätigkeit!« meinte Erich. »Die wenigen Anordnungen, welche für solch einen Besitz zu treffen sind, vollführt der Inspector. Für das Wohl der Leute sorgen der Pastor und Du. Der Knabe bedarf der männlichen Hand noch nicht! – Und was will das Alles sagen? – Ja! hätten wir ein politisches Leben wie in England, wäre der Gutsbesitzer Mitbesitzer des ganzen Landes, hätten wir wirklich freie Disposition und eine für das ganze Land und für das ganze Volk ersprießliche Arbeit, dann würde man sich seiner Kräfte bewußt werden –«

»Ach!« fiel ihm Sidonie in das Wort, »das Eine wünsche nicht! Es ist ohnehin Verwirrung genug in der Welt. Wünsche nicht, daß auch unser Vaterland in eine tausendköpfige Regierungsform hineingezogen werde, die wie eine Hydra des Landes Wohl, das Glück des Einzelnen und der Familien verschlingt. Debatten in der Regierung, Debatten in der Familie! – Nirgend mehr Harmonie und Einheit, nirgend mehr der Friede des patriarchalischen Gehorsams!«

So ernsthaft der Baron zu Anfang des Gesprächs gewesen war, lächelte er plötzlich über den anticonstitutionellen Eifer seiner Frau. Diese aber meinte: »Lache nicht, Erich! es wäre nicht gut für uns, würde Dein Wunsch erfüllt, ich fühle das wie eine Ahnung. Unsere Ansichten –«

»Liebe Sidonie! es geht in unserem Staate so patriarchalisch als möglich zu,« wendete ihr Gatte ein, »und doch handelst Du, sobald es Deine Ansichten gilt, den meinigen schnurstracks entgegen.«

»Was soll das heißen?« fragte sie.

»Du weißt es so gut als ich, was mich in diesen Tagen so verstimmt macht!« antwortete der Baron. »Die Untersuchung, welche das Consistorium gegen Friedrich eingeleitet hat –«

»Hat er verschuldet und verdient!« rief ihn unterbrechend Sidonie.

»Habt Ihr, Du und Auguste, recht eigentlich heraufbeschworen!« entgegnete Erich. – »Es ist ein Unrecht von Dir, es ist unverantwortlich von seiner Frau!«

Die Unterredung hatte damit plötzlich ihren Ausgangspunkt verlassen, und beide Gatten schienen der Mäßigung, welche sie bis dahin bewahrt, müde geworden zu sein.

»Unverantwortlich,« meinte die Baronin, »daß die arme Auguste jedes Mittel aufbietet, ihren Mann zu sich zurückzubringen? Unverantwortlich, daß ihr in der gerechten Empörung über seine Untreue ein Wort des Zornes gegen den Superintendenten entfahren ist? Es giebt Leiden und Schmerzen, die Alles rechtfertigen!«

»Du bedenkst nicht, was Du redest!« erinnerte Erich, »und Du würdest nicht mit so ungerechtem Eifer für Auguste Partei ergriffen haben, hätte sie nicht durch Deine Schuld Mittheilungen über Friedrich und Helene empfangen, die Du selbst nur einem Zufalle verdanktest!«

»Bei einer Frau, welche sich verrathen sieht, finde ich Alles erlaubt!«

»Sidonie!«

»Ja!« wiederholte sie. »Ja! ich darf das sagen, da es mich selbst gar nicht betrifft. – Friedrich besingt jetzt die Liebe, läßt Liebeselegien drucken, feiert eine Andere, die Niemand verkennen kann, und hat doch nie gefühlt, daß er ein Dichter war, so lange er in der Ehe mit Augusten lebte.«

»War es seine Schuld, wenn seine Ehe ihn nicht begeisterte, ihm keine Erhebung, keinen wahren Genuß des Daseins gewährte?«

»Genuß?« wiederholte die Baronin. »Dem Manne der Genuß, der Frau die Pflicht! das ist das alte Wort! Meine Mutter wußte, was sie that, als sie mich auf diesen Grundsatz der Männer vorbereitete, und mich auf die Erfüllung meiner Pflicht verwies.«

»Und Du thust das Deine, mir Deine Pflichterfüllung nicht zum Genuß zu machen!« entgegnete Erich.

