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Sechstes Kapitel.

Schon nach wenig Tagen hatte der Baron das Schloß verlassen, und zum ersten Male waren Vater und Sohn mit Kälte und Verstimmung von einander geschieden.

Die Vorwürfe, welche der Baron dem Sohne über Helenens Verhältnisse zu dem meineidigen Pastor gemacht, wie er Friedrich nannte, die Härte, mit welcher er diesem Augustens Entschluß gemeldet, statt ihr selbst die Mittheilung zu überlassen, hatten Erich empört, und Friedrichs neue Schrift war dazugekommen, die Meinungsverschiedenheit zwischen dem jungen Baron und seinem Vater noch schroffer herauszustellen.

Aber auch nach der Abreise des alten Barons kehrte die Ruhe nicht ins Schloß zurück. Denn kaum war Friedrich's Broschüre, die er selbst dem Schulmeister gesendet hatte, im Dorfe bekannt geworden, als der dissentirende Geist seiner Anhänger sich augenblicklich wieder regte.

Schon seit längerer Zeit hatten die Leseabende Sonntags in der Wohnung des alten Schöne stattgefunden, und die Stelle des Gottesdienstes eingenommen, da Friedrich's Getreue fortfuhren, die Kirche zu meiden, in der man seinen Ansichten entgegen trat. Wie ein heiliges Document war daher seine Vertheidigungsschrift von Hand zu Hand gegangen, und als der Sonntag kam, hatten sich die Männer bei dem alten Schöne zusammengefunden, gemeinsam zu vernehmen, was der Entfernte zu sagen hatte.

So stattlich das Haus auch war, in dem Herr Schöne sein Ausgeding verzehrte, so war die Stube doch nur eng, zu der man auf ebener Erde eintrat. Vorhänge von weiß und rother Leinewand verschatteten die kleinen Fenster. Große Bündel von Fliegenkraut hingen an mehreren Stellen von dem braun gewordenen Gebälk der Decke nieder, ohne zu verhindern, daß der Spiegel blind geworden und des Summens und Schwirrens der Fliegen in der Stube kein Ende war. Der ganze Raum hatte etwas Düsteres, Unfreundliches, denn die Bauern jener Gegend wissen noch Nichts von der Freude, die Behausung zu schmücken, von der sie wenig mehr begehren, als Schutz gegen die Witterung und einen Platz für Tisch und Bett.

Der Thüre gegenüber stand ein altes Canapé, halb verdeckt von dem riesigen grünen Kachelofen, der tief in das Zimmer hineinragte, aber Niemand saß auf diesem harten Ruhesitz. Der Schulmeister hatte sich einen Holzstuhl an den Tisch gezogen. Der alte Schöne nahm den ledernen Sorgenstuhl ein, der von Vater auf Kinder an die hundert Jahre fortgeerbt war, und sein Sohn mit dem Hofmann und dem jungen Wirthe hatten sich auf der Ofenbank niedergelassen.

Der ganze Nachmittag war mit Lesen hingegangen. Schon mehr als eine Stunde brannte die Unschlittkerze in dem schweren, alten Messingleuchter, ehe man das Heft beendet hatte. Die Bierkrüge standen leer vor den Männern, und Niemand hatte noch daran gedacht, sie wieder füllen zu lassen, als die Magd eintrat, die Schüsseln zum Abendbrod der Leute von dem Schragen an der Wand herabzunehmen.

»Mach ein Ende mit dem Geklapper!« sagte der Alte, »und zapfe eine frische Kanne Bier!«

Er nahm dabei den Kellerschlüssel von dem Brette herunter, an dem er hing, und gab ihn dem Mädchen. Das war ein unerhörter Vorfall. Der genaue Wirth ließ sonst Niemand über seinen Vorrath gehen. Auch schien die Magd zu fühlen, was ihr damit angethan wurde. Mit einer Art von Stolz nahm sie die große zinnerne Kanne von dem Tische, eilte hinaus und setzte sie schon nach wenigen Minuten wieder frisch gefüllt vor ihrem Herrn hin. Der Wirth schenkte ein. Als er den letzten Krug für sich voll gegossen hatte, schob er die Mütze mehrmals auf dem Kopfe hin und her und sagte: »Ich wollte ein Paar Tonnen d'rum geben, könnt ich ihm wieder 'n mal hier einen guten Krug voll hinstellen. Er wird's dort wohl vermissen – so gut wie wir ihn hier!«