»Soll ich wie eine Buhlerin täglich um die Gunst meines Mannes werben und ringen? Soll ich als reife Frau noch Jugendlichkeit erheucheln? Soll ich mich putzen, Dir zu gefallen? auf Mittel sinnen, Dich, der mein ist, zu fesseln?«

»Als Braut verschmähtest Du das nicht!«

»Die Ehe ist kein Brautstand! Sie ist der Ernst des Lebens, nicht sein Spiel.«

»Und kann der Ernst nicht schön sein? kann er nicht mild sein, Sidonie? Ist es Schwäche, wenn Du mir gefallen willst? Ist es Unrecht, wenn Du Dich meinen Wünschen, den Ansichten zu bequemen suchst, die meine weitere Einsicht vor Dir voraus hat? Oder soll ich mich den deinigen anpassen?«

»Sie haben mindestens den Vorzug der Unwandelbarkeit für sich!«

»Unwandelbarkeit ist Beschränktheit!« fuhr Erich heftig heraus, und wie von einem Blitzstrahl erleuchtet, trat ihm plötzlich klar und hell jene Nacht in das Gedächtniß, in der er selbst sich seiner unwandelbaren Ansichten gerühmt, und der Doctor ihn fast mit den gleichen Worten zurechtgewiesen hatte.

Jene ferne Vergangenheit und seine Gegenwart berührten sich in diesem Augenblicke. Das bewegte ihn, und mit milderem Tone sprach er: »So wie Du, habe ich einst auch gedacht und das Leben hat mich die Vermessenheit jener Worte kennen lehren. Ich bin von Vielem abgefallen«

»Und Du wirst auch von mir abfallen!« meinte Sidonie, »von mir und von Dir selber!«

»Nicht von mir selber und nicht von Dir!« versicherte Erich fest und feierlich. »Ich werde Geduld haben, bis Dir bessere Einsicht kommt. Aber mache mir das Warten neben der Mutter meines Sohnes nicht zu schwer!« Und ohne ihr Zeit zu einer Entgegnung zu lassen, schritt er hinaus.

Sidonie sah ihm mit Bestürzung nach. Es lag etwas Trennendes in seiner feierlichen Betheuerung, an ihr festzuhalten. Die Vorstellung, er könne daran gedacht haben, sie zu verlassen, seine oft ausgesprochenen Reisepläne könnten die Absicht verborgen haben, ihrer Nähe zu entgehen, erschreckte sie.

Der Mittag, kam heran und noch immer saß sie nachdenkend auf ihrem Platze. Als die Glocke zur Tafel läutete, erhob sie sich.

»Ob ich die Kleidung wechsle, wie Helene?« fragte sie sich, denn Erich hatte es an der Schwester stets gerühmt, daß sie auch in der Einsamkeit des Familienlebens die sorgfältigen Gewohnheiten der Gesellschaft beibehielt. Aber eben so schnell als der Einfall ihr gekommen war, verwarf sie ihn wieder. »Zu solchen Künsten mag ich nicht meine Zuflucht nehmen, was haben sie Augusten denn geholfen?« dachte sie, als sie die Pfarrerin unter den Bäumen der großen Allee hervortreten sah, um in das Schloß zu kommen.

Der Stellvertreter ihres Mannes, der Kandidat von Stillberg, ging an ihrer Seite.

Er war ein hübscher, blonder Mann von dreißig Jahren. Einer angesehenen Familie angehörig, hatte er einen der jüngeren Prinzen erzogen und dann, im Besitze einer angemessenen Pension, die Aufforderung angenommen, Friedrich zu vertreten, um in der zeitweiligen Verwaltung dieses Amtes abzuwarten, bis sich in der Stadt eine ihm zusagende Stellung bieten würde.

Seine gute Erziehung, sein angenehmes Aeußere machten ihn gleich Anfangs in der Heidenbruck'schen Familie zu einem gern gesehenen Gaste. Man suchte ihm den Aufenthalt auf dem Lande lieb zu machen, und bald hatte es sich herausgestellt, daß die Frauen in ihm einem entschiedenen Gesinnungsgenossen begegneten. Machte ihnen das seine Nähe erwünscht, so schien auch er sich in dem Kreise zu behagen, und sich nach der langen glänzenden, aber oft sehr drückenden Abhängigkeit aufrichtig seiner wieder errungenen Selbstständigkeit zu erfreuen.

Kaum hatte er bemerkt, daß er auf den Beistand der Baronin und der Pfarrerin rechnen dürfe, als er, wie er es nannte, daran ging, einigen Fehlgriffen und Uebelständen zu begegnen, welche der Enthusiasmus seines Vorgängers, wenn auch in der besten Absicht, veranlaßt hatte. Weit entfernt, Friedrich zu tadeln, sprach er es aus, daß diesem unbedenklich das Recht zustehe, bei seiner Rückkehr alle seine Pläne und Schöpfungen wieder aufzunehmen. Er selber fühle sich jedoch verpflichtet, so lange er das Amt eines Geistlichen hier stellvertretend verwalte, eben auch nach seiner Ueberzeugung und streng nach dem Sinne des Consistoriums zu handeln, das ihn hieher gesendet habe, zumal da es hier gelte, gewisse Mißbräuche abzustellen, auf die man höheren Orts aufmerksam geworden sei.

So wendete er sich denn mit Eifer gegen Alles, was sein Vorgänger für die rationelle Aufklärung der Gemeinde gethan. Der Religionsunterricht ward in der Schule wieder zur Hauptsache erhoben, die Leseabende der Bauern nur unter der Bedingung gestattet, daß man sich der von dem Vicar ausgewählten Bücher dabei bediene; und im besonderen Verkehre, wie von der Kanzel, ward es der Gemeinde eingeschärft, daß sie sich auf einem gefährlichen Wege befunden habe, von dem die Gnade Gottes sie noch zur rechten Zeit zurückgerufen.

Der Cantor, der immer Friedrich's Gegner gewesen war, weil er sich durch den jungen unterrichteten Schulmeister beeinträchtigt und seines Einflusses beraubt gesehen hatte, nahm augenblicklich für den Vicar Partei, während der Schulmeister sich gegen ihn aussprach, und bald war ein vollkommener Parteikampf in dem Dorfe entbrannt.

Die beiden Schöne's, der junge, militärgewesene Bauer, der Hofmann und einige Andere, erklärten es offen, die Kirche nicht besuchen zu wollen, in der man ihren Pastor schmähe, und sie selbst verdächtige. Der Schulmeister, durch sein Amt zum Besuch der Kirche gezwungen, berichtete den Unzufriedenen Alles, was ihre Ansicht über den neuen Prediger noch verstärken konnte, und die üble Nachrede, welche der alte, eigensinnige Cantor seiner Seits dem Schulmeister und seinen Freunden zu machen wußte, trug nicht dazu bei, den Frieden herzustellen.

In engen Verhältnissen, in denen die Menschen nahe auf einander angewiesen sind, genügt das leiseste Uebelwollen, fortdauernden Hader zu erzeugen. Bei dem immer weiter umsichgreifenden Zwiespalt in der Pfarrgemeinde, gab es der Verleumdungen, des Streites, der Klagen und Beschwerden bald kein Ende mehr, so daß Stillberg mit Recht behaupten durfte, einen Zustand trauriger Auflösung aller nachbarlichen und menschenfreundlichen Verhältnisse in dem Dorfe vorgefunden zu haben.

Selbstwillig, wie der Bauer es ist, hatte die Forderung Stillberg's, sich der von ihm gewählten Bücher zu bedienen, die Lesegesellschaft trotzig gemacht. Da sie aus Friedrich's treusten Anhängern bestanden, war man ohne Weiteres entschlossen gewesen, sich von dem Fremden, wie man Stillberg hieß, Nichts vorschreiben zu lassen, und als der Schulze dadurch genöthigt worden war, die Vorlesungen im Kruge zu verbieten, hatte der alte Schöne die Bauern eingeladen, zu ihm lesen zu kommen. »Er wolle doch sehen,« hatte er gemeint, »wer ihm in seinem eigenen Hause, auf seinem Grund und Boden Etwas zu verbieten habe!«

Dieser Trotz hatte dem Vicar und der Baronin Waffen gegen Erich in die Hand gegeben, so oft dieser sie gewarnt, nicht zu weit zu gehen, und Beweise gegen Auguste, so oft sie erinnert, daß man Rücksicht auf ihren Mann zu nehmen habe, dessen Zukunft doch die ihre sei.

Auch beklagte der Vicar um Augustens Willen aufrichtig die Schritte, die er gegen Friedrich zu thun für seine Pflicht hielt. Bei jedem Anlaß sprach er es ihr aus, daß er seine Stellung als eine schwierige empfinde, daß es ihm Kummer mache, einem Amtsgenossen entgegentreten zu müssen, und er selbst war es, der stets Friedrich's Vertheidigung vor der Baronin und vor Augusten übernahm.

Er bewies ihnen, daß Friedrich's Irrthümer nicht in seinem Herzen, sondern in seinen Lebensverhältnissen ihren Ursprung hätten. »Es ist so natürlich,« sagte er, »daß der fähige, niedrig geborne Mensch mit Neid die Vorzüge des Glücklichern, von Hause aus günstiger Gestellten betrachtet, daß er die Frage aufwirft: woher die Noth und Mühe mir? woher das Wohlergehen Jenem? Die Anfänge des Uebels sind immerdar gering. Ein Zweifel an der Vorsehung und ihrer Allweisheit, ein Mißtrauen, ausgesprochen in schmerzbedrängter Stunde, gegen die göttliche Gerechtigkeit, das sind die Saatkörner, aus denen der Atheismus aufkeimt.«