»Vermissen!« rief der junge Wirth, »der wird Nichts vermissen, nun er seinen Willen hat. Er hätt' ja wiederkommen können!«

»Wiederkommen?« meinte der Schulmeister, »wozu soll er das? Sehen, wie Alles drunter und drüber geht? Die Haare würden ihm zu Berge stehen, wenn er erleben müßte, wie ich den Kindern wieder die zwanzig Verse langen Lieder in die Köpfe pfropfen muß. Wenn er sehen müßte, wie die Landkarten und Geschichtstabellen verstauben, die der junge Herr Baron für schweres Geld gekauft hat; wenn er hören sollte, wie der verdammte alte Fuchs, der Cantor, im ganzen Dorf herumspionirt, um 'rauszubringen, ob man dem Pfarrer denn Nichts nachzusagen hätte – –«

»Das hat gute Wege,« unterbrach ihn der Alte, »laßt ihn nur spioniren, er wird Schimpf und Schande davon haben, aber dazu, Schulmeister, daß wir uns damit abgeben, hat der Pastor das Buch nicht hergeschickt!«

»Nein!« rief sein Sohn, »das merken sie auch! Darum hat der Schulz, der immer weiß, woher der Wind bläst, wenn der Alte auf dem Schloß war, auch gefragt, ob wir denn was davon gehört hätten, daß der Herr Pastor sich so vertheidigt und sich aufgelehnt habe gegen den König und gegen seinen Herrgott. Und sie sagen, der Vicar hätte heute von der Kanzel nicht genug predigen können vom bösen Beispiel und von der Verlockung zur Sünde und zum Hochmuth.«

»Oben im Schlosse,« sagte der Hofmann, »da haben sie meine Alte gefragt, ob's denn bloß der Zufall wäre, daß sie schon so lang nicht mehr zur Kirche kommen thäte? Und wie sie gesagt hat, wir wollten warten, bis der Pfarrer wiederkäme, da hat der Brenner sie angesehen und gespeilzahnt, und die Ausgeberin, die ganz so pfeift wie sie ihr vorsingen, hat gesagt, wenn auch der gnädige Herr Vicar zur Stadt abginge, da könnten wir uns d'rauf verlassen, ein Pastor, der fünf grade sein ließe, den bekämen wir doch unser Lebetag nicht wieder.«

»Und dazu ist sie still gewesen?« fragte der junge Wirth.

»Still gewesen? Es ist der Mutter in die Glieder gefahren. ›Was für ein Pastor wird denn kommen?‹ hat sie zuletzt gefragt. ›Das werden wir ja sehen!‹ hat die Mamsell gemeint, aber die gnädige Frau hat neulich gesagt, der Pfarrer, der jetzt kommen würde, der würde nicht verlangen, daß allerlei Weibsbilder wie ehrliche Frauenspersonen vor Gottes Tisch erscheinen sollten!«

»Den Gottes Tisch, den sie uns decken!« rief der Schulmeister, »aber so dumm sie uns machen möchten, wir werden einmal ihnen auch den Tisch decken und das Befehlen wird ihnen noch versalzen werden!«

Der alte Bauer schüttelte den Kopf. »Wartet's ab!« sagte er ruhig.

»Abwarten?« meinte der junge Wirth. »Der Schulz schreit's ja jetzt schon Jedem in's Gesicht, der's hören will, sie würden's hier grade machen wie in Schlesien, und wenn sie nicht schon längst dem Pastor Brand das Predigen mit Soldaten gelegt hätten, so hätt' er's bloß dem jungen Herrn zu danken. Wir würden schon erleben, wie man Menschen in die Kirche bringt!«

»So?« rief nun plötzlich der alte Schöne, und setzte den Bierkrug auf den Tisch, daß der zinnerne Deckel schwer zufiel über dem weiß und blauen Kruge, »erleben würden wir's? Da sollen sie zuvor doch auch noch was erleben! Befehlen wollen sie uns, was wir glauben sollen? – Ich will den sehen, der mir befehlen will!«