Dabei sprach er in gutem Glauben. Nichts weniger als pietistisch oder den Freuden des Lebens abgeneigt, war er in der Religion wie in der Politik Aristokrat. Und wie die meisten deutschen Edelleute dem Adel das Privilegium zuerkennen, als Führer des Heeres Stützen des Thrones zu sein, so war der Vicar überzeugt, daß der deutsche Adel, wie der englische, berufen sei, als Träger der geistlichen Würde, die Stütze der Kirche zu werden. Nur derjenige, behauptete er, der schon durch seine Geburt hinausgehoben sei über die Menge, sei recht eigentlich dazu bestimmt, zwischen dem Volke und dem Schöpfer vermittelnd aufzutreten. Er bewies, daß selbst die ältesten Religionen dies empfunden, daß die Priester bei den Indern wie bei den Juden einer besonderen, bevorzugten Kaste angehörig gewesen wären. Er nannte es daher einen verkehrten Gedanken, das Volk durch seines Gleichen, durch Menschen erziehen zu wollen, deren erste, rohe Anfänge es zu beobachten Gelegenheit gehabt habe.

So falsch diese Doctrin auch sein mochte, gewann sie dennoch die Baronin für sich, deren Vorurtheilen sie Vorschub leistete, während Auguste sie sich gefallen ließ, weil sie darin eine Entschuldigung für ihres Mannes Irrthümer zu sehen glaubte.

Indeß kaum hatte sie durch Sidonie erfahren, daß Friedrich seit einiger Zeit einen Briefwechsel mit Helene unterhalte, als ihre Eifersucht sie über alles Mitleid mit der amtlichen Lage ihres Mannes, über die Schranken der Vernunft hinwegtrug. In dem dringenden Bedürfnisse sich auszusprechen, und doch abgehalten, es vor Sidonien zu thun, der sie die Kränkung ihres Herzens nicht eingestehen und das Recht des tröstenden Beklagens nicht einräumen wollte, hatte sie in einer Stunde der Verzweiflung den Vicar zu ihrem Vertrauten gemacht.

Wirkliches Mitleid mit ihrer doppelt angefochtenen Lage, sowie die Neugier eines Unbeschäftigten, ließen ihn die Stellung willig übernehmen, welche ihm durch solche Mittheilungen angeboten wurde, und da er sich es nicht verbergen konnte, wie wohlthätig sein Trost der Verlassenen zu Hülfe komme, so ward ihr Vertrauen ihm werth, die Getröstete ihm lieb.

Das ausgesprochene Wort besitzt aber nicht nur eine befreiende, sondern auch eine bindende und fortreißende Kraft. Was sie sich selbst nie ganz eingestanden, das bekannte Auguste dem Freunde. In den langen Winterabenden, die er häufig in ihrem Hause zubrachte, erfuhr er alle Verhältnisse ihres eigenen Lebens und deren Zusammenhang mit den Schicksalen der Heidenbruck'schen Kinder. Was sie erlitten und erduldet, schilderte sie ihm mit den Farben, welche der neue Schmerz über Friedrich's Treulosigkeit ihr borgte. Was sie gefehlt hatte, schien ihr ausgetilgt durch die Härte ihres Looses – und wer hätte sein Loos nicht anzuklagen, wenn er sich nicht beständig mit demselben zu versöhnen trachtet?

Der Vicar hatte viel in der Welt gelebt, viel mit den Frauen der höchsten Stände verkehrt, aber er kannte das Weib nicht, wie Niemand es kennen lernt, als in dem engsten persönlichen Verhältnisse zu sich selbst. Mit seiner Theilnahme an der Pfarrerin wuchs das Bestreben Augustens, ihm diese Theilnahme zu danken. Ihre Aufmerksamkeit auf seine Bedürfnisse und Wünsche verpflichtete ihn auf's Neue, und hätte sie ihrem Manne nur die Hälfte des guten Willens und der Fügsamkeit bewiesen, welche sie dem Gaste gegenüber als ihre Pflicht erkannte, sie würde sich niemals bei demselben über das Unglück ihrer Ehe zu beklagen gehabt haben. Als der Frühling anbrach, hatte sich ein gegenseitiges Verhältniß zwischen Auguste und dem Vicar gebildet, das Allen auffallend sichtbar war.