Sein gefurchtes Gesicht hatte sich dunkel geröthet. Seine hellen Augen sahen trotzig unter den dichten Brauen hervor. »Wir wollen ihnen schon zeigen, daß wir uns nicht befehlen lassen, daß wir selber wissen, wie wir mit unserm Herrgott stehen, und Gott weiß es am besten, daß wir keine Heiden sind!«

»Sagt's denn der Herr Pastor nicht selber,« rief der Schulmeister, indem er auf eine Stelle der Broschüre deutete: »›Der Mensch, wenn er zu denken angefangen hat, findet die Religiosität mehr oder weniger entwickelt in sich selber. Er kann nicht denken, ohne sich im Zusammenhange zu empfinden mit der ganzen Schöpfung, ohne daß sich jene ehrfurchts- und liebevolle Rührung seiner bemächtigt, aus der die reine Naturanschauung sich längst entwickelt haben würde, hätten nicht Priester und Herrscher es vortheilhaft gefunden, die Wahrheit zu verhüllen, und selbst geschaffene Bilder an ihre Stelle zu setzen, zu deren Erklärung sie allein sich berechtigt nannten!‹ Jeder von uns kann Gott erkennen und die Wahrheit verstehen, wenn sie uns einfach gesagt wird, und man braucht kein Studirter zu sein, um zu wissen, was Recht ist!«

»Die Studirten?« spottete der junge Schöne, »fragt einmal unsern Pastor, wo er die rechte Einsicht her hat? Hier unter uns hat er sie bekommen. Er war das lange nicht, als er zu uns kam, was er nachher geworden ist. Vom Vater hat er's. Der hat's ihm gesagt, wie's dem Menschen ist, und was es auf sich hat mit der Gerechtigkeit. Und der Vater hat sich Nichts bezahlen lassen für die Wahrheit, wie die studirten Pfaffen, sondern hat für sich selber gearbeitet und noch Manches abgegeben an die, die's brauchten. Die rechte Wahrheit, die jeder Mensch dem Menschen sagen kann, die kostet Nichts und hilft doch am besten.«

Der Hofmann, der mit großer Gelassenheit den Anderen zugehört hatte, fuhr sich langsam mit dem runden Kamm, der sein Haar zwischen den Ohren zusammenhielt, über den Kopf, steckte ihn wieder ein, stützte sich auf beide Ellenbogen, und sagte gegen den alten Schöne gewendet: »Wenn ich Nichts zu kaufen verlange, da kann's mir gleich sein, was der Roggen gilt. Wer Nichts vom Pastor will, braucht bloß nicht hinzugehen, und wer nicht hingeht, hat Nichts zu bezahlen!«

»Wer ist denn hingegangen?« rief der junge Wirth.

»Wir haben aber doch den Decem steuern müssen!« meinte der Hofmann.

»Die Frau bekam's! so fiel es ja doch auf unsern Pastor!« meinte der junge Schöne.

»Der ist aber weg alleweil, die Frau Pastorin wird auch gehen, und der neue –« meinte der Hofmann.

Der junge Wirth ließ ihn nicht enden. »Der neue, der fünf nicht grade sein lassen wird,« unterbrach er ihn, »der kann sehen, wo er den Decem herkriegt! Sollen wir dem auch den Decem geben?«

Der alte Herr Schöne hatte Alle reden lassen. Jetzt richtete er sich auf und sagte mit fester Bestimmtheit: »Nicht 'nen Groschen!«

»Und ein schlechter Kerl, wer in die Kirche geht, wo sie unsern Herrn Pastor verunglimpfen!« rief der junge Wirth mit soldatischer Bravour.

»Das soll ein Wort sein!« bekräftigte Herr Schöne.

»Ja! das soll ein Wort sein!« riefen Alle, nur der Schulmeister stockte.

»Schulmeister!« fragte der junge Schöne, »warum schweigt Ihr jetzt?«

Der junge Mann war blaß geworden. »Ich habe eine alte Mutter!« sagte er, »und bin kein Bauer auf dem eigenen Hofe!«

»Da kommt zu mir mit Eurer Alten, wenn sie Euch fortjagen, hier ist noch Platz, und Ihr habt ja zwei gesunde Arme! Arbeit giebt's immer, die den Mann ernährt!« meinte Herr Schöne.