Sidonie sah mit Widerwillen den Vicar sich, wie sie es nannte, in den Netzen der Pfarrerin verstricken. Sie wagte es, ihn in schonendster Weise zu warnen. Stillberg fand darin nur die Bestätigung von Augustens Behauptung, daß die Baronin keiner Frau irgend eine Bedeutung in ihrer Nähe zugestehe, und die Ermahnung bestärkte sein Vertrauen in das Urtheil der Pfarrerin, während sie ihn gegen Sidonie einnahm. Auch zu dem Gutsherren änderte sein Verhältniß sich sehr bald. Erich verargte es ihm, daß er Friedrich in den Augen der Gemeinde verdächtigte, daß er keine Achtung hegte für die Liebe und Dankbarkeit, mit der man an dem Entfernten hing. Aber der Vicar selbst hatte keine Wahl mehr. Er war zu weit gegangen in den von ihm nöthig erachteten Reformen. Die Bauern hatten sich darüber beschwert, daß Stillberg sie in ihrer Freiheit beschränke und waren abgewiesen worden. Man fürchtete dissentirende Meinungen aufkommen zu lassen, und hoffte sie in diesem Theile des Reiches noch unterdrücken zu können. Der Vicar seiner Seits hatte sich mündlich oftmals gegen seine Amtsgenossen über die gänzliche Verwilderung beklagt, in der er die Gemeinde angetroffen habe, und da Friedrich's religiöse Ansichten und Grundsätze in der Diöcese schon vielfach ein Gegenstand der Erörterungen gewesen waren, hatte der Superintendent die Frage aufgeworfen, ob es nicht die Pflicht rechtschaffener Seelsorger sei, das Unkraut auszugäten, wo man es auch finde?

So hatten die Sachen gelegen, als die Aufstände in Galizien, die Gräuelthaten, welche von dem empörten Volke an einzelnen Gutsherrschaften ausgeübt worden waren, in Deutschland auf dem platten Lande ein panisches Schrecken hervorriefen, und diesen Augenblick hatte der Superintendent benutzt, um von dem Vicare, dessen Onkel Chef des Consistoriums war, eine Denunciation gegen den Pastor zu verlangen. Der Vicar hatte sie abgelehnt. Er hatte nicht den Ankläger machen wollen, aber er hatte sich erboten, falls die Diöcese einen Protest erhebe gegen die Amtsgenossenschaft mit einem Pantheisten und Gottesleugner, dieselbe mit allen Belegen zu unterstützen, deren er allmälig Herr geworden zu sein glaubte.

An jenem Frühlingsmittage, an welchem der Vicar und Auguste sich nach dem Schlosse verfügten, war die Anklage bereits eingereicht. Die Nachricht davon hatte sich im Dorfe zu verbreiten angefangen, nur Auguste wußte noch nicht darum, wußte nicht, welchen Antheil Erich ihrer eigenen Rücksichtslosigkeit an diesem Ereignisse zumaß, das für die Zukunft Friedrich's entscheidend werden mußte.

Verdüstert durch den Streit mit seiner Gemahlin war Erich am Morgen nicht zu ihr zurückgekehrt, und betrat ihr Zimmer erst wieder in Begleitung ihrer Gäste. Immer unzufrieden mit sich selbst, so oft er sich zu irgend einer Härte gegen seine Frau verleiten lassen, in der seine männliche Großmuth stets das Weib, in der seine Gerechtigkeit stets die guten Eigenschaften ehrte, ging er mit freundlich versöhnendem Wesen zu der Baronin, der er die Hand gab, während er sie küßte.

»Laß uns Frieden machen!« sagte er leise.

»Ich habe keinen Anlaß zum Gegentheil gegeben!« erwiderte Sidonie. Indeß sie drückte die ihr gebotene Rechte, und wendete sich dann mit der Bemerkung an die Pfarrerin: »Sie haben ja prächtige Toilette gemacht, und sehen in Ihrem klaren, rosa Kleide wie der Frühling selber aus, Auguste!«

Durch die Worte der Baronin aufmerksam geworden, betrachtete der Vicar Auguste wohlgefällig, und diese meinte scherzend: »Es ist mit uns Frauen grade wie, mit den Jahreszeiten. Im Frühling und Sommer, wenn Alles voll Blumen steht, braucht man die Zimmer nicht mit Blumen zu schmücken, im Herbst und Winter aber, wenn es draußen öde und kahl wird, da sucht man den Blumenschmuck für die Zimmer hervor. Ich muß meinen zwei und dreißig Jahren doch zu Hülfe kommen!«

»Sie sind zwei und dreißig Jahre?« rief der Vicar, »dafür hätte ich Sie nie gehalten. Ich glaubte Sie viel jünger als mich selbst!«

»Du hast Dich wirklich trefflich conservirt!« bestätigte Erich, erfreut, ihr etwas Angenehmes sagen zu können.

»Und was habe ich ertragen!« bemerkte die Pfarrerin mit einem Seufzer.

»Sie haben wirklich eine beneidenswerthe Natur!« meinte die Baronin. »Erlebte ich Schicksale wie Sie, mir fehlten die Leichtigkeit und die Lebenslust, darüber fortzukommen!«

Die Pfarrerin ward plötzlich ernsthaft, auch die Uebrigen empfanden den Mißton, den die Baronin als Nachklang der eigenen Verstimmung achtlos hervorgerufen hatte. Der Vicar aber kam ihnen Allen mit einer der zahlreichen Erinnerungen aus seinem Hofleben zu Hülfe, in denen er sich gern gehen ließ.

»Die Frau Prinzessin pflegte zu sagen,« erzählte er, »Alter und Leiden sind zwei Feinde, gegen die es eine heilige Pflicht ist, sich zu wehren, und es macht Jedem Ehre, der sich in heiterem Kampfe tapfer gegen sie hält!«

Auguste fand den Ausspruch eben so geistreich als begründet. Sie bat, der Vicar möge ihn ihr in ein Excerptenbuch schreiben, das sie sich auf seinen Rath angelegt hatte, und die Baronin bemerkte, während man sich zur Mahlzeit niederließ, daß sie Stillberg darum beneide, in der Nähe jener Fürstin gelebt zu haben, die sie für eine der ausgezeichnetesten Frauen halte.

Der Vicar stimmte mit großer Wärme diesem Lobe bei. »Was sie so erhaben macht,« sagte er, »das ist die feste, sanfte Entschlossenheit, die sich überall in ihrem Leben kund giebt, und die energische Thätigkeit, mit der sie an jedem Tage die Arbeit des Tages zu beenden sucht.«

»In einem so vielfach in Anspruch genommenen Dasein,« meinte Erich, »ist Zeitersparnis und weise Oeconomie in demjenigen, was man über sich nimmt, die einzige Möglichkeit des Bestehens. Ich glaube, sie will nicht Vieles auf einmal, darum erreicht und leistet sie so viel!«

»Ja!« sagte der Vicar, »und vor allem leistet sie viel, weil sie sich und ihrem eigenen Empfinden wenig Zeit gewährt. Ich habe sie Widerwärtigkeiten, Schmerzen, in einem Tage in sich durchkämpfen und besiegen sehen, mit denen andere Menschen Monate zu schaffen gehabt haben würden. Als ich ihr einmal meine Bewunderung darüber auszusprechen wagte, sagte sie mit ihrem huldreichen, lebensfrischen Lächeln: ›Mein bester Herr von Stillberg! lange an einem Schmerze zehren, über einer Widerwärtigkeit brüten, ist Nichts als Trägheit. Gott schickt uns ja nicht mehr, als wir ertragen können, und da ist es unsere Aufgabe, mit der Arbeit, die er uns bestimmt hat, – denn der Schmerz ist auch eine Arbeit – schnell fertig zu werden, damit wir Neues thun können. Wer, wie wir, sein Auge auf Millionen Menschen gerichtet hat, der darf das Schicksal des Einzelnen, am wenigsten aber das eigene, nicht schwer in die Wage fallen lassen!‹«

Man bewunderte diese Gesinnung der allgemein verehrten Frau, und der Vicar fügte hinzu: »Es ist Race in ihr. Das Geschlecht, aus dem sie stammt, ist durchweg energisch. Das hat sich bewährt seit den Zeiten der Reformation, und wird sich auch in ihr bewähren!«

»Ach ja!« rief Auguste, »es ist Etwas um das Blut eines Menschen. Gewisse Eigenschaften, ein gewisser Sinn finden sich im Bürgerstande doch niemals, selbst nicht bei den reich begabtesten Menschen!«

»Welch eine Behauptung, Auguste!« tadelte Erich, »Du am wenigsten dürftest das sagen!«

Auguste ward roth. Sie hatte an Friedrich gedacht, auch Erich hatte das gethan; dennoch nahm sie die Aeußerung ihres Vetters als eine Erinnerung an die niedere Herkunft ihrer Mutter, und sagte: »Ich habe mich auch niemals als ein Muster aufgestellt, ich weiß, was mir fehlt, und seit ich es weiß, ringe ich danach, es zu erreichen!«

Weder die Baronin noch ihr Mann begriffen diesen Ausruf, um so weniger, als Auguste sichtlich bewegt war. Sidonie hielt ihn für eine neue Koketterie, Erich aber fand die Cousine wirklich seit einiger Zeit wesentlich zu ihrem Vortheile verändert und glaubte, daß das Bestreben, Friedrich wieder zu gewinnen, sie habe in sich gehen und über sich nachdenken machen. Indeß das erziehende Element kam nicht von dieser Seite.

Was Augustens Charakter in ihrer Jugend am meisten geschadet hatte, war die fortwährende Vergleichung mit Helenen und Cornelien gewesen. Später hatte man ihr Sidonie als ein unerreichbares Muster der Vollkommenheit gegenüber gestellt. Nichts aber ist entmuthigender, als sich auf Vorbilder angewiesen zu finden, denen gleich zu werden man uns die Fähigkeit abspricht, während sie uns nahe genug stehen, um uns selbst, wenigstens in ihren Fehlern und Mängeln als Unsersgleichen zu erscheinen. Vor dem Unerreichbaren erstirbt das Streben, und wer nicht vorwärts strebt, den drängt die Macht des alltäglichen Lebens noch unter seine natürlichen Anlagen zurück.