Dem Schulmeister traten die Thränen in die Augen. Er gab dem Greise die Hand. Es entstand eine Pause.

Die Männer begannen zu bedenken, daß sie eine schwere Verpflichtung eingegangen waren. Auch der Hofmann meinte, wenn er nicht zur Kirche gehen wolle, so werde man ihm seine Stelle auf dem Schlosse kündigen.

»In Gottes Namen!« rief der junge Wirth. »Wir sind ja nicht unter dem französischen König, der vor der Revolution die Protestanten mit Hunden in die Kirche hetzen ließ, wie wir gelesen haben. Wir sind auch nicht Leibeigene, sondern freie Bauern. Es wird für uns noch Recht zu finden sein im Lande, und eine andere Stelle für Euch und für den Schulmeister!«

»Und ganz zuletzt,« sagte der alte Schöne, »da thut man doch am besten, man geht grad aus und sagt's rund weg, wie's steht.«

»Was meint Ihr damit, Vater?« fragte der Sohn.

Der Alte antwortete nicht. Er wendete sich gegen den Schulmeister. »Unser Herr Pastor hat ja den Leuten geschrieben, was er glaubt und was er nicht glaubt, und das soll doch wohl ein Exempel sein für unser Einen,« sagte er. »Traut Ihr's Euch wohl zu, Schulmeister, es aufzusetzen an die Regierung, daß wir mit dem künftigen Pastor Nichts zu theilen haben wollen, daß wir grade glauben und denken wie unser Herr Pastor, daß wir Nichts wollen zu thun haben mit der Kirche, sondern eine Gemeinde sein für uns selber, und predigen und predigen lassen, wie's uns gut dünkt. Ihr seid ja ein halber Studirter! getraut Ihr's Euch?«

»Ja! das getraue ich mir!« rief der Schulmeister und ein helles Roth der Begeisterung überflog sein Gesicht. »Ja! das getraue ich mir! Ich will Ihnen sagen, wie wir denken, wie wir glauben mit unserm Pastor! und wenn sie mich fortschicken von meinem Amte, und wenn sie mich fortbringen von hier, so will ich –«

»So tröstet Euch,« unterbrach ihn der Hofmann, »wie ich mich trösten werde, wenn's an mich kommen thäte, mit dem Lied, das stehen bleiben wird für ew'ge Zeit:

»Befiehl Du Deine Wege

Und was Dein Herze kränkt

Der allertreusten Pflege

Des, der die Himmel lenkt,

Der Sonne, Mond und Winden

Giebt Stunde, Lauf und Bahn,

Der wird auch Wege finden,

Da Dein Fuß wandeln kann!«

Der alte Mann war aufgestanden und hatte die Hände gefaltet. Die Anderen folgten seinem Beispiel, und die Thränen rannen ihm über die gefurchten Wangen, als er diesen Vers des alten Liedes in Gebetform sprach.

So vollständig sein Inhalt im Widerspruche stand mit den Ansichten Friedrich's, welche die Männer eben beschlossen hatten als die ihrigen anzuerkennen, so rührte und erhob der Vers sie Alle. Sie hatten aus den Bekenntnissen ihres geistlichen Lehrers nur das verstanden, was ihrer eigenen Reife angemessen war. Das Uebrige war wirkungslos an ihnen vorübergegangen, und weit entfernt, den Pantheismus ihres Meisters zu theilen, verlangten sie Nichts, als Gott zu dienen nach eigener Art und Einsicht, und frei zu sein in der Ausübung dieses ihres Gottesdienstes. Sie lehnten sich auf gegen den Gewissenszwang, nicht gegen den Glauben an einen persönlichen Gott, und während sie auszutreten verlangten aus der Kirche, waren Alle voll Gottvertrauen und voll redlichen Eifers für das Gute und das Wahre.

Als sie sich trennten, schüttelten sie sich die Hände. Sie waren Brüder geworden durch einen freien Entschluß, sie waren Genossen geworden für den Kampf um ihr Recht.

Der Schulmeister schrieb die ganze Nacht, und am folgenden Morgen schon wußte man auf dem Schlosse, daß sich eine freie Gemeinde im Dorfe gebildet habe, und daß der alte Schöne ihr Haupt geworden sei.


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