Der Vicar aber, in dessen Seele die Prinzessin als das Vorbild aller Frauen lebte, der bei jedem Anlasse von ihr sprach, übte damit, ohne daß er es beabsichtigte, einen erziehenden Einfluß auf die Pfarrerin aus. Der Prinzessin nicht gleich zu sein, konnte sie nicht demüthigen, da der Vicar selbst die Fürstin als über allen Frauen stehend betrachtete. Sich die Lebensansichten der Fürstin zu Nutz zu machen, verpflichtete Auguste zu keiner unterordnenden Anerkennung im täglichen Verkehr, und jede Aenderung, welche Auguste nach dem Beispiele der verehrten Frau in sich und ihren Gewohnheiten bewerkstelligte, ward ihr als eigenes Verdienst, nicht als Nachahmung ausgelegt. Eitelkeit aber ist eben so oft die Quelle der Besserung als der Verderbniß.

So verging der Mittag fast ganz in Unterhaltungen über die Prinzessin, bei denen alle Anwesenden ihre Rechnung fanden. Als man danach den Kaffee im warmen Sonnenscheine auf dem Perron des Schlosses eingenommen hatte, und Auguste nun aufbrach, erbot sich der Vicar, sie zu begleiten.

»Ihre Cousine schien mir heute verstimmt,« hob er an, als sie sich eine Strecke vom Schlosse entfernt hatten.

»Sie ist auch nicht glücklich!« entschuldigte die Pfarrerin, »und Sie hörten ja selbst, daß sie es beklagte, keine elastische Widerstandskraft zu haben!«

Der Vicar antwortete nicht darauf. Er war nachdenklich geworden. Erst nach einer Weile sagte er: »Sie haben heute den Ausspruch unserer Prinzessin mit Recht bewundert, der den Schmerz als einen zu besiegenden Feind bezeichnet. Möchten Sie das Gleiche denken und vermögen wie die hohe Frau!«

Auguste erschrak. Sie sah ihren Begleiter forschend an. »Was meinen Sie damit? Welch einen Schmerz soll ich besiegen?« rief sie.

Man konnte es dem Vicar anmerken, wie schwer es ihm ward, der Pfarrerin die angedeutete Mittheilung zu machen, denn nur mit zögernder Selbstüberwindung sagte er: »Die Amtsverhältnisse Ihres Mannes, beste Frau! haben schon häufig zu Erörterungen Anlaß gegeben, und –«

»Und?« fragte sie gespannt.

»Und ich habe heute die Nachricht erhalten, daß eine Beschwerde seiner Amtsgenossen gegen ihn von der Regierung angenommen, eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet worden ist!«

»Auch das noch?« rief Auguste, und schlug beide Hände vor das Gesicht. So blieb sie einen Augenblick stehen. Als sie die Hände sinken ließ, schwammen ihre Augen in Thränen, und mit bebender Stimme sagte sie: »Ich fing an aufzuathmen, und nun kommt der Schlag!«

Sie befanden sich am Ausgange des Parkes. Ein aufgeschütteter Hügel, auf dem man Rasensitze angelegt, verstattete einen Blick in das Feld. Da Auguste sehr bleich geworden und in sichtlicher Bewegung war, bat Stillberg sie, hier einen Augenblick zu rasten. Sie antwortete nicht, sondern schüttelte nur verneinend das Haupt und schritt vorwärts.

An Menschen, die man gewohnt ist, gesprächig zu sehen, hat das Schweigen etwas Erschütterndes. Der Vicar versuchte es mehrmals, Auguste zum Reden zu bringen, indem er ihr das Sachverhältniß auseinandersetzte, aber sie wehrte ihm mit der Hand und schweigend erreichten sie das Pfarrhaus.

»Wollen Sie mir nicht erlauben, mit Ihnen einzutreten?« fragte er, da Auguste sich gegen ihn verneigte, als erwarte sie seine Entfernung.

»Erlauben?« wiederholte sie. »Sie werden in diesem Hause bald mehr zu erlauben haben als ich!«

Die Worte trafen den Vicar. Er folgte ihr, aber sie schien ihn nicht zu beachten. Sie legte Hut und Shawl ab und setzte sich auf den Sopha nieder. Große Thränentropfen fielen ihr aus den Augen. Der Vicar stand vor ihr. Ihr Kummer dauerte ihn, der Ton der Anklage in ihrem letzten Ausrufe that ihm wehe. Er ließ sich zu ihr nieder und nahm ihre Hand. Sie wehrte es ihm nicht.

»Könnten Sie denken,« sagte er, »daß ich ernten wolle auf den Trümmern Ihres Glückes?«

Sie gab ihm keine Antwort. »Glauben Sie mir,« fuhr er lebhafter fort, »Wochen, Monate hindurch, habe ich mit mir gerungen. Ich habe einen harten Kampf gekämpft zwischen meiner Pflicht und meiner Neigung, und so schwer es mir geworden ist – ich konnte nicht anders handeln, ich konnte, ich durfte mich nicht der Pflicht entziehen, als einer der Ankläger Ihres Mannes aufzutreten. Hätte ich es Ihnen, hätte ich es mir ersparen können – Gott weiß es, was ich darum gegeben hätte. Ich wußte ja, wie es Sie treffen würde!«

»Und der Erfolg!« rief Auguste leidenschaftlich. »Der Erfolg! was wird der Erfolg dieser Klage sein?«

»Die Untersuchung gegen ihn ist eingeleitet.«

»Und weiter?«

»Man wird ihn auffordern, zurückzukehren, sich zu vertheidigen!«

»Sich vertheidigen? Er! der, wie Sie wissen, seinen Stolz in seinen Atheismus setzt? Der darauf bestand, den Abschied zu fordern? Den nur Erich's Vorstellungen und meine flehenden Bitten davon zurückgehalten haben?«

»Darum wird es ihn auch nicht schmerzen, wenn man ihn seines Amtes entsetzt!« tröstete der Vicar.

»Aber mich!« rief Auguste, »mich! und tausendfach wird es mich schmerzen! – Denn der Schlag kommt von Ihrer Hand, von der Hand des einzigen Freundes, den ich je in der Welt gehabt habe, von der Hand des Mannes, dem ich meine Erhebung zu verdanken hoffte! – Und nun auch das verloren! das letzte einzige Vertrauen dahin!«

Sie weinte heftig. Der Vicar war erschüttert. Jeder Mann sieht sich gern als einen Erzieher und Beschützer der Frau an, neben der er lebt. Er wollte das Vertrauen der Pfarrerin nicht zerstören, und mit wahrem Gefühle sagte er: »Theure Auguste!« und es war das erste Mal, daß er sie so nannte, »theure Auguste! machen Sie mir die Pflichterfüllung nicht so schwer!«

Diese Worte besänftigten die Aufgeregte. Sie trocknete sich athemholend die Augen. »Was wird Friedrich nun beginnen? Was wird er werden, was wird er thun? Das Bischen Poesie reicht ja nicht aus – in keiner Weise aus!« klagte Auguste.

»Vielseitig gebildet, wie er ist,« beruhigte der Vicar, »wird es ihm leicht sein, eine neue Thätigkeit zu finden, und was an mir ist –«

Sie ließ ihn nicht enden. »Verlassen Sie uns nicht!« rief sie. »O! Sie werden mich auch nicht verlassen!«

»Nein! nein! gewiß nicht, dazu –« er stockte, »dazu sind Sie mir zu werth!« fügte er hinzu.

Sie hatte seine Hand ergriffen, er hatte sich wieder neben ihr niedergelassen. Beide waren plötzlich befangen worden. In ihrer Verwirrung blickte Auguste um sich her. »Du armes, kleines Haus!« sagte sie, »also muß ich doch von Dir scheiden. Denken Sie an mich, wenn Sie einst hier wohnen werden!«

»Hier werde ich niemals wohnen!« versicherte der Vicar, »es wäre gegen meine Ehre, gegen mein Empfinden. Man würde meine Handlungsweise verdächtigen und ich selber hätte keine Ruhe hier. – Sie würden mir zu sehr fehlen!« schloß er nach einigem Bedenken. Dann küßte er ihre Hand und erhob sich.

Er trat an's Fenster, sie folgte ihm. »Fassen Sie Muth, Auguste!« sagte er. »Die Wege Gottes sind so wunderbar. Es giebt Unglücksfälle, die wir später segnen!«

Sie standen Hand in Hand und blickten in den Abend hinaus. Ein graues Dämmerlicht webte über dem Garten, die Sonne war schon lange untergegangen, nur wie durch Schleier konnte man die Gegenstände noch erkennen.

»So trübe und verworren liegt mein Leben vor mir!« seufzte Auguste.

»Auch die Trübe wird vorübergehen!« beruhigte er. »Behalten Sie nur Muth und Glauben, das Licht ist uns oft näher als wir denken, und Eines bleibt Ihnen unverlierbar, ein treuer, theilnehmender Freund!«

»Das Licht?« wiederholte sie zweifelnd, und in dem Augenblicke stieg der Mond hell und klar zwischen den beiden großen Tannenbäumen vor dem Hause auf, und goß seinen Strahlenschein verklärend über den Garten und in das Gemach.

Der Vicar und Auguste waren überrascht, und mit zuversichtiger Freude rief sie: »Das soll mir ein gutes Zeichen sein! Ja! ich will kämpfen gegen den Schmerz und ihn besiegen!«


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